Titelbild von Roy Brick.

Der Krieg gegen Jemens Kinder

Von den 230.000 Kriegstoten im Jemen sind 140.000 unter fünf Jahre alt. Wohl in keinem anderen Krieg gibt es ein derart kinderfeindliches Missverhältnis. Dies liegt vor allem auch daran, dass von den von der Saudi-Emirate-Koalition vorsätzlich als Kriegswaffen eingesetzten Sekundärphänomenen wie Hunger und Epidemien die Kleinsten und Schwächsten am heftigsten betroffen sind.

Titelbild von Roy Brick.

Im Herbst 2018 erlangte Amal Hussain für ein paar Tage einen gewissen Weltruhm. Das nur schwer zu ertragende Foto der 7-Jährigen prangte auf der Titelseite der letzten Wochenendausgabe der New York Times im Oktober. Das Mädchen besteht buchstäblich nur aus Haut und Knochen, kein Gramm Fett, kein Gramm Fleisch. Zwischen jeder einzelnen Rippe zieht sich die Haut tief in den Brustkorb hinein, der so zerbrechlich wirkt, als würde er bei der kleinsten Berührung in sich zusammenfallen. „Amal lächelte immer“, erinnert sich ihre Mutter Mariam am Krankenhausbett sitzend, während das abgedruckte Foto in Amals Blick nur noch apathische Leere zeigt, Lethargie. Der Fotograf Tyler Hicks hat gewiss ein kleines Vermögen mit dem Bild gemacht – von BBC über BuzzFeed bis BILD druckte die Weltpresse seinen Schnappschuss ab und rief so für kurze Zeit einen weltweiten Aufschrei über die Unmenschlichkeit und die Gräuel des Jemenkrieges hervor. „Ein gequälter Blick in die Augen der ausgemergelten Amal Hussain“, schreibt die New York Times damals, „schien ein Spiegelbild der grauenhaften Lebensverhältnisse ihres vom Krieg heimgesuchten Landes zu sein“. Amals Familie stammt aus Sa’da im Nordjemen, der Hochburg der Houthi-Rebellen, gegen die eine vom Westen unterhaltene achtköpfige Koalition unter Führung Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate seit März 2015 einen erbarmungslosen Bombenkrieg führt. Amals Familie floh ein Jahr nach Kriegsbeginn aus der heftig umkämpften Sa’da-Region Richtung Süden nach Aslam, circa 150 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Sana’a. Amal litt an Diarrhö, an den zweistündlichen Milchrationen im Krankenhaus erbrach sie sich jedes Mal. Das Krankenhaus konnte ihr nicht helfen und schickte Amal und Mutter Mariam schweren Herzens in ein provisorisches Refugee Camp vor der Stadt, um ihr Bett noch nicht ganz verlorenen Kindern bereitzustellen. Wenige Tage nach dem Foto in der New York Times war Amal tot – und genauso schnell wieder vergessen. (Auch ich musste beim Schreiben dieser Zeilen einige Details ihrer Story erneut recherchieren.)

Das Foto der kleinen Amal Hussein ging als Symbol für das Grauen des Krieges um die Welt. Screengrab New York Times, 1. November 2018.

Die Jemen-Berichterstattung in den deutschen Leitmedien hat neben analytischen Oberflächlichkeiten und gelegentlichem Splatter nichts Substanzielles anzubieten und vernachlässigt einen zentralen Aspekt des Krieges in Gänze. Dieser Text wird nachweisen, dass es sich im Jemen vordergründig nicht um einen Krieg gegen Soldaten oder Rebellen handelt, sondern in erster Linie um eines: um den Krieg gegen Jemens Kinder.

„Die Hölle auf Erden“ – für jedes einzelne Kind

Der Jemen ist komplett isoliert, über eine See-, Luft- und Landblockade ist das Land von der Größe Frankreichs hermetisch abgeriegelt. Was für die physische Versorgung mit Nahrung, Medikamenten und Hilfsgütern gilt, trifft ähnlich auch auf den Informationsfluss nach außen zu: Die Zahl jemenitischer Journalisten und Aktivist*innen, die gelegentlich auf Al Jazeera oder iranischen Medien auf Englisch über den Krieg berichten, kann ich ebenso wie die ausländischen Reporter*innen, die es irgendwie schaffen, ins Land zu kommen, an einer Hand abzählen. Lange Zeit geisterte die Zahl von 10.000 Kriegstoten durch die internationalen Medien. Nur geht diese Zahl auf eine UN-Schätzung aus dem Jahr 2016 zurück und wurde über Jahre nicht geupdatet – was meiner Einschätzung nach ein wesentlicher Grund für das nicht vorhandene Medieninteresse am Krieg war, gab es doch etwa in Syrien mit seiner halben Million Toten wesentlich dramatischere Zahlen. Die UN beauftragte schließlich die University of Denver mit einer Studie, um dieses Problem anzugehen. Die Wissenschaftler*innen stellten im April 2019 in ihrer lesenswerten Studie „Assessing the Impact of War on Development in Yemen“ ihre Ergebnisse der Allgemeinheit zur Verfügung.

“Yemeni Girls”, by Rod Waddington, Flickr, licensed under CC BY-SA 2.0.

Demnach werde die Opferzahl der direkt durch Waffengewalt Getöteten bis Ende 2019 auf 102.000 ansteigen. Ende Oktober 2019 verkündete auch der renommierte Kriegsmonitor Armed Conflict Location and Event Data (ACLED), dass die Zahl der direkten Kriegstoten im Jemen die Zahl von 100.000 durchbrochen hat und bekräftigt damit die Zahlen aus Denver. Entgegen der landläufigen Meinung ebben die Kriegshandlungen keineswegs ab, vielmehr erklärt das ACLED, dass 2019 mit 20.000 Getöteten das zweittödlichste Jahr des seit 2015 wütenden Krieges war – mit 2018 wiederum als tödlichstem Jahr. Die Forschenden aus Denver gehen noch einen Schritt weiter und betrachten in ihren Zählungen auch kriegsbedingte Sekundärphänomene wie Hunger und Epidemien – die, es muss immer wieder betont werden, keine „Kollateralschäden“ des Krieges sind, sondern von der Saudi-Emirate-Koalition bewusst herbeigeführt und so als Kriegswaffe eingesetzt werden. Demnach steigen die Kriegstoten auf mehr als 230.000 an. Und noch einen Schritt weiter, der Grund für die Überschrift dieses Artikels: Von diesen Toten sind 140.000 Kinder unter fünf Jahren, die allermeisten waren zu Kriegsbeginn im März 2015 also noch nicht einmal geboren.

Drei von fünf Kriegstoten im Jemen sind unter fünf Jahre alt – ich wüsste von keinem anderen Krieg, in dem es auch nur im Ansatz ein derart kinderfeindliches Missverhältnis gäbe. Doch was ist die Ursache für diesen im Grunde unfassbar hohen Anteil toter Kinder? In der Graswurzelrevolution vom Dezember 2018 berichtete ich über einen Anschlag, bei dem ein saudischer Kampfjet zwei 500-Pfund-Bomben der US-Rüstungsschmiede Lockheed Martin auf einen Schulbus in Dahyan im Nordjemen abwarf und dabei 51 Menschen tötete, 40 von ihnen Schulkinder. Doch stellen derartige Gewaltexzesse gegen Kinder die Ausnahme dar. Zur Erklärung des beschriebenen Missverhältnisses müssen wir uns die von der Denver University hinzugefügten Sekundärphänomene ansehen – den schleichenden Tod. Denn der auf jeden Krieg zutreffende Umstand, dass durch Waffengewalt getötete Menschen nur eine Fraktion der Kriegstoten ausmachen, wird im Jemen auf die Spitze getrieben. So wütet neben einer historischen Hungerkatastrophe – die UN warnte vor „der schlimmsten Hungersnot der Welt seit 100 Jahren“ – mit über 2,2 Millionen Infizierten die mit weitem Abstand größte jemals registrierte Choleraepidemie. Mitte November 2019 berichtete ich als Einzige*r im deutschsprachigen Raum über eine ausbrechende Malariaepidemie, innerhalb weniger Wochen registrierte das Houthi-geführte Gesundheitsministerium 116.522 Infektionen und 500.000 mehr Verdachtsfälle. Auch sind Denguefieber, Masern und Diphtherie auf dem Vormarsch – und von all diesen Sekundärphänomenen sind Kinder, besonders die kleinsten unter ihnen, besonders heftig betroffen.

Ende November letzten Jahres schickte mir Dr. Yousef Alhadri, der Sprecher des jemenitischen Gesundheitsministers Dr. Taha al-Mutawakel, aktuelle Statistiken seines Hauses. Zwar können nicht all diese Zahlen des von den Houthi-Rebellen geführten Ministeriums verifiziert werden, doch in den Fällen, in denen es andere Quellen gibt, decken sich Alhadris Zahlen mit denen etwa der UN. So sind von Jemens 4,5 Millionen Kindern unter fünf Jahren 2,9 Millionen akut mangelernährt, 55 Prozent also. 400.000 fallen in die Kategorie der schweren akuten Mangelernährung. Die Zahl der Hungertoten zu ermitteln, ist besonders problembehaftet. Im Oktober 2018 veröffentlichte die renommierte Kinderrechts-NGO Save the Children die erschreckende Zahl von 85.000 Kleinkindern unter fünf Jahren, die seit März 2015 an den Folgen des Hungers starben – das entspricht der Zahl aller unter fünfjährigen Kinder in Hamburg. Diese Zahl spiegelt eine konservative Schätzung wider und könnte bei bis zu 110.000 liegen. Bill Chambers, Präsident der kanadischen NGO, kommentiert die Ergebnisse: „Für jedes Kind, das durch Bomben und Kugeln getötet wird, sterben Dutzende am Hunger.“

Von den über 52.000 registrierten Fällen von Masern sind bereits 273 Menschen gestorben, von denen Kinder unter fünf Jahren 65 Prozent ausmachen, während dieser Anteil an den 3.750 an Cholera Verstorbenen 32 Prozent beträgt. Nach UN-Angaben stellen Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre mehr als die Hälfte aller Cholerainfizierten. Houthi-Sprecher Dr. Alhadri weiter in einem Statement: „86 Prozent der Kinder unter fünf Jahren leiden an einer Art von Blutarmut, 46 Prozent der Kinder leiden an Wachstumsstörungen, während 80.000 Kinder aufgrund von Flugzeuggeräuschen und Raketenexplosionen an psychischen Störungen leiden.“

Eine besonders perfide Kriegstaktik der Saudi-Emirate-Koalition ist auch die vollständige Schließung der Flughäfen. Allein über den Sana’a Airport reisten vor dem Krieg jedes Jahr Zehntausende Jemenit*innen zur ärztlichen Behandlung ins Ausland aus, die jetzt massenhaft buchstäblich zum Sterben im Land eingeschlossen sind. Das Norwegian Refugee Council gab 2017 an, dass im ersten Jahr der Luftblockade mit über 10.000 Toten mehr Menschen allein aufgrund der Schließung des Sana’a Airports starben als an direkter Waffengewalt. „Von den 320.000 Patienten, die aufgrund der Schließung des Sana’a Airports keine Behandlung im Ausland erhalten konnten“, so Ministeriumssprecher Alhadri mir gegenüber, „starben 42.000 Patienten, 30 Prozent davon Kinder“. Dr. Alhadri erklärt weiter, dass „12 Millionen Kinder, alle jemenitischen Kinder, humanitäre und Gesundheitshilfe benötigen“ und widerhallt damit ein Statement von Geert Cappelaere, UNICEF-Direktor der MENA-Region, der auf einer Pressekonferenz in Amman im November 2018 erklärte: „Der Jemen, meine Kollegen, ist für Kinder heute die Hölle auf Erden. Nicht für 50-60 Prozent der Kinder, nein. Es ist die Hölle auf Erden für jeden einzelnen Jungen und jedes einzelne Mädchen im Jemen.“

Geert Cappelaere, UNICEF-Direktor der MENA-Region, auf einer Pressekonferenz in Amman im November 2018. Quelle Zitat: UNICEF. Image by Jakob Reimann, JusticeNow!, licensed under CC BY 4.0.

Dieses deprimierende Kapitel zusammenfassend, das katastrophale Résumé des jemenitischen Gesundheitsministers al-Mutawakel: „Im Jemen sterben jedes Jahr 100.000 Kinder am Krieg und der Belagerung, an Krankheiten und Epidemien.“

Die Blutlinie zwischen zwei Völkermorden

Neben dem unmittelbaren Tod jemenitischer Kinder bezeugen wir im Jemen einen weiteren Kriegsaspekt – bei all den Barbareien in all den Kriegen dieser Welt das wohl menschenverachtendste Phänomen überhaupt –, durch den Kinder nicht „nur“ physisch ausgelöscht werden, sondern der vielmehr die Vernichtung kindlichen Lebens selbst bedeutet, ein Angriff auf die kindliche Psyche, der ihnen jede Möglichkeit nimmt, jemals ein „normales“, erfülltes Leben führen zu können. Zu Beginn des Jemenkriegs im März 2015 versicherte der Architekt des Krieges – der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, im Westen unter seinem Kürzel MbS bekannt – seiner Bevölkerung, der Krieg werde maximal einige Wochen andauern. Als sich dieses Versprechen rasch als Luftschloss herausstellte, gab es mit der Zeit auch auf Seiten der Koalition die ersten Todesopfer zu beklagen – nicht unter saudischen Truppen, Riad führt mit seinen deutsch-italienisch-britischen Tornados und der von der britischen BAE Systems unterhaltenen Royal Saudi Air Force einen reinen Bombenkrieg aus der Luft und die Houthis verfügen über keine Flugabwehr, doch in den Rängen der anderen Koalitionäre, allen voran aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die ein erhebliches Kontingent an Bodentruppen stellten. Bei einer Bevölkerung von gerade einmal einer Million Menschen – die restlichen acht der neun Millionen Einwohner*innen sind Arbeitsmigranten und -sklaven zumeist aus Südasien – können es sich die Emirate schlicht nicht „leisten“, ihre jungen Männer an der Front zu verheizen.

“Street Fun, Yemen”, by Rod Waddington, Flickr, licensed under CC BY-SA 2.0.

Und so begann die Koalition recht schnell, ihren enormen Ölreichtum darauf zu verwenden, auf der ganzen Welt Söldner für ihren Krieg einzukaufen. Über ein Programm des ehemaligen US-Navy-SEALs Erik Prince – berühmtberüchtigt für seine kriegsverbrecherische Söldnerfirma Blackwater, Jeremy Scahills Buch ist Pflichtlektüre zum Thema – wurden Hunderte Söldner auf die Arabische Halbinsel exportiert; meist aus Nepal oder Lateinamerika, hier vor allem Kolumbien, doch auch viele U.S. Special Forces darunter: Outsourcing von Krieg, im globalisierten Kapitalismus sind Elitesoldaten frei handelbare Güter, die für aberwitzige Gehälter den Tod in die entferntesten Ecken der Welt tragen. Im Jemen führen die zumeist hochausgebildeten Einheiten taktische Operationen, komplexe Bombenanschläge oder Attentate auf Oppositionelle und Geistliche durch – für stupide Grabenkämpfe an der Front sind diese Investments zu wertvoll, so muss auf dem globalisierten Söldnermarkt nach billigen Alternativen gesucht werden. Fündig wurden die Koalitionäre auf der anderen Seite des Roten Meers, im vom Darfur-Genozid ab 2003 noch immer kriegszerstörten Sudan – und niemand ist hier so billig wie Kinder.

Rund 14.000 Söldner aus dem Sudan befinden sich zu jedem Zeitpunkt, angefangen wenige Monate nach Kriegsbeginn, im Jemen, erklären zurückgekehrte Kämpfer und sudanesische Politiker*innen, die diesem Spuk ein Ende setzen wollen, gegenüber der New York Times; manche Quellen sprechen von bis zu 30.000 Kämpfern. Eine Entsendung läuft in der Regel ein halbes Jahr, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die Gesamtzahl sudanesischer Söldner, die im Jemen stationiert waren, in die Hunderttausende geht. Die Sudanesen werden in heftig umkämpften Regionen wie in der von den Houthis belagerten Metropole Ta’iz eingesetzt oder in der Schlacht um die wichtigste Hafenstadt des Landes, Hodeida. Sie sind oft ungeschützt und übernehmen die gefährlichsten Aufgaben. „Sie behandeln die Sudanesen wie ihr Feuerholz“, beschreibt der 25-jährige Ahmed treffend die Situation. Die rekrutierten sudanesischen Kinder und Jugendlichen sind zwischen 13 und 17 Jahre alt, sie machen zwischen 20 und 40 Prozent der sudanesischen Einheiten aus. Demnach sind zu jedem Zeitpunkt Tausende sudanesische Kindersöldner im Jemen stationiert, insgesamt geht ihre Zahl gewiss in die Zehntausende.

311 sudanesische und südsudanesische Kindersoldat*innen (87 Mädchen, 224 Jungen) legen auf einem feierlichen Event zu ihrer Befreiung aus den Milizen symbolisch ihre Waffen nieder; 7. Februar 2018, Yambio, Südsudan. By UNMISS, Flickr, licensed under CC BY-NC-ND 2.0.

Die Opferzahlen unter den sudanesischen Söldnern sind verheerend. 4.000 von ihnen sollen seit 2015 im Jemen getötet worden sein, Tausende mehr wurden verletzt, so ein Sprecher der Houthi-Rebellen Anfang November mit Zahlen, die unmöglich objektiv verifiziert werden können. Die Zahl getöteter Kinder aus dem Sudan ist unbekannt. Während ausrangierte westliche Elitesoldaten in der privaten Söldnerbranche gerne bis 1.500 US-Dollar kassieren – pro Tag, versteht sich –, zahlt die Saudi-Emirate-Koalition ihren Söldnern aus Darfur zwischen 10.000 und 15.000 US-Dollar für sechs Monate: im bitterarmen Sudan ein Vermögen und genug, um der Familie eine Existenz aufzubauen. Der 15-jährige Hager Shomo Ahmed kehrte nach einem halben Jahr im Jemen zurück nach Darfur. 180 der 500 Söldner seiner sudanesischen Einheit wurden in den sechs Monaten getötet. Hagers Familie sind Rinderzüchter, doch ihr Vieh wurde im Darfur-Krieg von Plünderern gestohlen. Mit dem saudischen Blutgeld für seinen Dienst im Jemen kaufte der junge Hager seiner Familie ein Haus und zehn neue Rinder.

Die Kindersöldner aus Darfur sind die Blutlinie, die den ersten Genozid im 21. Jahrhundert mit dem zweiten verbindet: Zu Beginn des Darfur-Völkermords Anfang der 2000er waren sie Säuglinge oder noch ungeboren, anderthalb Jahrzehnte später kämpfen sie – um dem Hungertod ihrer Familie entgegenzutreten – gegen ihre jemenitischen Schwestern und Brüder, werden in 2.000 Kilometer Entfernung von zu Hause von skrupellosen Generälen an den Frontlinien verheizt, sind als sudanesische Kinder zentrale Komponente im Krieg gegen Jemens Kinder – so zynisch, so menschenverachtend, so bitter wie nur Krieg sein kann.

Wut im Bauch

Ich schreibe Artikel über Kriege in Nahost, lese den ganzen Tag über kopfabschneidende ISIS-Kämpfer, US-Bomben auf afghanische Krankenhäuser und vom Sarin Getötete in Syrien. Ich habe Mittel und Wege gefunden, um von all der Barbarei nicht einzugehen und mir mein sonniges Gemüt und meine Philanthropie nicht zu verlieren. Doch das hier ist anders. Einen Artikel über Leichenberge von Kindern zu recherchieren, ist einfach nur ätzend. Beim Schreiben dieser Zeilen fiel es mir oft schwer, meine Empörung, meine Verzweiflung über diese unfassbare Misanthropie auf etwas Konstruktives zu kanalisieren, war nicht nur einmal den Tränen nahe.

„Die Unmenschlichkeit, die einem anderen angetan wird, zerstört die Menschlichkeit in mir“, formulierte Immanuel Kant einmal; und Che Guevara: „Vor allem bewahrt Euch stets die Fähigkeit, jede Ungerechtigkeit, die irgendwo auf der Welt begangen wird, aufs Tiefste zu empfinden. Das ist der schönste Charakterzug eines Revolutionärs.“ Neben der sachlichen Analyse und der Übermittlung wichtiger Fakten soll dieser Text auch emotional aufwühlen, größte Empathie genau wie Wut im Bauch hervorrufen – Wut auf die Koalition und ihre Komplizen im Westen. Einige Absätze des Artikels schrieb ich im Bus nach Berlin. Mein bester Kumpel wurde gerade zum ersten Mal Vater, was ausgiebig begossen werden wollte. Und während wir im Dutzend in der Kneipe in Friedrichshain das neue Leben feierten, starb im Jemen aufgrund eines sinnlosen Krieges jede Stunde ein halbes Dutzend Kinder unter fünf Jahren an Hunger, Cholera und anderen vollständig vermeidbaren Ursachen; alle zehn Minuten eins.

Dieser Text dient dem Gedenken an Jemens getötete Kinder und der bedingungslosen Solidarität mit seinen lebenden. Der Name der kleinen Amal aus der New York Times vom Anfang ist das arabische Wort für Hoffnung.

“Studying”, by Julien Harneis, Flickr, licensed under CC BY-SA 2.0.

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Dieser Artikel von Freiheitsliebe-Autor Jakob Reimann erschien im Print in der Januar-Ausgabe der Monatszeitung Graswurzelrevolution.


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