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„Freitag, Samstag, Sonntag gehör‘n die Eltern mir!“

Warum die 4-Tage-Woche zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen kann.

Anfang 2018 befand sich die IG Metall im Arbeitskampf. Es ging unter anderem um die Forderung, dass Angestellte, die in der Pflege um bedürftige Angehörige oder in der Erziehung ihrer Kinder eingespannt sind, nicht nur ihre Arbeitszeit verkürzen können sollen, sondern auch noch einen Lohnausgleich erhalten. Der Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger antwortete auf diese Forderung in einem Interview mit folgendem Satz: „Mehr Geld für Nichtstun wird es mit uns nicht geben.

Dahinter stecken ein Weltbild und eine Wirtschaftsweise, die Arbeit immer nur dann anerkennen, wenn wir dafür einen Lohn erhalten. Und natürlich ist dann auch Lohnarbeit nicht gleich Lohnarbeit, denn ein Auto herzustellen, ist leider immer noch mehr wert als die Pflege eines demenzkranken Menschen, oder das Managen eines Betriebs übertrieben mehr als die Reinigung seiner Toiletten. Besonders in Jobs, in denen mit Menschen gearbeitet wird, werden häufig geringe Löhne gezahlt. Ob in der Pflege, in der Sozialarbeit oder in KiTas. Genau in diesen Jobs arbeiten jedoch mehrheitlich Frauen. Hier setzt sich die Arbeitsteilung fort, die bereits in der Familie entsteht. Frauen erledigen auch im Privaten den Großteil der Haus-, Sorge und Erziehungsarbeit. Diese ihnen zugeschriebene Rolle erfüllen sie so gewissenhaft, dass sie dafür auf Vollzeitjobs und damit auf mehr Lohn verzichten. 77,6 Prozent der Frauen mit Kleinkindern arbeiten in Teilzeit – im Vergleich dazu aber nur 29,4 Prozent der Männer. Nun ist es natürlich nicht so, dass das Kümmern um Kinder nur eine große Bürde wäre. Ganz im Gegenteil, denn die eigenen Kinder aufwachsen zu sehen, sie zum Lachen zu bringen, sie zu trösten oder ihnen Geschichten vorzulesen – das alles sind Momente und Erfahrungen, die die meisten Eltern mit sehr viel Liebe, Hingabe und Freude erleben.

Deshalb leuchtet nicht ein, warum diese Arbeiten größtenteils Frauen erledigen sollten, während die Männer den Großteil des Tages am Schreibtisch oder an der Werkbank schuften. Doch die Entscheidung, dass häufig ein Elternteil – meistens Frauen – seine Arbeitszeit reduziert, ist nicht immer eine freiwillige. Unser Sozialstaat ist quasi darauf ausgerichtet, dass ein Elternteil kürzertritt, wenn die Kinder klein sind. Die vorhandenen Möglichkeiten der KiTa-Betreuung lassen sich kaum damit vereinbaren, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten (die Betreuungsquote für Unter-3-Jährige liegt in Westdeutschland bei etwa 30 Prozent, in Ostdeutschland immerhin bei über 50 Prozent). Nur wer Großeltern in der Nähe oder eine Nanny angestellt hat, kann Vollzeit arbeiten gehen. Für Alleinerziehende verschärft die unzureichende staatliche Betreuungssituation die soziale Lage. So überrascht es nicht, dass mehr als jede dritte Alleinerziehende von Armut bedroht ist oder bereits in Armut lebt.

Es wird also an allen Ecken und Enden offensichtlich, dass die Zeit, die wir arbeiten müssen, um von unserem Lohn leben zu können oder um im Job weiterzukommen, in einem krassen Missverhältnis dazu steht, wie viel Zeit wir brauchen, um uns um unsere Kinder, unsere Partner*innen oder Freund*innen zu kümmern. Hinzu kommt ja noch, dass wir nicht nur für die Lohnarbeit und die Familie leben, sondern im besten Fall noch mindestens ein Hobby haben, für das wir eigentlich schon längst mehr Zeit haben wollten. Damit wir im besten Fall die Entscheidungen, die uns politisch betreffen, mitbestimmen können – und das nicht nur alle paar Jahre auf dem Wahlzettel –, brauchen wir oben drauf Zeit, um uns politisch einzumischen. Es hat seinen Grund, warum in der LINKEN entweder sehr junge Menschen oder eher ältere Menschen zu den aktiven Kernen der Parteiarbeit gehören. Wer im Alter zwischen 30 und 60 dennoch aktiv ist, ist häufig hauptamtlich bei oder um die LINKE beschäftigt. Es ist genau die Zeit, in der Job und Familie viel Zeit von uns abverlangen.

Wenn wir also – wie die LINKEN-Vorsitzende Katja Kipping vor kurzem vorgeschlagen hat – die Arbeitszeit von durchschnittlich fünf auf vier Tage die Woche verkürzen würden, könnte das nicht nur zum Motor für mehr Geschlechtergerechtigkeit werden, sondern zu einem grundsätzlichen Emanzipationsmotor für alle Menschen. Es ist kein Wunder, dass der Kampf um Zeit seit jeher Teil der Kämpfe der Arbeiter*innenklasse für bessere Arbeitsbedingungen, und auch für ein besseres Leben insgesamt gewesen ist. Einer der ersten Generalstreiks der Arbeiterbewegungsgeschichte drehte sich ab dem 1. Mai 1886 in Chicago unter anderem um die Forderung nach einem 8-Stunden-Tag. Der 1. Mai ist bis heute der symbolische Kampftag der Arbeiter*innenklasse. Doch genauso alt wie die Kämpfe für mehr Zeit, sind auch die Kämpfe der Kapitalisten – oder wie es sozialpartnerschaftlich heißt „Arbeitgeber“ – gegen die Verkürzung der Lohnarbeitszeiten. Als der DGB 1955 unter dem Motto „Samstags gehört Vati mir“ seine Kampagne für die 5-Tage-Woche startete, äußerte der Generaldirektor der VW-Werke, Heinrich Nordhoff, Sorge darum, was die Arbeiter*innen wohl mit ihrer neu gewonnen Zeit anfangen würden, denn „die trostlose Flachheit, mit der die meisten ihre freie Zeit vertrödeln, würde noch stärker zu Tage treten“.

Worin Herr Nordhoff recht hat: Arbeitszeitverkürzungen wie die 4-Tage-Woche sind noch kein Garant für ein gutes Leben. Denn auch die Zeit jenseits der Lohnarbeit muss beispielsweise nicht automatisch dafür genutzt werden, sich politisch zu engagieren. Zumal nicht jede und jeder mit einer 4-Tage-Woche automatisch zum Sozialisten oder zur Sozialistin würde. Jede Firma, jeder Betreib bildet immerhin auch einen Sozialraum, in dem wir mit Kolleg*innen zusammenkommen und in dem wir uns gegen schlechte Arbeitsverhältnisse und für bessere Löhne organisieren können. Sind wir weniger dort, könnte es dazu führen, dass wir weniger bereit sind, für bessere Arbeitsbedingungen zu streiten.

Auch könnte eine kürzere Arbeitswoche im schlechtesten Fall sogar dazu führen, dass sich patriarchale Verhältnisse noch verstärken, denn Männer müssen die freigewordene Zeit nicht automatisch dazu nutzen, mehr Windeln zu wechseln oder häufiger staubzusaugen. Wenn sich am Ende nur noch Männer in den vielen ehrenamtlichen Vereinen engagieren, während sich Frauen weiterhin mehrheitlich um die Kinder sorgen, wäre für die Geschlechtergerechtigkeit wenig gewonnen. Mal ganz abgesehen davon, dass innerhalb einer 4-Tage-Woche auch weiter ausgebeutet wird, solange wir im Kapitalismus leben.

Die 4-Tage-Woche ist kein Allheilmittel und wir sollten sie auch nicht als solches diskutieren. Die 4-Tage-Woche ist die logische Folge aus der Produktivitätssteigerung durch Automatisierung und Digitalisierung einerseits und dem menschlichen Bedürfnis nach Tätigkeiten jenseits der Lohnarbeit und einem guten Leben andererseits. Genau deshalb ist sie eine der besten Ideen unserer Zeit.

Von Kerstin Wolter


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