Menschenrechte gegen Energie

Es ist eine moralische Bankrotterklärung der Ampelkoalition und insbesondere der Grünen, die das Mantra einer „wertebasierten Außenpolitik“ demonstrativ vor sich hertragen: kurz bevor Bundeskanzler Olaf Scholz Ende September auf Betteltour nach Flüssiggas (LNG) und anderen Alternativen für russisches Gas und Öl in die Golfdiktaturen Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate reiste, entschied der geheim tagende Bundessicherheitsrat, den Export von Rüstungsgütern im Wert von 37,4 Millionen Euro an zwei führende Mitglieder der Kriegskoalition gegen den Jemen zu genehmigen.

Waffen ohne Ende

Während die Emirate Ersatzteile von „Kappo Opto Electronics“ im Wert von 1,3 Millionen Euro erhalten, bekommt die wahhabitische Monarchie in Riad, die Terroristen in alle Welt schickt und die Menschenrechte im Inland mit Füßen tritt, Ausrüstungsteile und Munition für die Kampfflugzeuge Tornado und Eurofighter im Wert von 36,1 Millionen. Und das, obwohl der Jemenkrieg, der bislang über 400.000 Menschenleben gefordert hat, ohne die westlichen Waffenlieferungen nicht weitergeführt werden könnte. Denn die beteiligten Staaten verfügen selbst über keine relevanten Rüstungsindustrien. Nicht umsonst hat erst im September die Weltorganisation gegen Folter gemahnt, nicht nur die Mitglieder der Kriegskoalition selbst, sondern auch Waffen exportierende Staaten und Konzerne könnten für im Jemen begangene Kriegsverbrechen mit haftbar gemacht werden. Ein Schluss, zu dem eine von den Vereinten Nationen eingesetzte Expertenkommission schon im Herbst 2019 gekommen ist.

Zwar bricht die aktuelle Bundesregierung im Grundsatz nicht mit der Politik ihrer Vorgängerin: alle Genehmigungen betreffen gemeinsame europäische Rüstungsprojekte, an denen deutsche Rüstungsschmieden beteiligt sind und solche Projekte wurden vom 2018 gegen Saudi-Arabien verhängten „Rüstungsembargo“ ausgenommen, das das Kabinett Merkel nicht etwa in Reaktion auf den seit 2015 tobenden Angriffskrieg gegen den Jemen, sondern wegen der Ermordung des saudischen Exil-Journalisten Jamal Chaschukdschi im Generalkonsulat in Istanbul verhängt hatte – der aber bekanntlich nicht durch die Bombenabwürfe deutscher Kampfflugzeuge ums Leben kam. Aber gerade die Grünen, die einen extrem moralisierenden Wahlkampf betrieben und in der Vergangenheit vehement einen kompletten Stopp aller Rüstungsexporte an die Jemen-Kriegskoalition gefordert haben, müssen ihre Kehrwende erst einmal erklären. Dies gilt nicht zuletzt auch angesichts der Tatsache, dass diese die inzwischen ausgelaufene, insgesamt sechsmonatige Waffenruhe faktisch vom ersten Tag an gebrochen hat.

Energie von Menschenrechts- und Völkerrechtsverbrechern

Aber „im Fokus“ der Kanzlerreise stand die „Energiesicherheit“, so die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Man wolle „vielfältige Quellen“ erschließen, sich nicht mehr wie in der Vergangenheit auf wenige Energielieferanten beschränken. Sprich: die „wertebasierte Außenpolitik“ lässt zwar keine Gas- und Ölkäufe aus Russland mehr zu, dafür aber solche bei Terrorförderern, bei Menschenrechte missachtenden und die jemenitische Zivilbevölkerung abschlachtenden Blutscheichs. Diese behaupten zwar, inzwischen eine friedliche Beilegung des längst verlorenen Jemenkriegs anzustreben. Die mörderische Blockade, die die schlimmste humanitäre Katastrophe unserer Zeit verursacht hat, halten sie aber aufrecht.

All diesen Fakten zum Trotz bescheinigte Scholz Riad und Abu Dhabi, beide nähmen „heute eine Position ein, die auf eine friedliche Entwicklung im Jemen setzt“. Dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der nach Überzeugung der CIA und der ehemaligen UN-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard für die Ermordung, Zerstückelung und „Entsorgung“ Jamal Chaschukdschis im Konsulat in Istanbul im Jahr 2018 verantwortlich zeichnet und den zum „Paria“ zu machen nicht nur Joseph Biden im Wahlkampf versprach, schüttelte Scholz nicht nur die Hand. Er schenkte ihm auch ein Lächeln, das herzlicher kaum hätte sein können. Angela Merkel hätte in einer solchen Situation zumindest Haltung gewahrt.

Fatale Menschenrechtslage

In Saudi-Arabien wird fleißig hingerichtet – im vergangenen März traf es gar 81 Menschen an einem einzigen Tag – und es kommen brutale Körperstrafen zur Anwendung. Die schiitische Minderheit im ölreichen Osten des Landes wird unterdrückt, die von ihnen bewohnten Regionen massiv vernachlässigt. Anstellungen im Staatsdienst sind für Schiiten nahezu unerreichbar. Zwar dürfen Frauen inzwischen Auto fahren, wofür sie noch vor wenigen Jahren ins Gefängnis wanderten und misshandelt wurden. Die Kopftuchpflicht wurde abgeschafft. Aber Mohammed bin Salman geht es nicht um die Förderung von Frauenrechten. Seine „Vision 2030“ soll das Land aus der Ölabhängigkeit befreien, weil es sich um eine endliche Ressource handelt. Hierzu ist es nötig, auch Frauen viel stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren und die Jugendarbeitslosigkeit, die bei 30 Prozent liegt, zu reduzieren.

Trotz allem hat Kanzler Scholz eine „solide Arbeitsbeziehung“ als Ziel für die zukünftige Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien ausgegeben. Ähnliches strebt man mit den Vereinigten Arabischen Emiraten an, die ebenfalls an vorderster Front im Jemenkrieg bomben, dort folternde und Geheimgefängnisse unterhaltende Milizen fördern und auch im eigenen Land eine ähnlich fatale Menschenrechtsbilanz wie Riad aufweisen. Während des Kanzler-Besuchs wurden Verträge über die Lieferung von Flüssigerdgas (LNG) abgeschlossen: der Essener Energiekonzern RWE vereinbarte eine erste Lieferung über 137.000 Kubikmeter, die im Dezember in Brunsbüttel/Hamburg eintreffen soll. Zudem unterzeichnete man ein unverbindliches Memorandum über mehrjährige Lieferungen ab 2023.

Kotau für nichts

Vor dem Frieren im Winter werden uns die Opfer auf dem Altar der ebenfalls „wertebasierten“ angestrebten Unabhängigkeit von russischer Energie allerdings nicht bewahren. Am 1. Februar, vor Beginn des Kriegs der Russischen Föderation gegen die Ukraine, strömte Gas mit einer Energiemenge von etwa 1,76 Milliarden Kilowattstunden durch Nord Stream 1. Die 137.000 Kubikmeter LNG-Gas aus den VAE, die per Schiff geliefert werden sollen, entsprechen etwa 0,95 Milliarden Kilowattstunden. Auch die ebenfalls vereinbarten monatlichen 250.000 Tonnen Dieseltreibstoff, die der emiratische Staatskonzern ADNOC ab 2023 über das Energieunternehmen Hoyer nach Deutschland liefern soll, sind allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein – wie auch die geplanten Lieferungen von kohlenstoffarmem Ammoniak, einem Trägerbrennstoff für Wasserstoff. Zwar verfügen die Emirate über die siebtgrößten Erdgasvorkommen weltweit. Ihre Exporte gehen aber bislang in erster Linie nach Asien. Wie sehr Deutschland vom Kotau des Kanzlers vor Menschenrechts- und Kriegsverbrechern profitiert, ist also höchst fragwürdig.

Aber damit nicht genug: Um den Abschluss von Energie-Verträgen voranzutreiben, hat Scholz die „wertebasierte“ Außenpolitik auch in Katar über Bord geworfen. Dort sprach er anerkennend von „Fortschritten bei den Arbeitnehmerrechten“. In dem Katar, auf dessen WM-Baustellen bis zu 15.000 Gastarbeiter ums Leben gekommen sind, das aber dennoch fast den Vorsitz des UN-Menschenrechtsrats übernommen hätte. Amnesty International hat dem weltweit größten Exporteur von Flüssiggas (LNG), der auch die größte US-Militärbasis in der Region beherbergt, übrigens gerade bescheinigt, weiter massiv die Rechte von Gastarbeitern zu verletzen. Bereits erreichte Fortschritte in diesem Bereich seien gar wieder rückgängig gemacht worden.

Konkrete Verträge mit Katar wurden nicht abgeschlossen. Denn Doha fordert langfristige Abkommen – zu den aktuellen Rekordpreisen versteht sich. Die seit einigen Monaten insbesondere mit RWE und Uniper SE laufenden Verhandlungen werden offenbar fortgeführt, nachdem der Katar-Deal von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck direkt wieder geplatzt ist. Fakt ist, dass auch Scholz kein roter Teppich ausgerollt wurde. Denn in den Golfstaaten stehen die Anwärter z.B. auf Flüssiggas Schlange. Für Mohammed bin Salman jedenfalls war die Kanzler-Reise ein voller Erfolg: nicht nur hat Scholz ihn – wie bereits der französische Präsident Macron und US-Präsident Biden – wieder hoffähig gemacht und als Gastgeschenk die Genehmigung für die Ausstattung saudischer Kampfflugzeuge mitgebracht. Als Dank stand ihm auch eine Beförderung ins Haus: per königlichem Dekret wurde der de facto Herrscher des Königreichs nun auch mit dem Amt des Premierministers betraut.

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