Wer in der Schule die Weltgeschichte lernt, der lernt die Geschichte von Königen und Kaisern die siegten. Wir lernen nichts über Sklavenaufstände, nichts über Bauernproteste, ebenso wenig über die materiellen Bedingungen von geschichtlichen Veränderungen. Doch Veränderung ist auch immer eine Folge von wirtschaftlichen Veränderungen und Massenprotesten, auch, wenn wir nur die Namen von großen Männern lernen. Das neu erschienen dreiteiligen Buchs „Wer baute das siebentorige Theben“ verdeutlicht dies. Eine Besprechung des ersten Bandes.
Das Klassen und Hierarchien nicht immer Teil der Geschichte der Menschheit waren, wissen viele Menschen auf dieser Welt, doch warum es zur Veränderung kam ist weniger bekannt. „Die ersten Ackerbaugemeinschaften waren ohne Klassenspaltungen in Gegenden mit besonders fruchtbarem Boden ansässig geworden. Je mehr sie sich verbreiteten, hing ihr Überleben zunehmend davon ab, mit sehr viel schwierigeren Bedingungen zurechtzukommen – und das erforderte die Umgestaltung der gesellschaftlichen Beziehungen“, so Chris Harman. Diese neuen Beziehungen schufen die ersten Klassen, aufgeteilt zu Beginn in Aufseher und Arbeiter. Eine Spaltung, die mit den Jahrhunderten immer fester wurde und nicht nur am Beruf festgemacht wurde, sondern sich immer stärker auch vererbte. Könige und Pharonen entstanden in Folge dieser Spaltungen und statt der im sogenannten „Urkommunismus“ existierenden Gleichheit wurde Ausbeutung für die Mehrheit der Menschen zur Realität. Doch diese Entwicklung vollzog sich nicht ohne Widersprüche, denn die neuen Herrscher, die die ersten Reiche im Nahen Osten, Indien und China schuffen, wollten ihren Reichtum mehren, auf die Kosten von Produktivität und Bevölkerung. „Mit wachsender Macht und steigendem Wohstand der herrschenden Klasse sank der Lebensstandard der Mehrheit der Menschen auf das Lebensnotwendige und manchmal noch tiefer.“ Doch diese akzeptierten dies nicht dauerhaft und so kam es schon vor über 3000 Jahren zum ersten dokumentierten Streik in der Geschichte der Menschheit.
Wider dem Eurozentrismus
Wer in deutschen Geschichtsbüchern blättert, der findet viel über die Geschichte Deutschlands, einiges über die Geschichte der europäischen Staaten und der USA, sowie kurze Teile zu Ägypten, doch der Rest der Welt scheint kaum zu existieren. Mit der realen Geschichte der Menschheit hat dies wenig zu tun, wie Harman in seinem Buch deutlich zeigt. „Kaufleute aus den großen islamischen Städten wie Kairo und Cordoba unternahmen vor tausend Jahren weite Reisen. Jeder, der auf seinem Weg zu den königlichen Höfer Nordeuropas kam, muss erschüttert gewesen sein über die dortigen Verhältnisse.“ Nach dem Niedergang des römischen Reichs, welches nicht wie immer behauptet war das bevölkerungsreichste der Antike war, herrschte in Europa das dunkele Zeitalter, erst Anfang des vergangenen Jahrtausend begann sich dies langsam zu ändern. „Sehr langsam, über mehrere Jahrhunderte hinweg, begannen sie Techniken zu übernehmen, die bereits in China, Indien, Ägypten, Mesopotamien und Südspanien bekannt waren.“ Eine Realität, die lange in Europa nicht anerkannt wurde und sogar bewusst widersprochen wurde, auch um die eigene Geschichte besser darzustellen und die Verbrechen, besonders im Kolonialismus begangenen Gräueltaten, die häufig auch mit „Unterentwicklung“ begründeten wurden, nicht zu thematisieren. In diesem Zusammenhang ist besonders ein Blick auf die Geschichte von Subsaharaafrika interessant, welches deutlich früher als Europa über Eisenschmelzen verfügte und an den Welthandel angebunden war. Harman entlarvt in seinem Buch die Lüge „das Europa die Wiege von Kultur und Fortschritt“ sei.
Reformation und neue Ordnung
Schon seit längerer Zeit wird diskutiert wie es dazu kam, dass Europa, obwohl technologisch und wissenschaftlich rückschrittlich, ab dem 15 Jahrhundert zur dominierenden Macht werden konnte. Harman beschreibt dies als eine Folge von verschiedenen Bedingungen, so war Europa, anders als Afrika, ein Gebiet mit annäherend ähnlichem Klima und somit ähnlichen Anbaumöglichkeiten. Ein weiterer Grund war die Zerstückelung Europas in Klein- und Kleinstnationen, die nicht durch einen zentralisierten und starren Staatsapparat gekennzeichnet waren, der hätte Entwicklungen effektiv hemmen können und für seine Beamten und Beschäftigten einen großen Teil der Ressourcen hätte aufbrauchen können. In Europa floßen diese Ressourcen stattdessen in neue Technologien und Wissenschaft, manchmal entgegen der Wünsche von Fürsten und Königen, manchmal mit deren Tolerierung, seltenst aber nur mit deren Unterstützung. Ein weiterer Grund war nach Harman die Entstehung von städtischen Mittelklassen, die sich mehr Autonomie wünschten und eine bessere Lebensperspektive, Wünsche, die den meisten Herrschern nicht passten, die sie aber kaum verhindern konnten. Auch in China, Indien und den arabischen Gebieten existierten diese Mittelklassen, doch waren sie meist in die starren Staatsapparate mit eingebunden. Eine Staatsbürokratie, in der sich Kaufleute einbringen mussten, wollten sie erfolgreich sein. Europas Aufstieg war somit keine Folge kultureller oder gar genetischer Überlegenheit, wie lange behauptet, sondern eine Folge von schwachen Staatsstrukturen, mangelnder Zentralisierung, Autonomie der Kaufleute und gute Anbindungen an weiter entwickelte Gebiete.
Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse
Karl Marx schrieb im Vorwort der Kritik der politischen Ökonomie: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten…Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.“ Harman beweist Marx hatte Recht mit seiner Analyse. Er zeigt deutlich auf, dass die Entwicklung von neuen Techniken, die Entstehung bestimmter Nationalgebilde, Siege in wirtschaftlichem Wettstreiten, auf Basis von sich veränderten Produktivkräften und revolutionären Veränderungen in den Gesellschaft geschah. „Große Männer“ haben Einfluss auf bestimmte geschlichte Ereignisse gehabt und Entwicklungen befördert oder gebremst, doch wäre dies keinem von ihnen möglich gewesen ohne die materiellen Bedingungen, die er vorfand. Harman verdeutlicht dies auch an der Entwicklung von Protesten und Revolten, die in seiner Geschichtsschreibung eine große Rolle einnehmen, wie auch die Lebensbedingungen der einfachen Arbeiterinnen und Arbeiter, Bauern und Bäuerinnen.
Wenn Brecht fragt: „Wer baute das siebentorige Theben?“ Dann verdeutlicht Harman das Könige großen Einfluss gehabt haben, doch in der Geschichte nie alles befehlen konnten und alle folgten, sondern die Geschichte eine „Geschichte von Klassenkämpfen“ ist. Harmans erster Band ist mehr als lesenswert, denn er zeigt deutlich auf ,nicht Könige, Kaiser und Generäle machen die Geschichte allein. Es ist eine Geschichtsschreibung von unten, eine, die wir viel zu selten lesen können und die daher umso bedeutender ist.
Der erste Band von „Wer baute das siebentorige Theben“ kann hier bestellt werden!