Vor wenigen Monaten zog zum ersten mal seit langem eine linke Partei in das kroatische Parlament ein, auch in Nordmazedonien kam eine Partei mit dem Namen „Die Linke„ ins Parlament, ob es sich dabei um eine linke Partei handelt, ist jedoch mehr als umstritten. Wir haben mit Krunoslav Stojaković, Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Belgrad, gesprochen.
Die Freiheitsliebe: Auf dem Balkan war die Linke in den letzten Jahren eher im Niedergang, nun scheint es einen Aufschwung zu geben. Woran liegt das?
Krunoslav Stojaković: Nun, zunächst einmal würde ich grundsätzlich behaupten, dass die Schwäche der Linken kein spezifisches Balkanproblem ist. Aus meiner Wahrnehmung heraus ist die Entwicklung der radikalen Linken, also einer Linken, die selbstbewusst den Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit thematisiert, insgesamt mehr als bescheiden. Damit meine ich explizit auch die Entwicklung meiner Partei Die Linke. Ich finde, wir sind in der öffentlichen Wahrnehmung generell zu profillos und zu handzahm in der gesellschaftspolitischen Debatte. Oftmals habe ich das Gefühl, wir verlieren uns in einer permanenten Ermahnung der SPD, sie möge doch endlich wieder zurück zu ihren sozialdemokratischen Werten finden. Dies sollte aber Aufgabe der Grundwertekommission der SPD sein, und nicht unsere. Das es anders geht, zeigt das Beispiel Berlin.
Aber es stimmt, linke Akteure und damit zusammenhängend auch linke politische Inhalte erwachen in Südosteuropa gegenwärtig aus einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf. Aus parteipolitischer Perspektive ist die Linke in Slowenien sicherlich am weitesten vorangeschritten, die Partei „Levica“ sitzt dort nun schon in der zweiten Wahlperiode im Staatsparlament und ist ein relevanter gesellschaftspolitischer Faktor. Aber auch in anderen Staaten befindet sich die Linke in einem leichten Aufschwung, etwa in Kroatien und Serbien. Wie nachhaltig dieser Aufschwung aber tatsächlich ist, wird sich zeigen. Oftmals haben wir es mit komplizierten Koalitionsgebilden disparater linker und linksgrüner Akteure zu tun, oder aber mit konfliktbeladenen Parteiformierungsprozessen, deren organisationspolitische Stabilität und Nachhaltigkeit erst noch den Praxistest bestehen müssen.
Die Gründe für diesen Aufschwung sind vielfältig und sie bestehen nicht erst seit gestern. Der seit Beginn der 1990er Jahre eingeleitete Deindustrialisierungs- und Privatisierungsprozess hat sich äußerst negativ auf den Lebensstandard der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung ausgewirkt. Die soziale Frage stellt sich in Südosteuropa mit immer größerer Vehemenz, die Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2008 hat diesen Prozess nur zusätzlich beschleunigt. Hinzu kommt ein enormer Vertrauensverlust in die althergebrachte Erzählung von Prosperität und Demokratie, die dominant über den Beitritt zur Europäischen Union versprochen wurden. Heute wissen die Menschen in Kroatien, Bulgarien und Rumänien, dass die Mitgliedschaft in der EU keineswegs ihre materielle Lage verbessert, sondern überwiegend verschlechtert hat. Auch in Fragen der gesellschaftlichen Demokratisierung, also einer Erweiterung gesellschaftlicher Mitbestimmungsrechte auf allen Ebenen, gab und gibt die EU kein sonderlich gutes Bild ab, so dass sich auch diesbezüglich in den Gesellschaften Südosteuropas Ernüchterung breitgemacht hat.
In diesem Kontext also bewegt sich der Aufschwung linker Akteure. Doch parallel dazu sind wir auch mit einem Aufschwung demokratiefeindlicher, autoritärer und teilweise faschistoider Akteure konfrontiert. Deren Aufschwung, dies sollte dabei nicht unter den Tisch fallen, verläuft leider vielerorts dynamischer.
Die Freiheitsliebe: Ausdruck des Aufschwungs in Kroatien ist vor allem das neue Bündnis Možemo. Wie setzt sich dieses Bündnis zusammen?
Krunoslav Stojaković: Možemo, was die kroatische Übersetzung von Podemos ist, ist zunächst einmal ein eigenständiger politischer Akteur, der sich nach dem Erfolg von Zagreb je naš [„Zagreb gehört uns“, Anm. d. Red.] bei den Kommunalwahlen 2017 gegründet hat. In Koalition mit anderen linken bis links-grünen Parteien und Organisationen wie etwa Radnička fronta [„Arbeiterfront“], Nova ljevica [„Neue Linke“] und Za grad [„Für die Stadt“], gelang damals der Einzug in das Zagreber Stadtparlament, wo sie seitdem als linker Block Oppositionsarbeit betreiben. Programmatisch lassen sich Zagreb je naš und Možemo dabei am ehesten als sozial-ökologisch verorten. Das Gros der Mitglieder und Aktivistinnen und Aktivisten waren und sind in der Recht auf Stadt-Bewegung aktiv, haben sich gegen die Privatisierung öffentlicher Güter engagiert und die korrupten Machenschaften des langjährigen Zagreber Bürgermeisters Milan Bandić angeprangert. Doch auch gewerkschaftspolitisches Engagement gehört zu den Kernthemen vieler dieser Aktivistinnen und Aktivisten. Radnička fronta hingegen verortet sich ideologisch weitaus expliziter in der Tradition der kommunistischen Arbeiterbewegung, für sie spielt vor allem die soziale Frage eine zentrale Rolle und sie machen auch öffentlich keinen Hehl daraus, dass für sie der zentrale gesellschaftliche Grundwiderspruch im Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit liegt.
Diese vor allem kommunalpolitische Verortung hat nicht unwesentlich zum wahlpolitischen Erfolg der kroatischen Linken beigetragen. Davon und von der insgesamt gut funktionierenden Zusammenarbeit im Zagreber Stadtparlament beflügelt, wurde nach durchaus auch kontroversen Debatten beschlossen, als gemeinsamer Block auch bei den Parlamentswahlen anzutreten. In der öffentlichen Wahrnehmung und Berichterstattung wurde diese Koalition dabei gerne als Možemo bezeichnet, was bei den anderen Koalitionsmitgliedern nicht immer gut ankam. Der Wahlerfolg dieser Koalition bei den diesjährigen Parlamentswahlen hat aber nichtsdestotrotz gezeigt, dass ein Zusammengehen einer breiter aufgestellten, linken Koalition für alle Beteiligten gewinnversprechend sein kann und nicht zwingend mit einem politischen und ideologischen Profilverlust einhergehen muss. Aus der bisher zu beobachtenden Arbeit im Zagreber Parlament lässt sich zumindest feststellen, dass sowohl ökologische als auch sozioökonomische Themen durch den linken Block in die Öffentlichkeit getragen werden – und zwar in einer Form und programmatischen Radikalität, wie sie die kroatische Gesellschaft in den vergangenen dreißig Jahren nicht gekannt hat. Dieses Beispiel zeigt uns aber auch, dass die soziale und ökologische Frage zwingend zusammen gedacht werden müssen, dass sie kein Widerspruch sind, sondern Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche linke Politik. Eine Erkenntnis, die auch für mich, sozialisiert und politisiert im Geiste der klassischen kommunistischen Arbeiterbewegung und ihrer Ignoranz gegenüber ökologischen Problemen, teilweise schmerzhaft war. Um diesen Erkenntnisprozess zu beschleunigen, empfehle ich jedem die Lektüre des Buches The Return of Nature. Socialism and Ecology von John Bellamy Foster, einem Pionier der marxistisch inspirierten Ökologie.
Die Freiheitsliebe: Insbesondere in Zagreb war das Bündnis sehr stark, welche Ursachen hat das?
Krunoslav Stojaković: Die Ursachen sind vielfältig. Kroatien, wie eigentlich auch all seine Nachbarstaaten, ist ein sehr zentralisierter Staat, nahezu alles spielt sich in der Hauptstadt ab. In Zagreb steht natürlich auch die größte Universität des Landes. Die Studentenbewegung in Zagreb 2009 war und ist in vielen Aspekten ein Politisierungsbeschleuniger gewesen, viele der damaligen Aktivistinnen und Aktivisten sind weiterhin politisch aktiv, teilweise im Rahmen von etwa Zagreb je naš, Možemo oder Radnička fronta, teilweise aber auch außerhalb parteipolitischer Organisationsstrukturen. Und darüber hinaus hat Zagreb eine durchaus widerständige Geschichte. Diese äußerte sich etwa in kommunistischen Wahlerfolgen in den 1920er Jahren, in einer sehr aktiven antifaschistischen Widerstandsbewegung im Zweiten Weltkrieg oder einem relativ großen und gut organisierten Industrieproletariat zu jugoslawischer Zeit. Ja selbst in den 1990er Jahren gab es in Zagreb eine nennenswerte Antikriegsbewegung. Hinzu kommen aktuelle sozioökonomische Probleme, ein korrupter Bürgermeister, Gentrifizierung, Privatisierung öffentlicher Güter etc. Es gab und gibt also viele Ursachen. Nun organisiert sich aber der Unmut und die Unzufriedenheit, und dies ist der qualitative Unterschied. Ohne Organisation wird es keine politischen Erfolge für die Linke geben. Weder in Kroatien noch anderswo.
Die Freiheitsliebe: In anderen Landesteilen ist das Bündnis noch nicht so präsent. Soll mit dem Parlamentseinzug nun der Aufbau der Basis gestärkt werden oder welche Perspektiven sieht das Bündnis?
Krunoslav Stojaković: In der Zusammensetzung ihrer Mitgliederbasis und auch des breiteren Aktivisten- und Unterstützerkreises dominieren gegenwärtig vor allem junge Akademikerinnen und Akademiker, gut ausgebildete junge Leute aus den urbanen Zentren Kroatiens, allen voran aus der Hauptstadt Zagreb. Dies ist zwar zum einen nicht unüblich, doch gleichzeitig ist es auch ein Manko, dass Arbeiterinnen und Arbeiter, Menschen aus semiperipheren und peripheren Landesteilen nicht oder nur kaum aktiv sind. Es gibt durchaus Anstrengungen, diese Hauptstadt- und Akademikerprävalenz zu überwinden. In anderen Städten wie Rijeka, Pula, Split oder Dubrovnik gibt es durchaus Potential für eine Verbreiterung der Basis, und es gibt auch bei den allermeisten Akteuren den Willen, die Basis landesweit zu stärken. Ob dies erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten, denn es ist nicht nur vom guten Willen, sondern auch von Infrastruktur und Kapazitäten abhängig. In Rijeka, einer Hafenstadt mit einer lebendigen antifaschistischen Tradition und durchaus immer noch ausgeprägter Arbeiterkultur, kandidiert beispielsweise mit Katarina Peović jemand aus der Radnička fronta bei den anstehenden Kommunalwahlen. Ihre Chancen auf den Posten als Bürgermeisterin sind wohl überschaubar, doch allein der Wahlkampf und das Engagement vor Ort werden zu einer größeren Wahrnehmung sowohl der Partei als auch sozialistischer Programmatik führen.
Die Freiheitsliebe: Auch in Nordmazedonien ist eine Partei in das Nationalparlament eingezogen, die sich als links betrachtet. Ist das für Sozialistinnen und Sozialisten ein Grund zur Freude?
Krunoslav Stojaković: Leider nein, denn die nordmazedonische Levica [Linke, Anm. d. Red.] hat seit ihrer Gründung eine Entwicklung genommen, die von keinem Sozialisten und keiner Sozialistin toleriert werden kann. Zum einen wurde die innerparteiliche Demokratie Schritt für Schritt ausgehebelt, was zu einem Massenexodus nahezu aller Akteure geführt hat, die 2015 an der Gründung und am Aufbau der Partei mitgewirkt haben. Übrig geblieben ist ein dem aktuellen Vorsitzenden Dimitar Apasiev fast schon in Personenkult ergebener Personenkreis, der die Partei programmatisch immer weiter in eine nationalistische Richtung drückt. Bei den letzten Parlamentswahlen ist Levica dann in das nordmazedonische Parlament eingezogen. In der Beurteilung dessen, was nun die Gründe für diesen Wahlerfolg waren, gibt es dabei unterschiedliche Blickwinkel. War es die prinzipielle Ablehnung des Abkommens mit Griechenland, der den Namensstreit beendete und damit – potentiell – den Weg zum NATO-Beitritt geebnet hat, oder waren es die sozialpolitischen Forderungen, die Anklang bei der verarmten Bevölkerung Nordmazedoniens gefunden haben? Wahrscheinlich haben beide Positionierungen eine Rolle gespielt. Arbeiterinnen und Arbeiter konnten sich in einigen Zielsetzungen von Levica sicherlich wiederfinden. Gleichzeitig aber lassen anti-albanische Aussagen keinen Zweifel daran, dass diese Partei die Lösung der sozialen Frage vor allem national adressiert. Albanische Arbeiterinnen und Arbeiter dürften sich kaum von Levica angesprochen gefühlt haben.
Die Freiheitsliebe: Welche Perspektive gibt es für sozialistische Kräfte vor Ort?
Krunoslav Stojaković: Im Moment herrscht noch Katerstimmung auf der Linken in Nordmazedonien, denn das Projekt Levica hatte damals Hoffnung gemacht und Erwartungen geschürt. Auch in den Nachbarstaaten galt die Linke in Nordmazedonien in den Jahren 2014 und 2015 als im Organisationsprozess weit fortgeschritten, mit exzellenten Leuten, die viel Zeit und Energie aufwendeten, um sowohl gegen den rechtspopulistischen Premierminister Gruevski eine artikulierte und schlagfertige soziale Bewegung zu initiieren, als auch den Organisierungsprozess hin zu einer politischen Partei abzuschließen. Nach dem vorläufigen Debakel mit Levica fragen sich gegenwärtig viele sozialistische Akteure, wie eine kommende linke Strategie aussehen könnte. Engagiert man sich vornehmlich im Bewegungskontext, reorganisiert man sich in einer neuen linken Parteistruktur, oder aber versucht man, Levica nach links zu ziehen, was bei den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen innerhalb der Partei als nicht gerade aussichtsreich gelten dürfte.
Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.
Hier geht’s zu unserer Reihe Neue Linke, in der wir Personen aus linken Bewegungen und emanzipatorischen Kämpfen weltweit zu Wort kommen lassen.
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