Warum Parität nur ein Schritt zum Ziel ist und auch die Linke keinen Grund zum Stillstand hat

Das Schauspiel, das die Berliner SPD gerade rund um die Wahlkreiskandidatur vom noch regierenden Bürgermeister Michael Müller aufführt, ist lehrreich: Es zeigt die Barrieren, die Politikerinnen und Politiker erleben, die noch nicht ganz so lange Teil des politischen Apparats sind. Und die vor allem Frauen erleben.

In Hinterzimmerrunden wird geklüngelt und ausgeschachert, wer welchen Posten bekommt, wer dafür was räumen muss und welchen Ersatz es aber auch gibt. Dass an dieser Klüngelrunde neben Raed Saleh und Michael Müller mit Franziska Giffey auch eine Frau beteiligt ist, ändert nichts daran, dass vor allem etablierte Politikerinnen und Politiker an ihren Parteien vorbei solche und ähnliche Deals ausmachen. Und etablierte Politikerinnen und Politiker sind eben in der überwiegenden Mehrzahl Politiker.

Die Mechanismen einer sich selbst reproduzierenden männlichen Politik zu durchbrechen, gelingt Frauen durchaus punktuell. Nicht selten gelingt es, in dem sie sich an genau den Seilschaften und Machtspielen beteiligen, die männliche Politiker über Jahrzehnte eintrainiert haben. Sich dagegen zu stemmen, ist ein Zeit und Kräfte zehrender Akt. Die Voraussetzungen, um in Parteien Sprechfunktionen zu bekommen und mit den eigenen Positionen sichtbar zu werden, sind Vollzeitengagement, Sitzfleisch für etliche Versammlungen, Mobilität und Flexibilität und vieles mehr, was insbesondere für Frauen, die Verantwortung für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige haben, nicht einfach machbar ist. Von dem mal mehr, mal weniger subtilen Sexismus, den Frauen in allen politischen Parteien erleben und der es ihnen zusätzlich erschwert, in verantwortungsvolle Positionen zu kommen, ganz zu schweigen.

Um gegenzusteuern, haben Parteien wie auch DIE LINKE, Quoten eingeführt, etwa für Spitzenfunktionen, Vorstände und für Wahllisten. Damit ist eine Verbindlichkeit geschaffen, die zwar noch keinen Kulturwandel schafft, aber eine Haltelinie eingezogen hat, hinter die zwar durchaus einige männliche Genossen gerne zurücktreten würden, dies aber in den allermeisten Fällen nicht wagen. Ohne Quote sähe das Geschlechterverhältnis auch bei der LINKEN anders aus, da sollte sich niemand einer Illusion hingeben. Damit wirkt die Quote vor allem auf repräsentativer Ebene, aber immerhin das tut sie. Und sie stärkt rein zahlenmäßig diejenigen, die sich für einen Wandel auf struktureller und kultureller Ebene einsetzen.

Dass solche Instrumente Wirkung zeigen, belegt auch ein Blick in den Bundestag. Dass der Frauenanteil hier nicht noch niedriger ist, liegt an den drei Fraktionen mit Quotenregelungen – SPD, Grüne und LINKE. Die beiden letzteren Fraktionen haben über die Hälfte der Mandate weiblich besetzt, die SPD immerhin knapp 43 Prozent. Bei den anderen Fraktionen sind so wenige Frauen vertreten, dass der Durchschnitt gerade mal auf etwas über 31 Prozent runter gezogen wird. Wenig überraschendes Schlusslicht ist die AfD mit 11 Prozent, aber auch bei Union und FDP sind über drei Viertel der Abgeordneten männlich. Auf Freiwilligkeit bei Parteien zu setzen, ändert also nichts am Problem, dass Frauen im Bundestag – und in den Landesparlamenten sieht es oft noch düsterer aus – unterrepräsentiert sind.

Der Frauenanteil ließe sich über zwei Wege verbessern. Die Wahl der Parteien, für die Gleichstellung manchmal ehrlicherweise zwar auch, aber nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, wäre einer. Denn natürlich ist das aktive Eintreten für Gleichstellungspolitik eine politische Frage und nicht nur eine des Geschlechts. Es ist wenig verwunderlich, dass diejenigen, die alles dem Markt überlassen wollen, gleichstellungspolitische Maßnahmen als Hemmnis im Konkurrenzkampf um freie Posten begreifen und entsprechend ablehnen. Genauso überrascht es kaum, dass für andere wiederum der Kampf für gleichberechtigte Geschlechterverhältnisse zur Vorstellung einer solidarischen Gesellschaft dazu gehört, in der eben nicht nur ressourcenstarke Mitglieder gewinnen. Für wen ungleiche Geschlechterverhältnisse und der Wunsch, daran etwas zu ändern, ein zentrales politisches Anliegen ist, die oder der dürfte eigentlich nicht neoliberal oder konservativ wählen. Da das eigene politische Bewusstsein aber selten vor allem entlang eines gesellschaftlichen Konflikts allein entsteht, ist angesichts aktueller Kräfteverhältnisse eher mit einer Verschlechterung des Frauenanteils zu rechnen. Und das in Zeiten, in denen die starke Verteidigung von Frauenrechten angesichts etlicher Angriffe gegen diese wichtiger denn je ist.

Deshalb braucht es ein politisches Bekenntnis, endlich auch in den Parlamenten für Gleichberechtigung zu sorgen und dies im Zweifel auch gegen Unwillige durchzusetzen. Eine solche Verpflichtung der Parteien, bei der Kandidierendenaufstellung zu quotieren, ist rechtlich zwar nicht unkompliziert, aber möglich. Auch wenn der Thüringer Verfassungsgerichtshof das Paritätsgesetz der rot-rot-grünen Landesregierung gekippt hat, hat er nicht grundsätzlich der Möglichkeit eines solchen Eingriffs widersprochen. Er sieht durchaus die Möglichkeit, gestützt auf die Staatszielbestimmung der Gleichstellung von Männern und Frauen, Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze und die Parteienfreiheit vorzunehmen. So heißt es im Urteil: „Entgegen der Auffassung der Antragstellerin vermag das Gleichstellungsgebot grundsätzlich auch Beeinträchtigungen der Wahlrechtsgleichheit sowie der Chancengleichheit zu rechtfertigen.“

Natürlich ist ein Paritätsgesetz kein Wundermittel. Die strukturelle Diskriminierung, die für Frauen beim Zugang zu Parlamenten existiert, wird nicht von Geisterhand beseitigt und die Hürden zur politischen Beteiligung fangen nicht erst bei den Parteien an. Wenn die Parteien aber gezwungen werden, Frauen aufzustellen und zu wenige Frauen sich „drängeln“, fragen sie sich vielleicht endlich mal, woran das liegt und es entsteht für sie ein Interesse, daran etwas zu ändern. Ein Paritätsgesetz kann die strukturellen Hürden sichtbar machen. Sie zu verändern braucht dann natürlich mehr. Aber Parität ist auch ganz schlicht eine Frage der Gerechtigkeit und der konsequenten Umsetzung unserer Grundrechte.

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