Ein geleakter Datensatz zeigt, mit welchen Methoden Donald Trump Schwarze Wähler:innen davon abhalten wollte, 2016 zur Wahl zu gehen. Der Skandal zeugt von einer neuen Dimension der strategischen Demobilisierung und wirft erneut Fragen nach Facebooks Rolle bei Wahlen auf.
Wahlkämpfe in den USA sind heute immer auch große Datenschlachten. Dass die Kampagnen daran arbeiten, die zielgenaue Ansprache von Wählergruppen zu perfektionieren, ist spätestens seit dem Skandal um Facebook und Cambridge Analytica bekannt, der das sogenannte Microtargeting nach der letzten US-Präsidentschaftswahl ins öffentliche Bewusstsein schockte. Auch schon vor der Wahl, die Donald Trump vor vier Jahren ins Präsidentenamt brachte, berichteten Medien über Versuche, mit der Kommunikationsstrategie bestimmte Gruppen gezielt von der Wahl abzuhalten.
Doch der Datensatz, den der britische Fernsehsender Channel 4 nun in die Hände bekam, zeugt von einer neuen Dimension der strategischen Demobilisierung. Sie richtete sich überproportional häufig gegen Schwarze Menschen.
Die Reporter erhielten nach eigenen Angaben die gesamte Datenbank der Trump-Kampagne aus dem Jahr 2016. Fünf Terabyte Daten mit Angaben über fast 200 Millionen Amerikaner:innen. Darunter Informationen wie Namen und Kontaktdaten, Sozialversicherungsnummern, Angaben zum Wahlverhalten, Interessen und Vorlieben, sozioökonomische Informationen, politische Interessen und psychographische Persönlichkeitsprofile.
Das demokratische Lager vom Wählen abhalten
Aus dem Leak geht hervor, dass die Trump-Kampagne Wähler:innen auf Basis der Daten in acht Kategorien eingeteilt hat. Sie sollen mehr dem Trump- oder dem Clinton-Lager angehört haben und unterschiedlich stark in ihrer Tendenz gewesen sein. Auch vermeintlich unentschiedene Wähler:innen wurden kategorisiert. Das sollte es dem Wahlkampfteam ermöglichen, gezielt die Menschen anzusprechen, die man noch überzeugen konnte und kein Geld für Werbung bei Menschen auszugeben, die eh nicht beeinflusst werden konnten.
Insbesondere in 16 Bundesstaaten, in denen äußerst knappe Wahlergebnisse vorhergesagt waren, sollten so die kommunikativen Maßnahmen möglichst gezielt eingesetzt werden. Trumps überraschende Siege in einigen dieser strategisch bedeutsamen Swing States gelten als Ursache für seinen Wahlerfolg. Obwohl seine Konkurrentin Hillary Clinton insgesamt mehr Stimmen erhielt, hatte der Republikaner entscheidende Staaten gewonnen und so mehr Wahlmänner auf seiner Seite.
Eine der acht Kategorien bezeichnete Trumps Team als „Deterrence“, zu Deutsch: Abschreckung. Einsortiert wurden hier Menschen, die eindeutig dem Clinton-Lager angehörten und von denen man nicht glaubte, sie zu einer Stimme für Trump überzeugen zu können. Stattdessen war das Ziel, diese Gruppe mit gezielten Negativinformationen über Hillary Clinton gänzlich vom Wählen abzuhalten.
Facebook verweigert Transparenz
So bekamen Menschen, die als weiß, liberal und idealistisch galten, gezielt Werbung mit Informationen über Clintons Unterstützung für Freihandelsabkommen und ihre geleakten E-Mails zu sehen. Junge Frauen bekamen Anzeigen, die Missbrauchsvorwürfe gegenüber Clintons Ehemann thematisierten. Schwarze Wähler:innen bekamen rassistische Aussagen von Clinton aus den 90er Jahren als Werbeanzeigen in sozialen Medien angezeigt.
Nachvollziehen kann die Öffentlichkeit diese Vorgänge nicht, denn die Anzeigen waren sogenannte Dark Ads: sie erschienen nur in den Feeds der ausgewählten Zielgruppen, niemand sonst bekam sie zu Gesicht. Erst nach den Wahlen 2016 hat Facebook diese Werbeform abgeschafft und Anzeigenarchive eingeführt.
Dies gilt allerdings nicht rückwirkend, die Anzeigen aus dem umstrittenen Wahlkampf 2016 hat der Konzern nie veröffentlicht. Bis heute ist das Microtargeting auf Facebook ein undurchsichtiges Geschäft. Transparenz darüber, auf welcher Datengrundlage und mit welchen Kategorien Zielgruppen ausgewählt werden, gewährt der Konzern auch heute nicht.
Überproportional viele Schwarze Wähler:innen
Channel 4 zufolge zeigen die Daten der Trump-Kampagne, dass Schwarze Wähler:innen in der Deterrence-Kategorie deutlich überproportional vertreten waren. Ihr Anteil übersteigt den, den diese Gruppe an der Gesamtbevölkerung der untersuchten Bundesstaaten hatte. So machen Schwarze Menschen in Georgia beispielsweise 32 Prozent der Bevölkerung aus, seien aber zu 61 Prozent in der Abschreckungskategorie vertreten.
In North Carolina ist das Verhältnis 22 Prozent zu 46 Prozent. In Wisconsin liegt es 5,4 Prozent zu 17 Prozent. Insgesamt landeten 3,5 Millionen Schwarze Amerikaner:innen in der Kategorie ‚Deterrence‘. Zählt man andere Minderheiten dazu, etwa Menschen, die als Hispanics oder Asian American kategorisiert wurden, würden diese laut Channel 4 insgesamt 54 Prozent der Menschen ausmachen, die Trumps Kampagne vom Wählen abhalten wollte.
Die Unterdrückung von Schwarzen Wähler:innen hat in den USA lange Tradition und beschränkt sich bis heute nicht auf den Online-Bereich. Das Wahlrecht bekamen Schwarze Männer erst im Jahr 1870, Schwarze Frauen im Jahr 1920. Mit dem Voting Rights Act verbot der Gesetzgeber diskriminierende Wahlgesetzgebung. Der Supreme Court kassierte Teile dieses Gesetzes 2013 aber wieder ein, sodass bei der Gleichberechtigung der Wähler:innen sogar Rückschritte zu verzeichnen sind.
Dies wird von der Republikanischen Partei, die unter People of Colour deutlich schlechter abschneidet, teilweise strategisch befördert. Einer der Hauptgründe, die Schwarzen US-Amerikaner:innen das Wählen erschweren, ist eine geringere Zahl an Wahlbüros in Städten und Bezirken, in denen Schwarze Einwohner:innen die Mehrheit stellen. Das führt zu viel längeren Wartezeiten am Wahltag. Die Büros, die es dann gibt, sind in diesen Gegenden auch noch häufig unterfinanziert und unterbesetzt.
Ein paar zehntausend Stimmen waren entscheidend
In dem polarisierten politischen System der USA sind Negative Campaigning und gezielte Maßnahmen zur Wahlunterdrückung keine Neuheit. Die Granularität der Daten und das Ausmaß der rassistischen Prägung stellen jedoch eine neue Dimension dar. Die Datenbank der Trump-Kampagne ist so detailliert, dass Channel 4 mit Hilfe ihrer Adresse, ihrer Geburtsdaten und weiteren persönlichen Informationen Betroffene in Milwaukee, Wisconsin ausfindig machen konnte, um sie damit zu konfrontieren, dass die Trump-Kampagne sie aktiv vom Wählen abhalten wollte.
Channel 4 zufolge gab es in dem Jahr tatsächlich eine Trendwende: erstmals war kein Anstieg der Wahlbeteiligung unter Schwarzen US-Amerikaner:innen zu verzeichnen. Das schlechte Abschneiden Clintons bei dieser Gruppe wird mit verantwortlich für ihre Niederlage gemacht.
Welchen Effekt die Kommunikationskampagne zur Demobilisierung Schwarzer Wähler:innen 2016 hatte, lässt sich dabei nicht zweifelsfrei feststellen. Es dürfte sich um ein Zusammenspiel mehrerer Gründe handeln, zu denen auch die Polarisierung der pro-Demokratischen Wählerschaft durch die harten Auseinandersetzungen mit Bernie Sanders im Vorwahlkampf oder Clintons politische Agenda zählen. Doch selbst wenn die gezielte Negativkampagne nur bei einigen zehntausend Menschen verfangen haben sollte, könnte sie einen Ausschlag gegeben haben. Schließlich hat Trump zentrale Swing States wie Wisconsin, Pennsylvania, Michigan oder Ohio nur mit wenigen zehntausend Stimmen Vorsprung gewonnen.
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Cambridge Analytica lässt grüßen
Woher die Daten im Einzelnen stammen, ist nicht bekannt. Der Kommunikationswissenschaftler David Caroll betont jedoch, dass sich in der Datenbank auch Informationen von Cambridge Analytica befinden. Die inzwischen aufgelöste Firma unterstützte die Trump-Kampagne 2016 personell. Caroll weist zudem darauf hin, dass die Kategorisierung der Wählerschaft in die acht Segmente genau dem Modell entspricht, das Cambridge Analytica verwendet hat.
Bis heute ist umstritten, wie groß der Anteil der Datenfirma an Trumps Erfolg 2016 war. Klar ist jedoch, dass sie sich unrechtmäßig die Daten von Millionen Facebook-Nutzer:innen ergaunerte und diese für die Erstellung psychographischer Persönlichkeitsprofile nutzte. Channel 4 zufolge arbeiten auch im Datenteam der 2020er Trump-Kampagne zwei ehemalige Leute von Cambridge Analytica.
Bis heute ist Facebook die Plattform, die für zugeschnittene politische Werbung die größte Rolle spielt. 2016 gab allein Trumps Kernteam 44 Millionen Dollar für 6 Millionen unterschiedliche Anzeigen auf Facebook aus. Der Werbekonzern steht schon länger in der Kritik, nicht genug gegen die Manipulation von Wähler:innen zu unternehmen. Während Google das Microtargeting bei politischer Werbung deutlich eingeschränkt hat und Twitter Wahlwerbung gänzlich verboten hat, lässt Facebook den Wahlkämpfer:innen weiter freie Hand.
Vor kurzem strich Facebook zwar die Kategorie der „ethnischen Affinität“ aus dem Katalog der Eigenschaften, nach denen Werbetreibende ihre Anzeigen individualisieren können. Im vorliegenden Fall würde dieser Schritt aber vermutlich wenig bewirken, da Trumps Datensätze geographisch so genau waren, dass Viertel, in denen mehrheitlich Schwarze Menschen leben, einfach aufgrund ihrer Wohnadresse kategorisiert werden könnten.
Microtargeting auch in Deutschland?
Auch die Maßnahmen, die das Unternehmen gegen Desinformation vor der US-Wahl ankündigte, werden das Problem nicht lösen. Zwar sollen in der Woche vor der Wahl keine neuen Anzeigen mehr geschaltet werden dürfen, bereits vorhandene Werbung darf aber auch am Wahltag noch neu zugeschnitten werden und kann so immer noch kurz vor der Wahl neue Zielgruppen erreichen und somit Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe vom Wählen abhalten.
Die Verfügbarkeit und Qualität von Daten ist der entscheidende Faktor für den Erfolg zielgerichteter Wahlkampfkampagnen und auch der Grund dafür, dass Microtargeting in Deutschland bislang eine kleinere Rolle spielt als in den USA. Daten aus zentralen Wählerregistern stehen den Parteien hierzulande nicht zur Verfügung. Dennoch entdecken auch deutsche Parteien die Macht der Daten. Von der Bundestagswahl 2017 und der Europawahl 2019 sind verschiedene Versuche und Strategien der Parteien bekannt, ihr Werbebudget effizienter einzusetzen.
Nach welchen Kriterien sie die Anzeigen genau zuschneiden und welche Daten ihnen dabei helfen, darüber geben sich die meisten deutschen Parteien eher zugeknöpft.
Die Dokumentation von Channel 4 im Original
Dieser Artikel von Jana Ballweber und Ingo Dachwitz erschien zuerst hier auf netzpolitik.org (unter CC BY-NC-SA 4.0-Lizenz). Wir bedanken uns vielmals für das Recht zur Übernahme.
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