Der anthropogene Klimawandel ist die zentrale Menschheitsherausforderung im 21. Jahrhundert. Das Militär ist ein wesentlicher Emissär klimaschädlicher Gase. Ihm muss daher – abseits der Annahme, es könne in welcher Form auch immer Teil der „Lösung“ sein – in Planung und Organisation eine bedeutende Rolle zugeschrieben werden.
von Karl-Heinz Peil
In einer kürzlich veröffentlichten Studie des Mitte 2018 gegründeten „German Institute for Defence and Strategic Studies“ (GIDS) bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg werden von den Autoren Dr. Stefan Bayer und Simon Struck die Konsequenzen des Klimawandels für militärische Planungen thematisiert. Unter dem Titel „Strategische Ausrichtung von Streitkräften im Klimawandel“ [1] findet man darin eine bemerkenswert kritische Haltung gegenüber dem bisherigen Umgang des Verteidigungsministeriums (BMVg) und der Bundeswehr mit dem Klimawandel. Verwiesen wird richtigerweise darauf, dass andere Länder bereits seit längerem zum Klimawandel eine strategische Ausrichtung ihrer militärischen Fähigkeitsprofile und Anforderungen an das Militär haben. Dieses gilt insbesondere für das Pentagon, das trotz des erklärten Klimawandelleugners Donald Trump unbeirrt strategische Planungen zu dem als nicht mehr vermeidbar angesehenen Klimawandel vornimmt. Damit ist natürlich noch keine Aussage über die – aus friedenspolitischer Sicht vielfach problematischen – Schlussfolgerungen getroffen, sondern lediglich, ob das Thema an sich eine relevante Rolle in den Überlegungen der Streitkräfte spielt.
Bereits 2007 hatte der Zukunftsforscher Harald Welzer mit seinem Bestseller „Klimakriege – Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird“ auf die sozialen und kulturellen Folgen des Klimawandels hingewiesen, die zwangsläufig kriegerische Gewalt zur Folge haben: Konflikte um Ressourcen, Kriege gegen eigene Bevölkerungen, Wellen von Klimaflüchtlingen und Terrorismus. Die Sicherung der Außengrenzen Europas und der USA wurden bereits damals von ihm als neue Frage zu Sicherheit, Verantwortung und Gerechtigkeit aufgeworfen, auch weil dieses als Vorschub für private Söldnerarmeen und einer Privatisierung von Gewalt zu Lasten des staatlichen Gewaltmonopols anzusehen sei. [2]
In vorliegender Analyse soll ein kurzer Überblick gegeben werden, welche für Militärs relevanten Konsequenzen sich aus dem Klimawandel ergeben. Der US-Wissenschaftler und Publizist Michael Klare hat dieses mit seinem jüngsten Buch „All Hell Breaking Loose – The Pentagon‘s Perspective on Climate Change“ [3] umfassend dargestellt. Er beschreibt, dass das Pentagon trotz zahlreicher strategischer Planungen angesichts der Fülle von Einzelproblemen strategisch eher hilflos verbleibt. Der von ihm gewählte Buchtitel „All Hell Breaking Loose“ bezieht sich darauf, dass der Klimawandel zu Katastrophenfällen führt, bei denen für das US-Militär multiple Einsatzorte und -szenarien auftreten, das heißt, dass „plötzlich die Hölle losbricht“ mit Situationen, die logistisch und ressourcenmäßig schnell außer Kontrolle geraten.
Gegenstand dieser Analyse ist hier weniger die Bewertung militärischer „Lösungen“ zum Klimawandel, sondern inwieweit diese überhaupt eine Rolle spielen. Und hier lässt sich feststellen, dass man den Umgang von Bundesregierung und BMVg mit dem Klimawandel im direkten Vergleich zu den USA nur als ignorant bezeichnen kann.
Klimawandel als strategisches Sicherheitsproblem
Michael Klare bringt eine einfache und schlüssige Erklärung dafür, warum sich gerade das Pentagon über den Klimawandel bereits seit vielen Jahren Gedanken macht. Wer in den Dienst des US-Militärs eintritt, wird ideologisch darauf eingestimmt, dass sein Heimatland gegen Bedrohungen jeglicher Art zu verteidigen ist. Und der Klimawandel ist keineswegs ein Zukunftsszenario, sondern durch zunehmende tropische Wirbelstürme an der Ostküste der USA bereits Realität.
Nach dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident wurde von ihm verordnet, dass der Klimawandel als Debattenthema zu streichen ist. Daran haben sich in Washington auch alle Ministerien und Regierungsinstitutionen gehalten – mit Ausnahme des Pentagons. Offiziell spielt der Klimawandel auch dort keine Rolle, wenn man die Anfang 2018 von US-Präsident Trump vorgelegte Nationale Verteidigungsstrategie zugrunde legt. Dort werden vielmehr Russland und China als die größten potenziellen Bedrohungen der US-amerikanischen Sicherheit der nächsten Jahre dargestellt. Dennoch kann Michael Klare auf eine Vielzahl von Dokumenten aus den letzten zehn Jahren sowie auf einige persönliche Gespräche mit Pentagon-Mitarbeitern verweisen, aus denen sich ein umfassendes Bild der innerhalb dieser Institution betriebenen strategischen Planungen ergibt, die derzeit aber nach außen hin unauffällig betrieben werden. Michael Klare kommt sogar zu der Einschätzung, dass durch die institutionelle Größe und bisherigen Aktivitäten des Pentagons ausgerechnet hier das Potenzial für wesentliche Beiträge im Kampf gegen den Klimawandel vorhanden wären, natürlich nur einsetzbar mit einem anderen US-Präsidenten als Donald Trump.
Bedrohung der militärischen Infrastruktur und Logistik
Die imperiale Politik der USA ist nur möglich durch die weltweite Präsenz mit ca. 800 Militärbasen außerhalb des eigenen Territoriums. Diese sind ebenso wie die Militärbasen in den USA selbst überproportional in Küstennähe angeordnet. Steigende Meeresspiegel, tropische Wirbelstürme und Fluten bedrohen deshalb vor allem die Militärbasen von U.S. Navy und Air Force. Dieses gilt übrigens auch für zivile Flughäfen. So wird in einer kürzlich veröffentlichten Studie des McKinsey Global Institute aufgeführt, dass ein Viertel der Top-100-Flughäfen weltweit weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel liegt und damit „ernsthaften Gefahren“ ausgesetzt seien. [4]
Bedroht sind für das US-Militär auch diejenigen Militärbasen, die sich weitab von Meeresküsten befinden. Im Mittleren Osten und Nordafrika werden extreme sommerliche Temperaturen und Sandstürme immer mehr zum Hauptproblem. Das betrifft nicht nur den eigentlichen Aufenthalt von Kampftruppen im Inland, sondern auch den dadurch bedingten zusätzlichen Aufwand für deren Versorgung mit Treibstoffen und Lebensmitteln. Waffen, Fahrzeuge und Versorgungssysteme müssen immer mehr an extreme Temperaturen und die Infiltration von Sand angepasst werden. Uniformen und am Körper angebrachte Bewaffnung müssen leichtgewichtiger werden. Die Trinkwasserversorgung kann immer weniger aus lokalen Quellen erfolgen, sondern muss gleichfalls zum Bestandteil der Logistikkette werden. Bei Kriegseinsätzen muss zudem eine Kraftstoffversorgung über Tankfahrzeuge erfolgen, die auf ihren Transportrouten feindlichen Angriffen ausgesetzt sein können. [5]
Wirbelstürme als multiples Katastrophenszenario
Wirbelstürme sind auch ein Albtraum für das US-Militär, das für Auslandseinsätze und weniger für den Einsatz innerhalb der USA selbst beziehungsweise an dessen Grenzen ausgerichtet ist. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Stationierung, Ausbildung und Ausrüstung von Armee, Marine und Air Force auf weltweiten Militärbasen maßgebend. Diese globale Einsatzfähigkeit wird jedoch gefährdet, wenn nicht nur einzelne, sondern zugleich mehrere Hurrikans gleichzeitig die US-Ostküste bedrohen, wie es im Spätsommer 2017 bereits der Fall war, als dicht gefolgt die Wirbelstürme Harvey, Irma und Maria in Texas, Florida und Puerto Rico wüteten. Noch misslicher ist es natürlich für das US-Militär, wenn mehrere Wirbelstürme in unterschiedlichen Weltregionen mit US-Militärpräsenz gleichzeitig auftreten, verbunden mit Folgewirkungen auf die Verfügbarkeit von lokaler Infrastruktur und staatlichen Institutionen.
Bereits im Oktober 2012 zeigte der Wirbelsturm Sandy die Verwundbarkeit der US-Infrastruktur. Sandy führte im Großraum New York zu überfluteten U-Bahn-Stationen und großflächigen Stromausfällen. Ohne Stromnetz konnte deshalb auch von Tankstellen kein Treibstoff mehr abgegeben werden. Sandy löste eine zivil-militärische Zusammenarbeit aus, bei der gemäß einem späteren Bericht an den US-Kongress 14.000 zivile und militärische Pentagon-Mitarbeiter im direkten Einsatz waren sowie 10.000 weitere für die unmittelbar darauffolgende Schadensbeseitigung. Das kann aus Sicht von US-Militärs dazu führen, dass künftig Konflikte zwischen gleichzeitigen Kriegseinsätzen im Ausland und Katastropheneinsätzen im Inland entstehen. [6]
Krisen als globale Schockwellen
Die mit dem Klimawandel zusammenhängenden Konflikte sind sehr vielfältig. So führte ein ungewöhnlich trockener Sommer im Jahr 2010 in vielen Ländern zu drastischen Steigerungen bei Lebensmittelpreisen, was sich als Zündfunke für den Arabischen Frühling des Jahres 2011 mit Revolten in mehreren Ländern der MENA-Region erwies. Der Klimawandel spielt auch eine zunehmende Rolle bei der Massenmigration aus dem globalen Süden und der mit militärischen Mitteln erfolgenden menschenverachtenden „Flüchtlingsabwehr“, sowohl durch die USA als auch die EU.
Am Beispiel Mali lässt sich die Rolle des Klimawandels besonders gut fixieren. Kein Analyst würde behaupten, dass der dortige Konflikt durch den Klimawandel ausgelöst worden ist. Allerdings hat der Klimawandel bereits vorhandene soziale, politische und wirtschaftliche Probleme verstärkt, die dort zur Revolte der in der Sahel-Zone lebenden Tuareg geführt haben. Dazu kommen extreme Armut, Korruption und behördliche Inkompetenz. Viele Parallelen zum Konflikt in Darfur sind dabei augenfällig: Ressourcenkonflikte werden ethno-politisch instrumentalisiert und so zur Rechtfertigung von Militäreinsätzen herangezogen.
Die globale Erwärmung erhöht auch drastisch das Risiko von Pandemien. Bisher als Tropenkrankheiten deklarierte Krankheitserreger wie Malaria, Zika- oder Dengue-Virus breiten sich zunehmend in weiteren Regionen aus. Sofern diese Krankheiten in unterentwickelten Ländern ausbrechen, führen diese schnell zum Zusammenbruch des öffentlichen Gesundheitswesens. Beispielhaft dafür, was an künftigen Herausforderungen zu stemmen ist, steht die Ebola-Epidemie 2014 bis 2016 in Westafrika. In diesem Fall wurde das Pentagon von Präsident Obama aufgefordert, über das AFRICOM ein militärisches Kommandozentrum in Liberia einzurichten. Dieser ungewöhnliche Schritt erfolgte in Ermangelung anderer US-Institutionen, denen Obama eine solche Herkulesaufgabe zugetraut hätte. Mit letztlich ca. 3.000 Militärkräften wurde die logistische Unterstützung für die zivile, medizinische Unterstützung sichergestellt. [7] Im Übrigen sind zivile Katastrophenschutzbehörden auch in den USA völlig unzureichend ausgestattet, was sich bereits 2005 bei dem Hurrikan Katrina gezeigt hat, der zur weitgehenden Zerstörung von New Orleans führte.
„Globale Energiesicherheit“ wird in der Regel assoziiert mit dem militärischen Schutz von fossilen Rohstoffquellen und Transportwegen wie Pipelines und Seewegen wie die Straße von Hormus im Persischen Golf. Wenig beachtet wird aber, dass auch die Wasserversorgung eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung spielt. Weltweit existieren tausende Staudämme, die zur Stromerzeugung genutzt werden – soweit der Wasserpegel dieses zulässt. Aber auch als Kühlwasser von Kohle- und Atomkraftwerken entlang von Flüssen hat dieses eine wichtige Funktion – soweit die Wassertemperaturen in einem heißen Sommer nicht zu hoch sind.
Geopolitische Konflikte durch abschmelzendes Eis
Michael Klare beschreibt auch die geopolitischen Konsequenzen, die sich aus abschmelzendem Eis durch die globale Erwärmung ergeben. Mit dem Schmelzen des arktischen Eises könnte das Nordpolarmeer die erste Region weltweit werden, in der durch den Klimawandel eine direkte Konfrontation von USA, Kanada, Island und Dänemark (als militärisch verantwortlich für Grönland) mit Russland ausgelöst werden könnte. All diese Länder haben ihr Interesse an einer Ausbeutung von künftig zugänglichen fossilen Brennstoffen bekundet, was bereits zu Planungen für entsprechende militärische Fähigkeiten geführt hat. Hinzu kommt noch China, das zwar kein arktischer Anliegerstaat ist, aber zum Beispiel mit dem Bau von Eisbrechern bereits sein Interesse an einer Rohstoffausbeutung bekundet hat. In diesem globalen Kontext müssen auch die seit längerem in der Nordsee an der norwegischen Küste erfolgenden NATO-Manöver wie „Cold Response“ gesehen werden. Obwohl sich die NATO – wie auch bei anderen Großmanövern – zu den Übungsszenarien sehr bedeckt hält, ist die provokative Stoßrichtung gegen Russland klar erkennbar.
Geht es bei der Arktis im Wesentlichen um eine künftige Rohstoffausbeutung, so gibt es in anderen Regionen eine weit weniger beachtete, aber viel explosivere ökologische Zeitbombe. Insbesondere in Zentralasien sind es die Gebirgsgletscher des Himalayas, die für die Bevölkerung Zentralasiens durch die natürliche Speicherung von Wasser und dessen kontinuierlichem Abfluss existenziell sind. Bereits vor zehn Jahren wurde dazu in einem Report des U.S. National Intelligence Council auf die Verwundbarkeit von Indien durch den Klimawandel und bereits vorhandene Wasserknappheit hingewiesen. In naher Zukunft droht durch das weitere Abschmelzen der Himalaya-Gletscher ein ökologischer Kipppunkt, der beidseitig des Himalayas zumindest für hunderte Millionen Menschen gravierende Folgen haben wird. Dieses muss vor dem Hintergrund der ohnehin bereits seit langem bestehenden Spannungen zwischen Pakistan, Indien und China gesehen werden. Zusammen mit der ohnehin bereits extrem angespannten Trinkwasserversorgung, vor allem in Pakistan und Indien, kann der Klimawandel hier eine nicht kalkulierbare Beschleunigung von inner- und zwischenstaatlichen Konflikten herbeiführen. [8]
Keine Option: „Grüne“ Technologien
„Grüne“ Technologien, wie beispielsweise „Bio“-Diesel, werden immer wieder als Option gegen den Klimawandel thematisiert, auch für das Militär. Entsprechendes findet sich zum Beispiel in Nachhaltigkeitsstrategien, die von den Verteidigungsministerien in Kanada, Großbritannien und Dänemark bereits vor einigen Jahren erstellt wurden und auch Grundlage für regelmäßige Nachhaltigkeitsberichte sind. [9] Auch in den USA gibt es hierfür erste Ansätze bei der Navy mit einer „Great Green Fleet“, die 2016 in Betrieb genommen wurde und diesen Namen aufgrund von Treibstoff-Beimischungen mit „Bio“-Diesel erhielt. [10] Der Einsatz von „Bio“-Kraftstoffen in größerem Maße ist aber sowohl rein zivil wie auch militärisch völlig utopisch. Der Effekt besteht deshalb nur darin, propagandistisch auf eine punktuell verbesserte CO2-Bilanz verweisen zu können. Ansonsten sind nur bei der nicht-militärischen Fahrzeugflotte und dem stationären Betrieb von Gebäuden (Heizung und Stromverbrauch) relevante Einsparungen und damit Beiträge zum Klimaschutz machbar. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen im weltweiten Einsatz kann aber durch das Militär kaum reduziert werden. Praktische Bedeutung erlangen erneuerbare Energien bei militärischen Einsätzen lediglich an vorgeschobenen Einsatzorten, wo durch mobile Photovoltaik-Anlagen die Abhängigkeit von Dieselgeneratoren zur Stromerzeugung reduziert werden kann. Zu bedenken ist dabei aber, dass bei hohen Außentemperaturen von 40 bis 50 °C (im nicht vorhandenen Schatten) auch ein immenser Strombedarf für Klimaanlagen besteht.
Deutsche Diskurse und Defizite
Die von Michael Klare beschriebenen strategischen Überlegungen des Pentagon finden sich zumindest ansatzweise auch in anderen Ländern. Darauf wird in der eingangs genannten GIDS-Studie hingewiesen, die letztlich entsprechende Defizite in der deutschen Politik markiert. Bemerkenswert daran ist, dass die Bundesregierung selbst bereits frühzeitig wissenschaftliche Expertise zu dieser Thematik angefordert hat. 2007 formulierte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) in dem umfassenden Hauptgutachten „Sicherheitsrisiko Klimawandel“ Folgendes zur notwendigen internationalen Kooperation gegen den Klimawandel: [11]
„Im Umgang mit den USA muss darauf Rücksicht genommen werden, dass Supermächte generell Schwierigkeiten haben, die Notwendigkeit zu erkennen, von einer Strategie ‚globaler Dominanz‘ auf eine Strategie ‚geteilter globaler Führerschaft‘ umzusteuern. […] Gerade die Klima- und Energiepolitik bietet ein ideales Betätigungsfeld für eine europäische Vorreiterrolle.“
Im Fazit des WBGU-Gutachtens wird argumentiert, dass der Klimawandel auch militärische Zwangsmaßnahmen zur Folge haben kann. Dabei wird auf das Konzept von „humanitären Interventionen“ beziehungsweise „Responsibility to Protect“ Bezug genommen, das sich zwischenzeitlich wie in Libyen 2011 als Trojanisches Pferd für militärische Aggressionen bei angeblichen Menschenrechtszielen erwiesen hat. In dem WBGU-Gutachten wird allerdings die Frage aufgeworfen, ob man dieses Prinzip auch für „klimainduzierte“ Militäreinsätze mit Mandat der UNO einsetzen könne. Das umfangreiche Gutachten ist auch heute noch interessant als Beleg dafür, wie seinerzeit Prognosen für eine „Plausible Entwicklung bis etwa 2020“ erstellt wurden und dass diese sich als weitestgehend zutreffend erwiesen haben. Ein Auszug daraus:
„Die bereits spürbaren Auswirkungen des globalen Klimawandels (Hitze, Verringerung der Niederschläge) verschärfen die Ressourcenprobleme weiter. Desertifikation und Wassermangel nehmen in Nordafrika und in allen Sahelstaaten zu. […] In der Sahelzone gehen bis zum Jahr 2025 in erheblichem Ausmaß landwirtschaftlich nutzbare Böden verloren. In den ländlichen Regionen des Sahel, aber auch in den nordafrikanischen Mittelmeeranrainern schwindet der traditionelle Lebensraum als Folge der Desertifikation rapide. Der großen Masse der Landbevölkerung gelingt es nicht, die negativen Folgen des Klimawandels durch entsprechende Maßnahmen auszugleichen.“ [12]
Im weiteren Text heißt es unter der Überschrift: „Fiktives Konfrontationsszenario: Destabilisierung Nordafrikas wirkt bis Europa“:
„Der Mangel an Zukunftsperspektiven in allen Ländern der Region führt dazu, dass vor allem junge Menschen ihre einzige Chance in der Migration nach Europa sehen. Für Migranten aus der Sahelzone bilden dabei die Maghrebstaaten meist die erste Zwischenstation, um über das Mittelmeer nach Südeuropa zu gelangen. Die Migration vor allem junger Männer aus den Sahelstaaten in Richtung Norden nimmt gegen Mitte des 21. Jahrhunderts Ausmaße an, die einer Völkerwanderung gleichkommen. Jährlich gelangen Hunderttausende von Menschen aus dem Sahel und dem tropischen West- und Zentralafrika in die nordafrikanischen Küstenregionen. […] Ab dem Jahr 2020 setzt in allen betroffenen Ländern eine soziale und politische Destabilisierung ein.“
Im wissenschaftlichen Umfeld der Bundeswehr hat man sich bis vor kurzem aber nur wenig mit den 2007 dargestellten Zukunftsszenarien befasst. 2012 erschien durch das Planungsamt der Bundeswehr die Studie: „Klimafolgen im Kontext – Implikationen für Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten und Nordafrika“. [13] Diese Studie ist zwar in vielen Punkten recht detailliert, aber auch mit einer sehr selektiven Sicht auf die MENA-Region und seinerzeit vor allem durch die Wirkung des Arabischen Frühlings 2011 geprägt. Für den heutigen Diskurs um einen erweiterten Bundeswehreinsatz in Westafrika und der Sahel-Zone – der mit der WBGU-Studie 2007 bereits indirekt als mögliches Szenario vorweggenommen wurde – hat diese Studie keinerlei Bedeutung.
Stattdessen gab es eine konträre politische Entwicklung, die vor allem durch das im September 2013 veröffentlichte Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ von regierungsnahen Think-Tanks angestoßen wurde (SWP und German Marshall Fund). Die dort beschworene neue globale Verantwortung im militärischen Sinne wurde bereits bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 von dem damaligen Bundespräsidenten Gauck zur offiziellen Politik erklärt. [14] Dieses hat auch in das Weißbuch 2016 der Bundeswehr Eingang gefunden und zuletzt in die „Grundsatzrede“ von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im November 2019, in denen es von Passagen nur so wimmelt, in denen diese „neue Verantwortung“ beschworen wird.
In der GIDS-Studie heißt es:
„Wir wollen vorweg jedoch auch auf die Gefahr einer ‚Versicherheitlichung‘ (Securitization) der Debattenlage hinweisen, die nicht beabsichtigt wird: Der Klimawandel könnte bewusst als existenzielle Bedrohung der humanitären Sicherheit konstruiert werden, um Streitkräften strategisch ein höheres politisches Gewicht einzuräumen.“
Ob dieses als Kritik an der offiziellen Politik und laufenden Diskursen über mehr weltweite Bundeswehreinsätze zu sehen ist, sei dahingestellt. [15] Im Kontext der GIDS-Studie kann dieser Passus auch einfach nur als notwendige Eingrenzung des Inhaltes gesehen werden, der thematisieren soll, „wie sich Streitkräfte und Sicherheitsinstitutionen auf den Klimawandel vorbereiten bzw. bereits vorbereitet haben.“
Das Fazit der 34-Seiten-Studie beginnt mit dem vielsagenden Satz: „Der Leser fragt sich an dieser Stelle zurecht, warum in dieser Arbeit bisher kaum Bezug auf die Bundeswehr genommen wurde.“
Es wird dann auf die Leerstellen des BMVg verwiesen, wo der Klimawandel platziert sein müsste. Auch wird in diesem Fazit auf die mehr als dürftigen Nachhaltigkeitsberichte der Bundeswehr verwiesen, in denen das „Kerngeschäft“ der Bundeswehr völlig ausgeblendet wird und der Klimawandel keinerlei Erwähnung findet. Damit werden in zurückhaltender Form auch die Kritikpunkte bestätigt, die in der kürzlich erschienenen IMI-Studie zu den Nachhaltigkeitsberichten des BMVg aufgeführt wurden. [16]
Fazit
Der politische Diskurs zur sicherheitspolitischen Relevanz des Klimawandels über die letzten 15 Jahre in Deutschland gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass dieser auf absehbare Zeit zu den notwendigen Konsequenzen führen wird. Dieses lässt sich auf zwei Ebenen festmachen:
Erstens: Der politischen Klasse in Deutschland muss immer noch eine erschreckende Ignoranz gegenüber dem Klimawandel, dessen absehbaren Folgen und dem daraus resultierenden Handlungsbedarf bescheinigt werden, was sich zuletzt bei dem Ende 2019 im Bundestag beschlossenen „Klimapaket“ gezeigt hat.
Zweitens: Bei dem aktuellen Fähigkeitsprofil für die Bundeswehr gemäß dem Weißbuch 2016 und der darauf aufbauenden „Konzeption der Bundeswehr“ (2018) bleibt der Klimawandel außen vor.
Damit vergrößert sich auch der Abstand zur politischen Wahrnehmung und vorhandenen Strategien in anderen Ländern, wo die Folgen des Klimawandels für das Militär bereits eingehend untersucht worden sind. Spitzenreiter ist hier ausgerechnet das US-Militär trotz der offiziellen Blockade durch die Trump-Administration. Selbstredend geschieht das nicht aus Engagement für den Umweltschutz, sondern aufgrund umfangreicher Erfahrungen mit der Realität des Klimawandels, der sich auch negativ auf die Einsatzfähigkeit auswirkt, während gleichzeitig ein erhöhter Bedarf nach „militärischem Krisenmanagement“ diagnostiziert wird.
Der Kontrast zu Deutschland ist augenfällig: Hierzulande scheinen selbst die spezifischen Auswirkungen des Klimawandels für das Militär kaum Beachtung zu finden. Hemmschuh für einen notwendigen generellen politischen Kurswechsel in Deutschland sind dabei die Großmachtambitionen mit verstärkten Forderungen nach mehr Bundeswehreinsätzen weltweit, um damit deutsche Wirtschaftsinteressen abzusichern, mit denen vor allem Unterbrechungen von Lieferketten verhindert werden sollen. Zugrundeliegende Konfliktursache ist aber in zunehmendem Maße der Klimawandel, wie derzeit in der Sahelzone Westafrikas. Damit hat die verstärkte Aufrüstung Deutschlands eine fatale Wirkung: Der Rüstungshaushalt entzieht notwendige Ressourcen für den Kampf gegen den Klimawandel und geht einher mit ideologisch bedingter Ignoranz gegenüber dem Klimawandel als dem – zusammen mit der Atomkriegsgefahr – aktuell dringendsten Menschheitsproblem. Um gegen den Klimawandel anzugehen, bedarf es internationaler Kooperation, wie bereits 2007 vom WBGU angemahnt wurde. Schon damals wurden – auch wenn militärische „Lösungen“ nicht kategorisch ausgeschlossen wurden – Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und Armutsbekämpfung als zentrale Strategien zur Bekämpfung der sicherheitspolitischen Folgen des Klimawandels propagiert: „Unstrittig ist ferner ein allgemeiner Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung eines Staats und seiner Konfliktanfälligkeit. […] Verstärkte Bemühungen um eine entschlossene, faire und zielgerichtete internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Klimaschutz und Armutsbekämpfung würden zudem eine Festigung multilateraler Institutionen insgesamt fördern und somit auch einen Beitrag zur friedlichen Entwicklung der Welt leisten.“[17]
Stattdessen wird aber mit steigenden Rüstungsausgaben und entsprechendem propagandistischem Begleitfeuer global eine wirtschaftliche, politische und militärische Konfrontation vorangetrieben. Es bedarf deshalb erhöhter Anstrengungen, um mit der Darstellung dieses Zusammenhangs den politischen Widerstand zu verbreitern.
Dieser Text von Karl-Heinz Peil erschien zuerst auf der Informationsstelle Militarisierung e.V. Die Freiheitsliebe bedankt sich vielmals bei der IMI und bei Karl-Heinz für das Recht zur Übernahme – connect critical journalism!
Anmerkungen
[1] Stefan Bayer und Simon Struck: Strategische Ausrichtung von Streitkräften im Klimawandel, #GIDSresearch 1/2019.
[2] Harald Welzer: Klimakriege, Fischer Taschenbuch, 5. Auflage 2018.
[3] Michael T. Klare: All Hell Breaking Loose, Metropolian Books, Nov. 2019.
[4] McKinsey Global Institute: Klimawandel: Ohne Gegensteuern leben 2030 rund 250 Millionen Menschen in Risikoregionen, Pressemitteilung,
16.01.2020.
[5] a.o.a.O. M. Klare: Abschnitte „Overseas Bases under Threat“ und „Struggle to Adapt“.
[6] a.o.a.O. M. Klare: Kapitel „The Homeland at Risk“.
[7] a.o.a.O. M. Klare: Abschnitt „Global Pandemics“. Nur am Rande sei hier erwähnt, dass der eigentliche medizinische Notfalleinsatz durch 150 kubanische Fachärzte erfolgte, die mit Spezialisierung auf Katastrophenschutz und Epidemiologie dort ein halbes Jahr lang im Einsatz waren. Siehe dazu z.B. Julia Zieger: Kubanische Ärzte kehren aus Westafrika zurück, amerika21.de, 25.03.2015.
[8] a.o.a.O. M. Klare: Kapitel „Great-Power Clashes“.
[9] Siehe dazu entsprechende Ausführungen bei Karl-Heinz Peil: Nachhaltige Bundeswehr? Die Nachhaltigkeitsberichte des BMVg in Zeiten des Klimawandels, IMI-Studie Nr. 8/2019.
[10] a.o.a.O. M. Klare: Kapitel „Going Green“.
[11] Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung (WBGU): Globale Umweltveränderungen: Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel, Heidelberg 2008.
[12] a.o.a.O.: WBGU S. 133 ff.
[13] Klimafolgen im Kontext. Implikationen von Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten und Afrika, Planungsamt der Bundeswehr, Dezernat Zukunftsanalyse, Oktober 2012.
[14] Siehe dazu z.B. Jürgen Wagner: Deutschlands (neue) Großmachtambitionen, IMI-Studie 2015/02.
[15] siehe dazu: Tagung des BMVg: der Klimawandel: Herausforderungen für die Bundeswehr, bmvg.de, 17.06.2019.
[16] a.o.a.O. IMI-Studie: Nachhaltige Bundeswehr?
[17] a.o.a.O. WBGU, Seite 8.
The shortcode is missing a valid Donation Form ID attribute.