Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 umspannte die USA die Welt mit einem Netzwerk aus illegalen Foltergefängnissen. Nach Mazedonien, Polen und Italien wurden jüngst auch Rumänien und Litauen für ihre Komplizenschaft in US-Folter vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Die juristische Verfolgung sämtlicher Akteure – insbesondere der Kriegsverbrecher der Bush-Administration – muss das Ziel bleiben.
Am 9. Dezember 2014 veröffentlichte der US-Senat den weltweit aufsehenerregenden CIA-Folterbericht, der vermeintlich der Aufklärung des globalen Folternetzwerks der Bush-Ära dienen sollte.
„Eine der Stärken, die Amerika so einzigartig macht, ist unsere Bereitschaft, unserer Vergangenheit offen entgegenzutreten, uns unserer Unvollkommenheit zu stellen, Veränderungen vorzunehmen und es besser zu machen.“
Mit diesen Worten pries der damalige Präsident Barack Obama die Veröffentlichung des Torture Report (von dessen 6.000 Seiten weiterhin 5.475 Seiten als Staatsgeheimnis unter Verschluss sind). Doch Obamas „Bereitschaft“, sich der US-amerikanischen „Unvollkommenheit zu stellen“, beschränkte sich dann auch auf das folgenlose Äußern dieser blumigen Worte: Kein einziger Verantwortlicher der Bush-Ära wurde von Völkerrechtler und Friedensnobelpreisträger Obama je vor ein Gericht gestellt.
Black Sites – ein weltweites Netz aus Folterkellern
Regierungen der Vereinigten Staaten foltern seit jeher, doch in der durch die Anschläge vom 11. September 2001 ausgelösten Ära der Gesetzlosigkeit und der grassierenden Freiwild-Mentalität gegenüber Muslimen wurde das staatlich betriebene System der Folter in ungekannte Sphären katapultiert: Ein weltumspannendes Netzwerk sogenannter Black Sites wurde installiert – geheime, illegale Foltergefängnisse.
Terrorverdächtige wurden hierfür auf offener Straße oder von zu Hause entführt. Über ein beeindruckendes Logistiknetzwerk wurden die Verdächtigen schließlich quer über den Globus geflogen, so dass sie oft selbst nicht wussten, in welchem Land oder gar Kontinent sie sich überhaupt befinden (was bereits Teil der psychologischen Folter ist). Allein bis 2010 wurden so bis zu 100.000 Menschen illegal verschleppt.
Das Endziel der Reise waren die Folterkeller von befreundeten Despoten wie Syriens Assad, Gaddafis Libyen oder Salehs Jemen. Weitere befanden sich etwa in Saudi-Arabien, Kenia, Südafrika, Ägypten, Usbekistan oder Thailand. In Europa fanden sich Folterknäste nachweislich in Polen, Bosnien, Kosovo, Rumänien, Litauen und Großbritannien. Hunderte unschuldiger Menschen starben in diesen Folterkellern der USA, weil sie schlicht zu Tode geprügelt wurden.
Die Zahl der Black Sites umfasste über 50 Einrichtungen in 28 Ländern. Hinzu kommt das berühmtberüchtigte Konzentrationslager in Guantanamo auf Kuba, 25 Geheimgefängnisse im besetzten Afghanistan und 20 weitere im Irak; darunter das durch die abscheulichen Folterbilder weltweit bekannte Abu Ghraib. Auch haben die USA Hunderte Verdächtige auf insgesamt 17 Schiffen eingesperrt, gefoltert und verhört. Die Gesamtzahl illegaler Black Sites liegt damit weit über 100.
Viele weitere Länder waren unterstützend an diesem Netzwerk der US-Foltergefängnisse beteiligt, etwa durch Entführung von Verdächtigen, Bereitstellung von Agenten und Folterknechten, Gewährung von Überflugrechten für Folterflüge, Bereitstellung von Flughäfen oder sonstiger logistischer Unterstützung. Ein umfassender Forschungsbericht der Open Society Foundation von 2013 ermittelt die erschreckende Gesamtzahl von mindestens 54 beteiligten Ländern:
Die Gefangenen werden in Black Sites über Monate und oft viele Jahre hinweg ohne Anklage festgehalten und dort „erweiterten Verhörtechniken” ausgesetzt – ein realitätsumschmeichelnder Propagandabegriff, über den George Orwell sicher entzückt wäre: Schläge aller Art mit Werkzeugen aller Art in jede denkbare Körperregion, extreme Hitze oder extreme Kälte in den Zellen, Elektroschocks besonders an Genitalien, anale Vergewaltigung mit diversen Objekten, religiöse Demütigung, Waterboarding, stundenlanges Ausharren in extremen Körperpositionen, Einschließen in winzige Kisten, Schädel gegen die Wand schlagen, Aufhängen, Panikszenarien mit Hilfe von Kampfhunden oder Insekten, Abspielen extrem lauter Musik, tagelanger Schlafentzug, Todesdrohung an Angehörige, unter Drogen Setzen, Auslösen von Krämpfen, Aushungern oder die besonders perfide „sensorische Deprivation“: durch Anlegen von Atemmaske, schalldichtem Ohrschutz, Augenbinde, Schließen der Nase, Fesseln von Händen, Armen und Beinen über lange Zeiträume wird jegliche Sinneswahrnehmung ausgelöscht, das Opfer verliert buchstäblich den Verstand.
Es ist bemerkenswert, dass genau die Hälfte der 54 involvierten Länder – mit den USA 55 – einem Staatenbündnis angehört, das sich selbst über ihre liberalen, progressiven, humanistischen Werte definiert: die selbsternannte „westliche Wertegemeinschaft“.
Doch welche Werte sind es, die diese Gemeinschaft mit ihrem Netzwerk aus Black Sites repräsentiert? Eine Gemeinschaft, deren mächtigste Länder – Deutschland, Großbritannien, Kanada, Australien, Spanien, Italien, Portugal, Schweden, Polen, Dänemark, Belgien; einzige Ausnahme: Frankreich – mit dem Kopf des globalen Imperiums und den übelsten Despoten des Planeten kollaborieren, um ein System weltumspannender Folter zu installieren. Ein Mafiasystem fernab jedes Gesetzes und jeder Moral. Ein System der Menschenverachtung, Demütigung und Qual, über das die Hexenverbrenner der Inquisition vor Neid erblassen würden.
Welche noblen Werte werden verteidigt, wenn ein Besenstiel wieder und wieder in den Anus eines Verdächtigen gerammt wird?
Bis zur umfassenden juristischen Aufarbeitung dieses monströsen Verbrechens hat die „westliche Wertegemeinschaft“ jede Legitimation auf der internationalen Bühne verloren. Ihre Empörung über Giftgasangriffe in Syrien, Dissidentenmord in Russland oder tote Demonstranten in Caracas ist eine Beleidigung unserer Intelligenz.
Die Verantwortlichen in den Regierungszirkeln dieser 55 Länder sind Täter in „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, als die der weltweit renommierte Völkerrechtler Francis Boyle das Black-Site-Netzwerk bewertet. Sie müssen von nationalen oder internationalen Gerichten als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden.
Die ersten Bauernopfer fallen
Im Dezember 2012 kam es zu einem historischen Präzedenzfall: Erstmals wurde ein Land von einem supranationalen Gericht wegen dessen Involvierung im US-Folternetzwerk schuldig gesprochen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (ECHR) verurteilte Mazedonien für die Entführung und Folter des Deutschen Khalid El-Masri sowie dessen Überstellung an die CIA. El-Masri war vollkommen unschuldig – er hatte nur zufällig fast denselben Namen wie ein mutmaßlicher Terrorist.
Im Juli 2014 verurteilte der ECHR daraufhin Polen für seine Komplizenschaft in Folter und illegaler Inhaftierung des Palästinensers Abu Zubaydah sowie des saudischen Staatsangehörigen al-Rahim al-Nashiri.
2016 wurde schließlich Italien für die Komplizenschaft in Folter und Verschleppung des ägyptischen Imams Abu Omar vom ECHR verurteilt. Bereits 2009 verurteilte ein italienisches Gericht im weltweit ersten erfolgreichen Fall im Kontext der US Black Sites in absentia 22 an der Folter von Omar beteiligte CIA-Agenten, die jetzt nie wieder nach Europa einreisen können, wollen sie dem italienischen Gefängnis entgehen
Und in der vergangenen Woche wurden schließlich Rumänien und Litauen vom ECHR dafür verurteilt, dass beide Länder illegale US Black Sites betrieben und damit die Europäische Menschenrechtskonvention verletzten. Wie im Urteil gegen Polen 2014 waren erneut al-Rahim al-Nashiri und Abu Zubaydah die Kläger. (Der Fall von Abu Zubaydah ist ein außergewöhnlicher, dazu gleich mehr).
Es sei an dieser Stelle unmissverständlich klargestellt: Die bereits verhängten Urteile gegen die europäischen Folterkomplizen der USA sind große Errungenschaften. Amnesty International nennt die jüngsten Urteile gegen Rumänien und Litauen vollkommen zu Recht „bedeutende Meilensteine“. Sie lassen darauf hoffen, dass sich auch die mächtigeren US-Vasallen vor Gericht verantworten müssen, allen voran Deutschland, Großbritannien, Australien, Kanada.
Insbesondere muss auch der aktuelle deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – damals Kanzleramtsminister – für seine schändliche Rolle in der Causa Murat Kurnaz vor Gerichte gestellt werden.
Das US Empire steht über dem Gesetz
Doch bei all den bereits gemachten kleinen Schritten dürfen wir den großen rosa Elefanten im Raum nicht übersehen: Den Kopf des Folternetzwerks. Denn die Verantwortung für dieses Menschheitsverbrechen trägt die Führungsriege des US-Imperiums: die kriminelle Bande, die sich rund um George W. Bush versammelt hat. All diese Leute müssen final als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden.
Doch hier sieht es aus zweierlei Gründen leider mehr als düster aus. Erstens beugen sich Gerichte innerhalb der USA dem Druck der US-Regierungen – die sämtliche Informationen zu ihren Black Sites als „Staatsgeheimnis“ einstuft – und weigern sich, Verfahren zu eröffnen. Die Gewaltenteilung in den USA samt unabhängiger Judikative ist eine Farce.
Und zweitens hat Washington nie das Rom-Statut ratifiziert, die Vertragsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, womit sich die USA in eine Liste von Staaten einreiht wie Libyen, Saudi-Arabien, China, Israel, Russland, Nordkorea, Somalia oder Syrien.
Doch das heißt nicht, dass US-Bürger vor der Rechtsprechung in Den Haag in Sicherheit sind, denn es gibt noch immer den Hebel der Drittstaatenregelung: „Allerdings kann der [Internationale Strafgerichtshof] Folter von Angehörigen dritter Staaten wie den USA, die auf dem Gebiet einer dieser Staaten begangen worden ist, ebenfalls verfolgen“, erklärt der Rechtsanwalt Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights. Die Verantwortlichen der US-Regierung könnten also in Den Haag zwar nicht wegen Guantanamo oder Abu Ghraib, jedoch für Folter auf europäischem Boden angeklagt werden.
Angenommen, eine europäische Regierung nimmt allen Mut zusammen, verhaftet George Bush, Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice, Ex-CIA-Chef George Tenet oder auch nur irgendeinen in Folter involvierten Agenten auf europäischem Boden und übergibt sie oder ihn in die Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofs, gäbe es jedoch auch hier eine schwer zu erklimmende Hürde: Schon einmal etwas vom sogenannten „Hague Invasion Act“ gehört?
Das 2002 von George Bush unterzeichnete Gesetz autorisiert den US-Präsidenten, „jedes notwendige und angemessene Mittel [zu nutzen], um US-Bürger oder deren Alliierte aus dem Gewahrsam oder der Haft … des Internationalen Strafgerichtshofs zu befreien“ – was militärische Gewalt explizit miteinschließt: die militärische Invasion der Stadt Den Haag, die Invasion des NATO-Partners Niederlande also.
Dies ist das Rechtsverständnis des US Empire, des „Anführers der freien Welt“, des „Leuchtfeuers der Demokratie“: Es wird eher das höchste Gericht der Welt mit Panzern und Raketen in Schutt und Asche legen, als dass auch nur ein einziger US-Bürger sich für unvorstellbare Kriegsverbrechen verantworten müsste.
Die ganze Absurdität kondensiert in einem Menschen: Der Fall des Abu Zubaydah
Wie bereits erwähnt, ist die Akte des Palästinensers Abu Zubaydah ein besonderer Fall. An ihm offenbaren sich bilderbuchartig sämtliche Absurditäten und das zum Himmel schreiende Unrecht der US Black Sites.
Zubaydah war der erste Terrorverdächtige – eigentlich eine falsche Bezeichnung: er wurde nie eines Verbrechens bezichtigt, die CIA räumte ein, dass er nie Mitglied der Al-Qaida war – auf dem George Bushs Folterknechte mit ihren „erweiterten Verhörtechniken“ wüteten. An Zubaydah wurde das vollständige CIA-Folter-Playbook ausgetestet, wobei er in einem einzigen Monat insgesamt 83 Mal Waterboarding unterzogen wurde. Er verlor in Haft sein linkes Auge.
Nach mehr als einer Dekade seines Martyriums erwirkte Zubaydah 2014 schließlich das historische Urteil gegen Polen, erstritt jüngst das Urteil gegen Litauen – und vegetiert weiterhin im Konzentrationslager Guantanamo. Zubaydah ist mittlerweile seit 16 Jahren ohne Anklage im rechtsfreien Raum des Netzwerks aus US Black Sites gefangen, wurde von einem Geheimgefängnis zum nächsten verschleppt. Doch wo begann Zubaydahs Folterhistorie?
In einer Black Site in Fernost, in Thailand, dem ersten Foltergefängnis der CIA in Übersee. Die damalige Leiterin der Einrichtung ist eine Dame, die jüngst ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit gestellt wurde (und über die JusticeNow! ausführlich berichtete). Die eifrige Agentin leitete die Black Site in Thailand nicht nur, sondern war in einer „umfassenden Rolle“ auch „direkt involviert“ in den Prozess der Folter selbst. Unter ihrer Obhut wurde Zubaydah „mehr als drei Wochen lang … fast rund um die Uhr gefoltert“.
Der Name der brutalen Folterknechtin: Gina Haspel. Die frischgebackene Chefin der CIA wurde im März von Trump für den Posten nominiert, und wurde dank der Unterstützung von Schlüsselfiguren der US-Demokraten – die ihre Ernennung hätten verhindern können – im Mai schließlich vom US-Kongress im Amt bestätigt. Gina Haspel gehört als Kriegsverbrecherin ein Leben lang weggesperrt, doch führt sie heute die mächtige CIA.
Über anderthalb Jahrzehnte hallt das Echo des Unrechts am Palästinenser Abu Zubaydah in die Gegenwart und sendet dabei vier grundlegende Signale heraus an die Welt:
- Die US-Regierung betrachtet ihre Gefangenen im „War on Terror“ als rechtlose Untermenschen, behandelt sie schlimmer als eingepferchtes Vieh in Schlachthöfen.
- Wenigstens die Vasallenstaaten des US Empire sind nicht vollständig immun gegen Strafverfolgung, europäische Gerichte können im Ausnahmefall Ministrafen gegen sie verhängen.
- Die politisch Verantwortlichen der US-Regierung genießen hingegen absolute Straffreiheit: das US Empire steht über dem Gesetz.
- Für die operativ Verantwortlichen – jene, die tatsächlich Schädel gegen Wände schlagen – ist Folter kein Makel in ihrer Vita, sondern ein Grund zur Beförderung an die Spitze des mächtigsten Geheimdienstes der Welt.
Die verantwortlichen Köpfe der Bush-Ära, sowie ihrer Komplizen überall auf der Welt müssen endlich vor unabhängige Gerichte gestellt werden. Ohne Gerechtigkeit für die Opfer der Folter kann es keinen Frieden geben.
Eine Antwort
Wieso verbreitet Jakob Reimann immernoch Unwahrheiten über Gina Haspel?
Sogar der von ihm verlinke Artikel (SPON) widerspricht seine Behauptungen.
Will er plump propagandistische Lügen streuen oder ist er ideolgisch so engstirnig, dass er die Realität nicht mehr erkkent?