Ende November tötete eine US-Drohne fünf Zivilpersonen in der Provinz Khost im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Kein deutsches Medium berichtete über den Mord. Bei ihrem Antrittsbesuch in Afghanistan forderte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht nur eine Verlängerung des Bundeswehrmandats, sondern bekundete auch ihr Interesse am Einsatz bewaffneter Kampfdrohnen in Afghanistan.
29. November, afghanisch-pakistanisches Grenzgebiet, Alisher-Distrikt in der südöstlichen Provinz Khost. In einer Hausgeburt hatte die 25-jährige Malalai ihr zweites Kind zur Welt gebracht, einen Jungen. Nach der Geburt verschlechterte sich Malalais Gesundheitszustand und drei Verwandte fahren die junge Mutter mit dem Auto in die nahegelegene Al-Madina Klinik, die sie um 21.45 erreichen. Um 23.30 verlässt die Familie das Hospital und macht sich zurück auf den Weg nach Hause – doch kommt sie nie dort an.
Ein Fünffachmord und das Versagen der Medien
Eine US-Drohne feuert eine Rakete auf das Auto ab und tötet alle fünf Insassen – Malalai, ihre Schwiegereltern, ein 9-jähriges Mädchen aus der Familie und den Fahrer des Wagens. „Ihr Fahrzeug wurde vollständig zerstört“, erklärt Gulmir Jan, ein lokaler Stammesführer, was Bilder des Wracks bezeugen.
Die Menschenrechts-NGO Afghanistan Independent Human Rights Commission nahm Untersuchungen zum Angriff auf und sammelt vor Ort Beweise des Verbrechens. Das Pentagon räumt den Drohnenschlag zwar ein, versicherte jedoch, dass keine Zivilisten, sondern drei Taliban-Kämpfer getötet wurden. Haidar Jan Naeemzai, ein Repräsentant lokaler Nomadenstämme, gab gegenüber der unabhängigen afghanischen Nachrichtenseite Pajhwok an, die fünf getöteten Zivilisten zu kennen und nannte zum Beweis ihre Namen. Auch die örtliche Polizei, ein Mitglied des Provinzrats und weitere Stammesführer bestätigten den Angriff auf die Zivilisten gegenüber Pajhwok, während die Washington Post und die US-amerikanische Militärwebsite Stars and Stripes die Pentagon-Lüge von den drei getöteten Taliban-Kämpfern kolportieren.
International berichtete ein Handvoll Medien auf Englisch über den Anschlag – im deutschsprachigen Raum kein einziges der großen Häuser. Ich bemühte die Suchfunktionen auf Spiegel, Süddeutscher Zeitung, Tagesschau, FAZ, Welt, BILD, RP, FR, taz und NZZ – auf keiner Seite gab es einen Hinweis zum fünffachen Drohnenmord in Khost. Die USA machen einen Neugeborenen zum Halbwaisen und die deutschsprachige Medienlandschaft hält es nicht für nötig, darüber zu berichten. Fünf ermordete Menschen in Afghanistan überschreiten nicht die Signifikanzschwelle zur Berichterstattung.
„Drohnenkönig“ Obama und Trump, die „Taube“?
Afghanistan ist mit Abstand das am meisten von US-Drohnen heimgesuchte Land der Welt. Das Bureau of Investigative Journalism (BIJ) ist weltweit die journalistische Instanz zum Thema Drohnenkriege und veröffentlicht jährlich geupdatete Zahlen zu Drohnenschlägen und Todesopfern in Jemen, Pakistan, Somalia und Afghanistan.
Mit 5.888 Drohnenangriffen liegt Afghanistan einsam auf Platz 1 und kommt auf ein Vielfaches der anderen drei Länder zusammenaddiert, obwohl der Drohnenkrieg hier erst 2015 begann. Zwischen 3.959 und 5.532 Menschen wurden in Afghanistan getötet, während sich die Gesamtzahl der in diesen vier Ländern per Drohne Getöteten auf bis zu 11.105 addiert. Der erste Drohnenschlag in Afghanistan wurde von Friedensnobelpreisträger Barack Obama autorisiert und ereignete sich am Neujahrstag 2015. 4.582 der 5.888 Drohnenschläge in Afghanistan wurden hingegen von Präsident Trump abgefeuert, 78 Prozent also. Vereinzelt autorisierte Trump knapp 500 Angriffe pro Monat.
Dasselbe gilt auch für Syrien, Irak und Somalia, wo Trump ebenfalls die Drohnenkriege eskalierte. Im Jemen beorderte er in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit mehr Drohnenschläge als „Drohnenkönig“ Obama in den drei Jahren zuvor – nur ein weiterer Beweis, dass der Mythos, Trump sei eine „Taube“ und wolle sich aus den US-Kriegen zurückziehen, genau das ist: ein Mythos, reine Propaganda der Trump-Apologeten.
Es ist zu beachten, dass die Zahlen vom BIJ zurzeit nur bis Februar reichen und dass 2019 viele weitere afghanische Zivilisten durch US-Drohnenschläge exekutiert wurden. Mitte September tötete etwa eine US-Drohne 30 Arbeiter auf einer Pinienfarm in Jalalabad in der Nangarhar-Provinz und nur eine Woche nach dem eingangs beschriebenen Anschlag in Khost tötete eine Drohne drei Zivilisten in der Wardak-Provinz, wieder ein Kind darunter.
Der Schatten Obamas
Ein besonders perfider Aspekt der US-Drohnenkriege sind die sogenannten signature strikes: Es werden keine konkreten Kämpfer oder Terrorführer außergerichtlich per Drohne exekutiert, sondern beliebige Menschen lediglich aufgrund bestimmter Verhaltensmuster, Raster und Parameter. Ein military aged male, ein Mann im kampffähigen Alter, der etwa ein Haus betritt, in dessen Nähe sich einmal ein Taliban-Kämpfer aufgehalten hat, oder der von einem Handy angerufen wird, von dem einmal ein Militanter angerufen wurde, läuft Gefahr, per Drohne hingerichtet zu werden. Es spielt keine Rolle, ob der Mann tatsächlich Kontakte zu den Taliban hat oder auch nur Sympathien für sie hegt. Die Verifizierung der Identität des getöteten Mannes im Vorfeld oder im Anschluss ist weder möglich noch gewollt – er wird in der Statistik als feindlicher Kombattant verbucht.
General Michael Hayden, CIA-Chef unter Bush und Obama, gab diese Strategie auf einer Podiumsdiskussion der Johns Hopkins University im Mai 2014 offen zu: „Wir töten Menschen auf der Basis von Metadaten“. Ein Mann zwischen 16 und 66 lebt in Afghanistan oder Jemen im Grunde in permanenter Lebensgefahr und mit dem Risiko, von Pentagon-Algorithmen eliminiert zu werden.
Die völkerrechtswidrigen signature strikes wurden zwar unter George W. Bush entwickelt, unter Obama jedoch massiv ausgeweitet. Obama erhob die außergerichtliche Hinrichtung – selbst von US-Bürgern – per Drohne zum neuen Goldstandard der modernen Kriegsführung im 21. Jahrhundert. Viele vermeintlich Linke und Progressive überall auf der Welt begriffen damals nicht, welche konstitutionelle und friedenspolitische Katastrophe Obama mit der exzessiven Ausweitung des US-Drohnenkriegs angerichtet hat, vertrauten sie doch blind auf die Entscheidungskraft des eloquenten Friedensnobelpreisträgers und Verfassungsrechtlers.
Auf welcher moralisch-ethischen Grundlage wollen dieselben Leute nun einem rechtsaußen Despoten wie Trump das Recht zur gesetzlosen Exekution von wem und wo auch immer absprechen?
Der Irrweg der AKK
Zwei Tage nach dem tödlichen Drohnenschlag in Khost hielt Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang Dezember ihren Antrittsbesuch in Afghanistan ab. Im deutschen Feldlager Camp Marmal in Mazar-e Sharif sprach sich AKK für eine Verlängerung des Bundeswehrmandats am Hindukusch aus, welches am 31. März 2020 ausläuft. Insgesamt sind im Rahmen der NATO-Mission Truppen aus 39 Ländern in Afghanistan stationiert. Mit 1.300 Soldatinnen und Soldaten ist Deutschland hinter den USA und Großbritannien das Land mit dem stärksten Kontingent.
Der Afghanistan-Krieg läuft seit über 18 Jahren und ist damit länger als der Amerikanische Bürgerkrieg, der Spanisch-Amerikanische Krieg, die Weltkriege 1 und 2 und der Korea-Krieg – zusammen. Bald werden wir die erste Nachricht hören von einer US-Soldatin oder einem US-Soldaten, die in Afghanistan getötet wurden und bei den Anschlägen vom 11. September 2001 noch nicht einmal geboren waren. War die völkerrechtliche Grundlage des Krieges von Beginn an mehr als vage, gibt es 18 Jahre nach Kriegsbeginn keinerlei juristische Grundlage mehr und der Krieg reiht sich ein in die Liste der illegalen NATO-Kriege.
Hunderttausende Afghan*innen ließen in diesem sinnlosen Krieg ihr Leben, ein Krieg – sonderbarerweise wird dies hierzulande kaum so kommuniziert –, den die USA, die NATO, der Westen verloren haben. Kein einziges Kriegsziel wurde erreicht: Die Taliban haben anno 2019 mehr Territorium unter Kontrolle als zu jedem Zeitpunkt nach ihrem Sturz 2001. Auch haben die Taliban 2018 den IS als tödlichste Terrorgruppe der Welt überholt – mit 7.379 Getöteten.
Es gehört gewissermaßen zum guten Ton für im Niedergang befindliche Imperien, einen Krieg in Afghanistan zu verlieren: Schon Alexander der Große, Dschingis Khan, das British Empire (mehrfach) und die Sowjetunion scheiterten in ihren Raubzügen am Hindukusch – nicht umsonst wird das Land auch „Graveyard of Empires“ genannt.
Und AKK will diesen zum Scheitern verurteilten militaristischen Irrweg nun ohne Sinn und Verstand und unbelehrbar weitergehen – in seiner Blamage und Demütigung wird Berlin auch unter AKK weiter eng an Washingtons Seite stehen. Doch noch weiter: Auf ihrem Afghanistan-Besuch bekundete die Verteidigungsministerin und CDU-Chefin neben einer Verlängerung des Kriegseinsatzes auch ihr Interesse an bewaffneten Kampfdrohnen in Afghanistan. Bislang setzt die Bundeswehr die unbewaffnete Aufklärungsdrohne Heron 1 aus israelischer Produktion am Hindukusch ein. Doch AKK schwebt nun ein Update auf die waffenfähige Heron TP vor.
Zwei Tage vor ihrer Ankündigung tötete eine US-Drohne die 25-jährige Malalai und machte ihren neugeborenen Sohn zum Halbwaisen – und AKK will nun auch die Bundeswehr auf diesen Pfad der völkerrechtswidrigen und zutiefst unethischen Drohnenmorde schicken.
Wenn Du über meine Arbeit auf dem Laufenden bleiben willst, kannst Du dich hier für meinen E-Mail-Newsletter anmelden.
The shortcode is missing a valid Donation Form ID attribute.
Eine Antwort
Wie reagiert man denn richtig auf den Terror? Mit Terroristen kann man nicht verhandeln, denn einem Terroristen kann man nicht vertrauen.
Das gilt für die Taliban in Afghanistan genauso wie für die Hamas in Palästina.
Es ist leicht, von einem Irrweg zu schreiben.