Die Wirtschaft steckt in der Krise. In vielen Branchen grassiert die Angst vor dem Jobverlust. Wer Arbeitsplätze sichern und die Binnennachfrage stärken will, muss neue Wege gehen: Die Zeit ist reif für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich.
Noch nie ist die deutsche Wirtschaft in der jüngeren Vergangenheit so stark eingebrochen wie im zweiten Quartal 2020. Von April bis Juni schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 10,1 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal des Jahres. Dieser Rekordverlust wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus. Gleich zu Beginn der Krise verloren rund 100.000 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter ihre Jobs. Mittlerweile bangen in vielen Branchen auch die Stammbelegschaften um ihre Arbeitsplätze. Ob Tourismus, Einzelhandel oder Industrie – betroffen vom wirtschaftlichen Abschwung sind viele Bereiche. Automobilkonzerne streichen Stellen, Zulieferer geben ganze Produktionsanlagen auf. In Warenhäusern bangen die Belegschaften um ihre beruflichen Existenzen. Bekleidungsketten drohen mit Filialschließungen im großen Stil. In vielen Branchen wissen die Beschäftigten noch immer nicht, ob sie nächsten Monat, nächstes Quartal ihren Arbeitsplatz noch haben werden.
Diese allgemeine Verunsicherung senkt die Nachfrage privater Haushalte. Die Sorge vor Lohneinbußen oder gar die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust drücken die Kaufbereitschaft. Dass man auf Anschaffungen verzichtet, wenn der Job in Gefahr ist, erscheint logisch. Summieren sich die Einzelfälle jedoch zu einem Massenphänomen, entsteht eine paradoxe Situation. Volkswirtschaftlich gefährdet der kollektive Nachfrageverzicht jedoch erst recht viele Arbeitsplätze. Was individuell nachvollziehbar erscheint, führt als gemeinschaftliche Aktion zum gegenteiligen Ergebnis. Aus diesem Grund ist es bedeutsam, dass die gesamtwirtschaftliche Lohnsumme konstant bleibt und die Leute wieder eine klare Perspektive bekommen, damit die Massenkaufkraft nicht geschwächt wird.
Binnennachfrage stärken
Zweifellos ist die öffentliche Hand, also Bund, Länder und Kommunen, gut beraten, geplante Investitionen nicht zu stornieren, sondern diese sogar vorzuziehen. Um dies zu ermöglichen, muss der finanzielle Handlungsspielraum insbesondere der Kommunen dringend verbessert werden. Noch wichtiger ist es aber, die Nachfrage der privaten Haushalte aufrechtzuerhalten.
Ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Massenentlassungen in Krisenzeiten ist das Kurzarbeitergeld. Der Deal beim Kurzarbeitergeld lautet: Die Beschäftigten reduzieren ihre Arbeitszeit, das Unternehmen senkt die Löhne. Damit der Lohnverlust nicht zu groß ausfällt, bekommen die Beschäftigten einen Teil des Defizits aus der Arbeitslosenversicherung ersetzt. Das Kurzarbeitergeld hilft, eine temporäre Krise ohne Entlassungen zu überbrücken. Da Unternehmen durch das Kurzarbeitergeld in erheblichen Maße Löhne sparen, ist es mehr als gerechtfertigt, dass die Beschäftigten die tarifliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes fordern, damit ihnen möglichst keine finanziellen Nachteile entstehen. Doch so gut das Kurzarbeitergeld wirkt, es hilft vor allem den Stammbelegschaften. Wer über Minijob, Leiharbeit oder Werkvertrag in einem Betrieb arbeitet, profitiert davon oft gar nicht.
Arbeit gerecht verteilen
Und auch wer zurzeit noch dank Kurzarbeitergeld ganz gut über die Runden kommt, fragt sich zurecht, wie es später weitergeht: Was passiert, wenn es in einem Unternehmen, in einer Branche über einen längeren Zeitraum mau ausschaut? Viele Wirtschaftszweige, in denen Entlassungen drohen, hatten bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie große Probleme. Wie können in diesen Branchen Arbeitsplätze, wie können Einkommen und Kaufkraft gesichert werden? Eine von mehreren Maßnahmen ist eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung. Eine solche allgemeine Arbeitszeitverkürzung erhöht die Gewissheit der Beschäftigten, den Arbeitsplatz zu behalten. Sie löst zudem das Dilemma, dass einige Beschäftigte unter Überstunden, Arbeitsverdichtung und Stress leiden, während andere unfreiwillig mit Teilzeitjobs über die Runden kommen müssen oder gar keinen Job haben. Es geht darum, die vorhandene Arbeit gerechter zu verteilen.
Bereits vor Corona wollten viele Beschäftigte gerne weniger arbeiten, um mehr Zeit für Familie und Hobbys zu haben. Wer es sich leisten kann, hat die Arbeitszeit häufig bereits individuell reduziert. Seit Jahren sinkt der Anteil der unfreiwilligen Teilzeitbeschäftigten, obwohl die Zahl der Teilzeitbeschäftigten massiv steigt. Mit bemerkenswertem Ergebnis wurde in einigen Tarifrunden der letzten Jahre die Wahlmöglichkeit zwischen Arbeitszeitreduzierung oder Lohnerhöhung verankert: In manchen Branchen entschieden sich so viele Beschäftigte für zusätzlichen Urlaubstage, dass einige Unternehmen sich darüber beschwerten.
All dies zeigt, dass die Zeit reif ist für eine gesamtgesellschaftliche Lösung: eine Wahlarbeitszeit von 28 bis 35 Wochenstunden in Vollzeit (und 22 bis 28 Stunden in Teilzeit). Die gerechte Verteilung der Arbeit ist das soziale Mittel gegen Entlassungen und Stellenabbau. Das Ziel ist dabei, dass niemand am Ende des Monats weniger in der Tasche hat als zuvor. Dort, wo es Unternehmen objektiv nicht möglich ist, kurzfristig eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich zu realisieren, muss ihnen geholfen werden. Ich rege an, über die Einrichtung eines Transformationsfonds nachzudenken, der Unternehmen und Betrieben bei der Einführung der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich hilft. Selbstverständlich müssen Zahlung aus einem solchen Transformationsfonds an Auflagen gebunden sein: Unternehmen, die aus dem Fonds Unterstützung erhalten, dürfen keine Dividenden zahlen, keine Gewinne ausschütten, und die Gehälter des Managements nicht erhöhen.
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