Ein Interview mit einem Besatzungsmitglied der Alan Kurdi

Tagelang fand die “Alan Kurdi” keinen sicheren Hafen. Malta verwehrte den 13 aus Seenot geretteten Menschen das Anlanden. Psychische und medizinische Betreuung ist unbedingt erforderlich. Am Dienstag, nach zehn Tagen, konnten die letzten Gäste – wie sie von der Besatzung genannt werden – das Schiff verlassen. Mit dem Besatzungsmitglied “Bohne” sprach Martin Wähler am Montag. Wir veröffentlichen das Interview:

Martin Wähler: Wo bist du im Moment?

Bohne: Ich bin gerade auf dem zivilen Rettungsschiff „Alan Kurdi”. Wir haben gerade eben unsere Mission erfolgreich beendet. Heute morgen kam mittags plötzlich die Meldung, dass die verbleibenden fünf geretteten Menschen endlich an Land können. Inzwischen befinden wir uns auf dem Heimweg nach Spanien, dort kommt dann die nächste Crew an Bord.

Martin Wähler: Der Reihe nach, wie hat deine Mission angefangen?

Bohne: Wir sind in Spanien gestartet und haben die Küste Libyen angepeilt. Dabei kamen wir auch an Tunesien vorbei. Auch von dort fliehen regelmäßig Menschen, und wir begannen bereits den Horizont mit Ferngläsern nach Seenotfälle, also kleine Schlauch- oder Holzboote abzusuchen. Und tatsächlich haben wir schon innerhalb der ersten Stunde ein kleines Holzboot gesichtet. Darauf saßen 13 Männer, der Jüngste gerade mal 14 Jahre alt. Die Menschen brachten wir auf unser Rettungsschiff. Daraufhin haben wir Kurs auf Malta genommen.

Martin Wähler: Warum Malta?

Bohne: Die ganzen Ozeane der Welt sind in sogenannte Seenotrettungszonen unterteilt und für jede dieser Zonen ist ein Land für die Rettung verantwortlich. In diesem Fall eben Malta.

Martin Wähler: Habt ihr Malta darüber informiert?

Bohne: Ja, die erste Entscheidung war eben, dass wir die Menschen vom Boot retten mussten und auf unser Schiff holten. Direkt danach haben wir Malta informiert und nach einen sicheren Hafen angefragt, den sie organisieren müssten. Doch Malta hat uns dann erstmal mehrere Stunden warten lassen. Dann kam direkt die erste Ausrede – sie haben erstmal die Verantwortung von sich gewiesen. Sie behaupteten, dass überladene Holzboot sei auf normalem Verkehr von A nach B gewesen. Die haben das Holzboot aber auch nicht gesehen, wenn da eine stärkere Welle gekommen wäre, dann hätte das ganz schnell untergehen können. Und niemand an Bord hatte eine Schwimmweste – die meisten wussten nicht mal wie man schwimmt. Dazu kamen noch mehrere Versuche, sich rauszureden. Sie wollten schlicht die Verantwortung von sich schieben.

Martin Wähler: Ihr habt dann dennoch Kurs nach Malta genommen? 

Bohne: Ja, denn sie waren ganz klar dafür verantwortlich uns einen sicheren Hafen zu zuweisen. Als wir an Lampedusa vorbeigefahren sind, schickte Italien das sogenannte Salvini-Dekret. Damit drohen die Behörden eine Strafzahlung an, wenn wir einen italienischen Hafen anfahren.

Foto: Nick Jaussi

Martin Wähler: Die italienischen Behörden kennen die Sea-Eye und wussten, dass ihr Flüchtende an Bord habt?

Bohne: Ich gehe davon aus. Die Alan Kurdi kennen sie auf jeden Fall, denn schon bei der letzten Mission waren sie an Bord und hatten uns das Dekret überreicht.

Martin Wähler: Und das haben die euch nochmal nachträglich rübergefunkt? 

Bohne: Ja, per Mail glaube ich. Und ganz besonders ärgert mich, dass die Strafe immer noch gilt obwohl Salvini nicht mehr Innenminister ist: Das Dekret gilt nach wie vor.

Martin Wähler: Also seid ihr nach Malta gefahren?

Bohne: Wir dürfen auch in Malta nicht einfach über die Landesgrenze fahren. Wenn wir das ohne Erlaubnis tun würden, wäre unser Schiff beschlagnahmt und wahrscheinlich würde unser Kapitän vor Gericht landen. Doch wir müssen ja auch nicht unbedingt in einen Hafen fahren, es würde reichen, wenn die maltesischen Behörden kommen und die Menschen evakuieren, so genannte Disembarkations. Doch erstmal hieß es warten. Die maltesischen Behörden haben immer wieder betont, dass es kein Notfall sei und daher wären sie nicht zuständig.

Martin Wähler: Insgesamt habt ihr zehn Tage vor der Küste Maltas gewartet. Ist das normal?

Bohne: Zehn Tage ist schon relativ lang. Wir nennen das Stand-Off. Malta weiß Bescheid, lässt uns aber warten.

Martin Wähler: Also mehrere Tage warten, wie ging es dabei den geretteten Menschen?

Bohne: Die Spannungen nahmen krass zu, und jeder ging anders mit der Belastung um. Sie schliefen nachts schlecht und waren tagsüber schnell gereizt.

Einer der Gäste hat sich mit einem Messer verletzt, und versuchte aus einer Kurzschlussreaktion heraus nachts und ohne Rettungsweste über Bord zu springen. Der wäre tot gewesen, wenn wir ihn nicht im allerletzten Moment noch am T-Shirt zurückgezogen hätten. Wir haben direkt Malta darüber informiert, dass wir einen Selbstmordversuch hatten. Die haben ein Schnellboot geschickt und zwei der Gäste abgeholt und nach Malta gebracht, da sie beide akut gefährdet waren. So ging es weiter, immer wieder holte Malta die Menschen ab, die durchdrehen. Aber die Menschen die ruhig blieben wurden dafür bestraft. Auf der Nacht zu Montag haben wieder drei der Geretteten die Nerven verloren – und wurden wieder von Malta geholt. Nizar, der Älteste hat mich dann gefragt, ob er auch mit dem Kopf sehr feste gegen das Metall vom Schiff hauen müsse, um endlich nach Malta zu dürfen. Ich wusste gar nicht, was ich ihm sagen solle und habe mich total dafür geschämt, was für eine Scheiße Europa abzieht. Am Ende waren noch fünf Gäste übrig.

Foto: Nick Jaussi

Martin Wähler: Was haben die Geretteten den ganzen Tag gemacht? 

Bohne: Warten. Sie hatten viel Zeit sich Gedanken zu machen und waren wohl in ziemlich gefährlichen Gedankenkreisen verloren. Wir haben versucht sie abzulenken, haben Mensch-ärger-dich-nicht oder Dart gespielt, Zigaretten geraucht oder gekocht. Aber zehn Tage darauf zu warten endlich festen Boden unter den Füssen zu spüren, macht wohl jeden Menschen verrückt, gerade wenn man nicht weiß wie es danach weitergeht. Die jungen Männer hier wussten nicht, was ihre Zukunft bringt. Sie sind geflohen und dann standen sie quasi vor dem Nichts. Sie haben nur das Schiff gesehen. Das führt natürlich auch zu einem Lagerkoller. Sie wurden unruhiger.

Martin Wähler: Fünf waren also noch übrig?

Bohne: Ja, und die wollte Malta absolut nicht aufnehmen. Doch wir können sie ja nicht über Bord werfen oder zurück in ihre Nussschale setzen. Natürlich muss Malta diese Menschen aufnehmen.

Martin Wähler: Aber Malta hat nicht reagiert?

Bohne: Malta reagiert nur, wenn etwas Schlimmes passiert. Wir haben gesagt: die Menschen können nicht länger an Bord bleiben. Die psychologische und medizinische Betreuung können wir hier an Bord nicht stemmen. Diese Menschen müssen an Land. Muss die Lage erst so beschissen sein, dass sie über Bord springen, damit sie an Land dürfen? Wir haben daraufhin in Malta Klage gegen den Staat eingereicht.

Martin Wähler: Hat das Gericht für euch entschieden?

Bohne: Malta war ziemlich verärgert darüber und hat uns über die europäische Kommission einen Kuhhandel angeboten. Wir sollten die Klage zurückziehen und dann dürfen die Leute an Land. Doch wir waren nicht sicher, ob wir Malta trauen können. Dieses Verhalten ist eines Rechtsstaates nicht würdig. Wir haben uns darauf eingelassen und plötzlich ging es ganz schnell. Wir haben aus dem Internet erfahren, dass die Menschen an Land dürfen. Zwei Stunden später kam ein Boot des Militärs und hat die fünf Gäste abgeholt – endlich! Da bleibt aber ein bitterer Beigeschmack, dass wir nicht Recht bekommen haben, sondern nur ein Deal geschlossen wurde.

Martin Wähler: Was war das für ein Gefühl?

Bohne: Das war super emotional, wir haben uns alle feste gedrückt und verabschiedet. Wenn man so viel Zeit zusammen auf engem Raum in so einer stressigen Situation verbringt, dann baut man eine sehr enge Verbindung auf. Und ich bin glücklich, dass es ein gutes Ende hat.


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