Friedrich Engels wurde als Sohn eines reichen Baumwollfabrikanten am 28. November 1820 in Barmen (heutiges Wuppertal) geboren, beschrieb sich selbst in seiner politischen und intellektuellen Beziehung mit Karl Marx als jemanden, der dazu da ist, „die zweite Geige zu spielen“. Aus dieser Einschätzung spricht grenzenlose Bescheidenheit. Engels lieferte in seinen Jugendschriften die theoretische und politische Grundausrichtung für die kommunistische Bewegung, welche er gemeinsam mit Marx in jahrzehntelanger Zusammenarbeit ausformulierte.
Ohne Zweifel sind das Manifest der kommunistischen Partei und Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie die bekanntesten und wichtigsten Schriften der revolutionären Linken. Das Manifest wurde von Friedrich Engels und Karl Marx gemeinsam verfasst. Engels finanzierte durch seine Arbeit in den Fabriken seines Vaters nicht nur Marx’ Leben und lieferte damit die materiellen Bedingungen, damit das Kapital überhaupt entstehen konnte, sondern stand auch im permanenten Austausch mit Marx über den Inhalt des Kapitals. Der zweite und dritte Band des Kapitals wurde von Engels nach Marx’ Tod überarbeitet und herausgegeben. Während die enge Zusammenarbeit der beiden allgemein bekannt ist, ist deutlich unbekannter, dass es Engels war, der zwischen 1843 und 1847 mit drei Texten den Marxismus als Gedankengebäude vorkonstruierte.
In seinen Grundsätzen des Kommunismus formulierte er 1847 die Vorlage für das Manifest der kommunistischen Partei und mit Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomielieferte er 1843 wichtige Denkanstöße für das Kapital. Genauso war es Engels, der in seiner Studie zur Lage der arbeitenden Klasse in England 1844 die politische Ausrichtung auf das Proletariat vorzeichnete.
Piraten, Heine und Hegel
Schon im Gymnasium beschäftigte sich Engels intensiv mit Literatur und knüpfte bei den liberalen Ideen des „Jungen Deutschlands“ an. Diese Bewegung wird insbesondere mit dem Dichter Heinrich Heine in Verbindung gebracht, „der hervorragendste unter allen lebenden deutschen Dichtern“, wie Engels schrieb. Die Ziele des „Jungen Deutschlands“ waren die Einführung von demokratischen Freiheitsrechten, die Abschaffung religiöser Moralvorstellungen und die Einigung Deutschlands. Dieses Programm brachte die Bewegung nicht nur in Konflikt mit den in Deutschland herrschenden Fürstenhäusern, sondern Engels geriet über diese Themen regelmäßig mit seinem Vater aneinander. Damit sich der Sohn nicht weitere revolutionäre Flausen in den Kopf setzt, wurde Engels von seinem Vater aus dem Gymnasium genommen und zu einer Kaufmannsausbildung gezwungen. Wie es sich für den Erstgeborenen gehörte, sollte er später einmal das Geschäft des Vaters übernehmen.
Den von seinem Vater vorgefertigten Lebensweg wollte Engels trotzdem nicht gehen. In seiner Freizeit verfasste er Gedichte und Dramen. Obwohl die meisten dieser Schriften verloren sind, zeigen uns die bekannten doch, dass Engels schon in frühen Jahren mit Außenseitern und Unterdrückten sympathisierte. Es finden sich Dramen über den römischen Volkstribunen Cola di Rienzi, welcher 1347kurzzeitig die Adelsherrschaft zu Fall brachte, genauso wie Texte über Seeräuber, in denen seine Verachtung für das „Krämerhandwerk“ (Kaufleute) zum Ausdruck kommt.
Außerdem begann Engels Literaturkritiken für alle Zeitungen, die seine Aufsätze druckten (was aufgrund seiner liberalen Einstellung nicht besonders viele waren), zu schreiben. Diese Beschäftigung mit Literatur führte ihn zur Philosophie. Ähnlich wie Marx begeisterte er sich für die dialektische Philosophie von Hegel und den beginnenden Materialismus Feuerbachs. Hegel war zur damaligen Zeit für alle kritisch ausgerichteten Intellektuellen die Bezugsperson. Gleichzeitig bestand aber der Widerspruch, dass sich Hegel in seinen späteren Jahren positiv auf den preußischen Staat bezog. Mit diesen Widersprüchen kämpften die jungen Intellektuellen, welche als Linkshegelianer bekannt wurden. Marx und Engels beschäftigen sich beide mit deren theoretischen Diskussionen, wobei Engels weniger in den akademischen Zirkeln der Linkshegelianer aktiv war.
Trotzdem beschäftigte er sich intensiv mit Philosophie und kritisierte den deutschen Idealismus in der Person von Schelling in einer ersten Broschüre, Schelling, der Philosoph in Cristo, als rückwärtsgewandten Humbug. Schelling: „hat die gute alte Zeit wieder heraufgeführt, wo die Vernunft sich unter den Glauben gefangen gibt.“
Engels’ Jugendjahre können als durchaus charakteristisch für aus dem Bürgertum stammende Männer gesehen werden: Philosophie, Sport und Trinkgelage standen auf der Tagesordnung. Die Besonderheit Engels war seine Nähe zur Arbeiterinnenklasse. Obwohl er in bürgerlichen Verhältnissen lebte, verwandelte sich sein Heimatbezirk Elberfeld in einen Industriebezirk. Der Engels-Biograph Gustav Mayer erklärt: „Engels kannte von Kindheit an die wahre Natur des Fabriksystems“. Der von seinem Vater angetriebene Umzug nach Manchester 1842 – Engels sollte in der Verwaltung der Fabriken seines Vaters arbeiten – verstärkte diese Bekanntschaft mit der Arbeiterinnenklasse. Engels reiste über Köln nach England und lernte Karl Marx und Moses Hess in der Redaktion der Rheinischen Zeitung zum ersten Mal kennen. Das erste Zusammentreffen mit Marx dürfte aufgrund von Differenzen in der Hegel-Auslegung relativ distanziert gewesen sein.
Bourgeoisie auf Abwegen
In Manchester kam Engels als gebildeter Bourgeois mit idealistischen Ideen über einen radikalen Umsturz der herrschenden Gesellschaft an. Sein Leben in Manchester verwandelten ihn zum Kommunisten, der die revolutionäre Rolle der Arbeiterinnenklasse sieht. Wenige Woche vor seiner Ankunft 1842 hatte ein mächtiger Generalstreik der Chartisten das Land erschüttert. Die Chartisten waren der Ursprung der englischen Arbeiterinnenbewegung und kämpften für die Zulassung von Gewerkschaften, den Zehn-Stunden-Arbeitstag und die Erweiterung des Wahlrechts. Auch wenn der Streik gescheitert war, so führte er doch zu einem Aufblühen der Arbeiterinnenbewegung. Engels beteiligte sich an den Protesten, Streiks und Diskussionsversammlungen. Er schloss nicht nur enge Freundschaften mit einigen Führungsfiguren der Chartisten, sondern verliebte sich in die irische Arbeiterin Mary Burns.
Während sich Marx in deutschen Kleinstädten mit den abstrakten Tiefen der hegelschen Philosophie herumschlug und die Arbeiterinnenklasse ausschließlich als „ausgebeutete und entrechtete Wesen“ kannte, befand sich Engels im Zentrum des sich entwickelnden Industriekapitalismus. Die Arbeiterinnenklasse war für ihn keine abstrakte Größe, sondern er kannte sie persönlich und wusste von der revolutionären Wut und dem schöpferischen Potential von Massenstreiks und Aufständen.
Arbeit und Kapital
Diese Nähe zur Arbeiterinnenklasse motivierte Engels zu zwei für die weitere Geschichte der revolutionären Linken entscheidenden Werken. Einerseits zu Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie (1843) und andererseits zu seinen Studien über die Lage der arbeitenden Klasse in England (1845).
Mit seinen Umrissen zu einer Kritik der Nationalökonomie lieferte Engels die Grundlagen für die marxistische Ökonomiekritik. In dieser Schrift stellt er den Übergang vom merkantilistischen Wirtschaftssystem, welches durch hohe Zollschranken Außenhandel verhindert, hin zum Kapitalismus, welcher langsam aber sicher einen Welthandel erschafft, dar. Ausgehend von dieser Analyse thematisiert er, wie aus dem Privateigentum der Warenhandel entsteht. Vollkommen im Einklang mit dem erst 1867 fertiggestellten Kapital diskutiert er schon hier, dass Waren im Kapitalismus nicht nach dem Prinzip der Nützlichkeit produziert werden, sondern einzig und allein die Frage nach den größten Profitmöglichkeiten von Interesse ist. In Ansätzen erkennt er – was später im Kapital ausformuliert werden sollte –, dass der Ursprung allen Profits die menschliche Arbeitskraft ist, bzw. in seinen Worten: „Die ARBEIT, die Hauptsache bei der Produktion, die Quelle des Reichtums.“
Genauso liefert er in diesem Werk eine intensive Kritik an der These der Überbevölkerung, welche auf den britischen Ökonomen Malthus zurückgeht. Wenn auch die von Engels vertretene These, dass „die Ertragsfähigkeit des Bodens durch die Anwendung von Kapital, Arbeit und Wissenschaft ins Unendliche zu steigern“ ist, später von Marx im Kapital einer Kritik unterzogen wurde, so bleibt Engels Feststellung, dass die „Überbevölkerungstheorie“ eine „niederträchtige Doktrin“, eine „scheußliche Blasphemie gegen die Natur und Menschheit“ ist, vollkommen richtig. Dieses Werk und Engels Aufforderungen, nicht nur Hegel sondern auch Adam Smith und David Ricardo zu lesen, motivierten Marx zum Beginn seiner ökonomischen Studien. Logischerweise konnte Marx in seinen jahrzehntelangen Studien zu einer tieferen Analyse des Kapitals vordringen, doch Engels liefert mit seinem Werk nicht weniger als eine klar verständliche und schnell gelesene Einführung in das ökonomische Denken des Marxismus.
Selbst der Engels’ theoretischen Leistungen sehr kritisch gegenüberstehende Marxforscher Terrell Carver muss in seinem Buch Marx and Engels, the Intellectual Relationship zugeben: „Marx’ Kapital war in der Tat eine viel weiter ausgearbeitete Spezifizierung der Widersprüche, die Engels in seinen Entwürfen diskutiert“.
Die Lage der arbeitenden Klasse
Engels’ Studie zur Lage der arbeitenden Klasse in England ist ein Meisterwerk der empirischen Sozialforschung. Es gelang Engels, für die damalige Zeit absolut neuartig, in seinen Text eine Mischung aus statistischen Erhebungen zu Einkommens- und Ernährungsverhältnissen, literarischen Schilderungen der arbeitenden Klasse (bspw. bei Charles Dickens), Interviews mit Arbeiterinnen und Beobachtungen über das Leben in den Armenvierteln Manchesters zusammenzuschmieden. Es ist davon auszugehen, dass die Bekanntschaften und Lebenserfahrungen seiner Geliebten Mary Burns diese methodische Vielfalt überhaupt erst ermöglichten.
Engels’ Schilderungen sind klar parteiisch. Seine Wissenschaft zielt ganz im Sinne der berühmten Feuerbach Thesen von Marx nicht einfach darauf ab „die Welt nur zu interpretieren, sondern darauf, sie zu verändern“. Diese Parteilichkeit interpretiert Günter Wallraff als „unverzeihlich für einen Soziologen“. Doch Engels wollte eben kein Soziologe sein, und er begnügte sich auch nicht einzig und allein mit der sprachlichen Anklage des Elends der Arbeiterinnen, sondern diskutierte schon damals die Möglichkeiten der Selbstbefreiung der Arbeiterinnenklasse.
Gewerkschaften
Zentral für diese Selbstbefreiung sind die Gewerkschaften, welche Engels gegen „linke“ Kritikern, welche darauf hofften durch Gesetze schneller Verbesserung für die Arbeiterinnen zu erreichen, verteidigt. Entsprechend seiner Erfahrungen mit dem Generalstreik von 1842 misst er die Rolle der Gewerkschaften nicht nur an der Frage, ob sie erfolgreich Reformen erreichen. Viel eher sieht er die Wichtigkeiten der gewerkschaftlichen Kämpfe darin, „die Konkurrenz aufzuheben. Sie setzen die Einsicht voraus, daß die Herrschaft der Bourgeoisie nur auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich beruht.” In den Gewerkschaften erkennt er „die Kriegsschule der Arbeiter, in der sie sich auf den großen Kampf vorbereiten, der nicht mehr zu vermeiden ist“.
Beginn der Partnerschaft
1843 arbeitet Marx gemeinsam mit Arnold Ruge an der Zeitschrift Deutsch-Französische Jahrbücher. Zu dieser Zeit begann der Briefwechsel zwischen Marx und Engels, letzterer steuerte mehrere Artikel zur Zeitschrift bei. Im Zuge dieses Briefwechsels begann Marx in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten aus dem Jahre 1844 seine Auseinandersetzung mit der politischen Ökonomie. Gemeinsam arbeiteten sie an dem Buch Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. Gegen Bruno Bauer & Consorten. In diesem bewusst polemisch gehaltenen Buch distanzierten sie sich von den Schülern Hegels und begannen eigene philosophische Positionen zu entwickeln.
In den Textsammlungen, die als die Deutsche Ideologiebekannt geworden sind und an denen anfangs auch Moses Hess mitarbeitete, vertieften sie die Diskussionen aus der heiligen Familie. Diese Arbeiten schrieben Marx und Engels erklärtermaßen zur „Selbstverständigung“, um sich von der deutschen Philosophie, aus der sie entstammten, zu distanzieren und ihr eigenes Gedankengebäude des dialektischen Materialismus zu skizzieren. Beide Texte wurden zu Lebzeiten nicht veröffentlicht oder wie Marx es ausdrückte: „Wir überließen das Manuskript der nagenden Kritik der Mäuse“.
Bund der Kommunisten
Nachdem sie sich über ihre philosophischen Positionen verständigt hatten, begannen sie auch ihre politische Zusammenarbeit zu intensivieren. 1836 gründete der deutsche Frühsozialist, oft beschrieben als der erste deutsche Theoretiker des Kommunismus, Wilhelm Weitling, den Bund der Gerechten. Marx und Engels engagierten sich in der Organisation und trieben 1847 seine Umbenennung in Bund der Kommunisten voran. Innerhalb des Bundes wurde intensiv über die theoretische Ausrichtung gestritten. Neben den Positionen von Marx und Engels gab es auch die der sogenannten utopischen Sozialisten.
Utopischer Sozialismus
Die Grundsätze des Kommunismus waren Engels’ Versuch, sich vom Utopischen Sozialismus abzugrenzen. Der Utopische Sozialismus entstand in Anschluss an die französische Revolution und wird vor allem mit dem Namen Charles Fourier in Verbindung gebracht. Dieser entwickelte sein Denken anknüpfend an die Ideen der Aufklärung. Im Unterschied zu diesen sah Fourier die menschliche Natur aber nicht als auf Eigennutz ausgerichtet, sondern er definierte zwölf „Grundlegende Leidenschaften“ des menschlichen Lebens. Diese Leidenschaften – wie z.B. Liebe, Freundschaft und materielle Sicherheit – sind im Kapitalismus nicht erlebbar. Darum muss er durch ein besseres Gesellschaftssystem ersetzt werden: den Sozialismus. So befreiend diese Gedanken auch waren – sie sind der Ursprung jedes revolutionären Denkens – so standen Marx und Engels doch vor dem Problem, dass sich Fourier den Übergang zum Sozialismus als einen langsamen und konstanten Bildungsprozess vorstellte: Wenn nur alle Menschen inklusive der Kapitalisten ihre echte Natur erkennen würden, dann würden sie schon aufhören mit dem Geschäfte machen und eine solidarische Gesellschaft aufbauen. Wer wie Engels schon erste Bekanntschaften mit staatlicher Repression gemacht hatte und die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in den englischen Fabriken kannte, der musste die Vorstellung eines friedlichen Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaft zwar für erstrebenswert, aber doch auch für eher unwahrscheinlich halten.
Im Unterschied zu Fourier und Marx, hatte Engels eine viel engere Beziehung zur Arbeiterinnenklasse. Die Vorstellung, er müsste den Arbeiterinnen im Stile eines Predigers erklären, warum sie für eine andere Gesellschaft kämpfen sollten, wird ihm schlicht und ergreifend verrückt erschienen sein.
Während der utopische Sozialismus, ähnlich wie später Stalinismus und Sozialdemokratie, die Arbeiterinnenklasse als passives Objekt behandelte, das an der Hand genommen werden musste, erkannte Engels schon früh, dass die „Befreiung der Arbeiterinnenklasse das Werk der Arbeiterinnenklasse selbst sein müsste“, wie er und Marx es später in einem Brief an August Bebel formulieren sollten. Darum beschäftigen sich seine Grundsätze des Kommunismus auch nicht mit abstrakten Fragen über eine menschliche Natur, sondern diskutieren, wie eine kommunistische Gesellschaft zu erreichen ist.
Grundsätze des Kommunismus
Die Grundsätze des Kommunismus sind ein völlig zu Unrecht nahezu in Vergessenheit geratener Text. Wenn er auch dank der Gliederung in Fragen und Antworten nicht so packend ist wie das Manifest (auch die für Marx charakteristischen und unterhaltsamen Anspielungen auf Gespenstergeschichten und Mystik fehlen vollkommen), so spricht die Klarheit der Argumentation doch für sich. Bis auf theoretische Kleinigkeiten, wie dass der Arbeiter nicht seine Arbeit, sondern seine Arbeitskraft verkauft und einigen Prognosen, die sich historisch als falsch herausstellten – u.a. die These, dass die sozialistische Revolution zuerst in den fortgeschrittensten Ländern der Welt stattfinden müsse – ist es neben dem Manifest die beste Einführung in das Denken von Marx und Engels.
Ökonomie ist nicht alles
Anders als oft behauptet, reduziert der Marxismus nicht alles auf Klasse und ignoriert andere Unterdrückungsformen. Schon in diesem Text erhebt Engels Forderungen nach einem radikalen Umbau unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens, insbesondere in Hinblick auf die Rolle von Frauen. Die kommunistische Gesellschaftsordnung „wird das Verhältnis der beiden Geschlechter zu einem reinen Privatverhältnis machen, welches nur die beteiligten Personen angeht und worin sich die Gesellschaft nicht zu mischen hat. Sie kann dies, da sie das Privateigentum beseitigt und die Kinder gemeinschaftlich erzieht und dadurch die beiden Grundlagen der bisherigen Ehe, die Abhängigkeit des Weibes vom Mann und der Kinder von den Eltern vermittelst des Privateigentums, vernichtet“. Daran anknüpfend definiert er zwei zentrale Forderungen für eine kommunistische Bewegung in Hinblick auf das geschlechtliche Zusammenleben: „Gleiches Erbrecht für uneheliche wie für eheliche Kinder“ und „Erziehung sämtlicher Kinder, von dem Augenblicke an, wo sie der ersten mütterlichen Pflege entbehren können, in Nationalanstalten und auf Nationalkosten“.
Internationalismus
Genauso eindeutig wie Engels für die Befreiung der Frauen argumentiert, so fordert er auch einen radikalen Internationalismus. Die unter Stalin so berühmt gewordene Losung des „Sozialismus in einem Land“ ist mit Engels‘ Denken unvereinbar. „Die große Industrie hat schon dadurch, daß sie den Weltmarkt geschaffen hat, alle Völker der Erde, und namentlich die zivilisierten, in eine solche Verbindung miteinander gebracht, daß jedes einzelne Volk davon abhängig ist, was bei einem andern geschieht. Die kommunistische Revolution wird daher keine bloß nationale, sie wird eine in allen zivilisierten Ländern, d.h. wenigstens in England, Amerika, Frankreich und Deutschland gleichzeitig vor sich gehende Revolution sein. Sie wird sich in jedem dieser Länder rascher oder langsamer entwickeln, je nachdem das eine oder das andre Land eine ausgebildetere Industrie, einen größeren Reichtum, eine bedeutendere Masse von Produktivkräften besitzt.“ Auch wenn hier kritisch angemerkt werden müsste, dass die russische Revolution gezeigt hat, dass revolutionäre Entwicklungen in ökonomisch rückschrittlichen Ländern stattfinden können bzw. es keinen Automatismus von der Entwicklung der Produktivkräfte zur sozialistischen Revolution gibt, so ist seine Betonung der Wechselwirkung zwischen den Ländern von entscheidender Bedeutung. Schon damals sah Engels das Proletariat nicht national beschränkt, sondern als internationale Klasse. Ausgehend von solch einem Standpunkt ist für revolutionäre Politik internationale Solidarität aktuell insbesondere mit Flüchtlingen nicht nur eine humanistische Pflicht, sondern auch eine politische Notwendigkeit.
Engels’ Opfer
Die Hoffnung, welche Marx und Engels in die Revolution von 1848 gesetzt hatten, wurde enttäuscht. Beide mussten sich ins Exil zurückziehen. 1850 kehrte Engels in die Fabrik seines Vaters zurück, obwohl er die Arbeit hasste. Er tat dies, um Marx die Gelegenheit zu geben, sich voll und ganz auf die Arbeit am Kapital zu konzentrieren, indem er das Leben der Familie Marx finanzierte. Nahezu 20 Jahre arbeitete Engels in der Fabrik, bis er genügend Geld für seine und Marx’ Familie zusammengespart hatte.
Die jüngste Tochter von Marx, Eleanor Marx Aveling, mit der Engels eine lebenslange Freundschaft verband, beschrieb Engels’ letzten Arbeitstag: „Ich war mit Engels zusammen, als er das Ende dieser Zwangsarbeit erreichte, und ich sah, was er all die Jahre durchmachen musste. Ich werde nie den Triumph vergessen, mit dem er ‚zum letzten Mal‘ ausrief, als er morgens seine Stiefel anzog, um in sein Büro zu gehen. Ein paar Stunden später standen wir am Tor und warteten auf ihn. Wir sahen ihn über das kleine Feld gegenüber dem Haus, in dem wir wohnten, kommen. Er schwang seinen Stock in die Luft und sang, sein Gesicht strahlte. Dann deckten wir den Tisch für eine Feier, tranken Champagner und waren glücklich.“ Solange Marx lebte, war Engels sein erster Ansprechpartner für alle theoretischen Fragen. Auf Marx’ Bitten hin schrieb Engels ein weiteres zentrales Werk für den Marxismus: den Anti-Dühring. Obwohl ihn das Buch „langweilte“, sah er es als notwendig, seine und Marx’ Ideen gegen die u.a. rassistischen Positionen und Angriffe Eugen Dührings – eine damals relativ bedeutende Persönlichkeit in der Arbeiterinnenbewegung – zu verteidigen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Engels ab 1850 sowohl in der theoretischen als auch in der tagespolitischen Arbeit bewusst hinter Marx stellte. Marx gab die theoretische Ausrichtung vor, welche von Engels in mühseliger, intellektueller und politischer Kleinarbeit verteidigt wurde. Gewissermaßen hatte sich das Verhältnis ihrer Jugend umgedreht. Auch nach dem Tod von Marx verstand es Engels als seine Aufgabe, sowohl mit der Herausgabe des Kapitals als auch bspw. im Kampf um die Veröffentlichung der Kritik des Gothaer Programms (dieses wurde von der deutschen Sozialdemokratie bewusst zensiert, weil sie nicht wollten, dass Marx’ Kritik an der Partei bekannt wurde), Marx’ Denken zu bewahren und auszuformulieren.
Dialektik der Natur
Engels wäre sicherlich die letzte Person, die sich darüber beklagen würde, dass seine theoretische Arbeit in den Hintergrund geriet. Trotzdem ist es tragisch, dass er nie die Möglichkeit hatte, seine Überlegungen zu einer Dialektik der Natur auszuformulieren. Der Versuch, eine materialistische Theorie der Naturwissenschaften zu formulieren, war das letzte große theoretische Ziel von Engels. Beschäftigt mit der Herausgabe des Kapitals und politischen Kämpfen schaffte er es nie, mehr als einige Überlegungen zu diesem Thema anzustellen. So umstritten diese Überlegungen auch sind, würde es sich sicherlich lohnen im Zeitalter des explodierenden Klimawandels nochmals auf diese Ideen zurückzukommen. Abschließend lässt sich über Engels dasselbe sagen, was dieser bei Marx’ Begräbnis über den Freund und politischen Gefährten sagte: „Er war vor allem Revolutionär.”
Der Text von David Reisinger erschien in der Zeitschrift Linkswende