Osterappell: Alle Kinder aus den griechischen Camps holen

Ostern steht vor der Tür. Eine Zeit in der man sich Zeit nimmt für Familie und Freunde. Selbst wenn ich Ostern nicht religiös feiere, weil ich nicht christlich sozialisiert bin, so freue ich mich, wenn andere Menschen diese Feiertage begehen können und eine besinnliche Zeit haben – auch in Zeiten der Corona-Krise.

Dieses Jahr liegt auf den Feiertagen jedoch ein dunkler Schatten. Der Schatten ist, dass wir trotz der Möglichkeit und der moralischen Verpflichtung der Aufnahme von Menschen, die in den Elendslagern der EU-Hotspots ausharren, untätig bleiben.

Werte scheinen in diesen Tagen nichts zu bedeuten und wenn, dann nur für eine bestimmte Gruppe von Menschen. So ist es zum Beispiel kein Problem, dass Deutschland mehr als 200.000 Urlauber aus dem Ausland holt, jedoch daran scheitert, 1.500 Kinder aus den EU-Hotspots in Griechenland zu holen. Das liegt offensichtlich nicht daran, dass es organisatorisch nicht möglich wäre, denn die Rückholaktion für Urlauber beweist das Gegenteil. Es liegt daran, dass die Bundesregierung sich nicht in der Verantwortung sieht. Stattdessen schiebt Deutschland die Verantwortung von sich weg. Entweder sollen es die Griechen sein, oder die EU-Kommission, die einer zügigen Aufnahme im Wege stehen sollen. Fakt ist, und daran muss sich die Bundesregierung messen lassen, dass bisher kein einziges Kind hier in Deutschland angekommen ist. Die notwendigen Kapazitäten gibt es. Das Durchgangslager Friedland beispielsweise hat eine Kapazität von 800, derzeit sind weniger als 200 Plätze belegt.

Warum dann nicht aufnehmen? Ist es der nirgends erwiesene „Pull-Faktor“, vor dem die Bundesregierung Angst hat? Hat die Bundesregierung wirklich Angst vor der AfD? Angst vor Neuwahlen?

Es ist doch so, dass die Positionen des Bundesministeriums des Innern und der Bundesregierung, aber auch vieler EU-Mitgliedstaaten, schon an Unmenschlichkeit gar nicht zu überbieten sind. Eigentlich möchte man überhaupt keine Geflüchteten aufnehmen und wenn dann nur als Ausnahme und mit der Voraussetzung, dass die Schutzsuchenden mit so wenig Rechten wie möglich ausgestattet werden sollen. Das entrechtete Leben, wie es beim Philosophen Agamben heißt, ist längst bittere Realität. Das Abscheuliche ist, wie sehr die Administrationen sowohl auf EU-Ebene als auch in Deutschland bemüht sind, Regelungen zu schaffen, Geld für Hotspots und AnKER-Zentren auszugeben, die viel kostspieliger sind, als eine dezentrale, menschliche Unterbringung.

Warum all das, weil man Angst hat, dass der rechte Mob sonst die Macht ergreift? Warum schlägt man dann nicht rigoros gegen Rechte? Sondern gegen die Schutzsuchenden, deren Unterkünfte von den Rechten angezündet und sie selbst getötet werden, so wie der Angriff auf einen 15-jährigen Kurden in Celle Anfang dieser Woche? Nein, wir sind längst da, wovor die CDU alle warnt. Wir sind schon längst in einer Realität, in der parallele Gesellschaften existieren und in der Menschen unterschiedliche Rechte haben. Der Bundestag beschließt weitere Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz – trotz eines wegweisenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts, in dem es feststellte, dass das aus der Menschenwürde abgeleitete Existenzminimum auch für ausländische Staatsangehörige gilt. Der Kampf um die Durchsetzung der Rechte hat zumindest hier nicht dazu beigetragen, dass sich die Verhältnisse ändern. Zwar hat das höchste deutsche Gericht eine klare Entscheidung getroffen, dennoch werden die Rechte Schutzsuchender weiter ausgehöhlt, deshalb muss eine generelle Diskussion um Recht und Moral geführt werden, in der das Leben aller Menschen im Mittelpunkt steht – egal welcher Herkunft.

Die letzten zwei Jahre, die ich im Bundestag als Sprecherin für Migration der Linksfraktion tätig sein durfte, sind davon geprägt, diesen unmenschlichen Umgang und diese Doppelmoral anzuprangern. Meine Forderungen für eine solidarische und menschenrechtsbasierte Migrationspolitik ziehen sich wie ein roter Faden durch meine ersten zwei Jahre als Parlamentarierin.

Sämtliche Anfragen an die Bundesregierung und Anträge dazu findet Ihr hier: https://goekay-akbulut.de/2019/12/06/schriftliche-frage-43/

Dass die europäische Migrationspolitik gescheitert ist, wussten wir weit vor der Corona-Krise. Etwa seit es zur Tagesordnung gehört, dass freiwillige Seenotretter Menschen aus dem Mittelmeer retten, und eben nicht eine offizielle, solidarisch organisierte EU-Seenotrettung. Die EU hat versagt und macht sich mittlerweile wegen unterlassener Hilfeleistung für die Kinder in den Hotspots mitschuldig. Die Zustände in den griechischen Camps sowie an vielen weiteren Orten an den EU-Außengrenzen sind selbstverschuldet.

Unser Antrag zur Aufnahme von Kindern aus den griechischen Lagern wurde noch im November 2019 von allen Fraktionen, außer den Grünen und den Linken, abgelehnt.

Die Ankündigung von Bundesinnenminister Seehofer, 50 Kinder aus den griechischen Hotspots aufzunehmen, ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Für mich persönlich ist klar: Jedes Kind, das in Deutschland ankommt, feiere ich. Denn jedes Leben zählt gleichermaßen. Dennoch ist diese Aktion nichts weiter als ein Feigenblatt: Sie soll die Zivilgesellschaft, die in den letzten Wochen so hart darum gestritten hat, dass Menschen aufgenommen werden, ruhigstellen. Gleichzeitig, ist die Zahl 50 wirklich so lächerlich gering, wenn man vergleicht, wie viele Urlauber im Rahmen der Rückholaktion gekommen sind.

Es bleibt für mich dabei, dass ich die Entrechtung, die in den EU-Lagern stattfindet, niemandem zumuten möchte. Die Hotspots waren zu keinem Zeitpunkt im Einklang mit EU- und den Menschenrechten, deshalb bleibt es für mich konsequent zu fordern, dass wir alle Menschen aus diesen Lagern holen. Alle Menschen verdienen den rechtmäßigen Zugang zu einem Asylverfahren, an erster Stelle aber den Zugang zu menschenwürdiger Unterbringung und Versorgung – so wie es in der Genfer Flüchtlingskonvention aus guten Gründen verankert worden ist.

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