Auch nach fast vier Monaten wartet Spanien auf eine neue Regierung, nachdem die alte der Volkspartei PP vom amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy nicht mehr bestätigt wurde. Durch die Wahlerfolge der politischen Neulinge Ciudadanos und Podemos, und die anhaltende Schwäche der sozialdemokratischen PSOE gelang es keiner der Parteien bislang ein solides Regierungsbündnis zu schließen. Neuwahlen könnten unvermeidlich werden. Warum der Stillstand, wie Spaniens Weg in naher Zukunft aussehen wird, wie die separatistischen Strömungen in Katalonien bezüglich Spaniens territorialer Integrität zu bewerten sind, und was nicht nur die spanische Linke von Syriza lernen kann, erklärte uns der spanische Politikwissenschaftler Dr. Óscar García Agustín von der Universität Aalborg.
Die Freiheitsliebe: Hallo Óscar, nach nun vier Monaten politischen Stillstandes aufgrund der ständig scheiternden Regierungsbildung, wie ist die Situation nun in Spanien?
Óscar García Agustin: Die Sondierungsgespräche waren ein sehr langer Prozess und viele Menschen haben diese Situation satt. Es scheint, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt. Die erste Option wären die angesprochenen Neuwahlen. Es gibt aber noch eine zweite: Wenn das politische Establishment Neuwahlen verhindern möchte, könnte es noch ein kurzfristig erreichtes Abkommen geben, sozusagen in letzter Minute. Es ist noch immer möglich, eine neue Regierung zu organisieren, das würde aber dann wohl im letzten Moment erst gelingen können. Die Vorstellung von Neuwahlen kommt bei den Menschen nicht so gut an. Sie wollen nicht noch einmal wählen gehen, wenn es irgendwie zu vermeiden wäre.
Die Freiheitsliebe: Bis zum 2. Mai bleibt Zeit für eine neue Regierung, und Du sagtest, dass es noch immer im Bereich des Möglichen liegt, aber angesichts der so unterschiedlichen Positionen von gerade PSOE, Ciudadanos und Podemos erscheint eine Einigung sehr schwierig.
Óscar García Agustín: Es gibt nur ein Problem, und das liegt beim derzeitigen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Wenn es einen neuen Kandidaten gäbe, der die Führung übernehmen könnte, würde Ciudadanos sicher Unterstützung signalisieren. Dann könnte auch die PSOE anbieten, ihren Teil zur politischen Stabilität beizutragen, nicht unbedingt direkt, aber sie könnten auch auf anderem Wege eine solche Regierung unterstützen. Ciudadanos hat Vorbehalte mit Mariano Rajoy, aber möglich wäre auch – wie mit der katalanischen Regionalregierung, die damals wenige Tage vor der deadline eine Einigung zwischen der Linken und rechtskonservativen Partei sogar herbeigeführt hat. Das wäre eine Mischung aus Pragmatismus und der Notwendigkeit, Neuwahlen aus dem Weg zu gehen, da die Stimmung in der Bevölkerung nicht pro-Neuwahlen ist.
Die Freiheitsliebe: Ciudadanos bestehen darauf, dass Rajoy nicht mehr antritt. Könnten sie mit jemand anderem vom PP besser leben?
Óscar García Agustín: Eigentlich sind sie sehr flexibel. Im Moment verlangen sie zumindest öffentlich den Rückzug Rajoys, sollte es einen anderen Kandidaten geben aus Reihen der Konservativen, wäre das in Ordnung. Es ist also mehr ein personenbezogenes als ein ideologisches Problem, das Ciudadanos mit Rajoy hat.
Die Freiheitsliebe: Wer würde am meisten von Neuwahlen profitieren?
Óscar García Agustín: Exakt heute musste ein Minister des PP im Zuge der Panama Papers zurücktreten. Bislang hat PP erfolgreich agiert, indem sie eine beobachtende Rolle einnahm bei diesem Spielchen der anderen Parteien und noch immer die stärkste Partei sind. Es ist noch nicht klar, wie dieser neue Korruptionsfall PP schaden könnte, wahrscheinlich schon ein wenig, aber nichts tun zu müssen in der schwierigen Regierungsbildung, nützt ihnen. Die Probleme liegen eher bei den anderen, besonders bei den Linken PSOE und Podemos, da diese beiden wohl kaum neue Wähler hinzugewinnen können. Zwischen den beiden gibt es große Differenzen, PSOE muss führen, und Podemos wurde für seine Haltung kritisiert von Seiten der Medien, für den Stillstand verantwortlich zu sein, müssten also vielleicht mit Verlusten rechnen.
Die Freiheitsliebe: Warum wird Podemos für seine eigentlich gradlinige Haltung teilweise so negativ bewertet und für das Nichtzustandekommen einer Regierung verantwortlich gemacht?
Óscar García Agustín Da muss man vor allem bei den Mitte-Links-Wähler*Innen schauen, denn die eher rechtsorientierten Wähler*Innen greifen Podemos sowieso wegen allem an. Für die linkere Wählerschaft gab es wohl zwei wichtige Momente: Erstens, als PSOE-Chef Pedro Sánchez nach Portugal fuhr und dort die Möglichkeiten für eine wie in Portugal geschlossene Linksregierung für Spanien auszuloten. Das wäre eine Links-/Mitte-Linksregierung. Das Problem liegt aber nun nicht so sehr bei ihm selbst, sondern beim Widerstand in seiner Partei in eine Linksregierung einzutreten. Zweitens, hatte Podemos sehr selbstbewusst Vorschläge zu einer Regierungsbildung gemacht und dabei in Form von Ministerien großen Einfluss nehmen zu wollen. Darauf wollte PSOE nicht eingehen, und somit waren zwei Momente, die der Linken in Spanien Hoffnung machten, verflogen. PSOE sieht sich als nationale Kraft, Podemos nimmt in der katalanischen Frage eine komplett andere Position ein, indem sie sagen, dass sie ein Referendum dort befürworten. Ein solches Referendum ist populär in Katalonien, nicht so sehr aber im Rest Spaniens. Also entstand der Eindruck, dass Podemos seine Linie zwingend durchsetzen möchte, ohne Verhandlungsbereitschaft, wohingegen PSOE ohne Vorbedingungen sozusagen offen verhandeln wollte. Letztendlich wurde Podemos so an den Rand gedrängt, noch weiter nach links, sodass Mitte-Links-Wähler*Innen Podemos für seine harte Haltung nun meiden könnten.
Die Freiheitsliebe: Wieso ist es für PSOE so schwer sich als linke Kraft zu verstehen und eine linke Regierung zu bilden?
Óscar García Agustín: Wir können von zwei Varianten ausgehen, die für PSOE in Frage kommen. Das eine ist das portugiesische Modell einer progressiven Linksregierung, das andere das deutsche als Teil einer Großen Koalition. In Großbritannien beispielsweise kann Labour nach links schauen, weil sie von dort aus keine Wettbewerber haben, in Spanien möchte PSOE nicht mit Podemos um linke Wähler*Innen kämpfen, weil sie linke Kernideen im direkten Vergleich zu Podemos nicht erfolgreich vertreten können. Podemos und die Vereinigte Linke Izquierda Unida sind programmatisch stark im linken Spektrum verwurzelte Parteien, und Podemos hat annähernd so viele Stimmen wie PSOE, sodass dort eine große Konkurrenz auf Augenhöhe stattfindet. PSOE befindet sich in einer komplizierten Lage, denn im Zentrum und auf rechts sind PP und Ciudadanos positioniert. Und im Bezug zu einer reinen Linksregierung unter PSOE-Führung: Es gibt verschiedene Interessen in der Partei. Die traditionellen, alten PSOE-Anhänger sind gegen eine Koalition mit Podemos. Sogar aus der „jüngeren“ Generation, wie der andalusischen PSOE-Chefin, die zusammen mit Ciudadanos regiert, gibt es Widerstand gegen Podemos. In anderen Regionen wäre eine Koalition aus PSOE und Podemos aber ohne weiteres möglich. „El País“ (Spaniens größte Zeitung im Mitte-Links-Spektrum, Anm. d. R.), versucht PSOE daran zu erinnern, dass sie weder mit „Populisten“ noch mit „Nationalisten“ Regierungspakte schließen sollten. Podemos wird nicht als „normale“ linke Partei gesehen, sondern als eine radikale, vergleichbar zu Syriza in Griechenland. Druck wird auch aus Wirtschaftskreisen ausgeübt, nicht mit Podemos zusammenzugehen. So ist die Partei sehr gespalten und mehrheitlich damit beschäftigt, Podemos aus Regierungsverantwortung rauszuhalten.
Die Freiheitsliebe: Nach den letzten Wahlen und dem Aufkommen neuer politischer Alternativen, kann man vom Ende des „bipartidismo imperfecto“, des traditionellen Zweiparteiensystems in Spanien sprechen?
Óscar García Agustín: Ja, wenn die nächsten Wahlen das auch bestätigen, Ciudadanos und Podemos ihre Positionen halten können, sieht es danach aus. Ob es das Ende ist, ist schwer zu sagen, sicherlich ist es eine Neuordnung der Parteienlandschaft. Wir haben nun eine politische Vielfalt sowohl auf der linken als auch rechten Seite, die den Menschen mehr Alternativen schafft. Dazu kommen noch die nationalistischen Parteien aus dem Baskenland und Katalonien, die sowohl national-konservativ als auch links-progressiv sein können. Das könnte die Parteien dazu bringen, nicht mehr in eigenen Mehrheiten zu denken, sondern Koalitionen und Verhandlungen akzeptieren zu müssen.
Die Freiheitsliebe: Bei den letzten Wahlen im vergangenen Dezember erhielten die beiden Establishment-Parteien noch immer etwa 50% der Wählerstimmen trotz der immensen Probleme durch die Finanz- und Bankenkrise, die Austeritätspolitik, die Sozial-, Bildungs-, und Gesundheitsausgaben drastisch kürzen ließ, trotz der hohen Arbeitslosigkeit, gerade unter Jugendlichen, oder auch der Einschränkung der Bürgerrechte durch die rechtskonservative Regierungspartei. Was muss noch passieren, damit die spanischen Bürger*Innen realisieren, wer für all das hauptverantwortlich ist?
Óscar García Agustín: Es handelt sich um sehr fest etablierte Parteien. Bis vor kurzem war es schwer, neue Parteien zu kreieren, auch wenn auf regionaler Ebene der Pluralismus seit Langem Gang und Gäbe ist. Auf nationaler Ebene gab es einige Jahre nach der Errichtung der spanischen Demokratie faktisch nur noch die beiden großen Parteien PP und PSOE. Es müsste eigentlich eine Wahlrechtsreform geben, die die unfaire proportionale Verteilung von Sitzen und Stimmen beendet, aber das ginge nur, wenn die kleinen Parteien genügend Mehrheiten zusammenbekäme. Also sind die beiden großen Parteien die Nutznießer dieses Systems. Kleinere Parteien können das Establishment aber herausfordern. Ich drücke es so aus: Wenn wir Real Madrid und FC Barcelona haben, ist es egal, ob Atlético Madrid gut spielt, denn am Ende geht es nur um Madrid oder Barcelona, und so ist es auch mit dem spanischen Parteiensystem gewesen. Außerdem gibt es enge eine Parteizugehörigkeit, Menschen mit bestimmten Determinanten wie sozioökonomischer Status, Geschlecht, oder Alter, die die zwei Parteien traditionell unterstützen. Bei Parlamentswahlen spielt die Loyalität vieler Wähler*Innen eine große Rolle. Aktuell vertreten die Parteien auch unterschiedliche Spektren. Ciudadanos ist zwar im politischen Zentrum, deckt aber die (wirtschafts-) liberale Ausrichtung ab, wohingegen PP die rein konservative, gesellschaftliche Rechte vereinnahmt und die ist traditionell stark. Wenn man bedenkt, was alles schief läuft und wie durchzogen sie von Korruption sind, fällt es einem schwer, eine Antwort auf die Frage zu finden. Beim PP kann man sicherlich Loyalität und die Ablehnung allem Linken als Grund für die Unterstützung vieler für PP anzuführen. Gerade Pablo Iglesias und seine Podemos erscheint vielen Älteren zu radikal. Mit ihren programmatischen Fokus auf Erneuerung sprechen sie vielleicht mehr Jüngere an, und deren „cambio“ sehen Konservative als Gefahr an. Für die zählen „alte Werte“ und wirtschaftlicher Aufschwung.
Die Freiheitsliebe: Ein „cambio“ historischen Ausmaßes wäre die Abspaltung Kataloniens von Spanien, die in den letzten Jahren dringlicher geworden ist. Trotz der verfassungsrechtlichen Hürden, wo könnten die separatistischen Bestrebungen aus Katalonien hinführen?
Óscar García Agustín: Das ist ganz interessant. Beide Seiten, also Madrid und Barcelona, ziehen einen Nutzen aus der unklaren Situation, die momentan herrscht. Keiner äußert sich konkret, man geht der Diskussion aus dem Weg, und das versucht Rajoy und sein PP schon seit langem so durchzuziehen. In Madrid gibt es keine Regierung, in Barcelona regiert ein Bündnis aus linken und rechten Kräften. Statt in notwendige Verhandlungen zu gehen, bemühen sich beide darum, ihre Machtposition irgendwie zu festigen. PP muss irgendwann verhandeln, darum wird die Partei nicht kommen, aber sie hoffen auf ein Scheitern der ungewöhnlichen katalanischen Regierungskoalition, denn diese vereint nur die katalanische Frage, also das eigenständige Katalonien. Der katalanischen Separatismus wurde stärker durch die unversöhnliche radikale Haltung aus Madrid und wurde verkompliziert durch die Allianz aus so verschiedentlich denkenden politischen Strömungen, die nun gemeinsame Politik machen sollen. PP wird weiter die Strategie verfolgen, nicht viel zu sagen und abzuwarten. Eine einseitig erklärte Unabhängigkeit Kataloniens ist laut spanischer Verfassung ohnehin nicht möglich, also ist die einzige Lösung Verhandlungen in Richtung eines gestärkten Föderalstaates. Spanien hat sich auch in den letzten Jahren in diese Richtung entwickelt, aber der Staat hat bestimmte nationalen Gruppierungen wie den Katalanen oder Basken keine formale legale Anerkennung geschenkt, die Spaniens Plurinationalität als Realität begreift. Die andere Option wäre diesen Konflikt so weiterzuverfolgen, und dies nützt den Rechten, denn diese speisen sich aus dem Konflikt, der ein Feindbilddenken fördert und die Verlierer in diesem Diskurs sind die Linken.
Die Freiheitsliebe: Wie ist die Lage im Baskenland. Der Eindruck ist, dass die Forderungen nach Unabhängigkeit leiser wurden. Stimmt das?
Óscar García Agustín: Kann man so sagen, ja. Es stehen dieses Jahr Regionalparlamentswahlen im Baskenland an, die werden Auskunft geben. Richtig ist, dass es vor einigen Jahren noch umgekehrt war: Der katalanische Nationalismus war friedlich und angepasster, der baskische viel radikaler. Das hat sich auch nach Auflösung der ETA geändert. Der Diskurs wird jetzt nicht mehr gewaltsam, sondern politisch geführt. Nationalistische Debatten finden statt, Unabhängigkeitsdebatten nicht mehr ganz so stark wie vorher. Außerdem ist die Krise im Baskenland nicht so stark zu spüren, wie in anderen Teilen Spaniens, das spielt auch eine Rolle. Man stellt dann auch das ganze System nicht so sehr in Frage, aber die Wahlen und der Wahlkampf werden Antworten geben auf diese Frage.
Die Freiheitsliebe: Wenn wir Podemos mit Syriza vergleichen, die vor einem Jahr an die Macht kam: Voller Hoffnung haben Linke überall in Europa Syriza bejubelt, nun scheint es, dass Syriza im neoliberal-geprägten Europa gescheitert ist. Wäre so etwas auch für Podemos zu erwarten, würde die Partei in Regierungsverantwortung kommen? Ist echte linke Politik möglich in dieser EU, in Zeiten einer Troika?
Óscar García Agustín: Wir haben ja vom nationalen Druck auf Podemos gesprochen, nun gibt es auch internationalen Druck auf Podemos, auf EU-Ebene sozusagen, der Anti-Austeritätsmaßnahmen verhindern soll. Podemos als Beteiligter in einer Regierung würde nicht wie Syriza stärkste Partei sein, sondern wäre wohl mit PSOE Teil einer sozialdemokratischen Regierung, das wäre ein Unterschied. Syriza hat unheimlich viel Hoffnung verkörpert und kann natürlich nicht alle Erwartungen erfüllen. Die Herausforderung ist eben linke Inhalte wie Förderung des sozialen Wohnungsmarkts, soziale Gerechtigkeit, Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und so weiter gewinnbringend zu formulieren. Also innerhalb des Systems Wandel herbeizuführen in einigen Fragen. Die Erfahrungen mit Syriza zeigen, dass man ein Gleichgewicht zwischen Idealen und pragmatischen, realistischen Lösungen finden muss, um Wandel zu gestalten. Es muss wohl auch eine materialistische Analyse dessen geben, was machbar ist und wie genau. Syriza war vielleicht die Projektion einer Narrative, dass die Linke gewinnen, und Veränderungen herbeiführen kann. Nun ist es so, dass die Linke gewinnen kann, aber sie sind nicht vorbereitet, Wandel in diesem System umzusetzen. Um nicht unterzugehen, muss die Linke einen Weg der Balance finden, um für das Establishment „gefährlich“ zu werden und innerhalb des Systems ihren Gestaltungsspielraum zu finden. In der Politikwissenschaft ist die Rede davon, dass die Linke eine starke politische Identität besitzt, was die Rechte nicht hat. Die Panama Papers lösen eine fundamentale Enttäuschung bei den Linken aus, für konservative und neoliberale Wähler*Innen ist es noch immer kein Grund, das System infrage zu stellen. Man vertraut Politikern und Parteien trotzdem, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Für Linke bedeutet eine Krise immer auch eine tiefe Krise in der politischen Identität. Die Linke bewegt sich irgendwo zwischen Reformen und Revolution. Bei der neuen pan-europäischen Bewegung DIEM25 von Yanis Varoufakis besagt der erste Punkt, Transparenz ins europäische politische System zu bringen. Viele Linke sehen das als Reformismus an, nicht als Revolution, aber man benötigt diesen ersten kleineren Schritt wohl als Versuch zuerst einen Konsens zu schaffen. Aus Syriza kann und muss die europäische Linke lernen, wie eine linke Identität gestärkt werden kann. Da schaut man in Spanien auch auf DIE LINKE in Deutschland. Linke Parteien sind nicht nur symbolische Parteien, sie möchten auch in Regierungsverantwortung gelangen, Einfluss nehmen und sollten sich deshalb ihrer Mentalität bewusst werden. Breiten elektoralen Konsens kann es durchaus bei Themen sozialer Gerechtigkeit geben, da bin ich nicht so pessimistisch. Im „System“ gegen das „System“ arbeiten, eine balancierte Ausrichtung finden, das ist die Herausforderung, vor der die europäische Linke steht.
Die Freiheitsliebe: Vielen Dank für das Interview, Óscar!
Dieses Interview wurde geführt und aus dem Spanischen und Englischen ins Deutsche übersetzt von Martín Dudenhöffer.
Eine Antwort
Da jüngste Umfragen anzeigen, daß sich das Patt durch Neuwahlen nicht auflösen würde, sollte eigentlich niemand wirklich Interesse an Neuwahlen am 26. Juni haben? Es gäbe vermutlich nur Verschiebungen innerhalb des konservativen und linken Lagers, mit leichten Vorteilen für PP und C’s, die aber nicht ausreichen, eine absolute Mehrheit zu erreichen. Diese Woche besteht also noch Zeit für Verhandlungen, die ganz sicher im Hintergrund gerade laufen…
Die stabilste Mehrheit ergäbe natürlich eine GroKo nach deutschem Muster, die jedoch in Spanien höchst unpopulär, ja eigentlich undenkbar ist! Alle anderen möglichen Kombinationen sind knappe Zählkombinationen mit geringsten Mehrheiten bei gleichzeitig stark divergierenden politischen Programmen der Beteiligten, die zu äusserst instabilen Verhältnissen führen würden.
Der katalanische Separatismus scheint seinen Höhepunkt überschritten zu haben? Er hat trotz großem Lärm und Getrommel nie mehr als ein gutes Drittel der Katalanen umfasst. Seit Artur Mas den berühmten Schritt zur Seite tat und Carles Puigdemont installierte, scheint die Luft raus zu sein. Der hat nach hundert Tagen des „süssen Nichtstuns“ im Amt des Autonomiepräsidenten es jetzt gewagt an zwei Dogmen der Nationalkatalanisten zu rütteln:
1.) Es stimme nicht, daß Spanien die Katalanen beraube!
2.) Er würde in dieser Legislaturperiode keine einseitige Unabhängigkeitserklärung Kataloniens durchführen!
Flankiert wird er dabei von seinem Vorgänger Artur Mas, der öffentlich einräumte, daß die Separatisten KEINE Mehrheit in Katalonien hätten , sondern diese erst erkämpfen müssten!
Bisher musste immer Spanien die Zeche bezahlen, wenn die hochverschuldete Autonomie Geld benötigte, denn am Kapitalmarkt bekommen die Katalanen keine Gelder mehr seit sie von Ratingagenturen als „Müll“ bewertet werden. Jetzt bekommt aber auch Madrid aus Brüssel von der EU die Rote Karte gezeigt, denn die Staatsverschuldung beträgt 100% des BIP und die Neuverschuldung durchbrach alle vereinbarten Grenzen nach oben.
Vielleicht liegt aber gerade in diesem Umstand eine Chance, sich in der Not zusammen zu raufen?