Im April/Mai 2019 wird in vielen griechischen Dörfern an die Massaker der deutschen Wehrmacht vor 75 Jahren gedacht, bei denen Tausende von Kindern, Alten, Frauen und Männer getötet wurden.
Als ehemalige Vorsitzende der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag und Freundin der Griechischen Gemeinde in Stuttgart fahre ich am 9.5. mit einer Delegation in die Region Volos, wo wir in einigen Märtyrerdörfern an Gedenkfeiern mitwirken.
Viele Deutsche wissen wenig oder nichts über die deutschen Kriegsverbrechen und den Greueltaten an der Zivilbevölkerung in Griechenland, auch wenn in den letzten Jahren etliche Berichte über die Naziverbrechen veröffentlicht worden, aber in Zeiten der schnelllebigen Informationsvermittlung durch die sog. „sozialen Medien“ gehen solche Informationen auch schnell unter. Auch wollen viele Deutsche nicht gern an ihre schreckliche Geschichte erinnert werden und sich damit befassen. Das dürfen wir nicht zulassen, und auch darum sind solche Gedenkveranstaltungen äußerst wichtig.
Erst 2015, also vor vier Jahren, hat das griechische Verteidigungsministerium die Ergebnisse einer Forschungsarbeit veröffentlicht, die sich mit der Zeit der Nazi-Besatzung zwischen 1941 und 1944 beschäftigt – und die sich auf bislang als geheim eingestufte Dokumente aus Archiven der USA stützt. Das Ergebnis ist ein detaillierter Einblick in das Griechenland zur Besatzungszeit: von der Zahl der zu erschießenden griechischen Geiseln bis zur Empfehlung, welches Bordell in Griechenland zu benutzen sei.
Es sei eine „endlose Liste“ von Tötungen, Plünderungen, Zerstörungen von Dörfern, sagt die Historikerin Efi Paschalidou von der Geschichtsabteilung der griechischen Armee (DIS). Zu den Dokumenten gehören private Tagebücher ebenso wie Berichte der Kommandeure vor Ort an das Oberkommando der Wehrmacht.
Sogenannte Vergeltungsaktionen mit Hunderten Toten werden darin beschönigend als „Sühnemaßnahmen“ für Partisanenangriffe bezeichnet. Zehntausende Zivilisten wurden als „Sühnemassnahmen“ für Anschläge der Partisanen erschossen, erhängt oder verbrannt.
Ganze „Märtyrerdörfer“ wurden niedergebrannt, Frauen und Kinder ermordet. In ausführlichen Listen ist erfasst, wie viele Tonnen Vieh, Getreide, Olivenöl, Fahrzeuge und sogar Wollteppiche beschlagnahmt wurden – zu einer Zeit, als in Griechenland viele Menschen den Hungertod starben. Die Wehrmachtssoldaten in Epirus im Nordwesten des Landes wurden aufgefordert, „keine Gnade“ walten zu lassen. Es dürfe „keine Schwäche“ geben, „auch nicht gegenüber Familien“, hieß es. Verdächtige müssten „auf der Stelle erschossen“ werden, andernfalls könne es „deutsches Blut kosten“.
Wertvoll sind die Informationen, „weil sie nicht von einem griechischen Großvater stammen, sondern von den Hitler-Streitkräften selbst“. Die USA haben Griechenland diese Dokumente zwischen 2005 und 2007 in Form von 162 Mikrofilmen übergeben.
In den letzten Jahrzehnten gab es vonseiten Griechenlands immer wieder die Forderung nach Reparationsleistungen und nach Rückzahlung des Zwangskredits, die die Nazis damals den Griechen aufgezwungen hatten. Das heißt, Griechenland musste Deutschland für die Besatzung auch noch einen hohen Betrag bezahlen, der aber nie ganz zurückgezahlt wurde. Dass das Nazi-Regime selbst mit der Rückzahlung begonnen hat- zweieinhalb Raten wurden zurückgezahlt – ist wenig bekannt. Das heißt, mit der Rückzahlung haben selbst die Nazis anerkannt, dass es sich um einen Kredit handelte. Und für mich ist es logisch und selbstverständlich, dass Deutschland diesen Kredit zurückzahlen muss.
Im März 2015 verabschiedete das griechische Parlament eine Resolution, in der Deutschland zur Zahlung seiner Besatzungsschulden und zur Entschädigung der Jüdischen Gemeinde Thessaloniki aufgefordert wurde.
Kurze Zeit später teilte der griechische Rechnungshof einem Parlamentsausschuss die Ergebnisse eines Gutachtens mit, das er zur Frage der offenen deutschen Kriegsentschädigungen erarbeitet hatte. Laut diesem Gutachten belaufen sich diese Schulden auf 278,7 Milliarden Euro, die als Entschädigung für die Nazigräuel von Deutschland verlangt werden. Die Initiative versandete allerdings in den folgenden Monaten aufgrund der Kapitulation der griechischen Regierung vor dem 3. Troika Diktat vom Juli 2015.
Im Februar 2018 kündigte Parlamentspräsident Nikos Votsis eine neue Initiative an. Als der deutsche Bundespräsident Steinmeier im Oktober 2018 Athen besuchte, erinnerte ihn die griechische Regierung an die deutschen Kriegsschulden. Steinmeier entschuldigte sich zwar für die Naziverbrechen, lehnte aber Reparationszahlungen weiter ab, u.a. mit dem Hinweis auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag, mit dem die Wiedervereinigung besiegelt worden ist. –
Am 17.4.2019 hat das griechische Parlament beschlossen, offiziell von Deutschland Reparationszahlungen für die Kriegsschäden und -verbrechen im Zweiten Weltkrieg einzufordern. Es geht einer griechischen Expertenkommission zufolge um bis zu 290 Milliarden Euro. Mit großer Mehrheit stimmte das Plenum für eine Vorlage des Parlamentspräsidenten Nikos Voutsis, mit der die griechische Regierung aufgefordert wird, alle notwendigen diplomatischen und rechtlichen Schritte einzuleiten.
Zunächst soll es sich dabei um eine sogenannte Verbalnote handeln, üblicherweise die schriftliche Nachricht eines Staates an das deutsche Außenministerium. Regierungschef Alexis Tsipras sagte in seiner Rede vor dem Parlament:“ Die Forderung von Reparationszahlungen ist für uns eine historische und moralische Pflicht.“
Er habe das Thema nicht mit der schweren Finanzkrise der vergangenen Jahre und den Schulden des Landes verbinden wollen, erklärte Tsipras den Zeitpunkt. Jetzt aber, nach dem Ende der internationalen Hilfsprogramme, sei der richtige Zeitpunkt gekommen. „Wir haben jetzt die Chance, dieses Kapitel für beide Völker abzuschließen.“ Wichtig sei es ihm, mit Deutschland auf Augenhöhe und freundschaftlich zusammenzukommen.
Auf die weitere Entwicklung kann man gespannt sein.
Sicher ist jedenfalls, dass Griechenland nie auf seine Entschädigungsforderungen verzichtet hat. Vor allem nicht in dem Abkommen von 1960, welches ausdrücklich nur für die Entschädigung für die „rassisch und politisch Verfolgten“ galt. Nur einzelne Opfer der Massaker erhielten aus dieser Summe eine Entschädigung. Insgesamt hat die Bonner Regierung 1960 griechische Opfer der NS-Verfolgung mit 115 Millionen Mark entschädigt
Der „Zwei plus vier Vertrag“ erhielt übrigens nur diesen Namen, um das Wort „Friedensvertrag“ zu vermeiden, der nach dem Londoner Abkommen die alten Ansprüche hätten wieder aufleben lassen können.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die jetzige katastrophale soziale und ökonomische Situation in Griechenland hinweisen, für die die deutsche Regierung weitgehend verantwortlich ist.
Deutschland ist einer der Hauptnutznießer der Schuldenkrise Griechenlands: Zwischen 2010 und 2017 wurden durch Zinsgewinne insgesamt 2,9 Milliarden Euro erwirtschaftet. Dies geht aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums in Berlin auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen hervor.
„Entgegen aller rechten Mythen hat Deutschland massiv von der Krise in Griechenland profitiert. Es kann nicht sein, dass die deutsche Regierung den deutschen Haushalt mit Milliardengewinnen aus griechischen Zinsen finanziert,“ so Sven-Christian Kindler, Sprecher der Grünen für Haushaltspolitik.
„Kein anderes europäisches Land musste in der Nachkriegszeit eine derart brutale Rosskur erdulden.“
Konkret: Zwischen Februar 2010 und Mai 2017 musste Hellas 14 mehr oder minder umfangreiche „Sparprogramme“ über sich ergehen lassen, in deren Folge die griechische Staatsverschuldung von rund 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2010 auf inzwischen rund 176 Prozent des BIP anstieg.
Dies ist somit ein in der europäischen Nachkriegsgeschichte beispielloses „Sparprogramm“, das nur deswegen in dieser Rücksichtslosigkeit durchgesetzt wurde, weil die deutschen Funktionsträger, die es maßgeblich durchsetzten, nicht direkt mit den Folgen konfrontiert wurden, die ja die griechische Bevölkerung trägt.
Verglichen mit dem Vorkrisenstand ist die Wirtschaftsleistung Griechenlands um ein Viertel geschrumpft, die verfügbaren Einkommen im Schnitt um ein Drittel eingebrochen.
Auf Druck des Europäischen Rettungsfonds ESM, an dessen Spitze ein Deutscher sitzt, und des ehemaligen deutschen Bundesfinanzministers und seinem Chefökonom, Architekt der griechischen Austeritätspolitik, wurde Griechenland ein gigantisches Privatisierungsprogramm aufgezwungen, von dem auch insbes. deutsche Konzerne enorm profitieren.
Es ist höchst beschämend, dass Deutschland sich schon wieder an Griechenland bereichert und sich gleichzeitig aus der Verantwortung für die Verbrechen aus der Besatzungszeit zu stehlen versucht.
So ist zu hoffen, dass sich die deutsche mit der griechischen Regierung an einen Tisch setzt und sich über die Modalitäten der Reparationszahlungen und die Rückzahlung des Zwangskredits einigt.
Fast 75 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs muss das doch möglich sein.
Ein Beitrag von Annette Groth, ehemals Mitglied des Deutschen Bundestag und Vorsitzende der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe.
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