Die zweite Frauenbewegung beschäftigte sich intensiv mit dem Zusammenhang von Technologie und Geschlecht. Heutige Debatten über Internet und Plattformen könnten von dieser Sichtweise profitieren.
Wenn ich meine Social Media öffne, ist meine Timeline gefüllt mit feministischen oder queeren Inhalten. Auf Instagram sehe ich Memes, in denen Typen von Mackern aufgezählt werden, auf Twitter scrolle ich durch Clips der letzten Demonstration im Iran, auf TikTok erklärt mir eine Person Endometriose. Wie für die meisten Menschen ist das Smartphone mein fester Alltagsbegleiter. Technikpessimist*innen meinen, wir wären mit unseren Endgeräten verwachsen, zu einer schwer trennbaren Einheit aus Mensch und Maschine geworden – einem Cyborg.
Für Cyberfeminist*innen war der Cyborg eine Utopie. Während des Aufkommens des Internets haben Feminist*innen von einer neuen Welt geträumt. Donna Haraway, die Autorin des Cyborg-Manifests (1983), beschreibt, dass wir uns und unsere Geschichte immer mehr im Zusammenhang mit Maschinen und Technologie verstehen. Für sie ist der Cyborg ein Wesen in einer geschlechtslosen Welt, in der wir durch die Verschmelzung von Körpern und Technologie unsere Geschlechterzuschreibungen und deren Binarität überwinden können. Mit ihrem Manifest hat Haraway die Grundlage für den Cyberfeminismus und die Frage nach der Interaktion von Geschlecht und Technologie gelegt.
Vom Cyberfeminismus zum Netzfeminismus
Vor allem künstlerische Gruppen wie das Kollektiv VNS Matrix griffen den Cyberfeminismus auf. Aktuell wird dieser meist als Netzfeminismus bezeichnet. Hier wird das Internet weniger als Studienobjekt und eher als Werkzeug für verschiedene Formen von Aktivismus gesehen. Dieser gestaltet sich etwa als politische Kunst, wie Meme-Seiten, die ein Gefühl des gemeinsamen Kampfes gegen das Patriarchat erzeugen. Besonders Instagram und TikTok werden für niedrigschwellige Aufklärungsarbeit genutzt, bei der grundlegende Konzepte wie Intersektionalität erklärt werden.
Social Media wird auch als Informationskanal genutzt. Insbesondere bei der Iranischen Revolution lässt sich kaum von der Hand weisen, dass hier ein wichtiger Beitrag für die Wahrnehmung der Proteste geleistet wurde. Die #MeToo-Initiative stellte einen Meilenstein in der Diskussion um sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz dar. Zum ersten Mal wurde durch das Austauschen gemeinsamer Erfahrungen konzentriert über sexualisierte Gewalt im Alltag gesprochen.
Deutlich wird: Das Internet ist ein hochpolitischer, (queer-)feministischer Raum, wird jedoch selten so behandelt. Wie patriarchale Strukturen technische Entwicklungen beeinflussen und in sie hineinentwickelt werden, zeigen Technologien zur Beeinflussung von Schwangerschaften und Verhütung. Diese wurden bereits in der zweiten Welle des Feminismus intensiv auf ihre ethischen Auswirkungen hin untersucht.
Unterdrückung wird in die Technik eingebaut
Radikalfeministische Gruppen sahen die neuen technologischen Entwicklungen als Eingriff in die Geburt als urweibliche Erfahrung. Liberale Feminist*innen betonten, dass es nur Zugang und Wissen bedürfe, um den Gefahren dieser Entwicklungen zu begegnen. Die feministische Soziologin Judy Wajcman stellte fest, dass gesellschaftliche Systeme wie das Patriarchat oder der Kapitalismus in die Technik hineinkonstruiert werden, weshalb allein der Zugang unseren Umgang mit dieser nicht regeln kann.
Beispielsweise wird Forschung an künstlichen Befruchtungen, Eispenden und Leihmutterschaften finanziell gefördert, weil so eigene Kinder gezeugt werden. Dadurch wird das bestehende Modell der monogamen, heterosexuellen Kleinfamilie gefördert und andere Familienmodelle benachteiligt. Die fehlende Gebärfähigkeit heterosexueller Cis-Frauen wird von einem unveränderlichen Zustand zu einem behandelbaren medizinischen Problem, für den sich die betroffene Person rechtfertigen muss, wenn sie ihn nicht behandeln lässt. Diese Ermöglichung erzeugt einen impliziten Zwang für Frauen, wenn diese ihre fehlende Gebärfähigkeit eigentlich nicht behandeln lassen würden.
Hier wird deutlich, dass ohne feministische Interventionen in die Entwicklung und Anwendung der Technik, analoge Unterdrückungsstrukturen in den digitalen und technischen Raum reproduziert werden. Heute fehlt die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Internet und seinen Plattformen als Technologie. Das zeigt sich bei der Gesetzgebung: Die Perspektiven der Personengruppen, die vor allem von den negativen Effekten des Internets betroffen sind, werden nicht beachtet. Meistens sind das Frauen, queere Menschen und People of Color. Die schleppende Regulation kann darauf zurückgeführt werden, dass es sich um marginalisierte Personen handelt.
Wir waren also schon einmal weiter – es wird Zeit, das Internet als politischen Raum anzuerkennen und auch so zu behandeln.
Mara Luise ist 25, studiert in Leipzig Museumswissenschaften und ist seit 2019 im SDS aktiv. Für die Critica schreibt sie vor allem über Kultur, Feminismus und queere Themen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der critica Nr. 30. Du erhältst sie beim SDS in deiner Stadt oder kannst sie hier online lesen.