David Ben Gurion, einer der prägendsten Figuren und Staatsgründer Israels. Foto: The Israel Internet Association via the PikiWiki - Israel free image collection project, via Wikimedia Commons

Reflexionen von Krieg und Frieden

Der Staat Israel feierte in diesen Tagen seinen 70. Geburtstag. Da Geburtstage auch immer Tage der Erinnerung und des Bilanzierens ist, soll mit David Ben Gurion eine der prägenden Figuren Israels zu Wort kommen. Der langjährige Ministerpräsident trat 1963 zurück und tauschte das umtriebige Tel Aviv und das gespannte Jerusalem gegen die abgelegene Negev-Wüste ein. Bislang unentdeckte Videoaufnahmen zeigen ihn in einem bemerkenswerten Interview, das 1968, fünf Jahre vor seinem Tod, geführt wurde. Er sinniert über den Zionismus, über Ideale wie Frieden und Menschenrechte, aber auch über Krieg und Vertreibung. Tugenden wie Gerechtigkeit und Nächstenliebe sollten Fundament eines freien demokratischen Judenstaates werden, doch schon Ben Gurion stellte fest, das Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander liegen können.

Kaum ein anderes Land wird so kontrovers bewertet wie der Staat Israel. Es ist ein Land voller Widersprüche, ein Land, das demokratisch und hochmodern sein möchte, das Rassismus und Unterdrückung institutionalisiert hat, das verheerende Kriege und schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen hat. Ein Land, in dem kriegslüsterne und sich selbst bereichernde Antidemokraten (siehe die politische Vita des aktuellen Premierministers Benjamin Netanyahu) das Sagen haben, in dem große Teile der Gesellschaft unter der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit leiden. Es ist aber auch ein Land, das gerade für die Gründerinnen und Gründer nach Ende des Zweiten Weltkrieges und der Shoa zum Ort der Hoffnung wurde, ein Ort, der Frieden und Rechte möglichst nicht nur für die jahrhundertelang verfolgten Jüdinnen und Juden schaffen und auf ewig verteidigen soll. Dies gelang Israel weder zu Zeiten des mit Ben Gurions geführten Interviews ein Jahr nach dem Sechs-Tage-Krieg, noch spiegelt es die heutige politische Realität des Landes wider. Selten war der Frieden weiter weg als heute, und das auch, da integre und kompromissfähige Politiker wie Ben Gurion oder der 1995 ermordete Yitzhak Rabin nicht mehr da sind. Nichts schien dem im heutigen Polen geborenen Ben Gurion wichtiger, als die Sicherheit des jüdischen Volkes. Das war sein Antrieb und besonders dem sah er sich zeitlebens verpflichtet, mit all seinen politischen Konsequenzen.

Trotz seiner teils ambivalenten politischen Laufbahn, David Ben Gurion wirkt nach dem Rückzug aus der aktiven Politik und nach dem Tod seiner Frau Paula außerordentlich reflektiert und visionär. Auch wenn er sich nie als religiös ansah, seine Identität war klar jüdisch, insbesondere zionistisch geprägt und vieler seiner Überzeugungen über Krieg und Frieden, über Gerechtigkeit und des gesellschaftlichen Miteinanders entstammen der jüdischen Religionsgeschichte und Ethik. Durchaus selbstkritisch stellte Ben Gurion fest, dass gerade in der Anfangszeit des jungen Staates Israel Ideale aus dem sozialistischen Kibbuz, also das solidarische Miteinander oder das auf die Propheten fußende Konzept der Nächstenliebe den knallharten Sicherheitsinteressen geopfert werden mussten. Sogar Konflikte mit den Opfern und Hinterbliebenen der Shoa blieben in den Amtszeiten Ben Gurions nicht aus, besonders dann, als Tel Aviv begann, mit der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen aufzunehmen und eine finanzielle und moralische „Wiedergutmachung“ anstrebte. So war Ben Gurion nicht nur eine der prägendsten Köpfe der israelischen Geschichte, zweifellos war er auch einer der einflussreichsten Menschen des 20. Jahrhunderts. Gerade im Lichte des zweifelhaften Weges, den Israel seitdem gegangen ist, mutet dieses auf arte ausgestrahlte Interview besonders sehenswert an.

Das Video mit dem Titel „Ben Gurions Vermächtnis“ ist bis zum 22. Juni 2018 unter dem folgenden Link verfügbar:

https://www.arte.tv/de/videos/060780-000-A/ben-gurions-vermaechtnis/

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