Ein Pastor, zwei Tyrannen und die ultrareligiöse Rechte – Die Causa Andrew Brunson

Nach zwei Jahren Haft ist der US-amerikanische Pastor Andrew Brunson aus türkischer Gefangenschaft entlassen. Im Gegenzug wird Washington den Wirtschaftskrieg gegen Ankara zurückfahren. Die Freilassung ist zeitlich an die wichtigen Midterm Elections im November geknüpft und muss im Kontext der Macht gesehen werden, die die ultrakonservative, religiöse Rechte über den US-Präsidenten ausübt.

Die Beziehungen zwischen der USA und der Türkei sind so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht. Ins Kreuzfeuer geriet ein evangelikaler Pastor aus North Carolina, an dessen Schicksal die Krise eskalierte. Zwei Jahre lang saß Pastor Andrew Brunson wegen des Vorwurfs der Terrorunterstützung in türkischer Gefangenschaft. Seit wenigen Tagen ist er frei.

In einer wie gewohnt medienwirksamen Trump-Show wurde Pastor Brunson am Samstag im Weißen Haus empfangen. Alle Anwesenden lobpriesen und umschmeichelten sich gegenseitig über 23 Minuten hinweg, Pastor Brunson betete gar für Trump: „Oh Gott, ich erbete von Dir,“ so Brunson handauflegend vor Trump kniend, „verleihe ihm übernatürliche Weisheit.“

Andrew Brunson im Weißen Haus, er betet dafür, dass „Gott“ Trump „übernatürliche Weisheit“ verleihen möge. Screengrab by CBS News, YouTube.

Pastor Brunson und die US-Türkei-Krise

Die jüngsten Spannungen zwischen Washington und Ankara gehen auf den Sommer 2016 zurück, als die türkische Regierung einen Putschversuch vereitelte, in dessen bürgerkriegsähnlichen Exzessen über 300 Menschen getötet wurden – der blutigste Coupversuch in der von Coups durchsetzten türkischen Geschichte der post-Atatürk-Ära. Ankara beschuldigte den in Pennsylvania im US-Exil lebenden Geistlichen Fethullah Gülen als Drahtzieher des gescheiterten Putschs – Gülens Bewegung wird von der Erdoğan-Regierung als Terrororganisation eingestuft. Ankara trug Beweise zusammen und forderte die Auslieferung Gülens – Washington lehnte ab.

Der im Exil lebende Fethullah Gülen wird von der Erdoğan-Regierung beschuldigt, der Drahtzieher des Putschversuch 2016 zu sein. By AlphaX News, Wikimedia Commons, licensed under CC BY 3.0.

Eng mit der Causa Gülen verknüpft – und gewissermaßen dessen gespiegeltes Szenario – ist die Causa des US-amerikanischen Pastors Andrew Brunson, der im Zuge der sämtliche Ebenen der Türkei umfassenden Säuberungen nach dem Putschversuch im Oktober 2016 von türkischen Behörden in Gefangenschaft genommen wurde. Brunson verlor in Haft 25 Kilo und wurde kürzlich wegen gesundheitlicher Probleme vom Gefängnis zum Hausarrest in Izmir überstellt.

Brunson lebte über 20 Jahre als evangelikaler Missionar mit seiner Frau Norine in der Türkei. Die Erdoğan-Regierung beschuldigte ihn, beim Putschversuch die Kurdische Arbeiterpartei PKK sowie das Gülen-Netzwerk unterstützt und als US-Spion fungiert zu haben, obwohl der evangelikale Pastor gemeinhin als unpolitisch gilt. Brunson drohten als Terrorunterstützer bis zu 35 Jahre  Haft.

Der Pastor stellte in Händen der türkischen Justiz ein vermeintlich wertvolles Faustpfand der Erdoğan-Regierung dar, um die Überstellung des Staatsfeinds Gülen von Pennsylvania in die Türkei zu erpressen: „Gebt uns diesen Pastor“, so Erdoğan in einer Rede im letzten Jahr, Gülen meinend, „und wir werden in der Justiz alles tun, was in unserer Macht steht, um euch diesen hier zu geben“, Brunson meinend.

Die Trump-Regierung schloss nach außen hin einen derartigen Kuhhandel aus: „Wir werden nichts für die Freilassung eines unschuldigen Mannes bezahlen“, so Trump via Twitter. Trumps Stab, insbesondere sein hochreligiöser Vizepräsident Mike Pence, arbeitete unentwegt daran, durch größtmöglichen Druck auf Ankara Brunson zu befreien. Anfang August verhängte die Trump-Regierung für deren Rolle in der Brunson-Affäre Sanktionen gegen den türkischen Finanz- sowie den Innenminister und verdoppelte in einem Angriff auf die türkische Währung die Importzölle auf Aluminium auf 20 Prozent und die auf Stahl auf 50 Prozent.

Trump verkündete die Strafzölle via Twitter und nahm explizit Bezug auf die „türkische Lira, die massiv gegen unseren sehr starken Dollar einbricht!“. In der Tat büßte die Lira allein in diesem Jahr über 40 Prozent an Wert gegenüber dem US-Dollar ein, wofür Erdoğan „ökonomische Terroristen“ zu Hause sowie den „Stich in den Rücken“ durch die USA verantwortlich macht – zwei Tyrannen mit den klassischen „die gegen uns“-Narrativen des Populismus.

Ankara verdoppelte daraufhin die Zölle auf Autos, Alkohol und Tabak aus den USA, was  das Weiße Haus als „einen Schritt in die falsche Richtung“ verurteilte. Doch als ökonomisches Schwergewicht sitzen die USA am längeren Hebel.

„NO DEAL“

„Ich glaube, dass die Trump-Regierung den Druck derart erhöhen kann, dass Ankara den Pastor freilassen wird“, erklärte mir vor wenigen Wochen Politikwissenschaftler Martin Dudenhöffer und verwies auf Erdoğans Pragmatismus. „Mit Sanktionen oder weiteren Währungsspekulationen könnten die USA dieses Ziel erreichen“, so Dudenhöffer weiter. Im September drohte US-Finanzminister Mnuchin schließlich mit weiteren Sanktionen gegen die Erdoğan-Regierung, sollte Brunson „nicht umgehend freigelassen werden.“ Daraufhin blieb die Lira weiter auf Talfahrt, die Inflation in der Türkei durchbrach im September die Marke von 25 Prozent. Seit Anfang des Jahres stiegen die Erzeugerpreise um 46 Prozent, als Resultat schnellten die Verbraucherpreise für Lebensmittel, Treibstoff und Energie in die Höhe. Um den Kollaps der türkischen Wirtschaft abzuwenden, knickte Erdoğan ein und ließ Pastor Brunson schließlich frei.

Mit dem Ziel, dass Erdoğan sein Gesicht wahren – und die Farce einer unabhängigen türkischen Justiz weiter aufrechterhalten – konnte, wurde Brunson jedoch nicht freigesprochen, sondern wegen Terrorunterstützung zu drei Jahren Haft verurteilt. Er war wegen guter Führung nach seinen zwei bereits abgesessenen Jahren schließlich ein freier Mann und wurde – mit Zwischenstopp auf der U.S. Air Base in Ramstein – nach Washington ausgeflogen.

Trump und Erdoğan hielten sich beide fest ans Skript, es habe keinen Deal gegeben; beziehungsweise „NO DEAL“ in Trumps manischer All-Caps-Twitter-Manier. Im selben Tweet erklärte er jedoch, Brunsons Freilassung werde zu „guten, vielleicht großartigen Beziehungen zwischen den USA und der Türkei führen!“ – was kaum mehr als eine dilettantisch verschleierte Umschreibung für „Deal“ ist.

Dass ein solcher Deal sehr wohl getroffen wurde, berichtete NBC News bereits zwei Tage vor Brunsons Freilassung. Am Rande der UN-Generalversammlung im September handelten türkische und US-Delegierte – darunter hochrangige Funktionäre wie Außenminister Mike Pompeo und Sicherheitsberater John Bolton – jenes „Agreement“ aus, nach dem Brunson freigelassen und im Gegenzug „der ökonomische Druck auf die Türkei gemindert“ wird, so NBC unter Berufung auf Regierungsquellen, die „vertraut mit den Diskussionen“ waren.

Ein Pastor als Faustpfand, als Spielball im Machtpoker zweier Tyrannen.

Trump und Erdoğan behaupten beide, es habe keinen Deal zur Freilassung des Pastors Brunson gegeben. NBC berichtet anderweitig. By The White House, Flickr, published under public domain.

Warum ausgerechnet jetzt? – Auge um Auge

Angesichts der Tatsache, dass Brunson ganze zwei Jahre in türkischer Gefangenschaft verbrachte, stellt sich die Frage, warum Trump für den teuren Preis der Türkei-Krise die Causa Brunson ausgerechnet jetzt zum Showdown eskalierte. Die Antwort hat weder etwas mit Wirtschaft noch mit Geopolitik – und gewiss nichts mit Pastor Brunson – zu tun, sondern einzig und allein: mit den so wichtigen Midterm Elections am 6. November 2018, durch die potentiell die Kräfteverhältnisse im US-Kongress zu Gunsten der Demokraten verschoben werden könnten.

Andrew Brunson ist frei. Screengrab by CBS News, YouTube.

Pastor Brunson wurde einzig aus wahltaktischen Gründen freigepresst.

Trump bezeichnet sich als einen „stolzen Presbyterianer“; im Wahlkampf nannte er wiederholt die Bibel sein Lieblingsbuch. Als ein Bloomberg-Reporter ihn schließlich nach seinem liebsten Bibelvers fragte, konnte er jedoch keinen einzigen Vers nennen. Ein paar Monate später waren seine ersten Worte auf dieselbe Frage: „Nun, ich denke viele. Ich meine, wenn wir uns die Bibel angucken, viele, denke ich, so viele.“ Schließlich fiel ihm doch noch einer ein: „Auge um Auge, das kannst du fast so sagen.“

Sollte ich wetten, würde ich behaupten, Trump ist weder religiös noch gläubig. Nicht im Sinne eines überzeugten Atheisten, wie ich einer bin, sondern dem simplen Umstand geschuldet, dass es in der Trumpschen Megalomanie schlicht keine wie auch immer geartete Entität geben kann, die über dem Donald steht. Doch zu Trumps Bedauern ergab eine Gallup-Umfrage von 2015, dass US-Wähler eher einen muslimischen oder einen offen schwulen Kandidaten zum Präsidenten wählen würden, als einen Atheisten (nur Sozialisten liegen noch dahinter auf dem letzten Platz). Und so musste sich selbst Donald Trump der Konvention fügen und sich heuchelnd das christliche Mäntelchen umlegen.

Trump – Das „Trojanische Pferd“ der religiösen Fanatiker

Gewiss schert sich Trump persönlich nicht um das Schicksal von Pastor Brunson. Anders jedoch die in den USA überdurchschnittlich mächtige und einflussreiche Gruppierung der Evangelikalen, der treibenden Kraft der ultrakonservativen religiösen Rechten in den USA, deren mächtigster Vertreter es bis nach oben ins Weiße Haus geschafft hat: Vizepräsident Mike Pence.

Pence ist wie Pastor Brunson ein wiedergeborener Evangelikaler, Brunsons Kirche in Izmir ist affiliiert mit der Evangelikal-Presbyterianischen Kirche in Orlando, Florida. Während es für den ultrareligiösen Pence eine Frage des Glaubens war, Brunson aus der türkischen Gefangenschaft zu befreien, ist es für Trump hingegen schlicht eine Frage des Machterhalts: Er muss sich um jeden Preis den Wahlsupport der Evangelikalen sichern.

Mit den Köpfen dieser ultrakonservativen Strömung des Protestantismus ging Trump – nicht unbedingt bekannt für seinen puristischen, christlich-konservativen Lebensstil – in seiner Wahlkampagne eine Zweckehe ein, die von unaussprechlicher Heuchelei beider Seiten zeugt und als Sinnbild für die Verkommenheit der politischen Klasse in den USA steht. Der Deal lautet folgendermaßen:

Angeführt von Mike Pence erhält Trump die Unterstützung von Pence’s breiter konservativer Wählerbasis, ohne die er nie Präsident geworden wäre. Im Gegenzug unterstützt Trump die Evangelikalen mittels wohlwollender Gesetzgebung und Benennung von ultrakonservativen Verfassungsrichtern auf Lebenszeit – wie aktuell der überführte Lügner und mehrfach glaubwürdig als Sexualstraftäter beschuldigte Brett Kavanaugh – in der Durchsetzung ihrer mittelalterlichen Agenda: vom Kampf gegen Abtreibung und Anti-Transgender-Gesetze über unmenschlichste Behandlung von Immigranten, bis hin zu ihrem Stück vom Make-America-Great-Again-Kuchen, dem Zurück ins Amerika der 1950er Jahre: Rassismus und Frauenhass als Mittel für den erneuten Siegeszug des weißen, christlichen, heterosexuellen Mannes.

Investigativjournalist Jeremy Scahill nennt Trump vollkommen zu Recht das „Trojanische Pferd einer Intrige bösartiger Fanatiker, die sich schon lange nach einer extremistischen christlichen Theokratie sehnten.“

Donald Trump, das „Trojanische Pferd“ der ultrakonservativen, religiösen Rechten. Vizepräsident Mike Pence, als deren mächtigster Vertreter aller Zeiten. By The White House, Flickr, published under public domain.

Diese „Fanatiker“ mobilisierten im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2016 unaufhörlich für ihr „Trojanisches Pferd“ – mit größtem Erfolg: Weiße Evangelikale, die etwa 17 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, wählten zu überwältigenden 81 Prozent Donald Trump. Die religiöse Rechte hielt ihren Teil der Abmachung.

Dieser Tage braucht Trump erneut deren Support, denn: Kein US-Präsident in der Geschichte hatte nach seinem ersten Jahr im Weißen Haus schlechtere Umfragewerte als Donald Trump, wie eine Gallup-Umfrage ergab. Mit miserablen 39 Prozent Zustimmung liegt Trump weit abgeschlagen hinter dem zweitunbeliebtesten Präsidenten Bill Clinton.

Um seinen Machterhalt mithilfe der ultrakonservativen religiösen Rechten zu sichern, musste der schwächelnde Präsident Trump also liefern; und so führte sein Stab wenige Wochen vor den Midterm Elections den Showdown der Causa Brunson herbei.

Bei diesen Wahlen im November könnte aus Trumps Machtfülle – die Republikaner dominieren alle drei Regierungsgewalten – ein großer Brocken wegbrechen. Trump braucht daher unbedingt medienwirksame Erfolge.

Die Freiheit von Pastor Brunsons ist ein solcher.

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