Die 13 Forderungen Saudi-Arabiens zur Beilegung der Katar-Krise sind absurd, sie müssen abgelehnt werden. Ziel ist die Eskalation der Krise, Ziel ist der Regime Change in Doha. Mit all seinen Interdependenzen hat das saudische Spiel mit dem Feuer das Potential, den ganzen Nahen Osten in Brand zu setzen.
Am 5. Juni brachen Saudi-Arabien und eine Fraktion Saudi-höriger Lakaienstaaten unerwarteterweise ihre Beziehungen zu Katar ab und verhängten eine umfassende Blockade (Die Freiheitsliebe berichtete ausführlich). Der Vorwurf gegen die superreiche Gasmonarchie war grotesk: Katar würde Terrorgruppen unterstützen. Grotesk nicht etwa, weil der Vorwurf falsch war – es ist allgemein bekannt, dass Katar Terroristen unterstützt – sondern weil er vom weltweit größten Unterstützer dschihadistischen Terrorismus überhaupt ausgesprochen wurde: Saudi-Arabien. Mehr als zwei Wochen gab es kaum neue Entwicklungen in der Katar-Krise, was im besten Falle derart zu deuten war, dass Saudi-Arabien nur mit Platzpatronen schoss und sich die Affäre im Sande verlaufen würde, oder aber, dass Riad scharf schoss und jedoch erst nach dem Feuern darüber nachdachte, was es denn von seinem Zwergnachbarn am Golf überhaupt genau will.
Zweiteres war der Fall.
Saudi-Arabiens absurder 13-Punkte-Plan
Am vergangenen Donnerstag übersandten Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain – über Kuwait als Mediator im Konflikt – schließlich ihre Liste mit 13 Forderungen, die Katar innerhalb von zehn Tagen bedingungslos erfüllen muss, um das gegenwärtige Embargo aufzuheben. Die katarische Regierung hatte jedoch bereits vor Tagen klargemacht, dass sie erst bereit für Verhandlungen ist, nachdem die Blockade aufgehoben wurde. Eine Pattsituation.
Die 13 Punkte in Gänze:
„Diese Liste repräsentiert einen Übergang“, schreibt Galip Dalay auf Middle East Eye, „von einem Zustand des Wahnsinns zu einem Zustand der Absurdität.“ In der Tat kann kein mit nur einem Funken Vernunft gesegneter Mensch diese Liste ernst nehmen.
Der erste Punkt ist gleichzeitig der zentrale Punkt der Liste: Katars hervorragende Beziehungen zum Iran – dem Erzfeind der Saudis – sollen geschwächt werden. Diese Forderung ist besonders schizophren, da bis auf Saudi-Arabien auch alle anderen Golfstaaten gute bis sehr gute Beziehungen zum Nachbarn Iran pflegen; VAE ist nach China gar zweitgrößter Empfänger iranischer Exporte. Iran und Katar teilen sich das weltweit größte Erdgasfeld und werden daher bereits allein aus wirtschaftlichem Pragmatismus heraus unter keinen Umständen ihre Beziehungen einschränken. Wie zu erwarten war, stellte sich Teheran am Sonntag demonstrativ hinter Doha und betonte die Freundschaft beider Völker. „Zwang, Drohungen und Sanktionen sind kein guter Weg zur Beilegung von Problemen“, erteilte Irans Präsident Rouhani dem 13-Punkte-Plan des Saudi-Blocks eine klare Abfuhr.
Weiterhin wird gefordert, die Unterstützung von Terrororganisationen einzustellen – die Krönung der Absurdität, ist es doch wohl belegt, dass Saudi-Arabien selbst der größte Terrorunterstützer überhaupt ist. Der Fokus liegt hier auf den ägyptischen Muslimbrüdern, die geschwächt werden sollen. Bemerkenswert ist, dass die Muslimbrüder nicht einmal von westlichen Ländern, sondern – neben Russland – ausschließlich von arabischen Diktaturen selbst als Terrororganisation eingestuft werden, stellen ihr ausgeprägter Säkularismus und ihr Demokratieverständnis doch eine existenzielle Bedrohung für die ultrabrutale Spielart des politischen Islams des Saudi-Blocks dar.
Besonders verurteilenswert ist der saudische Angriff auf die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit. Die Schließung einer Vielzahl von Medienhäusern wird gefordert, die Katar direkt oder indirekt unterstützt, darunter das globale Medienflaggschiff der arabischen Welt, Al Jazeera, das linksliberale Netzwerk The New Arab und die progressive Seite Middle East Eye (die überhaupt keine Gelder von Katar erhält).
Die drei genannten Seiten gehören zu meinen persönlichen Standardrecherchequellen, insbesondere zu Fragen des Nahen und Mittleren Ostens, da sie ein wertvolles Gegengewicht etwa zur saudi-arabischen, syrischen oder ägyptischen Staatspropaganda darstellen. Die Feigheit unserer Politiker darf kein Maßstab sein, wir als Mediennutzer müssen die Forderungen des Saudi-Blocks mit aller Schärfe verurteilen und für eine freie Presse einstehen, ebenso das internationale medienschaffende Handwerk selbst; so geschehen etwa von Human Rights Watch oder dem britischen Guardian, die klare Worte gegen den saudischen Krieg gegen die Pressefreiheit fanden
„Wenn Regimes mit einer derart herausragenden Menschenrechtsbilanz und einer glasklaren moralischen Autorität wie Saudi-Arabien und VAE deine Schließung verlangen“, behält sich James Brownsell, der Managing Director von The New Arab, seinen schwarzen Humor, „weißt du, dass du etwas richtig machst.“
Neben weiteren absurden Forderungen, etwa die nach Reparationszahlungen, die nach der Schließung der türkischen Militärbasis in Katar – Warum eigentlich nicht die Schließung der US-amerikanischen Basis nahe Doha, der größten US-Basis im Orient? –, oder die nach zwölfjährigen Kontrollen und Prüfungen bezüglich der Einhaltung der Forderungen, offenbart insbesondere Punkt 8. der Liste den totalen Realitätsverlust des Saudi-Blocks: Beendigung der Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten. Die 13-Punkte-Liste selbst ist das Musterbeispiel für exakt diesen Vorwurf, denn sie stellt nicht nur die Einmischung sondern die faktische Abschaffung der Souveränität Katars dar.
Der ehemalige Bundessprecher der linksjugend [‘solid] Daniel Kerekeš verglich mir gegenüber die 13-Punkte-Liste mit dem Forderungskatalog, den Österreich-Ungarn dem serbischen Königreich 1914 nach der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand vorlegte und dessen Zurückweisung schließlich zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte. Wien diktierte damals seine Bedingungen derart überzogen in der Gewissheit, dass Belgrad sie niemals hätte annehmen können, wodurch der Welt verkauft werden sollte, die Alleinschuld für den Kriegsausbruch läge bei Serbien. The Atlantic zog denselben historischen Vergleich und erhob gegen Saudi-Arabien den Vorwurf, der 13-Punkte-Plan sei vorsätzlich so absurd designt, dass Katar ihn ablehnen müsse, und dass der Saudi-Block die Schuld für die forcierte weitere Eskalation der Krise schließlich auf das augenscheinlich unbelehrbare Katar abschieben könne.
Saudi-Arabiens ultrabrutale Außenpolitik der letzten sechs Jahre lässt vermuten, dass auch in Katar zum Brechen des freien Willens der Einsatz militärischer Gewalt das finale Ziel ist. Die Bedeutung des absurden 13-Punkte-Plans kann daher kaum genug betont werden: er ist kein schroffes Diplomatiegeplänkel, sondern ein Kriegsultimatum.
Am Kaleidoskop drehen, um die Dinge klarzusehen
„Es ist so absurd, als würde Deutschland von Großbritannien verlangen, die BBC zu schließen“, meint Giles Trendle, der leitende Geschäftsführer von Al Jazeera English, über die Forderung der Saudis, das Al Jazeera-Netzwerk dichtzumachen. Spinnen wir diesen Gedankengang ruhig ein wenig weiter: Polen verlangt von Deutschland die Schließung der US-Basis in Ramstein, Mexiko fordert von Kuba ein Ende der diplomatischen Beziehungen zu Haiti, Malaysia zwingt Papua-Neuguinea, dem ASEAN-Bündnis beizutreten, Georgien verlangt von Russland die Schließung von Russia Today, Norwegen fordert von der EU ein Ende der Unterstützung Kurdistans und Palästinas, Sambia verlangt das Recht auf monatliche Buchprüfungen des kongolesischen Staatsapparats – bei Ungehorsam gegen diese Forderungen werden lähmende Embargos verhängt und implizit mit Krieg gedroht. Wie wir selber die Legitimität dieser Forderungen beurteilen, ist irrelevant. Als Privatperson wäre es mein gutes Recht, unter Zuhilfenahme demokratischer Mittel all diese Forderungen zu stellen.
Auf der Ebene von Staaten sind diese Forderungen jedoch absurd und sie offenbaren eine tiefsitzende Verachtung für jegliches Völkerrecht. Artikel 2 Nr. 1 der UN-Charta von 1945 schreibt die Souveränität von Staaten fest. Diese Souveränität beinhaltet das Recht auf eine eigene Presse und eine eigenständige Außen- und Bündnispolitik – ob Dir und mir diese Bündnisse und Politiken nun gefallen oder nicht. Die offene Erpressung Katars durch den Saudi-Block tritt das Völkerrecht mit Füßen. Sie ist ein Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staats, der nicht hinnehmbar ist. Für Katar ist es unmöglich, diesen 13-Punkte-Plan zu akzeptieren, würde er doch nichts anderes als die bedingungslose Kapitulation bedeuten und die totale Unterwerfung unter den faschistischen Familienclan des Hauses Saud – das Resultat wäre ein Zustand, den ich als Besatzung ohne Panzer bezeichnen würde.
Es liegt mir fern, an dieser Stelle das Blame Game zu spielen – die Schuld für die Katar-Krise liegt vordergründig bei den Saudis, ihrem Hass auf den Iran, ihrer ultrabrutalen Außenpolitik und ihren Allmachtsfantasien der Unterwerfung der arabischen und gar muslimischen Welt unter das Haus Saud –, doch dürfen wir die zentrale Rolle der mächtigen westlichen Regierungen in der Katar-Krise nicht vergessen: nicht als aktive Player, sondern als diplomatische, politische und nicht zuletzt moralische Rückendeckung für das verbrecherische Handeln der Saudis.
„Wenn sie die Luftbetankungen [saudischer Kampfjets] einstellen würden, würde die Bombardierung buchstäblich morgen zu Ende sein“, meint Jemen-Expertin Iona Craig von The Intercept über die logistische Unterstützung der Saudis durch die USA in ihrem blutigen Krieg im Jemen. Ähnliches gilt für die aktuelle Katar-Krise.
An die Stelle des islamhassenden und gegen die Saudis hetzenden Kandidaten Trump trat schizophrenerweise der sich in Anbiederung ans Haus Saud selbst der Lächerlichkeit preisgebende Präsident Trump: manifestiert im bis zu 380 Milliarden Dollar schweren Rüstungsdeal, konzeptualisiert in seiner iranophoben Rede vor Dutzenden arabischen und islamischen Führern dieser Welt, ritualisiert schließlich im Schwerttanz mit König Salman. Diese an Unterwürfigkeit grenzende Zurschaustellung von Einigkeit musste Saudi-Arabien einfach – zu Recht – als diplomatisch-politischen Freifahrtschein aus Washington begreifen. Ohne Trumps U-Turn hätte es die Katar-Krise so wohl nicht gegeben, die nur wenige Tage nach seinem Saudi-Arabien-Besuch einsetzte.
Rückendeckung aus Europa erhält Saudi-Arabien ohnehin. Die drei größten europäischen Waffenlieferanten – Deutschland, Großbritannien, Frankreich – ermöglichen neben den USA das brutale Vorgehen der Saudis in Bahrain, Syrien und dem Jemen erst. Ihre diplomatische Unterwürfigkeit, sowie ihre Unfähigkeit, Unrecht beim Namen zu nennen, liefern die moralische Legitimierung saudischer Verbrechen. Legendär ist das von Tilo Jung auf der Bundespressekonferenz vom Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, herausgekitzelte „Ich nenn‘ es Königreich.“ – in seiner Weigerung, Saudi-Arabien als Diktatur zu bezeichnen, was die kohärente Position der Bundesregierung ist. Vermeidung diplomatischer Verstimmungen und Nichtgefährdung von Wirtschaftsdeals sind das unantastbare und höchste Gebot der Regierung Merkel gegenüber ihrem in IS-Manier kopfabhackenden Partner in Saudi-Arabien, dem „Stabilitätsanker in der Region“, wie Innenminister de Maizière es schmeichelnderweise formuliert.
Kein neuer Krieg im Nahen Osten!
Am Montag äußerte der bahrainische Außenminister in bester Orwell-Manier gegen Katar den Vorwurf der „militärischen Eskalation“ und brachte damit erstmals explizit Kriegsvokabular in die Katar-Krise ein.
Die Welt stolpert gerade in ihren nächsten Krieg hinein. Und die internationalen Player, die die Macht haben, diesen Krieg zu verhindern, tun nichts dergleichen, beziehungsweise befeuern sie die Kriegsvorbereitungen sogar. Von Trump und seiner Regierung aus rechtsextremen Kriegsfalken können wir in der Katar-Krise ohnehin keine Deeskalation erwarten – im Gegenteil! –, umso mehr sind Europa und die EU gefragt – es müssen jetzt Zeichen und klare Grenzen gesetzt werden. Europa muss ein Mal hinter seinen so oft geheuchelten Prinzipien stehen und dem Frieden in der Welt gegenüber dem schnellen Geld aus moralisch zutiefst verwerflichen Waffenverkäufen an faschistische Diktaturen Priorität einräumen. Die EU mit ihren drei größten Waffenlieferanten an der Spitze – Deutschland, Großbritannien, Frankreich – muss ein sofortiges und umfassendes Waffenembargo gegen Saudi-Arabien, Ägypten, die VAE und Bahrain verhängen.
Nachdem US-Außenminister Rex Tillerson am 14. Juni offen einen Regime Change im Iran forderte, muss auch die gegenwärtige Eskalation der Saudis gegen Katar im Kontext der zum Scheitern verurteilten Regime-Change-Strategie des Westens und seiner Alliierten gesehen werden. Afghanistan, Irak, Libyen – hat sie je ein Land nicht in Flammen aufgehen lassen? Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Saudi-Arabien einen Einmarsch in Katar plant. Ein Krieg gegen Katar hätte jedoch mit an 1 grenzender Wahrscheinlichkeit einen Krieg gegen den Iran zur Folge. Ein Krieg gegen den Iran – mit seinen Partnern Syrien, Russland und auch Nordkorea und China – hat wiederum das Potential, zum Dritten Weltkrieg zu eskalieren.
Wir stehen so nah an einem umfassenden Krieg im Nahen Osten mit sämtlichen globalen Playern involviert wie noch nie zuvor in der Geschichte.
Dieser Artikel erscheint auch auf Jakobs Blog JusticeNow! – connect critical journalism!