Die Modebranche zerfasert an den Rändern

Die Pandemie treibt die ganze Modeindustrie in eine tiefe Krise und führt zu einer tiefgreifenden Infragestellung nicht nur der unglaublichen dabei entstehenden Verschwendung, sondern auch deren eigentlichen Rolle in der Gesellschaft.

Während die Auswirkungen der globalen Pandemie offensichtlich werden, verursachen die Einschränkungen des täglichen Lebens eine existenzielle Krise der Modeindustrie.

„Diese ist die größte Krise, mit der die moderne Industrie je konfrontiert wurde“, erklärte Imran Amed, Gründungsredakteur der Webseite BusinessofFashion.com.

„Wir werden im weiteren Verlauf des Jahres eine Welle von Insolvenzen und Pleiten sehen.“ Da Läden und Fabriken geschlossen sind, berichtete die BBC, dass anstatt der Erzeugung von weltweiten Einnahmen von 2,02 Billionen Pfund jährlich die Industrie im Monat März einen Absturz der Verkaufseinnahmen um 24 Prozent erfuhr.

„Mehr als 80 Prozent aller Geschäfte der Modeindustrie finden in physischen Läden statt“, sagte Amed. „Viele Konsumenten haben zurzeit einfach kein Interesse daran, Kleidung zu kaufen. Der Fokus liegt vielmehr darauf, lebensnotwendige Dinge zu kaufen, um während des Lockdowns zu überleben.“

Elle erwähnte lange Schlangen vor Zara und Louis Vuitton, als der Lockdown in Frankreich gelockert wurde, aber es ist unklar, ob die Modechefs erwarten können, dass ihre Gewinne wieder auf alte Niveaus zurückgehen werden. Obwohl Kleidung ein Grundbedürfnis der Menschen ist, beruht die Industrie auf dem Prinzip des eingebauten Verschleißes („inbuilt obsolescence“) bis hin zum Fetischismus.

Die Verkürzung der Saisons ist seit langem ein Problem und der daraus entstehende Druck war wahrscheinlich ein Faktor beim Selbstmord von Designern wie Alexander McQueen. Da die großen Kaufhäuser neue Kollektionen mit immer wachsender Geschwindigkeit vermarkten. Der Druck zur raschen Produktion und Verkauf treibt die Kosten in den Lieferketten nach unten.

Der in Berlin ansässige nichtprofitorientierte Verein „Sustain Your Style“ erklärt, dass Marken jetzt 52 Mikrosaisons pro Jahr herausbringen, was 80 Milliarden Kleidungsstücken entspricht. Jede Saison bleiben Tonnen von Kleidungsstücken unverkauft liegen und werden vernichtet.

Ungerechtigkeiten sind bei der Produktion im Ausland besonders akut. Wie Tansy Hoskins, Autorin von „Foot Work: What Your Shoes Are Doing to the World“, bei meinem Podcast „Future Heist“ diskutierte, haben Firmen die Verbindung zwischen Marke und Herstellung getrennt. Das neue ausgelagerte Modell ermöglicht die volle Ausbeutung des Globalen Südens.

Tansy erklärt: „Der andere Vorteil dabei, wenn man sich nach Bangladesch oder in die Philippinen … verlagert, heißt: Oh, schaut mal! Die ganzen ärgerlichen Umweltregulierungen sind weg. Diese ganzen Regulierungen, dass wir Gesundheitsversorgung, Mutterschaftsurlaub, Kindertagestätten oder einen existenzsichernden Lohn garantieren sollen … Was für eine schöne Spielwiese wir jetzt haben!“

Seit der Pandemie haben westliche Marken Aufträge bei Lieferanten storniert. Forbes schätzt, dass sich diese auf über 2,26 Milliarden Pfund belaufen und mindestens 1,2 Millionen Arbeiter*innen allein in Bangladesch betreffen – einem Land, das deren Exporte zu 80 Prozent auf die Bekleidungsindustrie zurückgehen. „Mehr als 70 Prozent der Hersteller sagten, sie seien nicht in der Lage, ihren Angestellten während des Shutdowns auch nur ein geringes Einkommen zu zahlen, und 80,4 Prozent erklärten, sie könnten keine Abfindungen zahlen, wenn Stornierungen von Aufträgen zu Entlassungen führten.“

Auch verursacht die Industrie Umweltverwüstungen. „Sustain Your Style“ schätzt, dass es 35 Kilogramm Textilienabfälle pro Person gibt und 400 Prozent mehr Kleidung hergestellt wird als noch vor 20 Jahren. Zwanzig Prozent der Wasserverschmutzung stammen aus der Textilindustrie und 190.000 Tonnen Mikroplastik landen im Meer.

Es ist kein Zufall, dass eine der Gründer*innen von Extinction Rebellion eine ehemalige Modedesignerin ist. Clare Farrell sagte mir: „Ich wollte mich nicht den Wünschen der Einzelhandelseliten fügen, an der Ausstoßung des postmodernen Schrotthaufens beteiligt zu sein. Alles zur Ware zu machen, zu verbilligen und zu benutzen …, um Profite zu generieren, gewöhnlich für rücksichtslose ekelerregende Männer … an der Spitze dieser Ketten.“

Nachhaltige Mode ist jetzt ein boomendes Geschäft. Nicht nur Einkaufen ist jetzt ausgesetzt, sondern auch internationale Reisen und soziale Kontakte, wesentliche Teile der Modemaschine für Fotoshooting und Modenschauen. Das hat die Industrie zur Neubewertung gezwungen.

Dame Anna Wintour, Redakteurin von American Vogue, erzählte vor kurzem Naomi Campbell: „Ich glaube, es gibt uns die Möglichkeit, unsere Industrie anzuschauen und unser Leben zu betrachten und unsere Werte neuzudenken, und wirklich über die Verschwendung und die Menge an Geld und den Konsum und die Exzesse, die wir uns alle gegönnt haben, und wirklich darüber nachzudenken, wofür diese Industrie eigentlich stehen will.“

Das ist eine unglaubliche Aussage von einer Titanin der Modebranche. Trotzdem behaupten viele, dass sie ein Interesse an Nachhaltigkeit hätten – aber nur wenn sie die Gewinnerzielung effizienter macht und ihren Ruf fördert. „Sustain Your Style“ hat einen ganzen Bereich über „Positives Einkaufen“. Es reicht aber nicht aus, am Geschäftsplan dieses gutbetuchten Monsters zu tüfteln.

„Schnelle Mode“ bietet Kund*innen Kleidung für Schnäppchenpreise. Ethisch hergestellte Kleidung ist extrem teuer. Die Pandemie hat alte Diskussionen zur Überbevölkerung wieder hervorgebracht, doch die wirkliche Krise der Menschheit liegt in der Verteilung von Ressourcen.

Kleidung soll für die Befriedigung der Bedürfnisse und für den Ausdruck der Individualität geschaffen werden. Die Pandemie hat einen Blick auf ein anderes System ermöglicht.

Im Jahre 2018 löste Burberry Empörung aus, weil die Firma unverkaufte Sachen verbrannte, was in der Branche eine weitverbreitete Vorgehensweise ist. Seit März stellt die Fabrik der Firma in Yorkshire medizinische Kittel und Masken her.

Die unabhängige Designerin hat die Luxuslinie Chouchou eingestellt, um nichtmedizinische Masken herzustellen, die für Schutz und Stil konzipiert wurden. Diese Bestrebungen zeigen eher den Anfang davon, was die Mode in einer neuen Gesellschaft sein könnte, als ihre Grenzen.

Dieser Artikel von Rena Niamh Smith erschien zuerst im Socialist Review und wurde von Einde O’Callaghan für Die Freiheitsliebe übersetzt.


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