Hoffnung auf einen Frieden

Ich bin im Jahr 1965 nach Deutschland, gerade 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, der von der irrsinnigen Nazi-Herrschaft verursacht wurde, gekommen. Während meines Studiums habe ich junge Studierende in meinem Alter kennengelernt, die den Krieg nicht selbst erlebt haben. Mittlerweile dürfen sie um die 80 Jahre alt sein und sie haben seitdem in Frieden und Freiheit gelebt. Ein Beitrag von Nazih Musharbash, Vorsitzender der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft.

An dieser Stelle erlaube ich mir einen Vergleich mit Jugendlichen aus dem Gazastreifen. Diese haben bis jetzt und nur mit 18 Jahren fünf Kriege direkt erleben und erdulden müssen. Und wenn diese 80 Jahre alt geworden sind, glaube ich kaum, dass sie mit ihren Traumata und ihren Nachbarn in Frieden und Freiheit leben werden. Das ist kein Pessimismus, sondern eher eine realistische Betrachtung der festgefahrenen politischen Situation und des Kampfes zwischen Israel und den Palästinensern. Darüber hinaus ist es auch eine Realität, dass kein Mensch seinen Geburtsort oder seine Zugehörigkeit zu einem Staat oder zu einer Religion selbst bestimmen kann. Wer als Kind in einem Kriegsland lebt, wird anders sozialisiert als ein anderes Kind, das Frieden erlebt und durchlebt hat. Getreu der Wahrheit, dass Gewalt Gegengewalt erzeugt, sollten Kinder und Jugendliche deshalb die Möglichkeit haben, in Frieden und Freiheit zu leben, damit sie diese Werte an die nächsten Generationen weitergeben können. Zu meinem großen Bedauern hat diese Möglichkeit in Palästina noch nie eine Chance gehabt. Als Friedensaktivist halte ich mich an das universale Völkerrecht und an die Gleichheit aller Menschen. Kein Mensch ist besser oder schlechter als ein anderer und kein Staat darf sich über das Völkerrecht stellen.

Der Jahrestag des Hamas-Angriffs am 7. Oktober 2023 fand vor zwei Tagen statt. Das vergangene Jahr hat vieles geändert, aber leider nicht zum Guten. In diesen Tagen gedenken wir aller Toten des Gaza Krieges, seien sie Juden, Israelis, Palästinenser, Muslime oder Christen. Die israelische und die palästinensische Gesellschaft sind nach den Ereignissen des letzten Jahres verunsichert, ob ihre Regierenden sie überhaupt schützen und Frieden herbeiführen können. Das Vertrauen zwischen Bevölkerung und Staat ist auf beiden Seiten massiv gestört. Das Streben nach Frieden muss einen anderen Verlauf nehmen, in dem Dialog, Völkerverständigung und der Wille zu Frieden in den Mittelpunkt geraten. Der Kampf zwischen Israel und den Palästinensern beruht auf der Tatsache, dass beide Völker seit über 100 Jahren das gleiche Stück Land für sich allein beanspruchen. Dabei handelt es sich um ein politisches Problem, das nicht mit Bomben gelöst werden kann. Die gegenseitige Feindschaft der beiden Völker ist im Laufe der Zeit nicht schwächer, sondern stärker geworden.

Israel ist ein mächtiger Staat mit einer starken Armee, die die Westbank besetzt hält und den Gazastreifen hermetisch abriegelt. Ihm gegenüber steht eine machtlose Autonomiebehörde, die nach Auffassung der in der Westbank lebenden Palästinensern nicht in der Lage sei, sie vor Angriffen der israelischen Armee und der zunehmenden Siedlergewalt zu schützen. Eigentlich ist das ein unerträglicher Zustand, der dem Glauben an Staatlichkeit widerspricht.

Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich viel geändert und zwar nicht zum Guten. Ein Jahr ist vergangen, das mit dem Angriff der Hamas auf Israel begann und mit den noch andauernden schrecklichen Vergeltungsmaßnahmen der israelischen Armee im Gazastreifen, der Westbank und jetzt im Libanon noch anhält. Die ständigen Eskalationen und Befeuerung der Hamas, der Hizbullah und Israels müssen beendet werden. Dabei macht Israel zu seiner Rechtfertigung geltend, dass es sich vor einer bevorstehenden Vernichtung verteidigen müsse, setzt jedoch sein gewaltiges militärisches Potenzial auch gegen zivile Einrichtungen und Infrastrukturen ein, zerbombt Kirchen, Moscheen, Universitäten und nimmt den Tod von bis jetzt fast 52.000 Toten billigend in Kauf.

Israel muss nicht befürchten, dass es vernichtet wird, so der jordanische Außenminister Ayman Safadi vor der UN-Vollversammlung. Im Namen von 57 arabischen und islamischen Staaten (einschließlich mit Zustimmung der Hamas) erneuerte er das arabische Friedensangebot von 2002 an Israel, damit es endlich einen gerechten Frieden gäbe. Alle diese Saaten würden Israel anerkennen und seine Sicherheit garantieren, wenn Israel sich aus den besetzten Gebieten zurückzöge und die verabredeten Vereinbarungen der Weltgemeinschaft erfülle. Netanjahu und seine rechtsgerichtete Regierung haben sich nicht dazu geäußert. Im Gegenteil: Während Netanjahu seine Rede vor der UN-Vollversammlung sprach, griffen israelische Kampfflugzeuge den Südlibanon und Beirut an.

Seit meiner Geburt bin ich mit der Thematik des Palästina-Streits zwischen Israel und den Palästinensern beschäftigt und involvieret. Wie jeder Palästinenser habe auch ich auf verlockende Versprechungen und gut formulierte Beschlüsse der internationalen Weltgemeinschaft gehofft, dass es endlich mal einen Staat Palästina geben würde. Dieses lange Warten, begleitet von weiteren israelischen Annektierungen, Bau von jüdischen Siedlungen auf palästinensischen Grund und Boden, sowie Vertreibungen der einheimischen Bevölkerung, gepaart mit ungerechtfertigten Verhaftungen und gar gezielten Tötungen, deprimiert die Menschen. Die Perspektivlosigkeit und die täglichen Repressalien durch die israelische Militärverwaltung und die Siedlergewalt gegen die Palästinenser bleiben nicht ohne Auswirkung. Die Menschen wehren sich. Zu Recht!

Ich bin nicht der Meinung, dass es bald zu einer Verständigung zwischen Israel und den Palästinensern kommen wird. Dafür sind die Traumata beider Völker viel zu groß, die Möglichkeit zur Annäherung zueinander zu sehr beschränkt und der Wille zu Kompromissen kaum vorhanden. Deshalb hoffe ich auf die neue Generation, die ihr Schicksal in die Hand nehmen und alles unternehmen wird, um in Frieden ohne Herrscher und Beherrschte, ohne Besatzer und Besetzte in Frieden und in Freiheit zu leben. Es ist belanglos, ob es einen Staat für beide Völker oder getrennte Staaten geben wird. Hauptsache ist, dass das Blutvergießen beendet und der Friede eingeleitet wird.

Ein Beitrag von Nazih Musharbash, Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V.

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