By U.S. DoS, Flickr, published under public domain (edited by Jakob Reimann, JusticeNow!).

Der Untergang des Prinzen

Der saudische Kronprinz MbS konnte mit einigen sozialen Reformen das Leben im Königreich deutlich verbessern – insbesondere das der saudischen Frauen –, während seine ambitionierte Vision 2030 das Land auch ökonomisch moderniseren soll. Diese hochgradig an seine Person gebundene Top-Down-Revolution steht und fällt mit dem Image des Prinzen, welches durh den brutalen Mord am Journalisten Jamal Khashoggi zerstört wurde und ultimativ wohl den Untergang des MbS eingeläutet hat.

Teil 2 des MbS-Specials hier auf Die Freiheitsliebe
Zum Teil 1 geht’s hier entlang.

Das „neue“ Saudi-Arabien

Ungeachtet seiner extremen Machtbündelung im Innern und der katastrophalen Konfrontationspolitik nach Außen gilt MbS gemeinhin als großer Reformer – der er zweifelsohne ist. Er repräsentiert eine Kaste junger kosmopolitischer Prinzen – und darüber hinaus junger Saudis im Allgemeinen –, die im Ausland studiert haben, dort lebten oder viel reisen und mit den verschiedensten kulturellen Eindrücken im Gepäck mit dem Ultrakonservatismus der saudischen Heimat nicht mehr allzu viel anfangen können. Ernten MbS‘ Vorstöße in älteren Bevölkerungsschichten zuweilen Unverständnis, ist er bei jungen Saudis – knapp 60 Prozent der saudischen Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt – in der Tat sehr beliebt. Vor allem scheint mit MbS erstmals ein saudischer Führer tatsächlich ein gewisses Interesse an der Gunst seines Volkes zu haben.

Der Kronprinz implementierte eine Reihe von Reformen, die insbesondere das Leben saudischer Frauen deutlich verbesserten. So wurde die Macht der Religionspolizei drastisch beschnitten, Frauen erhielten Zugang zu ursprünglich Männern vorbehaltenen Berufen, dürfen Kinos, Konzerte und Sportveranstaltungen besuchen und erstmals in Kommunalwahlen wählen und sich aufstellen lassen. Mehr als ein Dutzend Frauen zog in Lokalparlamente ein. Sportunterricht für Mädchen wurde eingeführt. Als letztes Land der Welt dürfen Frauen nun auch in Saudi-Arabien Auto fahren. All dies sind Veränderungen, die das alltägliche Leben in der absoluten Monarchie tiefgreifend umwälzen. Und auch wenn westliche Beobachter diese oft mit einer unterschwelligen Selbstgefälligkeit belächeln mögen, sind sie das Ergebnis jahrzehntelanger lebensgefährlicher sozialer Kämpfe, deren Akteuren nichts als Respekt und Solidarität gebührt.

Neben diesen Verbesserungen kam es unter MbS andererseits zu einem massiven Anstieg willkürlicher Verhaftungen ohne Anklage, sowie zu Vorbeugehaft potentieller Aktivisten und Einschränkungen der ohnehin spärlichen Rede- und Meinungsfreiheit. Kritische Geister werden mehr und mehr paranoid, viele fliehen aus Angst um Leib und Leben ins vermeintlich sichere Exil überall auf der Welt. Unter MbS herrscht das Paradoxon, dass die Saudis zweifelsohne wesentlich größere soziale Freiheiten genießen als je zuvor, die Bürgerrechte hingegen einer faschistischen Verschiebung unterliegen, nach der die staatliche Gewalt immer tiefer die Lebenssphären der Menschen durchdringt.

Insbesondere am Schicksal der Driving Activists, der Fahraktivistinnen, offenbart sich die an Schizophrenie grenzende Widersprüchlichkeit des MbS: In den Wochen vor und den Monaten nach der Aufhebung des Fahrverbots für Frauen wurde eine Vielzahl von Aktivistinnen inhaftiert, die für ebendiese Aufhebung kämpften; meist unter Anwendung von Anti-Terrorgesetzen, ihnen drohen bis zu 20-jährige Haftstrafen. Mehrere Frauen wurden in den Gefängnissen systematisch gefoltert, unter Anwendung physischer, psychischer und sexueller Gewalt, wie jüngste Berichte von Human Rights Watch und Amnesty International dokumentieren. Die vom Timing her wohlabgestimmte Botschaft an die Aktivistinnen, nach Jahrzehnten ihres nun endlich erfolgreichen Kampfes, ist klar: Die Aufhebung des Fahrverbots ist nicht etwa das Ergebnis graswurzelrevolutionärer Prozesse und der Unbeugsamkeit ihrer Protagonistinnen, kein Bottom-Up-Prozess, nach dem der Königshof dem Druck der Straße nachgibt, sondern eine Top-Down-Entscheidung, ein Almosen, „eine Revolution von oben“, wie der renommierte Princeton-Professor Bernard Haykel das System MbS umschreibt.

Loujain al-Hathloul ist eine der prominentesten Köpfe saudischer Aktivistinnen und wurde dafür mehrfach verhaftet. Loujain erlangte für ihre in sozialen Medien dokumentierte Weigerung, sich dem Fahrverbot für Frauen zu unterwerfen internationale Aufmerksamkeit. Seit MbS‘ Inhaftierungswelle von Aktivist_innen vom Mai 2018 sitzt sie im Dhahban Central Prison, wo inhaftierte Aktivistinnen gefoltert wurden. By Unknown, Wikimedia Commons, licensed under CC BY-SA 4.0.

Ein weiterer zentraler Pfeiler dieser Top-Down-Revolution ist MbS‘ sogenannte Vision 2030 – ein äußerst ambitioniertes Programm, nach dem sich die saudische Ökonomie langfristig von ihrer Ölabhängigkeit emanzipieren soll. Saudi-Arabien soll sich hiernach in eine Art riesiges Dubai verwandeln, das ausländische Investoren anzieht und als Investmentdrehscheibe des eurafrasischen Raums fungiert. Die Rotmeerküste soll in einen globalen Seehandelsknotenpunkt und ein Luxus-Adventure-Resort verwandelt werden (in dem Frauen erstmals öffentlich Bikini tragen dürfen). Auch soll im Nordwesten des Landes die Megacity Neom aus dem Wüstenboden gestampft werden – eine futuristische, robotisierte High-Tech-Stadt, ein „neues Silicon Valley“ auf einer Fläche von fast der Größe Belgiens. Das vollständig auf regenerative Energien setzende Mammutprojekt wird vom ehemaligen Siemens-CEO Klaus Kleinfeld geleitet und soll mit einem Budget von einer halben Billion US-Dollar realisiert werden.

NEOM Promo-Video

MbS‘ Vision 2030 soll das Wüstenkönigreich in eine moderne Volkswirtschaft transformieren, in das Nahost-Powerhouse des globalisierten Finanzmarkt-Kapitalismus. Dieser historische Wandel steht und fällt mit einem massiven Ressourcenzufluss, insbesondere aus den USA – und damit mit dem weltweiten Image Saudi-Arabiens, seines mediensüchtigen Kronprinzen.

Charmeoffensive in Übersee

„Die wohl größte Herausforderung für Riad besteht darin“, analysiert die Financial Times nüchtern, „das Amerika der Konzerne davon zu überzeugen, in Saudi-Arabien zu investieren und dringend benötigte Finanzmittel und technisches Know-how bereitzustellen, um die ehrgeizigen Pläne des jungen Prinzen zur Modernisierung seiner Nation zu unterstützen.“ Zu diesem Ziele brach MbS im vergangenen März zu einer dreiwöchigen Charmeoffensive in die USA auf und traf sich in den Metropolen des Landes mit dem Who is Who der US-amerikanischen Eliten aus Politik, Wirtschaft, Öl-Business, Entertainment, Technologie und Medien.

Mit seiner Zurschaustellung von Kriegsgerät in Form von Fußballkarten und seinem Prahlen mit all den Milliarden-Waffenverkäufen hat sich Trump vor der Weltöffentlichkeit massiv blamiert und erntete für seine Show nichts als Hohn und Spott. MbS mit Trump am 20. März 2018 im Weißen Haus. By The White House, published under public domain.

Nach öffentlichen Meetings mit Präsident Trump und seiner Regierung traf sich MbS informell mit den Obamas, Bushs und Clintons, Albright und Kissinger, den Multimilliardären Gates, Musk und Thiel, den CEOs von Apple, Microsoft, Facebook, Amazon, Bloomberg, Uber, Walt Disney, Goldman Sachs, Boeing und Lockheed Martin, sowie den Köpfen aller großen Medienhäuser des Landes, auch The Rock und Oprah fehlten nicht. Bei unzähligen Fotoshootings versuchte MbS, das „neue“ Saudi-Arabien in die Köpfe der Mächtigen regelrecht hineinzugrinsen – und das mit großem Erfolg, Facebooks Mark Zuckerberg etwa konnte gar nicht genug Fotos mit seinem neuen royalen Freund schießen.

Insbesondere die US-Flaggschiffe der liberal media ließen sich seit jeher vom Charisma des MbS verzaubern – und hinters Licht führen –, sahen sie doch seit Beginn seines Aufstiegs krampfhaft in ihm nur das, was sie so gerne sehen wollten. Besonders Thomas Friedman, der dreifache Pulitzer-Preisträger und legendäre Kolumnist der New York Times, sticht hier als Negativbeispiel hervor: Nach einem mehrtägigen Aufenthalt in MbS‘ Privatpalast war Friedman dem Charme des Prinzen sichtlich erlegen und verklärte ihn in einer Coverstory in der Times als weltoffenen Reformer, der kompromisslos gegen die Korruption im Haus Saud vorgeht, einen moderaten Islam predigt, die Freundschaft zwischen den Religionen stärkt, sich aufrichtig für die Rechte der Frauen einsetzt, als Mann der Mitte, ein Progressiver regelrecht, „der Saudi-Arabien ins 21. Jahrhundert herüberreißt“.

Auch im Kern der Vision 2030 steht die Rehabilitierung des saudischen Images in der Welt, das bis dato von religiösem Extremismus und der erbarmungslosen Unterdrückung der Frauen, sowie der Involvierung in dschihadistischen Terror wie der Anschläge vom 11. September 2001 geprägt war. Schien dieser Weg des MbS von großem Erfolg geprägt zu sein, trat er am 2. Oktober 2018 schließlich jene Affäre los, die dieses mit Milliarden Lobby-Dollar aufgebaute Kartenhaus zum Einsturz bringen sollte – und womöglich den Untergang des Prinzen einläutete.

Die Causa Khashoggi

Der Journalist Jamal Khashoggi wurde am 2. Oktober von der saudischen Führung in Istanbul hingerichtet. By POMED, Flickr, licensed under CC BY 2.0.

Entgegen der Medienobsession mit dem Mord am Washington-Post-Kolumnisten Jamal Khashoggi, die eine irgendwie geartete Besonderheit impliziert, gehört das Ausschalten von Dissidenten seit jeher zum Repertoire der Mächtigen; praktiziert von China, Russland, Iran genau wie von Indien, Israel und den USA, sowie gewiss vom türkischen Präsidenten Erdoğan, der sich – urkomisch – gegenwärtig als Hüter der Pressefreiheit und Schutzherr der Rechtsstaatlichkeit inszeniert. Mit 80 Getöteten war 2018 für Journalisten das tödlichste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, so der neueste Bericht von Reporter Ohne Grenzen. Und auch in Saudi-Arabien ist der Kampf gegen Kritiker seit Jahrzehnten fest in Historie und Struktur des Königreichs verankert. Was den Mord an Jamal Khashoggi über Wochen in die weltweiten Schlagzeilen manövrieren konnte, sind neben der splatterhaften Brutalität – die Leiche wurde anscheinend zersägt und in Säure aufgelöst – vor allem zwei Dinge.

Einerseits der Dilettantismus im Kontext der Schadensbegrenzung der saudischen Regierung, hervorgerufen durch das höchst geschickte Ausspielen der Affäre durch die Erdoğan-Regierung. In der Absicht, mit den Saudis einen regionalen Widersacher zu schwächen sowie in der noch immer schwelenden US-Türkei-Krise Konzessionen von Washington zu erwirken, veröffentlichte Ankara seine geheimdienstlichen Informationen in wohlportionierten Minihäppchen und zwang Riad so in regelrechter Demütigung, wieder und wieder seine Story zu revidieren – jedoch stets ohne Abkehr von der unglaubwürdigen Beteuerung, der Mord spielte sich ohne Anweisung oder auch nur Kenntnisse von MbS ab. Andererseits ist es eben diese personelle Involvierung des Kronprinzen – Saudi-Kenner sind sich einig: eine derartige Operation hätte nie ohne Befehl von MbS ausgeführt werden können –, die den Journalistenmord zur globalen Affäre werden ließ. Der charismatische MbS ist das Gesicht des „neuen“ Saudi-Arabien. Es besteht kein Unterschied zwischen seinem Schicksal und der ambitionierten Erneuerung seines Landes: L’état, c’est moi. Das Mammutprojekt Vision 2030 steht und fällt mit dem sendungsbewussten Prinzen.

Nachdem Mitte November die CIA nach sorgfältiger Analyse die Verantwortung für den Khashoggi-Mord MbS zuschrieb, erklärte Trump, sein oberster Auslandsgeheimdienst hätte lediglich „Gefühle“ geäußert, keine Schuldzuweisung ausgesprochen. In einem von Lügen durchsetzten Statement versichert Trump Mitte November bedingungslose Solidarität und Loyalität zum Königreich. Es bleibt daher unwahrscheinlich, dass Trump MbS fallenlassen wird, viel zu eng ist die familiäre Bande zwischen dem Haus Trump und dem Haus Saud. Viel zu hoch ist auch das politische und monetäre Investment, das Trump auf den Brand MbS platziert hat – „Wir haben unseren Mann an die Spitze gebracht“, soll Trump nach MbS‘ Aufstieg zum Kronprinzen gegenüber Freunden geprahlt haben. Doch vor allem ist MbS‘ obsessiver Fanatismus gegenüber dem Iran für die iranophoben Kriegsfalken in den USA und Israel der perfekte Partner ihrer offen artikulierten Regime-Change-Ambitionen.

Der Untergang des Prinzen

Es gibt drei mögliche Szenarien, wie sich die Khashoggi-Affäre auflösen kann, die das Potential haben, das Königreich, den Nahen Osten oder gar die weltpolitische Lage auf den Kopf zu stellen.

Erstens könnte die (westliche) Welt, Politiker und Konzerne gleichermaßen, die Trump-Taktik des Unter-den-Teppich-Kehrens fahren und Opportunismus über ihre „Werte“ stellen: Enge wirtschaftliche, politische, diplomatische und militärische Verflechtungen dürften nicht wegen der Missetaten einer Einzelperson geopfert werden, so jenes Narrativ. Nach einer potentiell Monate und Jahre andauernden Rehabilitationsphase würde MbS – flankiert von Gesten der Reue und Demut als Teil der Scharade – wieder in die Gemeinschaft aufgenommen; zurück zum business as usual. Der Prinz könnte diesen Prozess massiv beschleunigen, indem er sich die Gunst der Mächtigen durch substanzielle Eingeständnisse zurückkauft: Die sofortige Beendigung des Jemen-Kriegs mit anschließenden Multimilliarden-Aufbauprogrammen zur Bekämpfung der historischen Hungersnot im Land wäre hier die vielversprechendste Karte im königlichen Blatt.

Die Szenarien zwei und drei basieren auf der Prämisse, dass sich die westliche Staatengemeinschaft tatsächlich kategorisch und dauerhaft weigern sollte, MbS zurück in ihre Reihen aufzunehmen. In Washington gilt die Aufrechterhaltung der strategischen Allianz mit Riad – ähnlich dem Support Israels – seit jeher über Parteigrenzen hinweg als heilige Kuh. Nach dem CIA-Report erklärte Mitte Dezember auch der US-Senat – einstimmig! – MbS zum Schuldigen des Khashoggi-Mords und forderte Präsident Trump auf, die US-Komplizenschaft im Krieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen zu beenden. Es sind nun buchstäblich einzig die Unbelehrbaren im engsten Zirkel um Trump, die weiterhin fest an MbS‘ Seite stehen – doch der Druck auf das Weiße Haus steigt zusehends. Da teils auch in Europa die Bereitschaft besteht, MbS fallen zu lassen, ist es durchaus möglich, dass die Rehabilitierung des Kronprinzen im Westen scheitern wird.

Im zweiten möglichen Szenario würde sich MbS gegen westliche Opposition an der Macht halten, woraufhin die Beziehungen zum Westen schwer beschädigt würden und sich Saudi-Arabien mittelfristig nach anderen Partnern umsehen würde. Der historische Nutznießer in diesem Szenario wäre Russland, worauf bereits jetzt einiges hindeutet. Aus vermeintlichem Protest gegen den Khashoggi-Mord boykottierten im Oktober rund 40 westliche Staatschefs und CEOs großer Konzerne das saudische Investitionsforum, treffend genannt „Davos in the Desert“. Einige dieser freigewordenen Slots wurden dankend von russischen und auch chinesischen Entscheidungsträgern aufgefüllt, die sich Milliardendeals mit den Saudis sicherten, darunter ein 5-Milliarden-Investment in Gasbohrungen in der russischen Arktis. Durchaus wagemutig polterte MbS vor den angereisten Länderdelegationen auf dem Forum: „Jetzt wissen wir, wer unsere besten Freunde und wer unsere besten Feinde sind.“ Auch zum G20-Gipfel in Argentinien Ende November mieden die Mächtigen der Welt den saudischen Kronprinzen; zumindest öffentlich, Hinterzimmergespräche gab es reichlich. Einzig Wladimir Putin begrüßte den mittlerweile als hochtoxisch geltenden MbS demonstrativ mit einem absolut übertriebenen High-Five, wie zwei alte Kumpels. Die an den Westen gerichtete Message dieser geschickt platzierten Medienstunts ist klar: Saudi-Arabien kann auch mit anderen.

MbS-Putin-High-Five

Sind die Saudi-Russland-Beziehungen durchaus konfliktbeladen, so sind sie dennoch seit langem von konstruktivem Pragmatismus dominiert. Auch wenn es ausgeschlossen ist, dass Riad eine 180-Grad-Wende vollführt und seine in sieben Jahrzehnten gefestigte Sonderbeziehung zu den USA gegen eine strategische Allianz mit dem Russland-China-Block eintauscht – nicht zuletzt wäre das aufgeblähte Militär der Saudis ohne das Pentagon schlicht nicht einsatzfähig –, so führt die Khashoggi-Affäre in jedem Fall zu einer Diversifizierung der saudischen Bündnispolitik. Zaghaft mit langsamen Schritten auch Peking, doch verfolgt vor allem Moskau seit einigen Jahren im Nahen Osten ambitionierte Pläne zur Machtkonsolidierung und -ausweitung auf militärischem wie diplomatischem Terrain. Sollte Putin, der Politik des Schachbretts folgend, den Khashoggi-Mord tatsächlich derart klug ausspielen können, dass mittelfristig eine Herauslösung Saudi-Arabiens aus dem westlichen Staatenbündnis initiiert würde, wäre dies ein historischer Coup für Moskau und würde Washington schwächen wie keine andere bündnispolitische Entwicklung seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Das dritte Szenario würde eintreten, sollte sich die Erkenntnis, dass MbS seit dem Khashoggi-Mord „toxisch“ ist, auch in Riad durchsetzen – und zwar in jenen massiv geschwächten, jedoch durchaus noch vorhandenen parallelen Machtstrukturen, die die Palastrevolution des MbS nicht vollständig unterminieren konnte. Bereits im April überlebte MbS einen mutmaßlichen Anschlag aus dem Innern des Machtapparats schwerverletzt, er wurde über Wochen nicht gesehen. Auch mehren sich seit dem Khashoggi-Mord Berichte über Vorbereitungen eines möglichen Sturzes des Kronprinzen aus dem Innern des Hauses Saud – auch als Vergeltung für die Ritz-Carlton-Affäre. Mögliche Kandidaten, MbS zu ersetzen, sind der jüngere Bruder des Königs, der beliebte Prinz Ahmed bin Abdulaziz, sowie der jüngere Bruder des Kronprinzen, der saudische US-Botschafter Khalid bin Salman. Beiden wird zugetraut, das Image ihres Landes geraderücken zu können. MbS zog aus den östlichen und westlichen Provinzen des Landes bereits loyale Militäreinheiten nach Riad ab, die notfalls mit Gewalt einen potentiell drohenden Putsch gegen ihn abwenden sollen. Saudi-Arabien steht anno 2019 an einem historischen Scheideweg, die politische Zukunft des Landes ist mehr als ungewiss.

Der rasante Aufstieg des Mohammed bin Salman ist einmalig in der Geschichte des Königreichs. Seit Jahrzehnten gab es keine derartige Machtkonzentration in den Händen eines saudischen Herrschers. Am Ende könnte es tatsächlich der brutale Mord an einem Journalisten sein, der den Untergang des Prinzen einläutete.


Dies ist Teil 2 des Freiheitsliebe-MbS-Specials, zum Teil 1 geht’s hier entlang.


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