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Die Linke – quo vadis?

Neues Layout. Neue Mitglieder. Neue Vorsitzende. Hilft das der Linken aus der Krise? Wir dürfen gespannt sein. Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen jedenfalls haben deutlich gezeigt: Die Linke steht am Abgrund. Das klingt einerseits bedrohlich. Andererseits gibt es der Partei die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, in welche Richtung sie geht – weiter Richtung Abgrund oder zurück auf die Startbahn.

Bislang sieht es so aus, als setze die Partei ihre alten Fehler fort. Das Thema Migration dominiert die öffentlichen Äußerungen. Das ist einerseits verständlich. Ein rassistischer Diskurs seit dem Messerangriff von Solingen hält die Republik in Schach. Das politische Berlin überbietet sich mit möglichen Forderungen und realen Maßnahmen gegen die angebliche „Mutter aller Probleme“ – die Migration. Trotzig stellt sich Die Linke gegen den Wind und beteuert, sie sei die einzige Partei, die diese Rechtsverschiebung nicht mitmache, die „stabil bleibe“, wenn es um Menschen- und Grundrechte geht.

Doch Bekenntnisse allein halten den Rechtsruck nicht auf. Ohne Analyse der gesellschaftlichen Situation, ihrer Bruchpunkte, ihrer Widersprüche und vor allem möglicher Bündnispartner bleiben diese Bekenntnisse wirkungslose Selbstvergewisserungen. Wie will Die Linke den Kampf gegen den grassierenden Rassismus und den sich verschärfenden Sozialabbau verbinden? Mit welcher Vision will sie die Menschen für eine gemeinsame Gegenwehr gegen die tiefe strukturelle Krise des Kapitalismus gewinnen? Wer sind dabei soziale Basis und politische Bündnispartner? Diese Fragen scheinen offen.

Hinzu kommt: Das aktuelle gesellschaftliche Klima verschiebt sich nicht nur durch die ressentimentgeladene Migrationsdebatte in Höchstgeschwindigkeit nach rechts. Auch der öffentlich als Rosenkrieg aufgeführte Haushaltsstreit leistet seinen Beitrag dazu, dass eine gesellschaftliche Atmosphäre des Verzichts entsteht. Eine Atmosphäre, in der Umverteilungskämpfe der Gewerkschaften und Selbstwirksamkeitserfahrungen der abhängig Beschäftigten erschwert werden. Vielmehr sind es die Forderungen der Arbeitgeber, die in einer solchen Atmosphäre Auftrieb und Rückenwind bekommen.

Hinzu kommt natürlich auch die Friedensfrage: Die Hufeisentheorie lebt neu auf. Die Parteien der Mitte nutzen sie für ihre infamen Attacken auf die Friedensbewegung. Gerade jetzt, wo die Mobilisierungen für die große Friedensdemonstration in Berlin anlaufen. Nur eines würde die Friedensbewegung stärken: Wenn Die Linke sich unverbrüchlich an ihre Seite stellen und offensiv für die Demonstration am 3. Oktober mobilisieren würde.

Dass Bewegungen ein Sammelsurium unterschiedlicher Einschätzungen und Bewertungen der aktuellen Entwicklung sind, ist nichts neues. Das Verbindende aber ist die gemeinsame Angst davor, dass uns die Regierungen des Westens in den nächsten Weltkrieg treiben. Leider verhält sich Die Linke zu wenig zu dieser Demonstration, äußert sich zu leise zu dem bilateralen Raketen-Abkommen zwischen Biden und Scholz, das das Potential hat, den gesamten Kontinent in die Luft zu sprengen. Ihre Zurückhaltung stärkt den Diskurs der Kriegstreiber und trägt so dazu bei, dass sich der reaktionäre, militaristische Diskurs ungehindert ausbreiten kann.

Immer autoritärer ist die öffentliche Debatte aber vor allem im Hinblick auf den Nahost-Konflikt geworden. Deutsche Staatsräson als politische Kampfbegriff, der jeglichen Widerspruch delegitimieren soll. Vorschnelle und diffamierende Antisemitismusvorwürfe. Politische Listen im Bildungsministerium. Propalästinensischer Protest, der unterdrückt wird. Die Rechtsverschiebung politischer Koordinaten vollzieht sich vor unseren Augen, und auch hier agiert Die Linke mit zu großer Zurückhaltung.

Frappierend, dass es trotz dieser Gemengelage keinen politisch-strategischen Streit in der Linken darüber gibt, in welche Richtung sich die Partei künftig profilieren will. Der Berliner Landespolitiker Klaus Lederer hat vor einigen Monaten ein Buch vorgelegt, dass sich klar von dem Konzept der verbindenden Klassenpolitik verabschiedet, das noch vor einigen Jahren in der strategischen Debatte der Partei eine dominierende Rolle spielte: Klassenorientierung verenge den Blick auf andere strategische Bündnispartner, schließlich gebe es auch progressive Millionäre, argumentiert Lederer und unterschätzt dabei, dass es im Konflikt zwischen kapital und Arbeit keine klassenneutrale Politik gibt. Entweder Die Linke steht an der Seite der Lohnabhängigen oder sie agiert gegen sie. Dazwischen gibt es nichts.

Eine Partei in der Krise müsste die strategischen Impulse ihrer Mitglieder, vor allem aber ihres Führungspersonals aufsaugen und im Hinblick auf ihre Tauglichkeit diskutieren. Doch diese Debatte sucht man vergeblich. Das ist um so bedauerlicher, weil Positionen, wie sie Klaus Lederer in seinem Buch argumentativ entwickelt, das innenparteiliche Koordinatensystem nach rechts verschieben. Doch anstatt dies zu diskutieren, arbeitet sich die Partei an Sahra Wagenknecht ab. Das BSW wird pauschal als rechts oder gar AfD-nah eingeordnet. Ungeachtet seiner in der Tat reaktionären Positionierung in der Migrationsfrage ist das BSW in der Friedensfrage aber keineswegs reaktionär. Ganz im Gegenteil: Die ehemaligen Genossen nutzen die Friedensfrage geschickt, um sie in der politischen Debatte zu platzieren.

Dafür werden sie von Politikern wie Bütikofer in die rechte Ecke gestellt – nicht für die sehr viel problematischeren Positionen in der Migrationsfrage, die den Konflikt zwischen oben und unten als Konflikt zwischen innen und außen anschürt, sondern für die klare Positionierung des BSW zu Diplomatie und Entspannungspolitik. Die Linke sollte sich nicht mit diesem bürgerlichen Versuch, die Friedensbewegung zu spalten, gemein machen, sondern das BSW in seiner Widersprüchlichkeit betrachten und endlich ihr Verhältnis zu dieser Partei klären.

Die Linke braucht also Strategien – gegen die Rechtsverschiebung des politischen Diskurses, gegen die Militarisierung der Gesellschaft, aber auch gegen die falsche Orientierung in der Migrationsfrage, die Wagenknecht denjenigen anbietet, die wegen der Friedensfrage, der sozialen Frage oder vielleicht auch nur wegen des Frusts über Die Linke zum BSW gegangen sind. An welchen Punkten gab es Brüche? An welchen Punkten kann man die ehemaligen Genossen zurückgewinnen? Ist Die Linke in der Lage, denjenigen, denen Wagenknecht beim Thema Migration zu weit geht, die Rückkehr anzubieten?

Über all diese Fragen muss innerparteilich diskutiert werden. Ende Oktober wird ein neuer Vorstand gewählt. Die ersten Kandidierenden laufen sich bereits warm. Ein paar knifflige Fragen liegen für die Antragsdiskussion auf dem Tisch: Dass die Auseinandersetzung mit der Zeitenwende beispielsweise zentraler Schwerpunkt der Partei bis zur Bundestagswahl werden müsse. Oder ob das Bedingungslose Grundeinkommen als Forderung ins Parteiprogramm aufgenommen werden soll.

Die Freiheitsliebe startet ab sofort eine Serie mit Diskussionsbeiträgen zur Zukunft der Linken. Wir möchten damit den Stand des strategischen Streits abbilden und ihn sichtbar machen. Wir tun das, weil wir ein Interesse an einer starken linken Kraft haben. Eine Kraft, die sich nicht wegduckt, sondern couragiert eingreift in die politischen Debatten und Entwicklungen. Den Auftakt macht der ehemalige Parteivorsitzende Bernd Riexinger am kommenden Freitag. Freuen wir uns auf diesen und die kommenden Beiträge.

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