Am 23. April 2017 findet der erste Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahl statt. Da es sich bei Frankreich um eine präsidiale Demokratie handelt, hat der Ausgang der Wahl einen entscheidenden Einfluss auf ganz Europa. Wer wird das Rennen gewinnen? Der nepotistische Konservative François Fillon? Der neoliberale Investmentbanker Emmanuel Macron? Der links-sozialdemokratische Benoît Hamon? Die immer noch uneinigen Sozialisten und Kommunisten um Arnaud Montebourg und Jean-Luc Mélenchon? Oder doch die neo-faschistische Kandidatin des Front National, , die sich radikal gegen Flüchtlinge und Europa positioniert hat? In dem folgenden Artikel wird der Überraschungskandidat, Macron, unter ihnen vorgestellt und ein Resümee gezogen.
Fangen wir also mit Emmanuel Macron an, sein Aufstieg hat etwas Kometenhaftes an sich. Von null auf hundert in nicht ganz zehn Sekunden, sondern in zehn Monaten. Als er die Regierung von Manuel Valls am 30. August 2016 verließ, Macron war mit gerade einmal 37 Jahren Wirtschaftsminister geworden, galt er als jemand, der vor dem politischen Nichts stand. Seine schon im April gegründete Bewegung „En Marche!“ konnte sich nicht so recht entscheiden ob sie Fan-Bewegung oder Partei sein wollte und außer ihm war auch niemand mit Expertise an Bord. Heutzutage hat sie fast 200.000 Anhänger, ist die erfolgreichste politische Bewegung Frankreichs (wenn nicht ganz Europas) und katapultiert den Namensgeber ihrer Initialen in eine Position, die ihm durchaus Hoffnungen auf das höchste Amt im französischen Staate machen kann. Sie motiviert zum ersten Mal seit Jahren wieder tausende von jungen Menschen, sich für Politik einzusetzen und kompensiert bis jetzt erfolgreich, dass ihr jedwede Parteistruktur fehlt. Doch woher kommt dieser Aufstieg? Handelt es sich bei Macrons Erfolg um reinen Personenkult und was kann er der enttäuschten Generation anbieten? Fällt er am Ende wieder so schnell, wie er aufgestiegen ist?
Vom Finanzdirektor zum Investmentbanker
Guckt man sich Emmanuel Macrons erste Lebensjahre an, so weist eigentlich nichts auf einen radikalen Bruch mit alteingesessenen Strukturen hin. Als Sohn eines Ärztepaares wurde er im nordfranzösischen Amiens geboren und machte außer durch die erfolgreiche Teilnahme an unterschiedlichen Schulwettbewerben nicht weiter auf sich aufmerksam. Im Gegenteil, seine schulische Laufbahn, die er mit dem Baccalaureat am Pariser Elitegymnasium Henri IV beendet, ließ damals einen weiteren Spitzenverdiener vermuten. Wie ein Lehrbuch französischer Kastenschmiede liest sich sein weiterer Lebensweg. Nach seinem Abitur besuchte er von 1996 bis 2001 die Hochschule „Institut d’Études Politiques de Paris“ (oft SciencesPo genannt) und studierte dort Philosophie. So hatte er sich einen nicht ganz unbekannten Ort für seine Magister- und Diplomarbeit ausgesucht, sowohl sein Gegenspieler Francois Fillon als auch Francois Mitterand haben sich dort ihrem Studium gewidmet. Die nächste Karriereleiter erklomm er an der École nationale d’administration in Straßburg. An dieser Hochschule wird seit dem Ende des zweiten Weltkrieges die Elite der französischen Verwaltungsbeamten ausgebildet, ein Los, das nur sehr wenigen vergönnt ist. Doch auch dies war nur eine Etappe im Musterlebenslauf des jungen Aufsteigers. Wie es für junge Absolventen der Eliteschulen üblich ist, fand der junge Macron schnell seinen Weg in eines der Ministerien des Landes. Als Finanzdirektor lernte er Jacques Attali, den ehemaligen Berater von Francois Mitterand, kennen, der ihn später wiederum Francois Holland empfahl. Dass politische Seilschaften ein normales Instrument der (französischen) Politik sind, dürfte hinreichend bekannt sein, doch wie passt das zum Image des hart arbeitenden und vor allem unverfänglichen Trägers einer weißen Weste? Dass Emmanuel Macron schon im Alter von 28 Jahren eine Karriere vorgelebt hatte, die den meisten seiner Anhängern aufgrund starrer sozialer Hierarchien verwehrt bleiben wird, sei geschenkt. Denn untypisch ist sein Werdegang auf keinen Fall. Nach seinem kurzen Intermezzo mit dem Finanzministerium (2004-2008), in das auch seine Mitgliedschaft in der Sozialistischen Partei (2006-2009) fiel, ging er in die freie Wirtschaft und fing als Investmentbanker bei der Pariser Bank „Rothschild & Cie“ an. In seiner Funktion als Bankier war er 2012 an der Übernahme der Säuglingsnahrungssparte des US-Unternehmens Pfizer durch Nestle beteiligt. Der Verkauf brachte einen Erlös von 9 Milliarden Euro, seine Erfahrungen aus dem Finanzministerium dürften ihm mehr als nur geholfen haben.
Wer hinter Emmanuel Macron jedoch nur die Verquickung von Staatsamt und Privatwirtschaft sieht, läuft Gefahr, in zu unterschätzen. Politische Erfahrung sammelte er spätestens ab Mai 2012, da er von dort an den frisch gewählten Präsidenten Francois Holland in den Themenbereichen Wirtschaft und Finanzen beriet. Seine guten Kontakte, die er in seinem Amt als Finanzdirektor geknüpft hatte, zahlten sich also aus, sodass er im Alter von 34 Jahren der stellvertretende Generalsekretär des Staatspräsidenten wurde, um am 26. August 2014 ins Wirtschaftsministerium zu wechseln. Als Minister war er die treibende Kraft hinter Hollandes unternehmerfreundlichen Reformen, die er ironischer Weise „Pakt der Verantwortung und Solidarität“ nannte. Sollte er Präsident werden und seiner alten Linie treu bleiben, so wissen die Franzosen im Grunde jetzt schon, was ihnen blüht. Macron erwirkte innerhalb von drei Jahren Steuervergünstigungen für Firmen in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro, was laut ihm die Wirtschaft ankurbeln sollte. Dass es sich dabei um Steuergeschenke auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung handelte, scheint inzwischen schon wieder längst vergessen zu sein. Nahezu jeden Aspekt des öffentlichen Lebens versuchte er umzupflügen, seien es verlängerte Ladenöffnungszeiten am Sonntag, oder der Ausbau von billigen Fernbuslinien. Arbeitnehmerschutz? Fehlanzeige. Im Jahre 2014 spitzte sich die Lage zu, als er von Deutschland 50 Milliarden Euro für ein Revitalisierungsprogramm der Eurozone forderte. Neben der zu erwartenden Kritik seitens der Union und ihrer schwarzen Null, gibt es allerdings auch durchaus berechtigte Kritik an solchen Plänen. Statt die Europäische Union umzukrempeln, sie demokratischer, sozialer und offener zu gestalten, bestand sein Lösungsansatz aus einem weiteren Vollpumpen der EU mit Geld. Damit lassen sich maximal neoliberale Wirtschaftskreisläufe am Leben halten, eine andere Art des Wirtschaftens ist so nicht möglich. Dass seinem Reformpaket der Name „Loi Macron“/“Macron-Gesetz“ gegeben wurde, verdeutlicht am Ende nur den großen Anteil, den Macron an diesem Vorstoß hatte und wurde durch die französischen Parlamentarier durch etliche Änderungsanträge bestraft. Heraus kam ein Ungetüm, das den Wirtschaftsliberalen zu unübersichtlich und den Linken zu sozialstaatsfeindlich war. In seinem Bemühen die wirtschaftlichen Probleme Frankreichs mit einem Schlag auf herkömmliche Art und Weise zu lösen, scheiterte der junge Wirtschaftsminister krachend.
Hollande 2.0?
Guckt man sich sein erst vor kurzem veröffentlichtes Wahlkampfprogramm an, so kommen leise Zweifel an seiner Lernfähigkeit auf. Waren die Reformen des „Loi Macron“ noch der Hauptgrund für Francois Hollandes Scheitern (erster Präsident, der nicht nochmal antritt; unbeliebtester der gesamten vierten Republik), so bilden sie jetzt das Rückgrat seines potenziellen Nachfolgers. Änderungen gibt es durchaus, so wird wesentlich weniger über „Reichtum“, „Umverteilung“ oder „Besteuerung“ gesprochen. Es liest sich viel eher wie eine wirtschaftliberalere Fassung seines ersten Werkes und lässt somit wenig Raum für Hoffnung auf Veränderungen. Ein Kernelement von Emmanuel Macrons Plänen ist deshalb auch der Abbau von Bürokratie. Es gebe viel zu viele Angestellte in Beamtenverhältnissen, kritisiert er und begibt sich somit auf eine Linie mit seinem Konkurrenten Francois Fillon. Dieser fordert schon seit Monaten den Abbau von 500.000 Stellen im öffentlichen Dienst. Was die betroffenen Menschen dann tun sollen? Darüber sprechen sowohl Fillon als auch Macron nicht. Dass sich der französische Staat seine Mitarbeiter nicht mehr leisten kann, mag ein Faktum sein, doch eine Alternative jenseits von stupider Vernichtung von Arbeitsplätzen kann keiner der aussichtsreichen Kandidaten präsentieren. Lösungsansätze wie eine Rentenkasse für alle, eine Bürgerversicherung oder eine Mindestsicherung finden in der Agenda von „En Marche!“ keinen Platz. Wie auch? im „Loi Macron“ war von ihnen auch nicht die Rede.
Wirtschaftspolitisch darf man von Macron also im besten Fall eine Weiterführung altbekannter Reformversuche erwarten. Doch was ist mit Europa? Gerade junge Franzosen jubilieren im Angesicht seiner tiefen Verbundenheit zur EU und stimmen in Lobeshymnen auf die eigene Weltoffenheit mit ein. Dieser Ansatz ist im Grunde zu begrüßen, doch hinterlässt Macron bei seinen Ausführungen über seine Vision von Europa einen bitteren Beigeschmack. Auf einer Podiumsdiskussion in Berlin mit dem neuen Außenminister Sigmar Gabriel und dem Philosophen Jürgen Habermas benannte er „Investitionen“, „Grenzsicherung“ und „Verteidigung“ als die Punkte, auf die sich Europa jetzt am meisten konzentrieren müsse. Dieser von ihm „New Deal“ (die Anlehnung an Franklin D. Roosevelts Programm ist bestimmt nicht zufällig gewählt worden) genannte Plan wirft dem überzeugten Europäer gegenüber dann doch einige Fragen auf. Investitionen? Gut, das wird den Leser der vorherigen Zeilen nicht wirklich verwundern. Wo investiert werden soll, wahrscheinlich auch nicht. Grenzsicherung? Davon war aber in Macrons euphorischen Liebeserklärungen an die Freiheit nicht die Rede gewesen. Grenzsicherung gegenüber wem? Terroristen? Geflüchteten? Chinesischen Billigexporten? Leider hat Macron diese Schlagwörter erst in seinem abschließenden Plädoyer in den Raum geworfen, eine genauere Erklärung blieb er schuldig. Beabsichtigt er womöglich eine Fortführung der „Fortress Europe“-Politik von Orban und Seehofer? Man weiß es nicht. Und genau das ist das Problem. Selbst unter dem Begriff „Verteidigung“, den konservative Politiker gerne mit theatralischen Angstszenarien aufblasen, kann man sich dank Macron recht wenig vorstellen. Wer sich verteidigt, hat einen Feind. Doch wo/wer ist er? Man weiß es nicht. Beabsichtigt er seinen vagen Fahrplan für Europa mit oder gegen Krisenländer wie Griechenland durchzuführen? Warum übergeht er das Thema Austeritätspolitik, das Jürgen Habermas gewohnt kritisch ansprach, in der Diskussion komplett? Man weiß auch das nicht.
Eine Formel mit vielen Unbekannten
Schlussendlich bleibt bei genauerer Betrachtung nicht viel von Emmanuel Macron übrig. Er überwindet sich nur zögerlich zu konkreten Aussagen und erzählt viel lieber von Visionen, als von Taten. Tut er es doch, so hat man den Eindruck, dass Hollandes Wirtschaftsminister und nicht sein zukünftiger Erbe vor einem steht. Auch wenn einen vielleicht die Schwerpunktsetzung Macrons (Verschlankung des (Sozial-)Staates, Liberalisierung der Märkte, Privatisierung von Staatseigentum) gar nicht stört, so ist es die allgemeine undefinierte Art seiner Agenda, die ihn angreifbar und unglaubwürdig macht. Dass er im Augenblick nicht mal eine mögliche Regierungsmehrheit im Parlament hat, mit der seine Ziele umsetzen könnte, würde es einem Präsidenten Macron nicht leichter machen. Sein größter Vorteil bleibt dennoch, dass er nicht Marine Le Pen ist. Vielleicht eine Eigenschaft, die wir beim nächsten Staatsoberhaupt Frankreichs vermissen werden….
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