Palästina und Israel: Die Zweistaatenlösung ist tot

Was verbindet einen israelischen rechtsaußen Koalitionspartner und den Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas? Die Erkenntnis, dass die Zweistaatenlösung durch die Realität eines einzigen Staates gefressen wurde. Und dieser eine Staat wird kein demokratischer sein, vielmehr wird das Apartheidsregime zur offziellen Politik der israelischen Regierung.

by Meron Rapoport from Middle East Eye


Frage: Was haben der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Bezalel Smotritz, der radikalste Nationalist innerhalb der ultrarechten Fraktion der ohnehin nationalistischen Partei Jüdisches Haus, gemeinsam?

Antwort: Sie haben sich noch nie getroffen – und werden dies wahrscheinlich auch nie. Doch beide haben es in den vergangenen Wochen hinbekommen, den bereits bröckelnden Glauben zu erschüttern, die Zweistaatenlösung wäre ein gangbarer Weg zur Beendigung des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Abbas erreichte dies in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York; und Smotritz in Form des politischen Programms, das von seiner Fraktion der Nationalen Einheit angenommen wurde.

Auch der von seiner Bevölkerung verhasste Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat sich mittlerweile von der Gründung eines Palästinenserstaates verabschiedet. By President of Russia, Kremlin, licensed under CC BY-NC-ND 2.0.

Ab 1967 sah die politische „Arbeitsteilung“ – der vielleicht treffendste Begriff – in Israel so aus, dass die Linke oder die gemäßigte Linke Initiativen zur Beendigung des israelisch-palästinensischen Konflikts vorschlagen oder fördern sollten, während es die Rolle der Rechten war, diese Initiativen durch den Bau von Siedlungen im Westjordanland und in Gaza zu vereiteln.

Die Bemühungen der Rechten sind gewiss nicht der einzige Grund für das Scheitern dieser so genannten Friedensinitiativen, die alle auf einem Rückzug Israels aus palästinensischen Gebieten beruhten, sowie auf Autonomie oder Unabhängigkeit ihrer palästinensischen Bewohner – aber sie haben sicherlich zu deren Scheitern beigetragen.

Das Scheitern der Zweistaatenlösung

Aus diesem Grund sah sich die israelische Rechte seit vielen Jahren auch nicht gezwungen, irgendeine Vision für die israelische Herrschaft über die 1967 besetzten Gebiete anzubieten, über die vage Idee eines Großisraels hinaus. Stattdessen glaubten sie, die Ausweitung und Intensivierung der Siedlungen im Westjordanland und im Gazastreifen würden ausreichen.

In den letzten Jahren hat sich die Haltung der israelischen Rechten jedoch verändert, vor allem seit der Einrichtung der derzeitigen rechtsaußen Koalitionsregierung. Einerseits stärkte der Wahlsieg von Premierminister Benyamin Netanjahu 2015 – der dritte Sieg in Folge – die Überzeugung, dass seine Mehrheit für viele Jahre gesichert sei und dass die Linke in absehbarer Zeit keine Wahlen gewinnen werde.

Andererseits überzeugten nach dem Scheitern der Gespräche des damaligen US-amerikanischen Außenministers John Kerry sowohl der faktische Tod des Friedensprozesses als auch der weitere Ausbau der Siedlungen im Westjordanland die meisten Führer der Rechten, ihre langfristigen Bemühungen, die Zweistaatenlösung und damit die Gefahr eines palästinensischen Staates im Westjordanland zu begraben, hätten endlich Früchte getragen.

US-Außenminister John Kerry beim Handschlag mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu auf einer Pressekonferenz in Jerusalem im Dezember 2013. By U.S. Department of State, Wikimedia Commons, published under public domain.

Dieses geeinte Gefühl des permanenten Sieges über die Linke und der vermeintlichen Niederlage des Zweistaaten-Modells hat vielen Führern der Rechten ein enormes Gefühl des Selbstvertrauens verliehen und es ihnen so ermöglicht, in Gefilde vorzustoßen, in die sie sich vorher nie hineingewagt hätten. Dazu gehören ihre eigenen scheinbar detaillierten Pläne und Visionen für die Zukunft des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Der Friedensprozess verlor von Tag zu Tag an Schwung, in Folge hat sich die politische Landschaft Israels verändert.

Die zionistische Linke scheint unfähig, neue Ideen zu entwickeln, um den Friedensprozess neu zu beleben. Dies zeigte sich besonders deutlich in einem Interview des ehemaligen Außenministers Shlomo Ben Ami, der während der Ehud Barak-Regierung im Jahr 2000 an den Verhandlungen mit den Palästinensern in Camp David und Taba teilgenommen hatte.

Die Zweistaatenlösung, so Ben Ami, sei die „Wiedergutmachung des zionistischen Traums“. Vorerst ist sie jedoch für beide Seiten „nicht attraktiv genug“. Leider kann sie lediglich von einem Ereignis von „fast apokalyptischem“ Ausmaßes hervorgebracht werden, so Ben Ami.

Apartheid wird zur offiziellen Politik

Doch während Ben Ami und andere Vertreter der alten zionistischen Linken auf die Apokalypse warten, haben Denker und Politiker von rechtsaußen begonnen, neue Pläne zu entwickeln.

Diese Ideen unterscheiden sich voneinander, teilen alle jedoch eines: die Negierung eines palästinensischen Staates westlich des Jordans.

Das Ende des Zweistaaten-Modells bedeutete jedoch keineswegs, dass diese Ideen die Schaffung eines demokratischen Staates zwischen Jordan und Mittelmeer begrüßten. All diese nationalistischen Politiker lehnten mit wenigen Ausnahmen die Idee, Palästinenser würden im Westjordanland und in Gaza die gleichen Rechte wie Juden genießen, in Gänze ab. Kurz gesagt: sie schlugen verschiedene Varianten eines Apartheidstaats vor.

Der israelische Bildungsminister Naftali Bennett vertritt die Ansicht, Israel sole Zone C des Westjordanlands – rund 60 Prozent des gesamten Gebiets – permanent annektieren. By Brookings Institution, Flickr, licensed under CC BY-NC-ND 2.0.

Naftali Bennett, Kopf der Partei Jüdisches Haus, unterbreitete den Plan, die Zone C im Westjordanland zu annektieren, in der alle israelischen Siedler und etwa 100.000 Palästinenser leben – rund 60 Prozent des gesamten Territoriums. Der Rest der Palästinenser im Westjordanland würde unter einer Art staatenloser Selbstverwaltung verbleiben.

Miki Zohar, ein Abgeordneter von Netanjahus Likud-Partei, schlug vor, dass Israel das gesamte Westjordanland annektieren und den Palästinensern nur Aufenthaltsrechte gewähren würde, was bedeutet, dass sie für ihre lokalen Gremien, nicht aber für das israelische Parlament wählen könnten.

Wieder andere schlugen vor, die Palästinenser sollten jordanische Staatsbürger werden, die das jordanische Parlament wählen dürften, während sie unter voller israelischer Herrschaft lebten.

Smotritz ging noch einen Schritt weiter. Gemäß seinem „Unterwerfungsplan“ wird Israel die Westbank offiziell annektieren und den Palästinensern drei Optionen anbieten:

– mit Hilfe der israelischen Behörden aus Palästina auswandern
– das Leben in einem „jüdischen Staat“ ohne politische Rechte akzeptieren
– heftige Repressionen gegen jene Palästinenser, die sich weigern, ihre nationalen Bestrebungen aufzugeben

Vor drei Wochen übernahm die Fraktion der Nationalen Einheit, die ein Teil der Partei Jüdisches Haus ist, Smotritz‘ Plan. Dies ist das erste Mal in der israelischen Geschichte, dass eine Koalitionspartei (die Nationale Einheit stellt einen Minister in der Regierung, Smotritz selbst ist stellvertretender Sprecher der Knesset) Ideen der Vertreibung und vollwertiger Apartheid als offizielle politische Agenda angenommen hat.

Dies ist natürlich ein äußerst gefährlicher Präzedenzfall und kann zur Legitimation extremer und gewalttätiger Maßnahmen gegen die Palästinenser führen.

Gleichzeitig spiegelt dies jedoch die Einsicht wider, dass die 1967 begonnene Besatzung nicht ewig andauern kann, dass der Status quo keine dauerhafte Lösung sein kann.

Netanjahu: Es ist vorbei

Wenn sich Israel weiterhin weigert, einen unabhängigen palästinensischen Staat zu akzeptieren, dann muss es der Aussicht auf eine Einstaatenlösung gegenübertreten, sei es durch Apartheid, wie Smotritz es vorschlägt, oder durch Demokratie.

Und hier kommt die Rede von Abbas ins Spiel. Neben der Schaffung eines neuen Raums für Diskussionen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft unterstreicht sie auch die Herausforderungen, denen sich Israel derzeit gegenübersieht.

Bis vor Kurzem waren Forderungen nach einer demokratischen Einstaatenlösung nicht-zionistischen Politiker oder Aktivisten vorbehalten.

Doch nun sind solche Stimmen gar von der israelischen Rechten zu hören. Präsident Reuven Rivlin gehört dazu, obwohl er Gaza nicht als Teil dieses einheitlichen Staates sehen will und das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge nicht akzeptieren wird.

Auch für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu ist die Zweistaatenlösung Geschichte. By IsraelinUSA, Flickr, licensed under CC BY 2.0.

Netanjahu selbst hat angedeutet, dass er sich an einem Scheidepunkt befindet. In seiner Rede zur Feier des 50. Jahrestages der jüdischen Siedlungen im Westjordanland im vergangenen Monat erklärte er, im Rahmen eines Friedensabkommens mit den Palästinensern werde keine „jüdische oder arabische Siedlung“ geräumt.

Das alte Trennungsmodell eines palästinensischen Staates und eines jüdischen Staates, so sagt er, ist vorbei.

Wie einige Kommentatoren zu Recht bemerkten, nannte Abbas keine Einzelheiten darüber, wie dieser eine Staat aussehen wird oder wie er erreicht werden soll.

Doch allein die Tatsache, dass er diese Idee an die vorderste Front des israelisch-palästinensischen Konflikts gebracht hat, kann weitreichende Konsequenzen mit sich bringen.


This piece by Meron Rapoport was originally published on Middle East Eye and was translated for Die Freiheitsliebe by Jakob Reimann.

Meron Rapoport ist ein israelischer Journalist und Schriftsteller, Gewinner des Napoli International Prize for Journalism für seine Untersuchungen über den Raub von Olivenbäumen von ihren palästinensischen Besitzern. Er schrieb u.a. für Le Monde Diplomatique, The Guardian und war Chef der Nachrichtenabteilung der israelischen Haaretz und ist nun ein unabhängiger Journalist.

Die Freiheitslieb sends the best wishes to Israel to Meron Rapoport and to London to the Middle East Eye staff and says THANK YOU! to everyone involved for their great job – connect critical journalism worldwide!

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