Hype um „Desinformation im Internet“

Wie umgehen mit Falschmeldungen im Internet? Lieber die Nutzerinnen und Nutzer zur Einordnung befähigen, als Staaten die Deutungshoheit zu überlassen.

Vorab: Es gibt Desinformation und Beeinflussung im Internet, ich möchte dieses Problem nicht leugnen. Sowohl Regierungen als auch Parteien oder auch sogenannte Trolle verbreiten tendenziöse Nachrichten, unbewusste oder bewusste Falschmeldungen. Das ist allerdings ein generelles Problem und nicht unbedingt einzelnen Staaten anzulasten, wie es hierzulande gern von Russland und China ausgehend dargestellt wird.

Auch deutsche Geheimdienste setzen gezielt Falschmeldungen ein. Ich erinnere hierzu gern an das Doppelinterview des FOCUS mit Gerhard Schindler, damals amtierender Chef des Bundesnachrichtendienstes, und dem damaligen „Verfassungsschutz“präsidenten Hans-Georg Maaßen. Beide erklärten vor drei Jahren die Veröffentlichungen von Edward Snowden als „Teil russischer Geheimdienstoperationen gegen Deutschland und Westeuropa“. Hierzu führten „die Russen“ angeblich psychologische Operationen durch und nutzten dafür soziale Netzwerke. Beweise legen Schindler und Maaßen nicht vor, stattdessen gab es im Interview hier und da etwas Geraune. Ein klarer Fall also, wie mit „Desinformation“ Stimmung gemacht wird. Gemäß der Definition der Geheimdienstchefs war dieses FOCUS-Interview eigentlich selbst eine „psychologische Operation“.

EU-Troll-Fabrik in Brüssel

Spätestens seit diesem Interview stand das Thema auch bei deutschen Medien ganz oben auf der Agenda. Die angeblich vorwiegend russische „Desinformation“ im Internet wurde dabei mit „Infiltration, Einflussnahme, Propaganda und Zersetzung“ zusammengerührt zu sogenannten „hybriden Bedrohungen“. Auf EU-Ebene wurden dazu eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, darunter Schlussfolgerungen des Rates, groß angelegte zivil-militärische Übungen gegen „hybride Bedrohungen“ sowie die Einrichtung einer „EU-Analyseeinheit für hybride Bedrohungen“ beim Geheimdienstzentrum in Brüssel. Es handelt sich dabei um einen neuen Kampfbegriff, der von westlichen Regierungen im kalten Propagandakrieg je nach Bedarf gefüllt wird.

Etwas niedriger gehängt ist die „Task Force für strategische Kommunikation“ (STRATCOM EAST) des Europäischen Auswärtigen Dienstes in Brüssel, die seit 2015 Soziale Netzwerke mit „Gegenerzählungen“ bereichert. Ein Dutzend Menschen sind dort damit beschäftigt, das Internet durchzulesen und ihren Senf dazu zu geben: Gewissermaßen eine Troll-Fabrik der Europäischen Union. Die Europäische Kommission und die Hohe Vertreterin haben schließlich einen „Aktionsplan gegen Desinformation“ vorgelegt, der Maßnahmen „in Europa und über Europas Grenzen hinaus“ beschreibt. Sowohl das STRATCOM als auch die geheimdienstliche EU-Analyseeinheit sollen gestärkt werden, im Haushaltsplan ist eine Aufstockung von 1,9 Mio. EUR im Jahr 2018 sowie auf 5 Mio. EUR im Jahr 2019 vorgesehen. Mittelfristig ist der Aufwuchs auf bis zu 55 zusätzliche Beamtenstellen geplant.

Frühwarnsystem beim Auswärtigen Amt

Die Abteilungen sollen zusätzliche „Datamining- und Datenanalyse-Experten“ einstellen und in Software investieren, „um riesige Mengen digitaler Daten zu analysieren, zu ordnen und zu bündeln“. Auf „Desinformationskampagnen“ will die Europäische Union mit einem Frühwarnsystem reagieren, hierzu ging auch beim Auswärtigen Amt in Berlin eine entsprechende Abteilung in Betrieb. Zur „Abwehr von Desinformation“ sollen die Mitgliedstaaten Bedrohungsanalysen und geheimdienstliche Berichte anliefern, dabei wird auch mit der NATO und anderen militärischen Stellen kooperiert. So viel Aufwand, so viel Geld für die Kontrolle von „Desinformation“? Wozu das alles?

Schaut man sich die Webseite „EU versus Disinformation“ an, die vom STRATCOM EAST betrieben wird und selbst Falschinformationen verbreitet, wird abermals deutlich dass Russland im Fokus steht. Auch bei den zivil-militärischen EU-Manövern gegen „hybride Bedrohungen“ wird geübt, wie Internetkampagnen von Nichtregierungsorganisation (hinter denen im Übungsszenario Russland oder ein nicht genannter Milliardär steckten) gekontert werden können.

Neue Studie findet kaum „Desinformation“

Aus meiner Sicht ist dieser Wirbel völlig übertrieben und mit Tatsachen nicht zu erklären. Wir wollten deshalb vom Auswärtigen Amt wissen, welche belastbaren Hinweise zu „russischer Desinformation“ in Deutschland vorliegen. In der Antwort werden vor allem die Medien Russia Today und Sputnik News als Akteure genannt, allerdings ohne diese Vorwürfe zu belegen. Interessant dazu ist eine Studie des Oxford Internet-Instituts, die am Dienstag veröffentlicht wurde und die der „Spiegel“ vorab einsehen konnte. Die Forscher hatten Twitter und Facebook beobachtet und analysiert, wie die Nutzerinnen und Nutzer sich zur Europawahl äußern.

Hintergrund der Untersuchung war wohl die neuerliche Warnung der EU-Kommission vor einer Beeinflussung der Europawahl durch Regierungen außerhalb der Europäischen Union. Heraus kam, dass auf Twitter nur sehr wenige (drei Prozent) „ideologisch extreme, irreführende und faktisch inkorrekte Informationen“ geteilt wurden. In deutscher Sprache wurden laut dem Spiegel „zehnmal mehr seriöse Tweets von Medien, Parteien, Politikern und Bürgern identifiziert als irreführende Botschaften“. In Großbritannien, Frankreich und Spanien sollen es sogar noch weniger gewesen sein. Auf Facebook hingegen stellte das Institut fest, dass Meldungen der „Junk-News-Portale“ viel mehr Kommentare, Likes und Shares als seriöse Medien bekommen, vermutlich weil sie aggressives Clickbaiting betreiben (reißerische Überschriften oder Bilder, emotionale Ansprache oder primitive Schlussfolgerungen).

Bei Nutzerinnen und Nutzern ansetzen

Das zeigt meines Erachtens nicht nur, wie aufgebauscht die Warnungen vor „Desinformation“ im Internet sind. Deutlich wird auch, dass sich das Problem nicht durch staatliche Gegenerzählungen oder die Inszenierung einer „hybriden Kriegsführung“ lösen lässt. Eine ausgewogene Berichterstattung lässt sich nicht verordnen. Deshalb ist es äußerst problematisch, wenn Staaten oder Staatenbündnisse (wie die EU mit dem STRATCOM EAST) Abteilungen zur Einordnung oder Zensur von Nachrichten betreiben.

Stattdessen muss es darum gehen, die Menschen im Internet zu befähigen, die Qualität von Postings und Nachrichten einschätzen zu können. Ein Bewertungssystem, wie es von einigen großen Internetanbietern vorgeschlagen wird, könnte bei einer solchen individuellen Einschätzung hilfreich sein. Denn das Problem ist nicht unbedingt die Entstehung einer Falschmeldung, sondern ihre massenhafte Verbreitung. Und die erfolgt nunmal durch die Nutzerinnen und Nutzer des Internet.


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