Am Samstag, den 4. November fand in der ehemaligen Hauptstadt Bonn eine der größten Demonstrationen der letzten Jahre statt. Die Teilnehmer*innen kamen aus aller Welt. Unter anderem waren aus Frankreich, Bulgarien, Kolumbien, Mosambik, Korea oder auch den USA Menschen angereist.
Der Protest fand am Samstag vor der zwei Tage später startenden Klima-Konferenz statt, nach Zahlen der Veranstalter waren etwa 25.000 Menschen anwesend.
Die 23. Weltklimakonferenz fing am 6. November an und dauert 2 Wochen. Die 195 teilnehmenden Nationen werden in der Zeit über Möglichkeiten, den Klimawandel aufzuhalten, debattieren. Es werden etwa 1.000 Menschen teilnehmen.
Gründe für die Konferenz gibt es definitiv. Das Jahr 2017 zählt zu den drei heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Laut der meteorologischen Abteilung der UN liegt die Durchschnittstemperatur dieses Jahr bisher über 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau.
Die bisherige Klimapolitik steht in der Kritik, insbesondere da immer mehr Menschen die direkten Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen. Dieses Jahr wären die Veranstalter der Konferenz eigentlich die Fidschi-Inseln gewesen. Nur ist auf den Inseln kein Platz für insgesamt 23.000 Menschen, dazu zählen unter anderem Journalistinnen und Journalisten, Mitarbeiter*innen von NGO‘s und auch Assistent*innen von Politiker*innen. Die Fidschi-Inseln sehen sich wegen des steigenden Meeresspiegels als Folge des Klimawandels sogar gezwungen, Dörfer weiter ins Landesinnere zu verlegen.
Kritisiert wurde von den Organisatoren der Demo in Bonn vor allem die halbherzige Klimapolitik.
Deutschland und das Klima
Viel Kritik gab es an Angela Merkel. Grund ist, dass etwa 40% der in Deutschland verbrauchten Energie durch die Verbrennung von Braun- und Steinkohle erzeugt werden.
Eine der zentralen Forderungen der meisten anwesenden Organisationen und Parteien ist seit Längerem der schrittweise und komplette Umstieg auf erneuerbare Energien.
Derzeit liegt der Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen bei etwa 30%, dieser Anteil setzte sich aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse zusammen.
Kohleenergie wird außerdem in großem Maße in andere Länder exportiert, die ökologische Bilanz dieser Art der Energiegewinnung ist verheerend.
Zusammen mit Auto- und Flugzeugabgasen zählen Kohlekraftwerke zu den schlimmsten Luftverschmutzern in Europas Städten. Laut einem UN-Bericht starben 2012 mehr als 500.000 Menschen vorzeitig an schlechter Luftqualität.
Der Bericht macht die schlechte Luftqualität in 95% der EU-Städte dafür verantwortlich, dass sogar Kinder erhebliche Mengen an sehr schlechter Luft einatmen. Die Verschmutzung verursacht enorme Schäden, diese werden allerdings von der Gesellschaft getragen. Auf der Stromrechnung sieht man diese Preise nicht. Sie sind unsichtbar und sind doch in vielen Bereichen des Lebens zu spüren, wenn man genauer hinsieht.
Aus den Schornsteinen der Kohlekraftwerke kommen große Mengen giftiger Schadstoffe. Neben sehr großen Mengen CO2 gelangen so Schwefeldioxid, Feinstaub, Quecksilber, Stickoxide und auch Arsen in die Luft.
Die Energieunternehmen externalisieren die sozialen und ökologischen Kosten ihrer Förderung und Verbrennung von Kohle, gleichzeitig erhalten sie sehr großzügige Subventionen. Subventionen sind Steuererleichterungen und auch direkte Förderungen. Laut Greenpeace werden in Deutschland Kohle, Öl und Gas jedes Jahr mit 46 Milliarden € an Subventionen unterstützt.
Die Demonstration
Die Demonstration startete gegen 12 Uhr am Münster Platz in der Bonner Innenstadt. Anwesend waren Organisationen aus der ganzen Welt. Die gemeinsame Mobilisierung trug ohne Zweifel Früchte – der Platz war brechend voll.
Zu den bekanntesten Unterstützern zählten die Linkspartei, die Grünen, Greenpeace, sowie attac und Brot für die Welt. Es waren aber auch dutzende internationale Organisationen vor Ort, vor allem aus Asien.
Innerhalb der großen Menschenmenge, die auf dem Platz stand, konnte man kaum nach vorne oder hinten gucken. Die großen Windräder aus Holz und Pappe ragten zu hoch über die Menge hinaus, wie auch die selbstgemachten und an Holzstäben befestigten Banner. Besonderes Aufsehen erregten die vielen großen Ballons.
Außerdem waren etwa 800 Fahrradfahrer*innen aus Köln zum Münster Platz gefahren.
Gemeinsam hatten alle Rednerinnen und Redner, dass sie den schnellstmöglichen Umstieg auf erneuerbare Energien forderten.
Alle Reden hatten logischerweise grundsätzliche Überschneidungen, sie bildeten allerdings auch persönliche Erfahrungen der Redner*innen und Redner ab.
Anwesend war beispielsweise ein peruanischer Bauer, der den Energiekonzern RWE verklagte und von den kleiner werdenden Gletschern seines Landes erzählte.
Saúl Luciano Lliuya scheiterte mit seiner Klage leider. Das Landgericht Essen wies die Klage trotz bestehendem Zusammenhang zwischen Treibhausgasen aus RWE-Kraftwerken und dem Klimawandel ab. Das Gericht teilte mit, man könne RWE nicht direkt verantwortlich machen. Der Konzern argumentierte, die selber produzierten Treibhausgase seien nur ein kleiner Teil eines großen Übels.
Grund für die Klage des Bauern aus Huarez, einer Stadt nördlich von Lima, war der steigende Wasserspiegel des Palcacocha, die Forderung über 17.000€ hatte den Zweck, die Stadt vor Hochwasser zu schützen.
Eine Frau aus Mosambik berichtete von der Ausbeutung der dortigen Rohstoffquellen.
Sehr häufig wiederkehrendes Thema waren die katastrophalen Umweltschäden, die der Klimawandel und die Förderung, Verarbeitung sowie Verbrennung fossiler Brennstoffe überall auf der Welt verursacht.
Nach dem ersten Teil der Veranstaltung begann der Marsch durch die Bonner Innenstadt, die Unterstützerorganisationen hatten ihre eigenen Lautsprecherwagen und ihre eigenen Demonstrationsblöcke.
Die linksjugend [‘solid] hatte beispielsweise ihren eigenen Lautsprecherwagen. Wie auch Greenpeace Energy.
Am Ende des Marsches gab es dann noch eine Abschlusskundgebung in der Genscherallee, dort sprachen dann ebenfalls wieder viele internationale Gäste, unter anderem Jennifer Morgan von Greenpeace International aus den USA und Mamadou Mbodji von der Organisation Naturefriends International aus dem Senegal.
Es waren Gäste von fast allen Kontinenten anwesend, was sehr gute Vernetzungsmöglichkeiten bot.
Musikalisch wurde die Demonstration von der Kölner Band HopStopBanda unterstützt. Alle Organisationen hatten eigene Infostände, die Stimmung würde ich insgesamt als sehr positiv bezeichnen.
Laut Polizei verlief die gesamte Demonstration ohne Zwischenfälle.
Wer waren die Teilnehmer?
Während des Protestmarsches und auch nach der Abschlusskundgebung hatte ich die Gelegenheit, mich mit einigen der Anwesenden zu unterhalten und konnte mehr über die Beweggründe, die politischen Einstellungen und die sonstigen Aktivitäten der Befragten in Erfahrung bringen.
Das erste Interview wurde während des Protestmarsches durch die Bonner Innenstadt mit einer jungen Frau, wahrscheinlich Anfang 20, aufgezeichnet, die keiner Organisation angehöre. Als ich fragte, was sie hier mache, sagte sie, es ginge ihr um ein Zeichen für den Klimaschutz, das war auch bei vielen anderen so.
Sie habe sich über die Demo im Internet informiert, was auch bei den meisten anderen Menschen, die ich interviewt habe, der Fall war. Im Gegensatz zu den anderen Interviewpartner*innen sei sie ansonsten aber eher feministisch aktiv, es sei ihr erster Klimaprotest. Sie bejahte außerdem die unter anderem von Greenpeace oder auch der Linkspartei aufgestellte Forderung, komplett auf erneuerbare Energien umzusteigen, was bei allen Interviewpartner*innen Konsens war.
Nur unterschieden sich die Vorstellungen über das Wie und das Bis wann enorm, so wie auch die politischen Hintergründe der befragten Menschen.
So war einer meiner Interviewpartner im Landessprecher*innenrat der linksjugend [‘solid]. Jens‘ Motivation sei die von ihm als viel zu lasch empfundene Klimapolitik der Staatschefs, die sich am Ende nicht an ihre ohnehin unzureichenden Versprechen den Klimaschutz betreffend halten würden.
Jens sprach sich stark für die stärkere Finanzierung der Forschung zu erneuerbaren Energiequellen aus, er war außerdem der Auffassung, auch die sehr energieintensive deutsche Wirtschaft könne komplett aus erneuerbaren Quellen mit Energie versorgt werden, ohne dabei insgesamt weniger Arbeitsplätze zu haben.
Die Möglichkeit, die Gesellschaft von der Jahreszeit unabhängig mit Ökostrom zu versorgen, biete die Bandbreite an Quellen für erneuerbare Energie.
Ich fragte ihn, wie das möglich sein solle, da ja seit Längerem belegt ist, dass viele Produkte mit eingebauten Fehlern produziert werden, die einen schnellen Verschleiß und somit den Zwang zum Neukauf und eine dauerhaft hohe Nachfrage bewirken, was insgesamt einen höheren Verbrauch an Energie bewirkt.
Einen grundsätzlichen Konflikt zwischen nachhaltiger Produktion und Arbeitsplätzen sehe er nicht. Jens sprach sich dafür aus, die Wirtschaft insgesamt umzustellen und den geplanten Verschleiß abzuschaffen und freigewordene Arbeitskräfte für Hilfsprojekte in Afrika zu verwenden, mit dem Zweck, vor Ort autarke Wirtschaftssysteme aufzubauen. Weiter führte er auf meine Nachfrage aus, dass die großen Probleme durch den Klimawandel in Afrika in der Zunahme an Wüstenflächen, der immer stärkeren Unberechenbarkeit des Wetters und dem Verhalten von internationalen Großkonzernen, die oftmals gewaltige ökologische Schäden hinterlassen würden, bestehen würden.
Ein anderer Interviewpartner war bei Greenpeace aktiv und gab an, Verantwortung für die Welt seiner Töchter nach ihm übernehmen zu wollen, fasste sich aber allgemein kurz und wollte auch keine Angaben über irgendeine spezifische politische Gesinnung machen. Er sei Mitglied in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen und setze am liebsten sich für sauberen Strom ein. Auch er hielt die Forderung nach einem kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien für realistisch.
Mein nächster Interviewpartner war Mitarbeiter bei Campact. Seine Motivation sei der Kampf für den Kohleausstieg, sagte er, außerdem sei er bei der Organisation beteiligt gewesen. Er sehe die Eigendarstellung der Klimapolitik Deutschlands sehr negativ:
„Deutschland rühmt sich ja immer seiner angeblichen Vorreiterrolle beim Klimaschutz, aber wenn man genauer hinsieht, dann sieht man, dass wir Braunkohleweltmeister sind und dringend rausmüssen aus der Kohle. Zumal wir auch enorme Überkapazitäten haben und deswegen müssen wir aussteigen.“ So formulierte der Campact-Mitarbeiter die Rolle Deutschlands bei der Klimaproblematik. Danach wollte ich wissen, was denn so schädlich an der Kohle sei.
Das schädliche an dem Kohleabbau sei zum einen der CO2-Ausstoß und die Nebenfolgen für die Fläche, auf der die Kohle abgebaut wird (gilt in dem Fall für Tagebauten), antwortete er. Der Klimawandel sei eine Folge des CO2-Überschusses in der Atmosphäre, er halte die Wärmestrahlung zurück und lasse so die Durchschnittstemperaturen steigen. Folgeeffekt sei ein Anstieg der Meeresspiegel, der durch schmelzende Gletscher zustande komme und so zu Überflutungen und Ähnlichem führe. Auch der Campact-Mitarbeiter war überzeugt, dass ein kompletter Umstieg auf erneuerbare Energien möglich ist.
Die saisonalen Schwankungen bei der Verfügbarkeit von Sonnenenergie seien halb so schlimm, die Diversifizierung der Energiequellen und die Nutzung von Energiespeichern würde es möglich machen.
Ökostrom werde zum Großteil durch Eigenproduzenten und Genossenschaften produziert, die bei der Energiewende eine tragende Rolle spielen würden. Außerdem sagte er, diese hätten das Potenzial, RWE und andere Energiekonzerne in die Knie zu zwingen.
Zum Abschluss merkte er noch an, dass erneuerbare Energien insgesamt günstiger wären, da die Betriebskosten nahe Null liegen würden, schließlich schicke beispielsweise die Sonne ja keine Rechnung für die erbrachte Leistung.
Im absoluten Vergleich seien erneuerbare Energien kostengünstiger, des Weiteren würden die Anschaffungskosten permanent sinken, während die Effizienz von Windrädern und PV-Anlagen permanent zunehme.
Während des Protestmarsches zur Abschlusskundgebung traf ich auf Jon vom „Center for Biological Diversity“ aus den USA, der als Polarbär verkleidet war.
Die Verkleidung habe den Zweck auf die Anstrengungen des CBD hinzuweisen, den Polarbär als gefährdet einstufen zu lassen, erklärte er mir auf meine Nachfrage.
Jon sei aus den USA hergekommen, um gegen fossile Brennstoffe zu demonstrieren. Auch Jon hielt den kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien für realistisch, sagte allerdings auch, dass die Trump-Regierung Kohle als Energieform wahrscheinlich fördern werde. Kohleenergie würde schon jetzt stark gefördert werden und werde trotzdem immer unwirtschaftlicher.
Er sagte daraufhin, dass es nicht an Protesten gelegen hätte, dass es immer weniger Arbeitsplätze in der Kohleindustrie gegeben hätte.
Ich fragte ihn, wie Kohle und andere fossile Energieträger im Vergleich zu Strom aus erneuerbaren Energien vom Preis her abschneiden und er antwortete, dass erneuerbare Energien besser abschneiden und es am fehlenden politischen Willen liegen würde, dass erneuerbare Energien in den USA bisher noch nicht so stark genutzt würden.
Als ich ihn fragte, ob er sich irgendeiner politischen Richtung zugehörig fühle, antwortete seine Begleitung, die sich an dem Punkt in das Interview einmischte, dass sich ihre Organisation zwar gewissen Idealen verpflichtet, aber keiner bestimmten Ideologie zugehörig fühle. Sie sprach außerdem die Isoliertheit an, die Umweltschutzorganisationen in den USA erleben würden.
Zu meiner Verwunderung teilte mir Jon mit, dass Trump mit seiner Leugnung des Klimawandels in den USA eine sehr unbeliebte Position vertrete.
Auffällig war, aus wie vielen verschiedenen Ländern die Demoteilnehmer*innen kamen. Menschen aus mehr als einem Dutzend Länder waren auf der Demonstration anwesend.
Mein persönliches Fazit
Die Demonstration war ein wichtiger und erfolgreicher Weckruf für den Klimaschutz mit einem sehr internationalistischen und antikapitalistischen Charakter. Sie symbolisierte die steigende Bedeutung des Klimaschutzes in der Weltpolitik und das öffentliche Interesse an einer umweltfreundlichen Energieproduktion, aber auch das Aufbegehren unterdrückter Länder gegen den modernen Imperialismus und dessen Kollateralschäden.
Gleichzeitig muss man sich jedoch eingestehen, dass die Zerstörung der Lebensgrundlage des Menschen, der Natur, schon extrem weit fortgeschritten ist.
Auch nach einem kompletten Umstieg auf Energie aus erneuerbaren Quellen werden die Nachwirkungen der jetzigen Energiepolitik noch lange spürbar sein.