Neulich las ich einen Artikel auf www.businessinsider.de, genauer gesagt war es ein Gastbeitrag eines Hr. Prof. Dr. Ingo Markgraf. Er lehrt Wirtschaftspsychologie sowie Markenkommunikation und Werbung am Campus Köln der Hochschule Macromedia. Die Überschrift lautete: „Uni-Professor redet Klartext: Liebe Generation Y, so nimmt euch niemand ernst.“ An dieser Stelle Chapeau an die Person, die die Idee zu dieser Überschrift hatte.
Womöglich war es der Herr Professor selbst, müsste er doch mit seiner Reputation am besten wissen, wie man potentielle Kunden, bzw. lesenden Konsumenten das Produkt „Artikel“ verkauft. Es hatte durchaus bei mir funktioniert. Nur wie so oft bei Produkten und Dienstleistungen erhielt ich eine Mogelpackung. Oder wie es auch manchmal auf Ebay so schön heißt „Die Produktbeschreibung stimmte nicht mit dem Produkt überein.“
Beim Schlagwort „Klartext“ würde man jetzt eigentlich erwarten, dass es konstruktive Kritik hagelt, die die angesprochene Bevölkerungsgruppe nicht persönlich, aber sich dennoch zu Herzen nehmen solle. So wie das auch gute Freunde miteinander machen: Unbequeme Dinge aus- und anzusprechen. Nicht, weil man die andere, sich selbst nahestehende Person verletzen möchte, sondern weil man ihr den Spiegel vorhalten möchte, der Selbstreflexion Willen. Das tut erstmal weh, ist aber für besagte Person im Nachhinein ein guter Ratschlag gewesen. Selbst- und Fremdwahrnehmung ist hier das Stichwort. All das beschränkt sich bei Herrn Professor Markgraf auf rein akademische Dinge, wie die Einhaltung der Rechtschreibung, oder aber auf den post- universitären Arbeitsmarkt, bei dem er die angesprochene Personengruppe um Geduld und Nachsicht mit ihren späteren Arbeitgebern einschwört.
Doch um wen geht es eigentlich? Laut Markgraf um die Generation Y. Was oder wer ist die Generation Y?
Laut www.gruenderkueche.de lautet die Definition wie folgt: „Generation Y, kurz Gen Y oder auch Millennials (zu deutsch etwa die Jahrtausender) oder Digital Natives genannt, sind die Menschen, die um das Jahr 2000 herum Teenager waren. Sie sind die Nachfolgegeneration der Baby-Boomer und der Generation X und bestimmen immer stärker den Arbeitsalltag“
(Anm.: Gründerküche Redaktion). Das Lexikon von www.gruenderszene.de hat folgende Bezeichnung parat: „Zu der Generation Y (Englisch: Why?) zählt man die Jahrgänge 1980-1995, die dafür bekannt sind, Althergebrachtes in Frage und die Arbeitswelt auf den Kopf zu stellen. Sie werden auch als Digital Natives bezeichnet“.
Klingt toll, nicht wahr? Können wir den Ausführungen Markgrafs trauen, so sind alle seine Studierenden, mit denen er auf irgendeine Weise in seiner akademischen Arbeit in Interaktion tritt, „Yer“ (Anm.: Dies ist meine eigene Wortkreation, um die zu besagter Generation hinzugehörenden Personen insgesamt anzusprechen). Und all diese Menschen bringen den Arbeitsmarkt samt Arbeitgeber zum Zittern, zum Verzweifeln. Die Arbeitgeber dieser Welt sind total auf die „Yer“ angewiesen, können ohne sie zukünftig mit ihrem Unternehmen einpacken. Unentbehrlich in jedweder Hinsicht; Empowerment at its best. Und auch ein wenig romantisch, vom Emotionstransfer des Textes betrachtet. Yeah.
Einzig und allein der letzte Absatz bietet zur unreflektierten Bauchpinselung einer stilisierten „Generation“ ein Wenig Kontrastprogramm. Dort heißt es unter anderem: „Viele von euch sind sehr behütet aufgewachsen (…) und ahnen nichts Böses. Ihr verlangt euren zukünftigen Arbeitgebern viel ab. Nicht alle finden das witzig.“ Klingt erstmal kumpelig oder? Nicht alle Arbeitgeber fänden es witzig, wenn ihre Mitarbeiter_innen ihnen viel abverlangen würden. Aber immer noch irgendwie alles easy und kuschelig.
Die Feststellung aber, dass viele behütet aufwüchsen und nichts Böses ahnen würden ist der berühmte Tropfen, der bei mir das ebenso berühmte Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Markgraf hat an der einzigen Stelle, an der man wirklich einen wertvollen Tipp erahnt hätte, leider seine Chance vertan. Der Tenor bleibt „Friede, Freude, Generation Y“… Ob das unter der Überschrift „Klartext“ richtig platziert ist, bleibt zu bezweifeln. Genauso wie „so nimmt euch niemand ernst“. Man könnte auch sagen: viel Tam- Tam in der Überschrift gegenüber dem Fließtext.
Es gibt ein Problem mit diesem Artikel. Ein großes sogar. Er verklärt die Realität auf eine für die „Yer“ äußerst gefährliche Art und Weise. Stärken und Chancen hervorzuheben ist das eine. Schwächen und Risiken aber allenfalls indirekt zu streifen ist angesichts der sich täglich schneller und unberechenbarer verändernden Welt der Arbeitsmärkte keine gute Idee. Vor allem nicht in einer Zeit, in der Arbeitnehmerfreundlichkeit vor Profitmaximierung – trotz positiver Gegenbeispiele – auch im Jahr 2017 noch lange nicht die Regel darstellen. Auch nicht in Deutschland. Deshalb habe ich eine Gegenmessage zu Markgraf formuliert, die genauso einseitig und unausgewogen anmutet, jedoch genau deshalb im Gedächtnis bleiben sollte, damit man zwar weiterhin mit dem Kopf in der „Generation Y“- Wolke schweben, aber vielleicht auch gleichzeitig mit den Füßen auf dem Boden der gegebenen Realität verweilt:
Die Generation Y ist keinesfalls arbeitsmarktbeherrschend. Sie muss ihre Privilegien nämlich in vielen Fällen gar nicht durchsetzen, weil ihre Qualifikation in Kombination mit einem Personalengpass dermaßen gefragt ist, dass sie sich ihre Arbeitgeber raussuchen können… Der Höchstbietende gewinnt.
Doch sobald dieses „Monopol“ mal nicht sein sollte, war’s das leider auch schon mit dem Zauber und der augenscheinlichen Dominanz der Generation Y.
Denn sobald man mal auf einen Arbeitgeber angewiesen ist, weil in der Branche auf einmal eine Auswahl an hochqualifizierten „Yern“ zur Verfügung steht und dieser der Meinung ist, dass 12,00€ brutto die Stunde als Einstiegsgehalt für einen Masterabschluss ausreichend sei, spätestens dann kommt die große Schwäche der Generation Y zum Vorschein: Ihre oftmals vorhandene Unfähigkeit im Kollektiv zu denken und ihr manchmal zwanghaft- sorgloser Individualismus.
Denn nicht wenige würden das schlucken. So gut wie widerstandslos. Das wäre ja unangenehm und mal nicht so ne smoothe Situation. Man will ja auch schließlich das tolle Klima nicht vergiften. Klar, wenn keine Vorgesetzten in der Nähe sind wird man sich auskotzen über das Ganze. Scheiß Stundenlohn, Verarsche, unfair, das volle Programm. Das war’s dann aber auch schon. Es geht weiter ohne Konsequenzen zu ziehen, ohne sich wirklich zu wehren. Sicherlich erkennt man, dass man nicht der/die Einzige im Betrieb ist, was in der selben Situation ist. Die einzige Person, die an dieser Situation aber oft etwas ändert, ist dann der Arbeitgeber selbst, wenn er Stellen „wegrationalisieren“ muss. Und dann geht die Kiste von vorne los. Viel Erfolg. Und dann wird aus einem „Yer“ ein ganz gewöhnlicher Arbeitnehmer. Zwar mit akademischem Abschluss, aber leider nun mal nicht vor prekärer Beschäftigung geschützt.
Liebe Generation Y,
Und dann ist ein Teil von euch entzaubert und trotz allem was ihr könnt, trotz aller Skills die ihr mitbringt, könnt ihr wider Erwarten in der Mittelmäßigkeit des Arbeitsmarktes versinken.
Ja sicher ihr seid nett, ihr seid cool, ihr seid locker, kreativ, einfallsreich, mit gewaltigem Potential. Mit euch kann man super feiern und tolle Freundschaften pflegen.
Aber leider seid ihr auch was die Arbeitswelt angeht – sorry jetzt wird’s direkt – naiv, egoistisch und bisweilen auch feige.
Denn die Wenigsten von euch würden für ihre Rechte und ihr Wohlergehen auch einstehen und kämpfen, oftmals nur deshalb, weil ihr eure Rechte gar nicht kennt. Und schon gar nicht würdet ihr Privilegien, die Andere für euch mal erkämpft haben, verteidigen. Hat ja nix mit euch zu tun, das ist kein Problem von „Yern“ mit Hochschulabschluss. Man fühlt sich aber auch gut mit dem Bachelor Of Science in der Tasche und dem Label „Generation Y“ auf der Stirn. So unantastbar, so erhaben vor jedem Risiko des Arbeitsmarktes. Mit wohlklingenden Worthülsen wie „Freiheit auf dem Arbeitsmarkt“, „Flexibilität“ und „Zeitgemäße Arbeitswelt“ wird sich ein Teil von euch in Zukunft leider nur allzu leicht ködern lassen, weil ihr weder ihre tatsächliche Bedeutung versteht, noch ansatzweise deren Folgen für euch und Andere in Zukunft abschätzen könnt.
Das wird nicht für alle von euch gelten. Und dennoch werden einige die „gemütliche Hipness“ der Businesswelt mit der unbequemen Realität des Arbeitsmarktes eintauschen müssen. Ich weiß, passt nicht so ganz auf die Maxime eurer Generation, die ihr euch selbst und die euch andere bisweilen gerne eintrichtern.
Das ist schonungslos ehrlich, vielleicht auch ein Bisschen gemein. Doch ich glaube das musste euch auch mal jemand sagen. Vermutlich bekommt ihr in eurer vermeintlichen Wohlfühlwelt so etwas viel zu selten gesagt. Ich habe auch nicht den Anspruch, dass ihr das was ich euch hier schreibe, ernst nehmt. Aber wenn das „Y“ eurer künstlichen Generation schon englisch ausgesprochen und an das Wort „why“ für „warum“ geknüpft ist, dann verlangt nicht nur Antworten die auf euer hoffentliches Wohlergehen und eine wünschenswerte „Work- Life- Balance“ abzielen, sondern auch auf Fragestellungen, die wichtig werden könnten, wenn ihr mit eurem Generationen- Label eben mal nicht mehr weiterkommt.
Denkt mal drüber nach. Ich mag euch auch!
Einer von Euch
Ein Beitrg von Tobias Abt, Student der Universität zu Köln, Stipendiat der Hans- Böckler- Stiftung und Freiberuflicher Bildungscoach