Foto: Jimmy Bulanik

Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘

Wer die Linke aufbauen will, muss sie in Betrieben und Gewerkschaften verankern. In den sozialen Berufen und im Gesundheitssystem hat das geklappt. Jetzt müssen weitere Branchen folgen.

Als mich die Delegierten des Göttinger Bundesparteitag im Jahr 2012 zum Vorsitzenden der Partei die Linke wählten, blickte ich auf eine langjährige Erfahrung als Betriebsrat, Gewerkschaftssekretär und Geschäftsführer von Verdi in Stuttgart mit einer Politik  kämpferischer Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung zurück. In meiner Stuttgarter Zeit als Gewerkschaftssekretär hatte ich gemeinsam mit vielen Verdi-Mitgliedern neue, offensiven Formen des Streiks in vormals kaum bestreikten Bereichen erprobt, beispielsweise beim Handel oder in Kitas. Viele dieser Ansätze waren erfolgreich.

Die Gewerkschaften haben, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, keine geeignete Antwort auf die Aufkündigung der Sozialpartnerschaft Anfang der 1990er Jahre durch das Kapital, die Herausbildung des finanzgetriebene Kapitalismus und die neoliberale Hegemonie gefunden. Lokal erfolgreiche Ansätze, wie die Herausbildung neuer Streikformen, wurden nicht oder nur halbherzig verallgemeinert. Die Folgen waren das Abbröckeln der Tarifbindung und ein stetiges Sinken der Mitgliederzahlen. Co-Management und schleichende Entpolitisierung sind häufiger Bestandteil der Krise der Gewerkschaftsbewegung. Für die Bildung der Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD wurde vom DGB-Vorsitzenden auf dem Parteitag der SPD heftig geworben. An der engen Bindung zur SPD wird überwiegend in den Führungen festgehalten, nicht ohne die Fühler zu den Grünen stärker auszufahren. So wurde der politischen Verzwergung Vorschub geleistet, anstatt eine besser organisierende Arbeit in den Betrieben und Verwaltungen mit konfliktorientierten Tarifrunden und mit einem offensiven politischen Mandat zu verbinden.

Jetzt stehen die Gewerkschaften eher geschwächt am Ende eines relativ langen wirtschaftlichen Aufschwungs vor großen Herausforderungen und gewaltigen Umbrüchen. Den Gewerkschaften stehen heftige Verteilungskämpfe bevor. Auch in Folge der Pandemie wächst die soziale Kluft, Millionen von Beschäftigten drohen unter die Räder zu kommen. Meine ganze Biografie als Gewerkschafter sagt mir, dass in so einer Situation heftig gekämpft werden muss. Gerade linke Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sollen ihre Kräfte dafür einsetzen, die kämpferischen Teile der Gewerkschaften zu stärken und für eine offensive Wahrnehmung ihres politischen Mandates werben.

Die ersten Streik-Konferenzen

Der Aufbau und Erneuerung der Linken bedeutete für mich auch immer, die Verankerung in Betrieben und Gewerkschaften zu verbessern und auszubauen. Lern- und Austauschräume für gewerkschaftliche aktive Kollegnnen und Kollegen zu schaffen, war und ist mir als Parteivorsitzender sehr wichtig. Daher haben wir  Ratschläge und regelmäßige Streikkonferenzen mit auf den Weg gebracht. Auf diesen Ratschlägen und Konferenzen zu Einzelhandel, Pflege, Sozial- und Erziehungsdiensten kamen in der Summe tausende aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zusammen, um gemeinsam Kämpfe auszuwerten, Erfahrungen zu teilen, und über neue Organisations- und Aktionsformen zu diskutieren.

Heute haben wir eine völlig andere Zusammensetzung der ArbeiterIinnenklasse als vor 40 Jahren. Über 70 Prozent sind im Dienstleistungsbereich beschäftigt. Obwohl die gewerkschaftliche Organisierung weit hinter den Erfordernissen zurückbleibt, haben Arbeitskämpfe und gewerkschaftliche Auseinandersetzungen zugenommen. Trotz starker Prekarisierung sind die Streiks weiblicher, migrantischer und bunter geworden. Die Linke hat bewusst die Streiks in den Sozial- und Erziehungsdiensten, im Einzelhandel und bei Amazon unterstützt und diese durch Konferenzen und Ratschläge, Informationsmaterial und unsere Präsenz bei Warnstreiks begleitet.
Durch Kampagnen kann die Linke bei konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sichtbarer werden und sich stärker in Betrieben und Gewerkschaften verankern. Dafür haben wir ab den Jahren 2016/2017 im Rahmen der Kampagne „Das muss drin sein“ exemplarisch den Pflegenotstand zum Schwerpunkt gemacht. Aktionsmaterial wurde erstellt undKampagnenräte gebildet;  bundesweit haben mehr als 150 Kreisverbände Aktionen vor Krankenhäusern und in den Innenstädten durchgeführt. Wir sind mit Betriebsräten und Beschäftigten ins Gespräch gekommen und haben die stärkere Vernetzung in den Pflegeberufen vorangetrieben. Der Zuspruch aus den Pflegeberufen zu unserer Partei hat zugenommen, bei Wahlen und durch neue aktive Mitglieder. Dass der Fokus auf den Pflegenotstand richtig gesetzt war, zeigt sich aktuell überdeutlich in  der Corona-Pandemie.

Ein weiterer wichtiger Bereich für die gewerkschaftliche Verankerung der Partei die Linke ist der Niedriglohnsektor. Besonders in den Bereichen Handel, Logistik und Paketdienste finden wir Anknüpfungspunkte für eine organisierende Arbeit. Gerade dort sind die Löhne meist viel zu niedrig, die Tarifbindung ist gering, viele sind der Ausbeutung durch das Kapital schutzlos ausgeliefert. Viele der Beschäftigten in diesen Bereichen sind Frauen, Migrantinnen und junge Leute, die sich nach einer besseren Zukunft sehnen und dabei den Werten und Zielen unserer Partei gegenüber sehr offen sind. Um sich in diesen Bereichen stärker zu verankern, haben wir begonnen, Material zu entwickeln, Aktionen zu unterstützen und eigene Aktionstage in der Weihnachtszeit zu machen. Doch das alleine reicht noch nicht. In den nächsten Jahren stehen wir hier vor der Herausforderung, die Vernetzung von Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen und über regionale Strukturen der Partei Angebote für Austausch und Organisierung zu machen.

Die Krise des Sozialstaats hängt eng mit der Krise der Gewerkschaftsbewegung zusammen. Zwar sind die Gewerkschaften nach wie vor die größten Mitgliederorganisationen des Landes und besitzen weiterhin das Potential einer riesigen sozialen Kraft. Aber um diesen Schatz zu heben, benötigen sie eine klare gesellschaftspolitische Haltung. Den Gewerkschaften ist zu raten, politisch offensiver zu werden und größere Mobilisierungsfähigkeit aufzubauen. Dazu braucht es politische Forderungen, die in die Gesellschaft ausstrahlen. Gemeinsam mit anderen habe ich daher den Vorschlag für ein Neues Normalarbeitsverhältnis gemacht: ein umfassendes Konzept zur Neuordnung der Arbeitswelt, für gute und sichere Arbeit für alle und eine gerechte Verteilung von Arbeit. Die zentrale Forderung nach Arbeit, die zum Leben passt, stößt auf positive Resonanz. Gerade in Zeiten massiven Stellenbaus muss eine Antwort heißen: Stunden statt Stellen abbauen. Der Kampf um die Verkürzung der Arbeitszeit bei Lohn- und Personalausgleich ist eine Antwort auf Dauerstress, Über- und Unterbeschäftigung, gegen Entlassungen und Massenerwerbslosigkeit.

Umbau der Automobilundustrie


Die Wirtschaftskrise, Strukturwandel und Digitalisierung treffen das exportabhängige Industriemodell in Deutschland mit voller Wucht. Ausbaden müssen das jetzt vor allem die Beschäftigten der Automobil- und Zuliefererindustrie. Zugleich zwingt uns die Klimakrise dazu, innerhalb von zwei Jahrzehnten die Industrie in Deutschland weitgehend klimaneutral umzubauen. Eine Mammutaufgabe. Daher habe ich mit Gewerkschaftsmitgliedern und der Rosa-Luxemburg-Stiftung einen Vorschlag für eine nachhaltige Verkehrswende und den Umbau der Automobilindustrie zu einer nachhaltigen Mobilitätsindustrie erarbeit. Mit dem Vorschlag des linken Green New Deal haben wir ein Konzept entwickelt, um Industriearbeitsplätze zu schützen, neue qualifizierte Jobs zu schaffen und gleichzeitig die Wirtschaft ökologisch umzubauen. Die Linke hat hier nach Jahren erstmals die Chance,  mit einer sozial-ökologischen Klassenpolitik Teile der Industriearbeiterinnen und -arbeiter zu erreichen.

Die Linke

Mit der Zunahme der Streikaktivitäten und der Initiative Aufbruch Ost gibt es  auch im Osten neue vielversprechende Ansatzpunkte für die Linke. Dieser Aufbruch zeigt, dass gewerkschaftliche Erneuerung von unten auch im Osten möglich ist. Davon gilt es zu lernen. In vielen Bundesländern sind Mitglieder der Partei die Linke in den ehrenamtlichen Strukturen des DGB und seiner Einzelgewerkschaften vertreten. Doch noch immer sind zu wenig linke Gewerkschaftsaktive auch in der Partei und ihren Gliederungen engagiert und repräsentiert. Umso wichtiger sind die vielversprechenden Aktivitäten unser Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft. Sie bei ihrer Arbeit nach Kräften zu unterstützen, sollte auch für neuen Parteivorstand und in unseren Landesvorständen ein wichtiger Schwerpunkt sein.
Gerade die Corona-Krise zeigt, dass die gewerkschaftliche Verankerung eine Schlüsselfrage ist.

Die Bundesregierung will diese Krise offenbar vor allem auf dem Rücken vieler Beschäftigter „lösen“. In Callcentern, Fleischfabriken, Lagerhallen sind Arbeiterinnen und Arbeiter weiterhin kaum vor dem Risiko einer Infektion geschützt, zusätzlich müssen sie sich zu Hause um ihre Kinder kümmern. Alldieweil benutzen viele Unternehmenschefs die Coronakrise, um Beschäftigte zu entlassen oder ganze Betriebe ins Ausland zu verlagern. In der CDU werden bereits die Vorstöße für Sozialabbau und Rentenkürzungen nach der Bundestagswahl diskutiert. Für die Linke gibt es weiterhin viel zu tun an der Seite der Beschäftigten!

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