Am Samstag den 4. August erfolgte die konzertierte Bekanntmachung einer sich links verstehenden Sammlungsinitiative „Aufstehen“, die ein Monat später starten soll. Inzwischen hat sich ein Medien-Hype entwickelt. Es geht um den orchestrierten medienpolitischen Dreiklang aus einem Interview von Sahra Wagenknecht im Spiegel, der ebenfalls dort veröffentlichten Stellungnahme dreier Bundestagsabgeordneter aus SPD (Marco Bülow), Grünen (Antje Vollmer) und Linkspartei (Sevim Dagdelen) und weiteren pointierenden Ausführungen von Wolfgang Streeck.
Hier stehen vor allem die ersten Verlautbarungen zur Diskussion, bevor auf einige aktuelle Widersprüche in der linken Sammlungsbewegung eingegangen wird, die ihre aktivierenden Zielsetzungen beschränken dürften, sofern nicht eine grundlegende Revision einiger Äußerungen erfolgt.
Spiegel-Interview mit Sahra Wagenknecht
Das Spiegel-Interview zum „Linken Zeitgeist“ (Nr. 32, Seite 25), mit der Fraktionschefin der Linkspartei, altmodisch schön in aristokratischer Manier ins Bild gesetzt, steht unter der Losung „über den Niedergang der SPD und eine neue soziale Machtoption“. Diese soll durch eine Sammlungsbewegung eröffnet werden, deren Druck eine Veränderung der Parteien, insbesondere der SPD in Richtung einer „Erneuerung des Sozialstaats“ und einer „friedlichen Außenpolitik“ bewirken soll. Hiermit will frau den „neoliberalen Mainstream“ überwinden, mit dem der Unmut über eine Flüchtlingspolitik zulasten der Ärmeren mit sich weiter verschärfender Wohnungsnot, der Überforderung von Schulen und verstärkter Konkurrenz im Niedriglohnsektor verbunden ist.
Statt offener Grenzen für alle gelte es, die Lebenschancen in den ärmeren Ländern durch Verzicht auf Waffenexporte und faire Handelsabkommen so zu erweitern, dass die Fluchtanreize für die nach Europa geholten Mittelschichten versiegen. Entsprechend sollen hierzulande die Ausbildungsbedingungen und Integrationsmaßnahmen verbessert werden. Gegenüber dem Leidensdruck durch eine konzerngesteuerte Globalisierung wünsche die Mehrheit wieder ein Sprachrohr für sozialen Ausgleich, höheren Mindestlohn, armutsfeste Renten, eine Vermögenssteuer für Superreiche und einen Verzicht auf weitere Aufrüstung zu bekommen. Wünscht die angesprochene „Mehrheit“ sich das alles wirklich?
Es stellt sich die Frage, ob es sich nicht um mehr oder weniger geteilte Zielsetzungen der linken Kräfte in der Gesellschaft, im Besonderen der Linkspartei, handelt? Und fordert die Linke nicht seit Jahr und Tag auch die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in der südlichen Hälfte der Welt, gleichwertige Handelsbeziehungen, vor allem aber den Verzicht auf militärische Interventionen wie derzeit im Nahen Osten? Im Zuge der Zerstörung des Irak, Libyens und Syriens, allesamt mit ausländischer Einmischung bis hin zu den Großmächten sind viele Millionen Menschen auf der Flucht: ganz überwiegend in den eigenen und benachbarten Ländern. Nur ein kleinerer Teil schafft es, allerdings mit hohem Risiko, nach Europa, bevorzugt nach Schweden und Deutschland zu kommen.
Angesichts der humanitären Katastrophen helfen die seit Jahrzehnten immer wieder verabschiedeten Stellungnahmen, Resolutionen und Aufrufe allein nicht weiter. Es muss über diese hinaus konkret und häufig sofort gehandelt werden, selbst wenn es längerfristig zweifellos erstrebenswert ist, den „brain drain“ nach Europa im Interesse der Heimatländer durch entsprechend verbesserte Entwicklungsbedingungen einzudämmen. Für die Lösung akuter Problemlagen schulden Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und die Unterstützer der von ihnen propagierten Bewegung jedoch bisher eine Antwort. Dies gilt nach wie vor für die Schar der Kritiker an der Entscheidung der Bundesregierung, die Grenzen für etwa eine Million Flüchtlinge im Herbst 2015 zu öffnen.
Flankierende Unterstützung
Der Sozialdemokrat Marco Bülow, die Linke Sevim Dagdelen und die Grüne Antje Vollmer sprechen sich in der gleichen Ausgabe des Spiegel ebenfalls für eine neue, toleranzfähige und respektvolle Bewegung aus, um die zersplitterte Linke aus ihren „Wagenburgen“, ideologischen Grabenkämpfen und chronischen Spaltungstendenzen wieder „in die Offensive“ zu bringen. Es handle sich nicht um die Totgeburt einer „Zwei-Personen-Inszenierung“, sondern um eine notwendige und sinnvolle Initiative zu einem Zeitpunkt mit wachsenden Bedürfnissen nach Veränderung. Das habe zuvor schon die aufflackernde Hoffnung auf eine Korrektur der Agenda-Politik durch Martin Schulz signalisiert.
Dieses Momentum gelte es gegenüber den rechtsradikalen Bewegungen in Europa und einer neoliberalen Macron/Merkel-Formation für ein alternatives Politikmodell zu ergreifen: innenpolitisch für mehr öffentliche Daseinsvorsorge mit einer stärkeren Gemeinwohlorientierung der Instrumente und Institutionen eines Staates, der außenpolitisch zur Friedens- und Entspannungspolitik in einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur zurückkehrt. Eine solidarische Linke müsse den Hauptursachen der weltweiten Massenmigration den Kampf ansagen: der laufenden Ausplünderungspolitik durch die reichen Industrienationen, den Stellvertreterkriegen der US-geleiteten Militärbündnisse und den Klimaveränderungen in der Sorge um die Existenz des Planeten und den Lebenschancen zukünftiger Generationen.
Wer wollte dem nicht zustimmen? Über die Impulse einzelner Akteure, exemplarisch Papst Franziskus, tut eine starke internationale Bewegung mit nationalen Verankerungen bitter not. Sind derartige transnationale Aktivitäten in ihren friedens-, migrations-, umwelt-, sozial- und wirtschaftspolitischen Ausprägungen, teilweise unter dem Dach der Vereinten Nationen, nicht längst im Kern vorhanden? Und warum werden diese zivilgesellschaftlichen Manifestationen in der Stellungnahme der drei Abgeordneten ausgeblendet? Liegt es etwa daran, dass sie, auf die staatliche Sphäre fixiert, nicht mehr zureichend erkennen, dass diese nicht die Veränderungsimpulse setzt, so unverzichtbar sie im Prozess ihrer Umsetzung bleibt?
So wünschenswert eine linke Bewegung als Ferment für erfolgversprechende Gärungsprozesse in den etablierten Parteien wie im gesamten politischen System sein mag, so wenig erfolgversprechend erscheint ihre gegenwärtige, medial verstärkte Kopflastigkeit ohne Verankerung und Bezügen zu den realen widerständigen gesellschaftlichen Akteuren zu sein. Die widersprüchlichen, ja fatalen Konstitutionsbedingungen der aktuellen Initiative vernachlässigt auch Peter Brandts beredtes Plädoyer für eine Sammlungsbewegung links der Mitte.[1] Denn kaum jemand dürfte die angesprochenen Zielsetzungen ablehnen, die zur DNA der Linken vornehmlich aus ihren älteren Jahrgängen gehören – einschließlich zahlreicher Intellektueller aus den studentischen und außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen um die 1968er – davor und danach, insbesondere der Friedens-, Antiatomkraft- und Frauenbewegung.
Wolfgang Streecks zwiespältige Rückendeckung
Ehemaliger Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, war Wolfgang Streeck sozialwissenschaftlicher Ratgeber der rot-grünen Koalitionsregierung. Diese hatte sich im Zuge eines weithin ideologisierten Standortwettbewerbs die noch weiter auszubauende deutsche Exportdominanz auf ihre Fahnen geschrieben und dabei die sozial-ökonomischen Spaltungsprozesse innen- und außenpolitisch als Kollateralschaden hingenommen. War hieran Streeck in „Schröders Denkfabrik“ (Spiegel 19/1999) nicht beteiligt, als er im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit“ in der Benchmarking-Gruppe für die Einrichtung eines Niedriglohnsektors vorzugsweise im Dienstleistungsbereich nach angelsächsischem Vorbild plädierte? [2]
An dieser „arbeitsmarktpolitischen Innovation“ sollte sich auch die Agenda 2010 orientieren – mit ihren späteren sozial- und parteipolitischen Folgen, verstärkten gesellschaftlichen Spaltungstendenzen und drastischen Mitgliederverlusten der SPD. Mittlerweile konstatiert Streeck, kapital- und europakritisch geläutert[3], das unaufhaltsame Schrumpfen der Scholz-Nahles-SPD, letztlich infolge der Agenda-2010-Politik, sinkender Realeinkommen bei ca. 40% der Bevölkerung und beschleunigter Vermögenskonzentration. Zugleich denunziert er einen jedoch nicht näher ausgewiesenen „sektiererischen Flügel“ der Linkspartei, der einen Moralisierungsdruck auf ihre disziplinierte Basis ausübe. Der ansonsten scharfsinnige, hier eher scharfzüngige Sozialwissenschaftler in neuer Rolle als ideologischer Partisan der Sammlungsbewegung, den innerparteilichen, wenn auch faktisch wieder aufgekündigten „Burgfrieden“, von außen unterlaufend?
Seine kritischen Einlassungen entzünden sich an dem geheiligten Mantra der Koalitionsregierung: Schuldenbremse und regressive Steuerpolitik. Angesichts der hierdurch zementierten politischen Blockade schlägt er vor: einen durch Kredite zu finanzierenden Infrastrukturfonds für allfällige Sanierungsmaßnahmen und vornehmlich digitale Zukunftsinvestitionen, eine höhere Staatsverschuldung und den Abbau der anwachsenden Leistungsbilanzüberschüsse sowie eine Veränderung des geld- und fiskalpolitischen Regimes in Europa mit mehr souveräner Flexibilität einzelner Länder. Hiermit knüpft er de facto an einem weitverbreiteten, wie differenziert auch immer, geführten Diskussionsstand über die Parteigrenzen der Linken hinaus an. Das schließt ebenfalls weitgehend geteilte Maßnahmen einschließlich gewerkschaftlicher Forderungen zum Abbau der Sozialhilfeabhängigkeit ein: höhere Mindestlöhne, allgemein verbindliche Tarifverträge und vermehrte Bildung etwa für die prekären Niedriglohn-Paketboten sowie Abbau des regionalen Wohlstandsgefälles zwischen West und Ost und der allgemeineren Tendenz zu wachsenden regionalen Disparitäten, einer „politisch verheerenden Gesellschaftsspaltung zwischen cosmopolitans und locals“.[4] Hierfür stehen nach ihm Brexit, Trump und das Wachstum der AfD.
Letztere Entwicklung wird weitergehen, so prognostiziert er mit ironischem Unterton, solange „unsere Staatsparteien“, die „Willkommensparteien“ an anderer Stelle, die soziale Misere durch „moralische Belehrung“ der Wähler bekämpfen und die Koalitionsparteien die „geopolitischen Narreteien der orientierungslos gewordenen absteigenden Supermacht nibelungentreu“ weiterhin mitmachen: „in Syrien durch migrationspolitische Absicherung des Hinausziehens eines Krieges, den man nicht gewinnen kann und deshalb nicht enden lassen will“. Hier paart sich seine berechtigte Kritik an einer Hörigkeit gegenüber den USA, die aber ergriffene politische Spielräume der praktizierten Abgrenzung in der Koalition nicht wahrnehmen will, mit einem menschenfeindlichen Zynismus. Dies in einer aktuellen Phase schreiender Menschenrechtsverletzungen mit einer tagtäglichen Außerkraftsetzung des Völkerrechts! Ohne selbst konkrete Alternativen in akuten Notsituationen anzubieten, stellt Streeck mit seiner beiläufigen Sentenz einer „migrationspolitischen Absicherung“ des Krieges unausgesprochen auch die Hilfe leistenden und unterstützenden Organisationen an den Pranger – ein großes Pfund zivilgesellschaftlicher Akteure, mit dem die zentralen Propagandisten der linken Sammlungsbewegung Lafontaine und Wagenknecht partout nicht wuchern wollen.
Insoweit sich Streeck für eine politisch nachhaltige Einwanderungspolitik im Sinne einer pragmatischen Gerechtigkeitspolitik ausspricht, sind seine Fragestellungen nach Prioritäten und sozialem Ausgleich, Lohnwirkungen und Punktesystemen, alles im Einklang mit deutschen, europäischen und internationalen Normen durchaus diskussionswürdig. Dies gilt auch für seine Kritik an einer verarmten außenpolitischen Diskussion, hier etwa über das Schweigen zu Russlands und Europas wechselseitiger Rolle im sich abzeichnenden globalen Machtkampf zwischen den USA und China. Angesichts solcher Schicksalsfragen verengt sich nach ihm der Horizont auf die europäische Frage und leistet dadurch einer Tatsachen- und Problemblindheit Vorschub. Diese führt er auf die „Merkel’sche PR-Maschine“ zurück, selbst in der alternativlosen Falle seiner Merkelphobie gefangen. Sie kam bereits in seinem Beitrag zum vorweggenommenen Sturz Merkels in der FAZ recht deutlich zum Ausdruck.[5]
Wolfgang Streeck hatte die breite Palette zivilgesellschaftlicher Widerstände in den so von ihm etikettierten „landesweiten Immunisierungskampagnen“ gegen die AfD verortet. Unter dem instrumentellen Blickwinkel eines regierungsamtlichen „Kampfes gegen rechts“ verstand er die Ausgrenzung der AfD aus dem demokratischen Verfassungsspektrum auch als politische Disziplinierung der breiten Mitte, die sich nun im „weiteren Umkreis eines offiziellen Antifaschismus“ engagierte. Entsprechend fallen bei ihm die jährlich über tausend Anschläge seit 2015 auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte unter den Tisch; ebenso die bereits in den 1990er Jahren verübten rassistischen Gewalttaten und die „ausländerfreien Zonen“ in Teilen Ostdeutschlands oder gar der mörderische NSU-Komplex, auch zu schweigen von den Ergebnissen der seit 2002 projektierten Bielefelder Langzeituntersuchungen zur wachsenden „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“. Was veranlasst Streeck, rechtsextremistische Umtriebe auszusparen und primär zivilgesellschaftliche Widerstände hiergegen als staatlich konzertierte AfD-Bekämpfung auszuweisen?
Aktuelle Widersprüche der linken Sammlungsbewegung
Vor dem Hintergrund der sich weiter fortsetzenden Rechtsentwicklung scheint der politische Betrieb, einmal abgesehen von ihrer hektischen Beförderung aus der Spitze der christlich-sozialen Partei, in der Sommerpause eingeschläfert. Die beiden großen Volksparteien ohnehin intellektuell ausgeblutet, scheinen umso mehr in ihren periodisch hochgefahrenen Problemen befangen: endlose Querelen zwischen CDU und CSU über Ankerzentren für Flüchtlinge, bei der SPD eingekehrte Friedhofsruhe, die sich in der symbolischen Liquidierung ihrer Geschichte manifestiert, nachdem die zaghaften Gerechtigkeitsimpulse ihres Kanzlerkandidaten bereits im letzten Wahlkampf unterdrückt wurden. Auch die Freien Demokraten, Grünen und die Linke scheinen trotz unterschiedlicher Umfragekonjunkturen nicht vom Fleck zu kommen; nur die AfD verspürt kontinuierlichen Aufwind, auch wenn dieser abgeflacht ist. Für parteipolitische Frustrationen in den periodischen Umfragen spielen anhaltende ökonomische Stagnationserscheinungen mit sich vertiefenden sozialen Spaltungen eine zentrale Rolle, die Gefährdungen der eigenen Lebenssituation in breiten Bevölkerungskreisen erkennen lassen.
Hierfür bieten die Flüchtlinge und zunehmend auch Migranten, wie die Özildebatte zeigte, eine Projektionsfläche.[6] Dies hat die AfD mit den Grenzen des Sagbaren verschiebender Rhetorik genutzt. Ein zunächst europäisches Integrationsproblem thematisierender Professorenverein. Beide medial verschärften Erregungsträger leisteten einen willkommenen Vorschub für eine nationalistische Wende, die mit reaktionär und aggressiv gewendeten Vorstellungen von Heimat und ethnischer Reinheit aufgeladen wird. Thilo Sarrazins millionenhaft verkauftes Buch „Deutschland schafft sich ab“ lieferte eine Blaupause für das sich verbreiternde regressive Stimmungsbarometer. Das gelähmte demokratische System steht nicht nur hierzulande vor einer Zerreißprobe, solange es nicht gelingt, den deutschnationalen Wirtschaftskurs zumindest in einer europäischen Koordination zum Vorteil aller auszugleichen, die sozialökonomischen Polarisierungen im Innern umzukehren und äußere Tendenzen zu imperialistischen Konflikten mit ihren barbarischen Folgen zu bändigen.
Die existenziellen Gefährdungen stellen demokratische, ökologische und linksreformistische Formationen vor verstärkte Herausforderungen, sich auf gemeinsame Aktivitäten zu verständigen und politische Bündnisse einzugehen, um sozial-, flüchtlings- und friedenspolitische Fragen lösungsorientiert auch in europäischer und internationaler Perspektive zu thematisieren. Zunächst sollen einige reale Aspekte der Rechtsverschiebung angedeutet werden, ehe auf in der deutschen Linken zu bewältigende Widersprüche angesichts der „Aufstehens“-Initiative eingegangen wird: kontraproduktive Invektive gegen die Willkommenskultur, innere Demokratiedefizite, autoritäre Tendenzen und problematische Perspektiven mit abschließenden Anregungen.
Einige Aspekte der Rechtsverschiebung
Die an die gesellschaftliche Oberfläche dringenden Ressentiments gegen Flüchtlinge wie allgemein gegen Migranten markieren eine Rechtsverschiebung in europäischen, ja internationalen Dimensionen, die zugleich durch militärische Auseinandersetzungen um Ressourcensicherung und Marktzugänge konkurrierender Staaten geprägt wird. Mit der schleichenden Zersetzung der institutionalisierten internationalen Beziehungen und des Völkerrechts gehen jene Menschenrechtsverletzungen und Fluchtbewegungen einher, die wiederum kultur- und identitätsbezogene Fremdheitserfahrungen in den Aufnahmeländern zur Folge haben. In diesen erfolgt eine Aufwertung der nationalen Ebene als bestimmender Bewusstseins- und Kommunikationsraum; sie stellt nach wie vor das zentrale demokratische Handlungs- und Gestaltungsfeld dar, auch wenn es in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes eingeschränkt wird. Gegenüber dieser komplexen Gemengelage haben die linken Kräfte in Europa bisher kein Konzept, geschweige eine hegemoniale Strategie.[7]
Entsprechend verweisen aus sozialen Abstiegen und Ängsten der SPD und Linken verloren gehende Arbeitnehmergruppen mit Schutzbedürfnissen vor allem dort, wo es in geringerem Maße die immer wieder beschworene Konkurrenz durch Flüchtlinge um Wohnräume, Versorgungsansprüche und Bildungsmöglichkeiten gibt, auf kollektive sozialpsychologische Verdrängungsformen. Sie speisen sich in den neuen Bundesländern zudem aus schmerzhaften Erfahrungen beim Zusammenbruch der DDR. Die vom Westen dominierte Abwicklung, insbesondere durch die Treuhand, stellte mit der Landnahme westdeutscher Unternehmen gewissermaßen eine real wirksame Form von moderner Kolonisierung dar. Hiermit ging die Liquidierung gesellschaftlicher Errungenschaften wie der betrieblichen Gesundheitsversorgung und polytechnischen Bildung bis hin zur Rücknahme der beruflichen und gesellschaftlichen Emanzipation der Frauen einher, kombiniert mit lebensweltlichen Abwertungen – eine Brutstätte für das Erstarken einer widersprüchlichen, politisch wirksamen Mischung aus antikapitalistischen, -westlichen und -europäischen Elementen.
Angesichts der zerbrochenen sozialistischen Perspektive konnten die linken Kräfte ihre zunächst beträchtlichen Wahlerfolge vor dem Hintergrund fortbestehender materieller Benachteiligungen und angesichts erneuerter krisenhafter Tendenzen nicht stabilisieren.
Unter dem Bleigewicht der zerbrochenen DDR-Geschichte und wieder verdunkelten Zukunftserwartungen im vereinten Deutschland gewinnt die verstärkte Rückwärtswendung unter nationalistischem Vorzeichen mit extremistischen Auswüchsen im AfD-Umkreis selbst in den westlichen Bundesländern an Plausibilität. Opportun erscheinende Anpassungen einzelner Parteien mit stärker sozial ausgelegten Wahlangeboten greifen entschieden zu kurz; sie laufen Gefahr, jene im Rahmen der gesamteuropäischen Rechtsentwicklungen weiter hoffähig zu machen. Das hat gerade die CSU im relativ wohlständigen Bayern mit drastischen Verlusten bei der Bundestagswahl bitter erfahren und die Umfragen zu den anstehenden Landtagswahlen deuten in die gleiche Richtung.
Invektiven gegen die Willkommenskultur
Ein Verständnis für die Ressentiments nach rechts Abwandernder in ihrem Pochen auf kulturelle Identität geht mit vehementer Kritik der Initiatoren der neuen Bewegung an der Willkommenskultur einher, wenn Wagenknecht rücksichtslos in der „Welt“ die ebenfalls von der Linken getragene Flüchtlingshilfe anprangert: „Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz sind das Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten“. In dieser Sprache polemisiert sie mit dem Dramaturgen Bernd Stegemann[8] gegen die „allgemeine Moral einer grenzenlosen Willkommenskultur“ und dagegen, sich „von kriminellen Schlepperbanden vorschreiben“ zu lassen, „welche Menschen auf illegalen Wegen nach Europa kommen“. Abgesehen vom Fehdehandschuh gegen die mehrfach beschlossene Position der Linkspartei für legale Fluchtwege, offene Grenzen und menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen dürften solche Passagen weitgehende Zustimmungen in der CSU und AfD erhalten.
Ebenso wettern die Protagonisten der Sammlungsbewegung mal offen, mal verdeckt, gegen Merkels Flüchtlingspolitik, obwohl diese sich unter vielfältigem Druck längst in eine breite Palette von abschreckenden Maßnahmen transformiert hat – eine schiefe Bahn, die immer weiter bis hin zu moralischen Grenzüberschreitungen bei Diskussionen in Qualitätsmedien etwa über das Für und Wider der Seenotrettung überschritten wird. Es ist eine spezifisch intellektuelle Facette der in den Leipziger Mitte-Studien konstatierten bürgerlichen Verrohungstendenzen, wenn eine noch immer bei vielen Millionen Aktivist*innen lebendige „Willkommenskultur“ samt dem Widerstand gegenüber alltäglichen Übergriffen auf Flüchtlingslager bis hin zu konkreten Rettungsmaßnahmen in intellektueller Arroganz abgetan werden.[9] Entgegen der Ausblendung rechtsradikaler Umtriebe in der Sammlungsinitiative bestätigen Umfrageergebnisse nach wie vor eine erstaunliche Bereitschaft zur Flüchtlingshilfe in großen Teilen der Bevölkerung.[10]
Entsprechend dürfte es zu einem gravierenden Problem der Sammlungsbewegung werden, wenn sie sich nicht an den Aktivitäten gegen den aufkommenden Rassismus und das Sterben auf dem Mittelmeer beteiligt. Die anwachsenden Demonstrationen gegen die unterlassenen und kriminalisierten Hilfeleistungen stellen einen ebenso moralischen wie politischen Knotenpunkt zivilgesellschaftlichen Widerstands dar, bei dem linke Kräfte existenziell herausgefordert werden. Mit ihrer Abstinenz von diesen realen Aktivitäten positioniert sich die Sammlungsinitiative als elitäres Konstrukt eines recht überschaubaren Personenkreises um Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine – ein bedauerlicher Anfangszustand, der im Zuge ihrer zum Scheitern verurteilten Fixierung auf möglicherweise nach rechts abwandernde Wähler rasch überwunden werden sollte.
Demokratische Defizite
Über die praxisferne Ausrichtung der neuen Bewegung hinaus irritiert zweierlei: ihre mangelnde demokratische Legitimation und ihre institutionelle Fragwürdigkeit. Wurde ursprünglich von Mandatsträgern der Linkspartei jenseits deren demokratischer Verfahrenswege nicht die Gründung einer linken, rasch wachsenden Volkspartei über mediale Bande angestrebt, die sich aus unzufriedenen linken, grünen und sozialdemokratischen Wählern rekrutieren sollte? Dieser Angriff auf das institutionalisierte Parteiensystem scheint im Zuge der aufbrechenden Widerstände allerorten jedoch flugs in das pure Gegenteil verkehrt worden zu sein: der Stärkung potenzieller Bündnispartner durch ihre linken Mitglieder, wenn jene freiwillig in der von Lafontaine und Wagenknecht mit einer Handvoll Eingeweihter gesteuerten ideologischen Kläranlage reingewaschen worden sind – die Sozialdemokraten von ihrer Verstrickung in die Agenda 2010, die Grünen von ihrer Russlandphobie, die Linken von ihrer grenzenlosen Aufnahmebereitschaft.
Dass eine politische Läuterung wünschenswert sein kann, steht auf einem anderen Blatt. Sie kann aber nicht von außen oktroyiert, allenfalls angestoßen werden; sie bedarf vielmehr eines selbst-reflexiven Prozesses, in dem angesichts verschärfter sozialer und politischer Widersprüche veränderte Orientierungen anstehen. Darüber hinaus verlangt die Auflösung eines affirmativen Verständnisses der Agenda 2010 wie überhaupt des praktizierten neoliberalen Demokratieabbaus von der SPD einen sozial erweiterten Funktionärskörper mit Hilfe neuer Beteiligungsformen und einer veränderten Mitgliederrekrutierung. Hierbei müssen Prozesse gesellschaftlicher Öffnung und innerparteilicher Demokratiesierung kommunizierende Röhren bilden. Diese werden in der Linkspartei jedoch außer Kraft gesetzt, wenn der Fraktionsvorstand Wagenknecht wiederholt gegen die eigene Parteilinie in Flüchtlings- und Migrationsfragen, die hierzu beschlossene Programmatik und ihre demokratisch gewählte Parteiführung polemisiert.
Letzterer wurde von Lafontaine angesichts der Wahlverluste bei „abgehängten“ Bevölkerungsgruppen eine anhaltende Vernachlässigung sozialer Belange angekreidet, die aber schwerpunktmäßig in Programmen, Projekten und Kampagnen vom Mindestlohn über Pflege bis zu den Renten und vieles andere mehr seit Jahr und Tag verfolgt werden. Dagegen sprechen die Initiatoren der neuen Bewegung vor allem linksbürgerliche, urbane und talkshowaffine Mittelschichten an, was den Wahlkampf schädigend der linken Parteiführung seinerzeit unterstellt wurde. Ohne ausgewiesenes gesellschaftspolitisches Profil greift auch hier die mittlerweile häufiger praktizierte Methode um sich, traditionelle, weithin geteilte Zielsetzungen als vernachlässigte Aktivitäten der jeweils konkurrierenden Organisations- oder Parteiführung vorzuwerfen und als eigener Forderungskatalog gegen deren Urheber zu stellen. In solch dreisten Formen einer „seitenverkehrenden Argumentationsführung“[11] kommt zum Vorschein, in welchem Ausmaß einer egomanischen Machtpolitik gefrönt wird. Die vollzogene private Gründung einer nicht demokratisch installierten Bewegung treibt parteiinterne Spaltungstendenzen auf die Spitze.
Autoritäre Tendenzen
Mit den Demokratiedefiziten hängt ein weiterer Aspekt mit autoritärem Potenzial zusammen, wenn Lafontaine und Wagenknecht sich an Führungspersönlichkeiten in anderen Ländern orientieren, ohne hinreichend deren institutionelle Bedingungen, gesellschaftlichen Hintergründe und historischen Traditionen zu berücksichtigen. So erfolgten die erfolgreichen Kampagnen von Bernie Sanders in den USA und Jeremy Corbin im Vereinigten Königreich innerhalb großer etablierter Parteien wie den Demokraten und der Labour Party, die es mit jungen Aktivisten demokratisch zu erneuern und revitalisieren gilt. Jean-Luc Mélenchons „La France insoumise“ konnte zwar einen relativ erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf mit knapp 20% der Wählerstimmen im ersten Wahlgang führen, erhielt bei den folgenden Parlamentswahlen allerdings nur um 11%. Nur diese lassen sich aber mit der deutschen Situation vergleichen, da es hierzulande kein Präsidialsystem mit seinen autoritären Versuchungen gibt, denen in Frankreich alle Kandidaten von Le Pen über Macron bis zu Mélenchon erlegen sind.
Der Aufstieg der schillernden Fünf-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo bis zur Regierungsverantwortung mit der rechtspopulistischen Lega (Nord) ist wiederum ein Produkt der Zersetzung des von Korruption gebeutelten, weitgehend handlungsunfähigen Parteiensystems in Italien. Zudem mussten sich das griechische Wahlbündnis Syriza und Spaniens Protestbewegung Podemus mit ihren charismatischen Führungspersönlichkeiten Alexis Tsipras und Pablo Iglesias ebenfalls im politischen System institutionalisieren, um ihre demokratische Wirksamkeit sicherstellen. Das dürfte den Urhebern der neuen linken Sammlungsbewegung bekannt sein, auch wenn sie angesichts des breiten innerparteilichen Widerstands gegen eine neue linke Volkspartei nunmehr eher von nötigen Veränderungen in der SPD, bei den Grünen und ihrer linken Stammpartei sprechen. Es bleibt ein bisher ungelöstes Rätsel, wie solch eine von oben initiierte Bewegung einiger selbst ernannter Führungsfiguren einen politischen Richtungswechsel in den festgefügten Apparaten der etablierten Parteien bewirken will.
Die links firmierende Sammlungsbewegung ohne organische Bezüge zu breiten zivilgesellschaftlichen Aktivitäten mit wirtschaftspolitischen, sozial-ökologischen und gesellschaftspolitischen sowie antirassistischen und migrationspolitischen Zielsetzungen, teilweise eher im Widerspruch zu ihnen, – zudem ohne erkennbare klassenpolitische Tiefenwirkungen in sozial-strukturellen und regionalpolitischen Krisenbereichen, ob es sich um bezahlbare Mieten, den Pflegenotstand oder einen raschen Kohleausstieg und die Verhinderung einer gentechnisch verseuchten Landwirtschaft handelt – dürfte bei aller medienpolitischen Präsenz nur begrenzt zur deklarierten Linkswendung der SPD und der Grünen beitragen. Vielmehr könnte sie in der partiellen Frontstellung gegen die Linkspartei eine weitere Zersplitterung des bundesdeutschen Parteiensystems bewirken, sofern es zur nicht explizit verworfenen Konsolidierung, sprich parteipolitischen Neugründung einer von Promis ins Leben gerufenen und geführten neuen „Volkspartei“ kommt.
Widersprüchliche Perspektiven
Es scheint der abgehobenen Gruppe aus einigen Künstlern, Intellektuellen und Politikern zu genügen, eine postmoderne Mischung aus traditionellen sozialen Forderungen, modernen digitalen Infrastrukturen und medial inszenierter Präsenz zu kreieren – mit der hierbei drohenden Möglichkeit einer raschen Zerfallszeit der primär internetbasierten Initiative. Umgekehrt stellt sich die Aufgabe, eine organische Verbindung zu den unterschiedlichen Basisaktivitäten durch Mitarbeit und deren Beteiligung herzustellen. Darüber hinaus sind in thematischen Foren die von Peter Brandt genannten Akteure einzubeziehen: Betriebs- und Personalräte, interessierte Gewerkschaftsfunktionäre, sozialkritische Christen beider Konfessionen, Umweltaktivisten, Globalisierungskritiker, Friedensbewegte – und solche, die sich bisher noch gar nicht engagiert haben.“ Das erfordert einen solidarischen Umgang miteinander, eine demokratische Bewegungskultur ohne Koch und Kellner.
Politische Verdichtungspunkte führt Thomas Goes[12] beispielhaft an wie den gesellschaftlichen Rechtsruck und die Normalisierung von Rassismus sowie die soziale Frage in ihren Ausprägungen von Hartz IV und Niedriglöhnen bis zu teurem Wohnraum und Burn-Out. Angesichts abgehobener neoliberaler Eliten haben linke Kräfte für einen alternativen Politikentwurf viel Luft nach oben: im Innern von der Erneuerung des Sozialstaats über wirtschaftspolitische Regulierungserfordernisse bis zu einem sozial-ökologischen Umbauprogramm mit einer Revitalisierung der öffentlichen Hände und nach außen von einem sozial orientierten Kurswechsel in der EU über eine solidarische Unterstützung der armen Länder bis hin zu einer Wiederbelebung der Entspannungspolitik mit schrittweisen Rüstungsbeschränkungen.
Eine erfolgversprechende „Auferstehung“ linker Kräfte in Deutschland erfordert im Widerspruch zum gegenwärtig inszenierten PR-Produkt oder auch als dessen Revision
- eine demokratische Organisationsform ohne Personenkult, offene Kommunikation und breite Kooperationsbereitschaft nach innen und außen;
- eine grundlegende Orientierung auf die real existierenden, widerständigen Akteure in der Zivilgesellschaft als ein hier mitarbeitendes, verbindend wirkendes Ferment;
- eine solidarische Integration sozial- und umwelt-, friedens- und migrationspolitischer Aktivitäten in einer antikapitalistischen Perspektive.
Abschließende Anregungen
Wenn es darauf ankommt, die Weltlage nicht nur zu interpretieren, müssen dann nicht die weitgehend bekannten kritischen Einlassungen und Forderungskataloge[13] in konkrete Handlungen, wo immer möglich, überführt werden? Die akute Flüchtlingsfrage wird zum Lackmusstest einer Politik, die sich dem verfassungspolitischen Gebot des Schutzes und der Achtung der unantastbaren Würde des Menschen verpflichtet fühlt. Dies bleibt eine Lehre aus dem nationalsozialistischen Radikalfaschismus, selbst wenn die sozialdemokratische Parteiführung sich gerade von ihrem historischen Erbe verabschieden will! Insofern sind die wieder mit Leben zu füllenden Organe des demokratischen und sozialen Rechtsstaates gehalten, sich der aufscheinenden Quadratur des Kreises zu stellen: der transnationalen Verbindung der sozialen und humanitären Fragen in der einen Welt.
Gerade angesichts der europaweiten rechtsnationalen Geländegewinne dürfen sich die vereinten demokratischen Kräfte einschließlich ihrer linken Akteure weder auf nationale Alleingänge beschränken noch die gebotene internationale Solidarität kopflos praktizieren. Angesichts zunehmender rechtsextremistischer Tendenzen wird eine demokratische Wehrhaftigkeit transnational zum Gebot der Stunde einer von links inspirierten Bewegung. Sie steht vor der heroischen Aufgabe, die unmittelbaren Tagesprobleme einer auf mehreren Ebenen zu leistenden sozialen und kulturellen Integration ebenso friedlich zu lösen wie einen wirtschafts- und sozialpolitischen Politikwechsel mit ökologischer Nachhaltigkeit einzuleiten. Das schließt in europäischer Perspektive ein, die diversen Freihandelsabkommen im vornehmlichen Interesse marktkapitalistischer Globalisierung zu verhindern, sofern sie nicht sozial-ökologisch transformiert werden können. Darüber hinaus gilt es, mit der grundgesetzlich ermöglichten Eindämmung zügelloser Verwertungsinteressen des Kapitals bis zu seiner Vergesellschaftung im Gemeinwohlinteresse endlich ernst zu machen.
Bei den anstehenden Auseinandersetzungen kann eine erneute oder erstmalige Kapitallektüre im noch immer gefeierten 200. Geburtsjahrjahr von Karl Marx überhaupt nicht schaden: „Vom Standpunkt einer höhern ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) (und matres – Mütter, P.O., hier einem früheren Vorschlag Iring Fetschers folgend) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen“ („Das Kapital“, Marx/Engels, Werke, Bd. 25, S. 784).
[1] Peter Brandt 2018: Wir brauchen eine linke Ökumene. Plädoyer für eine Sammlungsbewegung links der Mitte. In: IPG vom 08.08.2018 (https://www.ipg-journal.de/rubriken/soziale-demokratie/artikel/wir-brauchen-eine-linke-oekumene-2910/).
[2] Spiegel 19/1999; siehe hierzu auch Albrecht Müller in den Nachdenkseiten vom 7. Mai 2013.
[3] Siehe seine brillante, inzwischen in viele Sprachen übersetzten Bestseller: „Gekaufte Teit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“. Berlin 2013: Suhrkamp.
[4] Von einem „bedingungslosen Kosmopolitismus“ mit einem postmodernen urbanen Lebensstil und offenen Grenzorientierungen in einem „Mitte-links-Spektrum“, das soziale Fragen der sozial marginisierten „locals“ auch in ihrer europäischen Problemverschärfung tabuisiere, spricht Martin Höppner in seinem engagierten Bekenntnis zur Sammlungsbewegung (FAZ , 17.08.2018, Seite 12). Dabei wirft er die Linken quer durch alle Parteien in einen Topf, was hinsichtlich der Linkspartei in Deutschland und der Linksfraktion im Europäischen Parlament nicht zutreffend ist.
[5] Merkel. Ein Rückblick, FAZ vom 16. Nov. 2017, 11. Hierzu mein Kommentar (in der Form einer textkritischen Inhaltsanalyse zum Merkel-Bashing als intellektueller Reaktion. Der Fall des Sozialwissenschaftlers Wolfgang Streeck) in dem Newsletter von Axel Troost vom 27.11.2017.
[6] Paul Oehlke 2016: Zur Flüchtlingsfrage als klassenpolitisches Projektionsfeld. In: SoFoR-Info für das Rheinland, Nr. 59, Oktober 2016
[7] Jürgen Kocka: Mit ihr zog einmal die neue Zeit. Die Abwicklung der Historischen Kommission der SPD ist selbst ein historisches Zeichen … FAZ vom 10.08.2018, Seite 11.
[8] Siehe seine von Brechts Dialektik geschulte Polemik: Flüchtlingspolitik: Die andere Hälfte der Wahrheit. In: DIE ZEIT Nr. 15/2016, 31. März 2016. Die schneidende Kritik an der moralischen Empörung als Surrogat für den Klassenkampf gegen das kapitalistische Ausbeutungssystem verkennt historisch vielfach belegte Erfahrungen, dass jene immer wieder einen Ausgangspunkt des politischen Widerstandes markiert.
[9] Dies spiegelt ein aktueller Bericht über einen Zirkel von Intellektuellen und Künstlern um Sahra Wagenknechts Sammelbewegung „Aufstehen“ von Adam Soboczynski: Das rote Sommermärchen. In: DIE ZEIT, Nr. 33, 9. August 2018, 35.
[10] Jörg Goldberg, André Leisewitz, Jürgen Reusch: Konflikte um Migration und Flüchtlingssolidarität. In: Z – Nr. 115, September 2018.
[11] Siehe exemplarisch hierfür Oskar Lafontaines Beitrag „Wenn Flüchtlingspolitik soziale Gerechtigkeit außer Kraft setzt“ im ND vom 27. September 2017 (https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065077.wenn-fluechtlingspolitik-soziale-gerechtigkeit-ausser-kraft-setzt.html).
[12] Sozialistische Zeitung vom 15.08.2018 – Sammlung „Aufstehen“.
[13] Siehe hierzu Joachim Bischoff/Björn Radke: Linke Sammlungsbewegung. In: Sozialismus.deAktuell, 13. August 2018 (file:///C:/Users/Paul/Desktop/neuere%20Texte/Lafontaine/Sozialismus%20%20%23Aufstehen.htm)
2 Antworten
Nachdem der Autor / die Autorin festgestellt hat, dass gefordert wird, „… die Lebenschancen in den ärmeren Ländern durch Verzicht auf Waffenexporte und faire Handelsabkommen so zu erweitern, dass die Fluchtanreize für die nach Europa geholten Mittelschichten versiegen. … sozialen Ausgleich, höheren Mindestlohn, armutsfeste Renten, eine Vermögenssteuer für Superreiche und einen Verzicht auf weitere Aufrüstung zu bekommen. … den „neoliberalen Mainstream überwinden, mit dem der Unmut über eine Flüchtlingspolitik zulasten der Ärmeren mit sich weiter verschärfender Wohnungsnot, der Überforderung von Schulen und verstärkter Konkurrenz im Niedriglohnsektor verbunden ist. „, diskreditiert er/sie sich mit der Behauptung „Für die Lösung akuter Problemlagen schulden Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und die Unterstützer der von ihnen propagierten Bewegung jedoch bisher eine Antwort“.
Offenbar kriegt der Autor/die Autorin die auf der Hand liegenden richtigen Forderungen und Lösungsvorschläge der Initiatoren Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und die weiteren Unterstützer nicht auf die Reihe, sondern erwartet in kindlicher Naivität ein unseriöses Zauberkunststück à la „Voila – und schon haben wir Lösung aus dem Hut gezaubert“. Für blödsinninge Albernheiten sind doch – da dürften wir uns einig sein – die „A“FD und Konsorten zuständig.
Wer gutwillig zuhört, liest und versteht und politisch nicht völlig naiv und darüber hinaus guten Willens ist weiß, dass für die Umsetzung der o.g. richtigen Forderungen zunächst einmal die notwendigen Mehrheiten gefunden werden müssen. DAS ist der Sinn und das Ziel von #aufstehen. Schlimm, das man das noch erklären muss.
Schade, dass es auch links von der Mitte der „S“PD Nörgler, Zweifler und Besserwisser gibt, die das Prinzip der SOLIDARITÄT und des Kompromisses nie verstanden haben!
Gut gemeint, wenn nicht arrogant folgt schließlich der oberlehrerhafte Vorschlag: „Bei den anstehenden Auseinandersetzungen kann eine erneute oder erstmalige Kapitallektüre im noch immer gefeierten 200. Geburtsjahrjahr von Karl Marx überhaupt nicht schaden: …“
Dazu fällt mir einer der gewaltigsten Sätze aus Loriot’s Werk ein: „Ach was!?“