Privatkapital und Finanzeliten als Träger politischer Macht

Die „Konferenz der UN für Handel und Entwicklung“ (UNCTAD) ist seit der Gründung als Organ der Generalversammlung der UN im Jahre 1964 sicherlich eines der aufmüpfigsten Mitglieder der UN-Familie. Gegründet als Interessenvertretung der ‚Dritten Welt‘ stemmt sie sich seither gegen den neoliberalen Mainstream.

Dabei wurde meist vermieden, andere UN-Organisationen offen anzugreifen, Ross und Reiter der „Hyperglobalisierung“ zu nennen. In einer aktuellen Veröffentlichung, vorgelegt zur Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank (WB) im April, bricht sie mit dieser Praxis: „Unter dem Schirm der Welthandelsorganisation (WTO) und mit aktiver Unterstützung von IWF und WB“ sei ein System von Normen und Regeln durchgesetzt worden, „welches es ungebundenen Finanzinstitutionen und Unternehmen erlaubt, sich frei innerhalb und außerhalb von Grenzen zu bewegen und die Spielräume der Profitmacherei durch Privatisierung öffentlicher Funktionen ständig zu erweitern.“ Gleichzeitig beschränken diese globalen Normen die Fähigkeit nationaler Regierungen, die Aneignung immer größerer Renten durch das Kapital zu begrenzen. Es könne daher nicht überraschen, dass die wachsende Impotenz der „policymaker“ dazu führt, das Misstrauen der Völker in die „technokratischen und politischen Eliten“ zu vergrößern.

Die Bilanz dieses in den 1970er Jahren eingeleiteten Prozesses, der 30 Jahre eines „gemanagten Kapitalismus“ ablöste, ist düster: Wiederkehrende Finanzkrisen, unkontrollierbare Finanzströme, die Explosion der Finanzanlagen (von 12 auf 300 Billionen US-Dollar zwischen 1980 und 2016) und der Schulden (von 60 auf 160 Prozent des Weltprodukts) stehen rückläufige Realinvestitionen, wachsende soziale Ungleichheit, Informalität und Unsicherheit der Arbeits- und Lebensverhältnisse gegenüber. Während diejenigen, die die „Furien der Hyperglobalisierung“ entfesselt haben, von Wettbewerb und Wohlstand phantasieren, kontrolliert in Wirklichkeit eine „Handvoll mächtiger Akteure“ Märkte und Wertschöpfungsketten. Wenige „Krokodile“ und „Superstar Räuber“ eignen sich immer größere Anteile der Wertschöpfung an. Mehr als ein Viertel des Reichtumszuwachses zwischen 1980 und 2016 floss in die Taschen der reichsten 1 Prozent der Weltbevölkerung. Die ärmere Hälfte erhielt magere 12 Prozent. Selbst dieser bescheidene Anteil ist wesentlich der Entwicklung in China und einigen asiatischen Staaten zu verdanken, die sich dem neoliberalen Trend entziehen konnten.

Die UNCTAD setzt dagegen ein Programm, das sie – in Anlehnung an Formulierungen bei Gründung des Bretton-Woods-Systems – „New Multilateralism for a global green New Deal“ nennt. Kernpunkt ist die Wiedergewinnung politischen Handlungsspielraums auf nationaler Ebene. Obwohl die UNCTAD z.B. in der Umweltpolitik ‚marktkonforme‘ Instrumente wie den Handel mit Verschmutzungsrechten oder Carbonsteuern nicht ablehnt, weist sie darauf hin, dass die Voraussetzung für ihre Anwendung „starke und richtungsweisende Regulierungen und ein schrittweiser Aufbau langfristiger Investitionen“ seien. Nicholas Stern zufolge ist der globale Klimawandel der historisch bedeutendste Fall von Marktversagen: „Die Beibehaltung neoliberaler Orientierungen behindert die Umsetzung von Lösungen zur Überwindung der Klimakrise“. Die Forderung nach Stärkung nationaler politischer Spielräume hat nichts mit rückwärtsgewandtem Nationalismus zu tun: Internationale Zusammenarbeit in einem ausgeglichenen System des Multilateralismus setzt voraus, dass die handelnden Nationen die Kontrolle über Kapitalflüsse und transnationale Konzerne wiedergewinnen.

Die im Bericht ausgebreiteten Fakten sind nicht neu, ihre Zusammenfassung aber gipfelt in einem geradezu vernichtenden Urteil: Es ist die Politik der letzten 40 Jahre, die zum „gegenwärtigen Zustand von Ungewissheit und Unsicherheit“, zu „finanzieller Instabilität, wachsender Ungleichheit und Klimakrise“ geführt habe. Es dürfte schwerfallen, diese Diagnose mit substanziellen Argumenten zu widerlegen. Zu offensichtlich ist, dass sich das neoliberale Versprechen, Deregulierung, Privatisierung und Globalisierung würden weltweit Wohlstand und Sicherheit schaffen, nicht einlösen lässt. Einfacher ist es, die Argumente der Kritiker zu ignorieren. Und genau das ist mit dem UNCTAD-Bericht passiert: Er wurde öffentlich und medial nicht zur Kenntnis genommen. Eine Internet-Recherche zeigt, dass keines der deutschen ‚Qualitätsmedien‘ den UNCTAD-Bericht auch nur erwähnt hat.

Der Artikel von Jörg Goldberg erschien in der neusten Ausgabe der „Z. Zeitschrift – Marxistische Erneuerung“. Die Übersicht über die gesamte Ausgabe gibt es hier.

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