Die Jagd auf den Wikileaks-Gründer war von Anfang an ein brutaler und verwerflicher Angriff auf die Redefreiheit – meint John Pilger.
Julian Assange wurde rehabilitiert, das schwedische Verfahren gegen ihn war durch und durch korrupt. Die Staatsanwältin Marianne Ny behinderte die Justiz und sollte ihrerseits strafrechtlich verfolgt werden. Ihre Besessenheit mit Assange beschämte nicht nur ihre Kollegen und die ganze Judikative, sondern legte auch die geheimen Absprachen des schwedischen Staates mit den Vereinigten Staaten in ihren Kriegsverbrechen und „Überstellungen“ offen.
Hätte Assange keine Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft in London gesucht, wäre er längst auf dem Weg in amerikanische Folterkammern, wie sie Chelsea Manning ertragen musste.
Diese Aussicht wurde überschattet durch die makabre Schmierenkomödie, die in Schweden gespielt wurde. „Es ist eine Lachnummer,“ sagtew James Catlin, einer von Assanges australischen Anwälten. „Als würden sie sich das alles spontan ausdenken.“
Es mag so aussehen, doch es gab stets einen Vorsatz. 2008 wurde in einem geheimen Pentagon-Papier, das vom „Cyber Counterintelligence Assessments Branch“ erstellt wurde, ein detaillierter Plan vorgelegt, um WikiLeaks zu diskreditieren und eine persönliche Schmierenkampagne gegen Assange zu führen.
Die „Mission“ war es, das „Vertrauen“ zu zerstören, das stets der „Kernpunkt“ von WikiLeaks Glaubwürdigkeit war. Dies sollte mit Drohungen über „Enthüllungen [und] Strafverfolgung“ erreicht werden. Das Ziel war es, diese unberechenbare Quelle der Wahrheit zum Schweigen zu bringen und zu kriminalisieren.
Dies war sicher verständlich, hat WikiLeaks doch aufgedeckt, wie Amerika eine Bandbreite menschlicher Angelegenheiten beherrscht, einschließlich seiner epischen Verbrechen, vor allem in Afghanistan und im Irak: die im großen Stil betriebene Tötung von Zivilisten und die Verachtung von Souveränität und Völkerrecht.
Diese Offenlegungen sind durch den 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten geschützt [Schutz u. a. von Meinungs- und Pressefreiheit durch die US-Verfassung, Anm. J.R.]. 2008 lobte Präsidentschaftskandidat Barack Obama – Professor für Verfassungsrecht – Whistleblower als „Teil einer gesunden Demokratie, [die] vor Repressalien geschützt werden müssen.“
2012 prahlte Team Obama auf seiner Website damit, dass Obama in seiner ersten Legislatur mehr Whistleblower verfolgt hatte als alle anderen US-Präsidenten vor ihm zusammen. Bevor Chelsea Manning überhaupt der Prozess gemacht wurde, hatte Obama sie öffentlich für schuldig erklärt.
Kaum ein seriöser Beobachter bezweifelt, dass – sollten die USA Assange in die Finger bekommen – ihm ein ähnliches Schicksal blüht. Laut von Edward Snowden veröffentlichten Dokumenten steht er auf einer „Verbrecher-Zielliste“ (“manhunt target list“). Drohungen seiner Entführung und Hinrichtung wurden in den USA fast zur politischen und medialen Währung, nach Vizepräsident Joe Bidens unverschämter Verleumdung, der WikiLeaks-Gründer sei ein „Cyber-Terrorist“.
Hillary Clinton – die Zerstörerin von Libyen und, wie WikiLeaks im vergangenen Jahr enthüllte, geheime Unterstützerin und persönlich Begünstigte von ISIS unterstellten Truppen – schlug ihre eigene zweckdienliche Lösung vor: „Können wir den Typen nicht einfach per Drohne zur Strecke bringen?“ (“Can’t we just drone this guy.”)
Laut australischen Diplomatendepeschen war Washingtons Bitte, Assange zu fassen, „in Umfang und Art beispiellos.“ In Alexandria, Virginia, hat ein geheimes Geschworenengericht fast sieben Jahren lang damit verbracht, ein Verbrechen auszuhecken, für das Assange belangt werden könnte. Das ist gar nicht so einfach.
Der Erste Verfassungszusatz schützt Verlage, Journalisten und Whistleblower, ob es sich nun um den Redakteur der New York Times oder den Herausgeber von WikiLeaks handelt. Die Redefreiheit wird als Amerikas „Gründungstugend“ bezeichnet oder, wie Thomas Jefferson es nannte, „unsere Währung.“
Angesichts dieser Hürde hat das US-Justizministerium die Straftatbestände „Spionage“, „Verschwörung zur Spionage“, „Konvertierung“ (Diebstahl von staatlichen Eigentum), „Computer-Betrug und -missbrauch“ (Computer-Hacking) und allgemein „Verschwörung“ konzipiert. Der bevorzugte Espionage Act, welcher während des Ersten Weltkrieges Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer abschrecken sollte, hält lebenslange Freiheitsstrafe und die Todesstrafe bereit.
Assanges Fähigkeit, sich in einer solch kafkaesken Welt selbst zu verteidigen, wurde von den USA stark eingeschränkt, indem sie seinen Fall zum Staatsgeheimnis erklärte. 2015 vereitelte ein Bundesgericht in Washington die Veröffentlichung von Informationen über die Untersuchung bezüglich der „nationalen Sicherheit“ gegen WikiLeaks, weil es ein „laufendes Verfahren“ war und die „anhängige Strafverfolgung“ Assanges behindern würde. Die Richterin, Barbara J. Rothstein, sagte, es sei notwendig, „in Angelegenheiten der nationalen Sicherheit gegenüber der Exekutive angemessene Ehrerbietung“ zu demonstrieren. Das ist nichts als ein korruptes Scheingericht.
Für Assange war sein Prozess auch eine mediale Schlacht. Als die schwedische Polizei am 20. August 2010 die „Ermittlungen wegen Vergewaltigung“ eröffnete, koordinierte sie dies – illegalerweise – mit den Stockholmer Boulevardblättern. Auf den Titelseiten prangte, Assange sei wegen der „Vergewaltigung zweier Frauen“ angeklagt. Das Wort „Vergewaltigung“ kann in Schweden eine gänzlich andere juristische Bedeutung haben als in Großbritannien. Eine bösartige Scheinrealität wurde zur Nachricht, die um die Welt gehen sollte.
Weniger als 24 Stunden später übernahm die Stockholmer Oberstaatsanwältin Eva Finne die Untersuchung. Sie verschwendete keine Zeit, den Haftbefehl aufzuheben und sagte: „Ich glaube nicht, dass es einen Grund zur Annahme gibt, [Assange] hätte jemanden vergewaltigt.“ Vier Tage später ließ sie die Vergewaltigungsuntersuchung in Gänze fallen und sagte: „Es gibt keinen Verdacht überhaupt irgendeiner Straftat.“
Auftritt Claes Borgström, eine sehr umstrittene Figur in der Sozialdemokratischen Partei, damals Kandidat bei den bevorstehenden Parlamentswahlen in Schweden. Wenige Tage nach der Abweisung des Falls durch die Oberstaatsanwältin kündigte Anwalt Borgström den Medien an, er würde die beiden Frauen vertreten und hätte eine andere Staatsanwältin in Göteborg ausfindig gemacht. Das war Marianne Ny, die Borgström gut kannte, persönlich wie politisch.
Am 30. August besuchte Assange freiwillig eine Polizeistation in Stockholm und beantwortete die Fragen an ihn. Nach seiner Auffassung war das das Ende der Sache. Zwei Tage später gab Ny jedoch bekannt, dass sie den Fall wiedereröffnet hat.
Bei einer Pressekonferenz wurde Borgström von einem schwedischen Reporter gefragt, warum im Fall wieder ermittelt wird, nachdem er bereits abgewiesen worden war. Der Reporter zitierte eine der Frauen, die sagte, sie sei nicht vergewaltigt worden. Er antwortete: „Ah, sie ist aber keine Anwältin.“
Am Tag, an dem Marianne Ny den Fall wiederaufgenommen hat, denunzierte der Chef des schwedischen Militärgeheimdienstes – der das Akronym MUST trägt – WikiLeaks in einem Artikel mit dem Titel „WikiLeaks [ist] eine Bedrohung für unsere Soldaten [unter US-Kommando in Afghanistan].“
Sowohl der schwedische Ministerpräsident als auch der Außenminister griffen Assange an, der unter keiner Anklage stand. Assange wurde gewarnt, dass der schwedische Geheimdienst SAPO von seinen US-Kollegen gesagt bekam, die Abkommen zum Austausch von Geheimdienstinformation zwischen den USA und Schweden würden „abgeschnitten,“ sollte Schweden Assange Schutz gewähren.
Für fünf Wochen wartete Assange in Schweden darauf, dass die neu aufgelegten „Vergewaltigungsuntersuchungen,“ ihren Lauf nähmen. Der Guardian stand kurz vor der Veröffentlichung der „Iraq War Logs“ [größtes Leak von Militärdokumenten in der US-Geschichte, von Chelsea Manning geleakt, Anm. J.R.], die auf WikiLeaks-Enthüllungen basierten. Assange sollte die Veröffentlichung in London managen.
Er durfte schließlich gehen. Sobald er dies tat, erließ Marianne Ny einen Europäischen Haftbefehl sowie einen Interpol-„Red Alert“, der normalerweise Terroristen und Schwerverbrechern vorbehalten ist.
Assange suchte eine Polizeistation in London auf, wurde ordnungsgemäß verhaftet und verbrachte 10 Tage im Wandsworth Prison, in Einzelhaft. Nach Zahlung von 340.000 Pfund Kaution wurde er elektronisch getaggt, musste sich täglich bei der Polizei melden und wurde faktisch unter Hausarrest gestellt, während sein Fall seine lange Reise zum Obersten Gerichtshof begann.
Ihm wurde noch immer keine Straftat zur Last gelegt. Seine Anwälte wiederholten Assanges Angebot, in London per Video oder persönlich befragt zu werden, und wiesen darauf hin, dass Marianne Ny ihm die Erlaubnis gegeben hatte, Schweden zu verlassen. Sie schlugen eine Sondereinrichtung im Scotland Yard vor, die von den schwedischen und anderen europäischen Behörden häufig zu diesem Zweck verwendet wird. Ny lehnte ab.
Seit fast sieben Jahren, in denen Schweden 44 Personen in Großbritannien vernehmen ließ, weigert sich Oberstaatsanwältin Ny, Assange zu befragen und so ihren Fall voranzubringen.
In der schwedischen Presse beschuldigte Rolf Hillegren, ein ehemaliger schwedischer Staatsanwalt, Ny hätte jegliche Unparteilichkeit verloren. Er beschrieb ihre persönliche Involvierung in den Fall als „abnormal“ und forderte ihren Rücktritt.
Assange bat die schwedischen Behörden um eine Garantie, dass er nicht in die USA „überstellt“ würde, sollte er nach Schweden ausgeliefert werden. Dies wurde abgelehnt. Im Dezember 2010 deckte The Independent auf, dass die beiden Regierungen seine Auslieferung an die USA diskutiert hatten.
Im Gegensatz zu seinem Ruf als Bastion liberaler Aufklärung hat sich Schweden derart nah an Washington angebiedert, dass es sogar geheime CIA-„Überstellungen“ ermöglicht hat – einschließlich der illegalen Deportation von Flüchtlingen. Die Überstellung und anschließende Folter von zwei ägyptischen politischen Flüchtlingen im Jahr 2001 wurde vom UN-Ausschuss gegen Folter, von Amnesty International und von Human Rights Watch scharf verurteilt. Die Komplizenschaft und das falsche Spiel der schwedischen Regierung sind in erfolgreichen Zivilprozessen und in WikiLeaks-Depeschen wohl dokumentiert.
„Dokumente, die von WikiLeaks veröffentlicht wurden, nachdem Assange nach England gezogen ist,“ schrieb Al Burke, der Redakteur des Online-Nordic News Networks, einer kompetenten Quelle über all die Wendungen und Gefahren, denen Assange ausgesetzt war, „zeigen deutlich, dass Schweden dem Druck der USA in Fragen der Bürgerrechte immer wieder nachgegeben hat. Es gibt also jeden Grund zur Annahme, dass Assange in Verletzung seiner Bürgerrechte an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden würde, sollte er von schwedischen Behörden in Haft genommen werden.“
Der Krieg gegen Assange intensivierte sich jetzt. Marianne Ny verweigerte seinen schwedischen Anwälten sowie den schwedischen Gerichten den Zugang zu Hunderten von SMS-Nachrichten, die die Polizei aus dem Telefon einer der beiden Frauen gezogen hat, die angeblich „vergewaltigt“ wurden.
Ny sagte, sie sei gesetzlich nicht verpflichtet, diese sensiblen Beweise offenzulegen, solange keine formale Anklage erhoben wurde und sie Assange vernommen hatte. Warum vernimmt sie ihn dann also nicht? Catch-22.
Als sie letzte Woche verkündete, sie würde den Fall Assange fallen lassen, erwähnte sie mit keinem Wort die Beweise, die den Fall vernichtet hätten. Eine der SMS macht deutlich, dass eine der beiden Frauen keine Anklage gegen Assange wollte, „die Polizei aber war scharf darauf, ihn festzuhalten“. Sie war „schockiert“, als sie ihn verhafteten, weil sie nur „wollte, dass er [einen HIV]-Test“ macht. Sie „wollte [Assange] überhaupt keines Verbrechens beschuldigen“ und „es war die Polizei, die die Vorwürfe frei erfand“. Laut einer Zeugenaussage wird sie zitiert, dass sie „von der Polizei und anderen um sie herum gedrängt“ worden sei.
Keine der beiden Frau behauptete, sie sei vergewaltigt worden. Vielmehr haben beide widersprochen, dass sie vergewaltigt wurden und eine von ihnen twitterte: „Ich bin nicht vergewaltigt worden.“ Die Frauen wurden von der Polizei manipuliert – was auch immer ihre Anwälte jetzt sagen. Gewiss sind auch sie die Opfer dieser finsteren Geschichte.
Katrin Axelsson und Lisa Longstaff von Women Against Rape schrieben:
„Die Vorwürfe gegen [Assange] sind ein billiger Vorwand, unter dem eine Reihe von Regierungen versucht, brutal auf WikiLeaks einzuschlagen, da sie es gewagt haben, der Öffentlichkeit ihre geheimen Planungen von Kriegen und Besatzungen, von Vergewaltigungen, Mord und Zerstörung, zu offenbaren… Die Behörden scheren sich so wenig um Gewalt gegen Frauen, dass sie sogar nach Belieben Vergewaltigungsanschuldigungen erfinden. [Assange] hat deutlich gemacht, dass er für die Befragung durch schwedische Behörden zur Verfügung steht, in Großbritannien oder über Skype. Warum verweigern sie diesen essentiellen Schritt ihrer Untersuchungen? Wovor haben sie Angst?“
Assange stand vor einer krassen Entscheidung: Auslieferung an ein Land, das sich weigerte, ihm zu sagen, ob es ihn an die USA ausliefern würde, oder – und das schien sein letzter Ausweg zu sein – nach Zuflucht und Schutz zu suchen.
Unterstützt von den meisten lateinamerikanischen Ländern, gewährte die Regierung des kleinen Ecuador ihm den Status als Flüchtling – auf der Grundlage von dokumentierten Beweisen, die belegten, dass er sich in den USA mit grausamer und unverhältnismäßiger Bestrafung konfrontiert sah, dass diese Bedrohung seine grundlegenden Menschenrechte verletzte, und dass seine eigene Regierung in Australien ihn längst fallen gelassen hat und mit Washington gemeinsame Sache machte.
Die Labour-Regierung der damaligen Premierministerin, Julia Gillard, hatte sogar gedroht, seinen australischen Pass einzuziehen – bis sie darauf hingewiesen wurde, dass dies illegal wäre.
Die renommierte Menschenrechtsanwältin Gareth Peirce, die Assange in London vertritt, schrieb an den damaligen australischen Außenminister Kevin Rudd:
„Angesichts des Ausmaßes der öffentlichen Diskussion, häufig auf der Grundlage gänzlich falscher Annahmen … ist der Versuch, seine Unschuldsvermutung zu bewahren, nahezu unmöglich. Über Herrn Assange hängt jetzt nicht nur eins, sondern gleich zwei Damokles-Schwerter: eine mögliche Auslieferung an zwei verschiedene Gerichtsbarkeiten für zwei verschiedene angebliche Straftaten, von denen keine in seinem eigenen Land eine Straftat ist, und dass daher seine persönliche Unversehrtheit in Gefahr ist aufgrund von Umständen, die in höchstem Maße politisch motiviert sind.“
Erst nachdem sie das australische Hochkommissariat in London kontaktierte, erhielt Peirce eine Antwort, die jedoch keinen einzigen ihrer drängenden Punkte beantwortete. In einem Meeting, das ich mit ihr besuchte, machte der australische Generalkonsul Ken Pascoe die erstaunliche Behauptung, er wisse über die Einzelheiten des Falles „nur das, was ich in den Zeitungen gelesen habe.“
Im Jahr 2011 verbrachte ich in Sydney mehrere Stunden mit einem konservativen Mitglied des australischen Parlaments, Malcolm Turnbull. Wir diskutierten die Bedrohungen gegenüber Assange und ihre Auswirkungen auf die Redefreiheit und die Gerechtigkeit generell, und warum Australien verpflichtet war, Assange beizustehen. Turnbull hatte damals einen Ruf als Verfechter der Redefreiheit. Jetzt ist er der Premierminister von Australien.
Ich gab ihm Gareth Peirces Brief über die Bedrohung von Assanges Rechten und seines Lebens. Er sagte, die Situation sei zweifelsohne entsetzlich und versprach, es mit der Gillard-Regierung aufzunehmen. Dem folgte nur sein Schweigen.
Seit fast sieben Jahren ist dieser epische Justizirrtum versunken in einer Schmähkampagne gegen den WikiLeaks-Gründer. Es gibt nur wenig Vergleichbares. Zutiefst persönliche, belanglose, bösartige und unmenschliche Angriffe gegen einen Mann, der keines Verbrechens angeklagt ist und dennoch einer Behandlung unterworfen war, die nicht einmal einem Angeklagten droht, der wegen Mordes an seiner Frau verfolgt wird. Dass Assanges Bedrohung durch die USA eine Bedrohung für alle Journalisten und für das gesamte Prinzip der Redefreiheit war, ging vollkommen unter in einem dreckigen und geltungssüchtigen Anti-Journalismus, wie ich ihn nennen würde.
Bücher wurden veröffentlicht, Film-Deals wurden eingefahren, große Medien-Karrieren nahmen ihren Anfang – alles auf dem Rücken von WikiLeaks und der Annahme, Assange sei Freiwild und er sei ohnehin zu arm, um verklagt zu werden. Die Leute verdienten Geld, einen Haufen Geld, während WikiLeaks ums Überleben kämpfte.
Alan Rusbridger, der ehemalige Chefredakteur des Guardian, nannte die WikiLeaks-Enthüllungen, die in seinem Blatt erschienen, „einen der größten journalistischen Knüller der letzten 30 Jahre.“ Dennoch wurde kein Versuch unternommen, die Quelle des Guardians zu schützen. Stattdessen wurde der „Knüller“ Teil eines Marketingplans, um den Preis der Zeitung in die Höhe zu drücken.
Ein gehyptes Guardian-Buch führte zu einem lukrativen Hollywood-Film – ohne dass dabei auch nur ein einziger Penny an Assange oder WikiLeaks ging. Die Autoren des Buches, Luke Harding und David Leigh, beschrieben Assange als „geschädigte Persönlichkeit“ und als „abgestumpft.“ Sie verrieten auch das geheime Passwort, das er dem Blatt im Vertrauen gegeben hatte und das den Zweck hatte, einen digitalen Ordner zu schützen, der die US-Botschaftsdepeschen enthielt. Während Assange jetzt in der ecuadorianischen Botschaft gefangen ist, erging sich Harding, der zusammen mit der Polizei draußen stand, auf seinem Blog in Schadenfreude: „Jetzt wird Scotland Yard wohl als Letztes lachen.“
Journalismusstudenten sollten diese Episode genauestens studieren, um den allgegenwärtigen Ursprung von „Fake News“ zu begreifen – aus dem Inneren von Medien, die sich selbst eine falsche Ehrerbietung anerzogen haben und sich als bloßen Fortsatz der Autorität und der Macht verstehen, die sie umwerben und beschützen.
In Kirsty Warks unvergesslicher Live-on-Air-Vernehmungen im Jahr 2010 war die Unschuldsvermutung kein Thema. „Warum entschuldigst du dich nicht einfach bei den Frauen?“, forderte sie von Assange. Gefolgt von: „Haben wir dein Ehrenwort, dass du nicht durchbrennst?“
Im Today-Programm der BBC brüllte John Humphrys: „Bist du ein Sexualstraftäter?“ Assange erwiderte, die Unterstellung sei lächerlich. Humphrys verlangte daraufhin, Assange solle sagen, mit wie vielen Frauen er geschlafen hatte.
„Nicht einmal Fox News würde auf solch ein Niveau herabgestiegen, oder?“ fragte sich der amerikanische Historiker William Blum. „Ich wünschte, Assange wäre wie ich in den Straßen von Brooklyn aufgewachsen. Er hätte dann genau gewusst, wie man auf eine solche Frage zu antworten hat: ‘Meinst du jetzt einschließlich deiner Mutter?‘ „
Am Tag, an dem Schweden letzte Woche ankündigte, dass Assanges Fall fallengelassen wurde, wurde ich auf BBC World News von Greta Guru-Murthy interviewt, die wenig Kenntnis vom Fall Assange zu haben schien. Sie beharrte darauf, von „Anklagen“ gegen ihn zu sprechen. Sie beschuldigte ihn, Trump ins Weiße Haus verholfen zu haben. Und sie packte mich mit ihrem „Fakt“, dass „führende Politiker überall auf der Welt“ ihn verurteilt hatten. Unter diesen „führenden Politikern“ nannte sie Trumps CIA-Direktor. Ich fragte sie: „Sind Sie eine Journalistin?“
Die Ungerechtigkeit, die Assange angetan wurde, ist einer der Gründe, warum das Parlament im Jahre 2014 das Auslieferungsgesetz überarbeitete. „Er hat seinen Fall voll und ganz gewonnen,“ sagte Gareth Peirce, „diese Gesetzesänderungen bedeuten, dass Großbritannien jetzt alles als korrekt erkennt, was in seinem Fall argumentiert wurde. Doch er profitiert davon nicht.“ Mit anderen Worten, er hätte seinen Fall in den britischen Gerichten gewonnen und wäre nicht dazu gezwungen gewesen, Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft zu suchen.
Ecuadors Entscheidung, Assange im Jahr 2012 diesen Schutz zu gewähren, war immens mutig. Auch wenn die Gewährung von Asyl ein humanitärer Akt ist und die Macht, dieses Recht auszuüben, allen Staaten durch das Völkerrecht garantiert wird, weigerten sich sowohl Schweden als auch Großbritannien, die Legitimität der Entscheidung Ecuadors anzuerkennen.
Die ecuadorianische Botschaft in London wurde von der Polizei belagert und ihre Regierung wurde diffamiert. Als William Hagues Außenministerium plante, das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen zu verletzen, und drohte, dass es die diplomatische Unantastbarkeit der Botschaft verletzen und die Polizei dazu bringen würde, Assange gefangen zu nehmen, konnte nur ein globaler öffentlicher Aufschrei die Regierung dazu bringen, diesen Völkerrechtsbruch am Ende nicht zu begehen.
In einer Nacht erschien die Polizei am Fenster der Botschaft in einem offensichtlichen Versuch, Assange und seine Beschützer einzuschüchtern.
Seitdem ist Assange in einem kleinen Zimmer ohne Sonnenlicht gefangen. Er war von Zeit zu Zeit krank und verweigerte die sichere Fahrt ins Krankenhaus. Doch blieben seine Widerstandsfähigkeit und sein dunkler Humor bemerkenswert unter diesen Umständen. Als er gefragt wurde, wie er sich mit seiner Gefangennahme schlägt, antwortete er: „Sicher besser als ein Hochsicherheitstrakt.“
Es ist nicht vorbei, aber die Knoten lösen sich. Die UN-Arbeitsgruppe zu Willkürlicher Inhaftierung – das Tribunal, das beurteilt, Regierungen ihren Menschenrechtsverpflichtungen nachkommen – hat im vergangenen Jahr entschieden, dass Assange von Großbritannien und Schweden rechtswidrig inhaftiert worden sei. Das ist Völkerrecht vom Feinsten.
Sowohl Großbritannien als auch Schweden nahmen an der 16-monatigen UN-Untersuchung teil und legten Beweise vor und verteidigten vor dem Tribunal ihre Position. In früheren Fällen, in denen die Arbeitsgruppe ein Urteil fällte – Aung Sang Suu Kyi in Burma, der inhaftierte Oppositionsführer Anwar Ibrahim in Malaysia, der im Iran eingesperrte Washington Post-Journalist Jason Rezaian – unterstützten Großbritannien und Schweden das Tribunal in höchstem Maße. Der Unterschied ist, dass Assange jetzt im Herzen Londons eingesperrt ist.
Die Metropolitan Polizei sagt, dass sie noch immer beabsichtigen, Assange zu verhaften, sollte er die Botschaft verlassen – wegen Kautionsverletzungen. Was dann? Ein paar Monate im Gefängnis, während die USA ihren Auslieferungsantrag an die britischen Gerichte stellt?
Wenn die britische Regierung dies zulässt, wird sie von den Augen dieser Welt umfassende historische Ächtung erfahren – für ihre Komplizenschaft in diesem schändlichen Verbrechen, für ihre ungebändigte Machtdemonstration gegen Gerechtigkeit und Freiheit, und gegen uns alle.
This article by John Pilger first appeared on NewMatilda and was translated to German by Jakob Reimann for JusticeNow! and Die Freiheitsliebe. We send the best wishes to Australia, to the staff of NewMatilda, and to Great Britain to John Pilger, and say THANK YOU! to everyone involved for their great job – connect critical journalism worldwide!