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Die Fleischindustrie in der Coronakrise

Die Lockerungen der Anti-Corona-Maßnahmen in NRW waren noch nicht in Kraft getreten, da wurden sie im Landkreis Coesfeld schon verschoben. Der Schlachthof von Westfleisch, einem der größten Fleischproduzenten bundesweit, wurde wegen des Verdachts auf Corona geschlossen, die 1.200 Mitarbeiter sollten getestet werden. Stand 20. Mai fanden sich 283 positive Ergebnisse. Die Landesregierung hat die Testung aller (17.000 bis 20.000) Beschäftigten der Fleischindustrie in NRW angeordnet.

von Renate Brucker

In Coesfeld ist der Betrieb nach Einführung eines neuen Hygienekonzeptes am 20. Mai wieder aufgenommen worden, aber neue Verdachtsfälle traten an anderen Orten auf. In den Niederlanden wurden noch in den letzten Maitagen wegen Verdachts auf Corona beziehungsweise Verstößen gegen Hygieneregeln Schlachthöfe geschlossen, die Probleme dauern also an.

Als Gründe für die zahlreichen Verdachts- beziehungsweise Erkrankungsfälle werden die häufige Unterbringung der meist ost- und südosteuropäischen Arbeiter in Sammelunterkünften mit mehrfach belegten Zimmern, der (teilweise) gemeinsame Transport zur Arbeitsstätte, die dort herrschenden Arbeitsbedingungen sowie Sprachprobleme beim Verständnis von Hygieneregeln genannt. Dies ist zwar alles seit Jahrzehnten bekannt, geändert hat sich allerdings nicht viel.

„Immer mehr, immer billiger“

Es kann sich auch nicht viel ändern, solange das Ziel eines hohen inländischen Fleischkonsums und einer Exportquote von 20 Prozent zu Billigpreisen verfolgt wird. Raum und Zeit sind teuer, und wenn die Bänder maximal ausgenutzt werden sollen, wenn pro Schwein zum (Ab)stechen nur zwei Sekunden eingeplant sind, wenn alles schnell weiterverarbeitet wird, dann müssen die Arbeiter eng nebeneinanderstehen. Die Ansteckungs- und die Verletzungsgefahr ist also systembedingt groß. Überlange Arbeitszeiten, Arbeitstempo, Stress und psychische Belastungen durch die Tätigkeit selbst schwächen die Immunabwehr. Eine Einzelunterbringung der Arbeiter und damit höhere Mieten wären – so der Verband der Deutschen Fleischwirtschaft – für einen Teil der Betriebe existenzgefährdend – eine Folge des Prinzips „Immer mehr, immer billiger“. Direkt am Tier als Treiber, Stecher und so weiter arbeiten in Schlachthöfen nur Männer; Frauen werden – wenn überhaupt – in den nachgeordneten Bereichen Verpackung oder Transport (Kisten schleppen) eingesetzt.

Dass es mit der Befolgung von Vorschriften und mit Kontrollen in Schlachthöfen nicht weit her ist, zeigen die seit Jahrzehnten dokumentierten Tierquälereien. Laut NDR vom 6. Mai 2020 gab es beispielsweise bei 62 niedersächsischen kontrollierten Betrieben 58 Verstöße. Die freiwillig (!) installierten Videokameras waren fast alle nach kurzer Zeit wieder abgeschaltet worden.

Fleischkonsum und Corona-Pandemie

Hat nun die Verarbeitung oder der Konsum von Fleisch etwas mit der Corona-Pandemie zu tun? Im direkten Sinne einer unmittelbaren Infektion bei der Produktion wohl nicht, in einem weiteren Sinne allerdings schon. Corona gehört zu den Zoonosen, Krankheiten, die ihren Ursprung in Tieren haben, wie Aids, Ebola, Vogelgrippe, SARS und MERS. Der Ursprung des Coronavirus SARS-CoV-2 wird in Fledermäusen vermutet. Als Zwischenwirt soll das Pangolin dienen, ein Schuppentier, das trotz seines Schutzstatus – wie viele andere sogenannte Wildtiere – wegen seines Fleisches und seiner Schuppen massenhaft gezüchtet und auch auf dem legendären „wet market“ in Wuhan angeboten wird. Hätte man diese Tierart in Ruhe in ihrer natürlichen Umgebung leben lassen, wäre eine Übertragung des Corona-Virus auf Menschen unwahrscheinlicher gewesen.

Es wird geschätzt, dass in Tieren etwa 600.000 unerforschte Viren existieren, die das Potential haben, auf Menschen überzuspringen. Wildtiere beherbergen im Durchschnitt laut einer aktuellen Studie der „Royal Society“ nur 0,23 zoonotische Viren, domestizierte Arten 19,3, Schweine und Rinder 31. In der industriellen Massentierhaltung werden die sog. „Nutztiere“ genetisch möglichst einheitlich auf bestimmte Merkmale gezüchtet, was die Ausbreitung von Viren begünstigt, wohingegen genetische Vielfalt eine Virenausbreitung begrenzen könnte.

Mit der Tierhaltung, insbesondere der Massentierhaltung, ist also prinzipiell eine Gefährdung verbunden, indem Viren auf den Menschen überspringen und dann von Mensch zu Mensch weitergegeben werden können. Gefördert wird dies durch das intensive Durchdringen der Lebensräume von Wildtieren, vermehrten Transport von Tieren und Tierprodukten und die Industrialisierung der Nutztierhaltung, unter anderem durch die angesprochenen Zuchtziele. So sieht auch der Virologe Prof. Christian Drosten in der Massentierhaltung eine ständige Quelle von zoonotischen Epidemien.

Als kürzlich der Tod eines zur Spargelernte eingereisten rumänischen Arbeiters durch Corona bekannt wurde, verbanden viele Kommentator*innen im Netz ihre Äußerungen von Beileid oder Empörung über die Arbeitsbedingungen mit der Ankündigung, künftig keinen Spargel mehr zu konsumieren. Solche Reaktionen waren auf die Berichte über die Erkrankten in den Schlachtbetrieben nicht zu lesen. Dabei ist Kaufzurückhaltung ein erprobtes Mittel, das Verschwinden fragwürdiger Produkte beziehungsweise Produktionsmethoden oder Arbeitsbedingungen zu bewirken. Beim Thema Fleisch scheinen moralische Bedenken aber deutlich weniger zu wiegen als bei anderen Konsumentscheidungen.


Dieser Text von Renate Brucker erschien in der aktuellen Druckausgabe der anarchistischen Monatszeitung Graswurzelrevolution (online hier). Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.


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