Das Menschenbild im Schatten der Ökonomie? Ein Denkanstoß.

Wir, als Sozialistinnen und Sozialisten, kämpfen im Namen des Klassenkampfs für die Überführung von Wohnungen in öffentliche Hand, Produktionsstätten unter der Leitung von Arbeiterinnen und Arbeitern. Wir wollen Ausbeutung und Armut beenden, den Raubbau an der Natur stoppen, gerechte Arbeitsbedingungen schaffen und Löhne, die nicht nur ein Existenzminimum erlauben, sondern wirklichen Wohlstand ermöglichen. Wir wollen die unbarmherzige Logik des Profits durchbrechen und den Kapitalismus zerschlagen. Wir wollen ökonomische Bedingungen schaffen, welche sich am Gemeinwohl orientieren. Die Arbeiterschaft soll das Bürgertum überwinden. All das, um dann am Ende des Tages zu welchem endgültigen Ziel zu kommen? Eine neue Welt errichtet zu haben, eine wahrhaft gute Welt. Aber lassen wir da nicht etwas außer Acht?

Wir haben den Menschen vergessen.

Der Kapitalismus ist mehr als Ökonomie. Wir haben die kapitalistischen Strukturen erkannt, die Krieg, Zerstörung, Rassismus, Ausbeutung, Armut, Unterdrückung und Ungleichheit hervorbringen, verkennen oder vernachlässigen jedoch weiterhin die Rolle des Menschen. Der Kapitalismus produziert Konsumenten, einen Menschen, der „nur so viel haben [darf], daß er leben will und nur leben [darf], um haben zu wollen[i], während sich die Maschine bequemt, „den schwachen Menschen zur Maschine zu machen“.[ii]Das Gewinnstreben ist nichts als eine unersättliche Gier, die alles zur Ware macht, auch unsereins. Der Kapitalismus entfremdet den Menschen seiner selbst, seiner Umwelt, seiner Mitmenschen, seines Menschseins, denn „die Produktion produziert ihn [den Menschen] dieser Bestimmung entsprechend, als ein geistig wie körperlich entmenschtes Wesen. (…) Ihr Produkt ist die selbstbewusste und selbsttätige Ware, die Menschenware.“[iii]

Wir dürfen uns nicht nur (überwiegend) der Entledigung des Kapitalismus durch die Bezwingung seiner Ökonomik zuwenden und uns darauf verlassen, dass dies genügt, um ein neues Menschsein, eine bessere Gesellschaft zu erreichen, und dabei der Naivität einer natürlichen Gutheit des Menschen verfallen. Als Sozialistinnen und Sozialisten müssen wir die Frage des Menschenbildes wagen, sehen wie der Kapitalismus Mensch, Seele und Geist verzerrt und dem ebenfalls entgegenwirken. Wir müssen die Entfremdung des Menschen umkehren, weil der Sozialismus letztlich auch „die wahrhafte Auflösung (…) zwischen Vergegenständlichung und Selbstbetätigung, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Individuum und Gattung“[iv] bedeutet.

Um mit den Worten des Psychoanalytikers, Humanisten und Sozialisten Erich Fromm abzuschließen:

„Die berühmte Behauptung am Schluß des Kommunistischen Manifest, daß die Arbeiter ‚nichts zu verlieren [haben] als ihre Ketten‘ enthält einen tiefgreifenden psychologischen Irrtum. Mit ihren Ketten haben sie auch alle jene irrationalen Bedürfnisse und deren Befriedigung eingebüßt, während sie noch ihre Ketten trugen.“[v]

Von Siham Bouroum.


[i] Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEGA I, 7

[ii] Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEGA I, 3, S. 129

[iii] Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEGA I, 3, S. 98

[iv] Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEGA I, 3, S. 114

[v] Erich Fromm: „Wege aus einer kranken Gesellschaft“ (1955), S. 223

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