Der Brexit als Brandbeschleuniger im Nordirlandkonflikt

Der Konflikt in Nordirland scheint abgekühlt, aber verschwunden ist er nicht. Der Brexit reißt alte Gräben wieder auf, meint Janis Ehling.

In Nordirland tobte bis vor 20 Jahren noch ein Bürgerkrieg, dessen Folgen noch bis heute zu spüren sind. 2015 geriet die nordirische Regierung in eine tiefe politische Krise, weil ein ehemaliges Mitglied der IRA-Führungsspitze auf offener Straße erschossen wurde. Die Konflikte zwischen der irisch-katholischen und britisch-protestantischen Bevölkerung köcheln weiterhin, wie regelmäßige Krawalle zeigen. Noch immer gibt es bewaffnete Gruppen. Politische Konflikte könnten leicht eskalieren, denn der Bürgerkrieg ist längst nicht vergessen.

Konfliktentwicklung

Die Gründe für die aktuellen Konflikte reichen Jahrhunderte zurück. Die Engländer haben Irland gewaltsam unterworfen und den Iren ein politisches Mitbestimmungsrecht lange vorenthalten. Unvergessen ist auch, dass aufgrund der Untätigkeit der britischen Regierung 12 % der Bevölkerung bei der Hungerskatastrophe in der Mitte des 19. Jahrhunderts verhungerten – und ein weiteres Viertel auswanderte. Noch heute ist die Bevölkerung auf der irischen Insel niedriger als 1841. In Nordirland kommt verschärfend hinzu, dass die britischen Kolonisatorinnen und
Kolonisatoren eine protestantische Bevölkerung ansiedelten, deren Nachfahren die heutigen Unionisten sind. Nur wegen dieser protestantischen Bevölkerungsmehrheit im Nordosten der Insel wurde Nordirland nach dem irischen Unabhängigkeitskrieg 1921 Teil Großbritanniens.

Unterdrückung der katholischen Minderheit

Da Nordirland ein protestantischer Staat werden sollte, war die Region fortan politisch tief gespalten, denn neben der eher wohlhabenden protestantischen Mehrheit in vielen Städten gab es eine ärmere, überwiegend ländliche katholische Minderheit, die immer weiter wuchs und politisch und sozial massiv diskriminiert wurde.

Inspiriert von den vielen sozialen Kämpfen der 68er entstand in Nordirland eine Bewegung gegen die Benachteiligung der Iren. Obwohl die irischen Aktivistinnen und Aktivisten stets friedlich für ihre Rechte eintraten, gingen die britischen Loyalisten mit harter Gewalt gegen sie vor: gewalttätige Übergriffe, Anschläge und politische Morde waren an der Tagesordnung. Nach ersten Anschlägen der Ulster Volunteer Force (UVF) auf katholische Iren im Jahr 1966 gründete sich fünf Jahre später die Ulster Defence Association (UDA), welche zeitweise die Unterstützung der nordirischen Polizei genoss. Infolge dieser zahlreichen Angriffe auf die katholische Minderheit in Nordirland radikalisierte sich die Irish Republican Army (IR A), die sich für eine Wiedervereinigung Irlands einsetzte.

Befriedung des Konflikts

Nach jahrelangen gewaltvollen Kämpfen, in denen über 3.500 Menschen starben, fand eine friedliche politische Lösung des Konflikts immer mehr Unterstützung in der Bevölkerung. Auch Teile der IR A und der Unionisten setzten zunehmend auf Parteien und parlamentarische Wahlen statt Terror und Gewalt.

Zum ersten Mal schien eine Einigung zum Greifen nah und mit dem Karfreitagsabkommen vom 10. April 1998 fanden die Konfliktparteien und Großbritannien und Irland endlich eine Lösung. Wesentlicher Bestandteil des Abkommens war die Regelung zur inneririschen Grenze.

Die Öffnung der Grenze war vor allem für die irische Seite sowohl politisch als auch wirtschaftlich wichtig: Heute passieren täglich 30.000 Menschen die Grenze. Entsprechend stellt sich Sinn Féin gegen den Brexit, während die DUP für den Brexit wirbt. Die aus beiden Gruppen gebildete nordirische Regierung ist in dieser Frage tief gespalten. Die DUP ist mit ihren 10 Mandaten im Unterhaus zudem eine wichtige Mehrheitsbeschafferin für Theresa May, während Sinn Féin seine Mandate traditionell nicht antritt.

Wie weiter?

In den Verhandlungen zum Brexit wurden verschiedene Lösungen erwogen. Ein ungeregelter Brexit würde sehr wahrscheinlich Grenzkontrollen für Waren und Personen innerhalb Irlands nach sich ziehen, da eine neue EU-Außengrenze das Land teilen würde. Abgesehen davon, dass dies ein direkter Verstoß gegen das Karfreitagsabkommen wäre, würde es massive wirtschaftliche und politische Probleme vor allem für die verarmte irisch-katholische Bevölkerung mit sich bringen. Sinn Féin fordert deshalb im Falle eines Brexits ein Unabhängigkeitsreferendum wie es im Karfreitagsabkommen vorgesehen ist. Aber so oder so: Die immer noch bewaffneten (Splitter-) Gruppen der jeweiligen Seiten wähnen sich schon im Aufwind – erst im Januar kam es wieder zu einem Bombenanschlag. Der ohnehin fragile Friede in Nordirland ist seit den Brexit-Verhandlungen so gefährdet wie lange nicht mehr.

Der Artikel erschien in der neuen Ausgabe unseres Medienpartners Critica.


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