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Deutsche Wohnen & Co enteignen: Mehr als eine Lösung für die Wohnungskrise

In der Nacht auf den 26. Februar sitzt eine Handvoll Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ (nachfolgend DWE) im Orgabüro in Kreuzberg. Die Gläser klirren, es wird angestoßen. Am nächsten Tag beginnt die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren. Insgesamt müssen 175.000 Unterschriften in vier Monaten gesammelt werden, damit die Berliner im September über die Vergesellschaftung großer Immobilienunternehmen entscheiden können.

Feierlich setzen die Aktivistinnen und Aktivisten die ersten Unterschriften auf die offiziellen Listen der Landeswahlleitung. Unter ihnen befinden sich auch zwei Menschen ohne deutschen Pass. Sie dürfen nicht unterschreiben. So will es das Abstimmungsgesetz des Landes Berlin. Obwohl sie seit Jahren in Berlin leben und arbeiten, bleibt ihnen und Tausenden anderen Bürgern der Weg demokratischer Mitbestimmung über die Lebensverhältnisse in ihrer Stadt verwehrt.

Dabei sind Menschen nicht-deutscher Abstammung überdurchschnittlich oft von der Wohnungskrise in Deutschland betroffen: Jeder dritte Wohnungssuchende mit Migrationshintergrund berichtete laut einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von rassistischer Diskriminierung. Oft reicht schon ein „ausländisch“ klingender Name, um gar nicht erst zur Besichtigung eingeladen zu werden; besonders Menschen mit arabischem und türkischem Namen haben es schwer. Die Deutsche Wohnen wurde zwar 2020 zu einer Entschädigungszahlung verurteilt. Sie hatte einen potenziellen Kandidaten abgelehnt, der sich daraufhin erneut mit deutschem Namen bewarb und zur Wohnungsbesichtigung eingeladen wurde. Ähnliche Praktiken scheint es auch bei landeseigenen Wohnungsgesellschaften zu geben. Solche Fälle, in denen Vermieterinnen und Vermieter zur Rechenschaft gezogen werden, bilden jedoch eine absolute Ausnahme.

Profite mit der Miete: die Vermarktung eines Menschenrechts

Dabei ist es selbst für „Biodeutsche“ mittlerweile schwierig, eine bezahlbare Wohnung in einer deutschen Großstadt zu bekommen. In den innenstädtischen Bereichen kann sich auch die gut verdienende Mittelschicht keine Wohnung mehr leisten, einkommensschwache Menschen werden an den Stadtrand gedrängt, ganze Stadtteile verändern ihr Gesicht, über Jahrzehnte gewachsene Strukturen werden zerstört. In der Hauptstadt ist die Lage besonders dramatisch. Innerhalb weniger Jahre sind die Mieten (85 Prozent der Berliner*innen leben zur Miete) explodiert, während die Einkommen kaum gestiegen sind. Zwangsräumungen sind (auch während der Pandemie) an der Tagesordnung, die Strategien zur Mietpreiserhöhung und Ent-Mietung der privaten Immobilienkonzerne sind vielfältig und trauriger Alltag geworden.

Die Ursache dieser Entwicklung ist auf die Finanzialisierung des Immobilienmarktes und der Entdeckung des „Betongolds“ im Zuge der Finanzkrise zurückzuführen. Private Eigentümer wie Deutsche Wohnen, Akelius oder Vonovia fühlen sich nicht den Mietern verpflichtet, sondern ihren Aktionären. Ihre Aufgabe ist nicht, leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, sondern die Profite und damit die Mieten hochzutreiben. Deutsche Wohnen und Co. spekulieren mit Wohnraum wie mit Aktien; ihre Listung im Deutschen Aktienindex zeigt, wie rentabel das Geschäft mit Wohnungen mittlerweile geworden ist. Allein aufgrund ihrer Marktmacht (Deutsche Wohnen besitzt 115.000 Wohnungen in Berlin) können diese Investoren den Mietspiegel zum Schaden der Mietenden nach oben drücken oder entsprechende regulierende Gesetzgebung beeinflussen. Für die Instandhaltung ihrer Häuser sorgen profitorientierte Unternehmen kaum, stattdessen werden unnötige Modernisierungen durchgeführt, deren Kosten auf die Mieter umgeschlagen werden.

Vergesellschaftung: gesetzeskonform und demokratisch 

Bislang sind alle Versuche der Politik, die Mietpreisexplosion zu regulieren und Mieter nachhaltig zu schützen, wirkungslos geblieben. Auch der begrüßenswerte Berliner Mietendeckel, der zahlreichen Mieterinnen und Mietern eine Atempause gewährt, wird nach fünf Jahren auslaufen, wenn er nicht vorher durch das Bundesverfassungsgericht gekippt wird. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ bietet dagegen eine demokratische, bezahlbare und gesetzeskonforme Lösung an, die nicht auf Regulierung zielt, sondern die Eigentumsverhältnisse ändern und Wohnungen aus der Profitmaximierung lösen will.

Alle Wohnungskonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin sollen enteignet und die Bestände (ca. 250.000) vergesellschaftet, das heißt, in öffentliches, demokratisch verwaltetes Eigentum überführt werden. Dafür sammelt die Initiative, die aus der stadtpolitischen Mieterbewegung entstanden ist, Unterschriften und kann sich dabei auf eine Reihe namhafter Organisationen wie Berliner Mieterverein, GEW Berlin und ver.di Berlin, aber auch DIDF und ISD Berlin verlassen. Die Linkspartei beteiligt sich aktiv in den lokalen Ortsgruppen von DWE. Getragen wird das Volksbegehren maßgeblich von mehreren hundert Sammlerinnen, Sammlern, engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die oft erstmalig in ihrem Leben politisch aktiv sind. DWE hat es damit geschafft, einen krassen gesellschaftlichen Konflikt sichtbar zu machen, der von der Politik nicht länger ignoriert werden kann. Mittlerweile haben sich alle Parteien zum Thema Enteignung geäußert beziehungsweise äußern müssen; auch die (bürgerliche) Presse, deren Klientel zum Teil selbst von der Wohnungsnot betroffen ist, muss Wege finden, sich zu DWE zu verhalten.

Grundlage der Kampagne ist der bislang der nie angewendete Artikel 15 des Grundgesetzes, der eine Vergesellschaftung von Grund und Boden unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklärt. Angriffe konservativer oder neoliberaler Kreise gegen DWE sind damit auch Attacken auf das Grundgesetz. Der Bezug auf Artikel 15 ist eins der Verdienste der Kampagne, denn in diesem Ausmaß wurde die Eigentumsfrage noch nie in den Mittelpunkt einer politischen Bewegung gerückt.

Gemeingut verteidigen

Nach dem Willen der DWE-Aktivistinen und Aktivisten soll also Wohnen – sowohl Neubau als auch Bestand – öffentlich geplant und verwaltet werden, ähnlich wie andere Bereiche der Daseinsvorsorge, sei es Gesundheitswesen oder Bildung. Die Initiative schlägt eine Anstalt öffentlichen Rechts vor, die gemeinnützig und ohne Profitorientierung strukturiert ist und in der alle Berliner, sowohl Mieter der Anstalt als auch Vertreter der Stadtgesellschaft, über die Verwaltung und Vergabe der Wohnungen mit entscheiden sollen. Neben einer leistbaren Miete entstehen so ganz neue Möglichkeiten für den Schutz des Kleingewerbes, den Erhalt von Räumen für Jugendzentren oder die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten. Die Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Verwaltung, transparente Vergaberichtlinien und andere Mechanismen können zudem sicherstellen, dass auch arabische und türkische Wohnungssuchende (um das Beispiel vom Anfang aufzugreifen) ihr Grundbedürfnis nach einem eigenen Dach über dem Kopf erfüllen können.

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Anna Tilfjells, aktiv in der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“

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Eine Antwort

  1. Warum kauft ihr nicht Aktien Anteile von Deutsche Wohnen und spendet die Dividenden an bedürftige Mieter der Deutsche Wohnen. Damit währe doch allen geholfen.

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