Das deutsche Wahlrecht mit seiner personalisierten Verhältniswahl ist bereits seit mehreren Wahlperioden in einer merkwürdigen Situation der Unfertigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2013 geurteilt, dass die vorherige Praxis zu einer unzulässigen Verzerrung führe, da für die Besetzung des Bundestags die Zweitstimmenergebnisse maßgeblich sein müssen. Dadurch, dass vor allem die Unionsparteien mehr Direktmandate gewannen, wich die Zusammensetzung des Bundestages jedoch von den Ergebnissen der Zweitstimme ab – laut dem Gericht klar verfassungswidrig.
Die Antwort darauf war die Einführung sogenannter Ausgleichsmandate. Diese rückten einerseits die Verhältnisse wieder gerade, andererseits führten sie aber dazu, dass der Bundestag immer stärker anwuchs (zuletzt auf 709 statt einer Regelgröße von 598 Sitzen) und die Prognosen für die Wahl 2021 lassen ein Parlament mit 800 bis 850 Abgeordneten erahnen.
In einer Wahlrechtskommission unter der Leitung von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, in der ich als Vertreter der LINKEN war, diskutierten wir über ein Jahr lang diverse Vorschläge. Letztlich gingen wir ohne Ergebnis auseinander, was vor allem an der absoluten Verweigerungshaltung der Union lag, einer Reform zuzustimmen, die nicht ihr selbst verhältnismäßig mehr nützt.
Da wir den klaren Auftrag aus der Bevölkerung wahrnahmen, eine Reduzierung der Bundestagsgröße zu erreichen, haben wir als Fraktion DIE LINKE uns gemeinsam mit Grünen und FDP auf einen gemeinsamen Vorschlag geeinigt, der erneut Schwung in die Diskussion bringen sollte. Um das Ziel der Verkleinerung nicht zu untergraben, verzichteten wir zähneknirschend auf Forderungen wie eine zwingend paritätische Besetzung der Wahllisten. Uns war es wichtig, mitzugestalten und nicht mit der Tradition des Bundestages zu brechen, dass eine Wahlrechtsreform von einer breiten Mehrheit getragen wird. Es sollte sich also um einen Kompromiss handeln, der allen Fraktionen gleichermaßen etwas abverlangt, aber zugleich von allen demokratischen Fraktionen unterstützt werden könnte. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass unser Vorschlag diese Kriterien absolut erfüllt und von CDU/CSU und SPD schlicht aus Opportunitätsgründen nicht ernsthaft diskutiert wurde. So behalten sie für eine weitere Wahlperiode hohe Abgeordnetenzahlen – und das sogar bei sinkenden Prozentzahlen am Wahlabend.
Denn man kann über den nun ausgehandelten Kompromiss der Koalition viel sagen, jedoch nicht, dass er geeignet sei, den Bundestag substanziell zu verkleinern. Die Zuteilung im Erstschrittverfahren aufzuheben, ist auch Teil unseres Vorschlages gewesen – jedoch in der Wirkung relativ überschaubar, wenn er nicht von weiteren Maßnahmen flankiert wird, die im Koalitions-Reförmchen fehlen. Der alleinige Begleiter ist der geplante Nicht-Ausgleich von drei Überhangmandaten – ein völlig unnachvollziehbares Geschenk der SPD an die Union und obendrein mit sehr großer Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig, da er klar das Stimmgewicht verzerrt. Und zu guter Letzt war das Verhalten von Union und SPD absolut schäbig, unser Gesprächsangebot ein ums andere Mal nicht anzunehmen und letztlich ohne Einbindung der Opposition kurz vor knapp etwas auf den Tisch zu knallen, das qualitativ auch noch völlig indiskutabel ist. So geht man nicht mit einer so zentralen demokratischen Norm wie dem Wahlrecht um.
Bald schon geht es dann in die nächste Runde einer Wahlrechtskommission, auch das ist Teil des Kompromisses der Koalition. Diese soll zwar noch in dieser Legislaturperiode die Arbeit aufnehmen, Ergebnisse aber erst nach der nächsten Wahl liefern. In dieser werde ich erneut unsere Forderungen nach Parität, Wahlrecht für Menschen mit Migrationshintergrund und Herabsetzung des Wahlalters vorbringen. Und möglicherweise gibt es bis dahin ja andere Mehrheiten und wir schaffen es, ein modernes Wahlrecht zu erarbeiten, das die Konservativen nicht schon strukturell bevorteilt. Das ungeschriebene Gesetz, für Wahlrechtsreformen breite Mehrheiten zu suchen, scheint von Union und SPD ja nun aufgekündigt zu sein.
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