In der Ukraine wird deutlich, was Krieg ist: Ein Zustand, indem normale Menschen für Reiche kämpfen und sterben müssen. Die momentane Bewegung für einen Frieden scheint das zu ignorieren. Sie folgt Feindbildern, die den Interessen der NATO dienen.
Es sind zwei junge Männer, die auf dem Foto zu sehen sind. Es ist kalt. Hinter ihnen ein Wald. Schnee liegt auf dem Boden. Sie schauen leicht zweifelnd, leicht bedrückt. Nach dem Titel auf dem Foto sollen sie gerade einmal 19 Jahre alt sein. Es seien Russen, die von ukrainischen Streitkräften gefangen genommen wurden. Es ist das Alter, das uns alle abholt. Mit 19 beendet man seine Schule, manche ihre Ausbildung, viele gehen länger auf Reisen oder fangen ein Studium an. Niemand – zumindest hier in Deutschland – ist dann im Krieg.
Junge Menschen ziehen in den Krieg, die Alten befehlen. Nein, das ist nicht ganz richtig. Das Verbrechen, was momentan begangen wird, lautet: Arme Menschen ziehen in den Krieg, die Reichen verziehen sich. Am 13. Februar berichtete die „Ukrainska Pravda“ von einem „Exodus“ reicher Ukrainer, die vor allem in die Schweiz geflogen seien.
Und während die EU über SWIFT Sanktionen debattiert, versuchen Politiker wie Mario Draghi italienische Luxusgüter aus den Sanktionen herauszuhalten. Was interessiert das Luxussegment den Krieg?, mag Draghi gedacht haben. Es ist ja durchaus folgerichtig. Denn niemand, der sich eine Gucci Handtasche leisten kann, kämpft momentan in der Ukraine. Ein einfacher russischer Soldat verdient umgerechnet 400,00 EUR im Monat. Der durchschnittliche Lohn in der Ukraine liegt bei ca. 500 EUR (er hat sich seit der Revolution 2014 kaum verändert).
Auf der anderen Seite geht das Geschäft aber fleißig weiter. Das zeigen nicht zuletzt die Aktienkurse der Rüstungskonzerne, denn seit der russischen Invasion letzte Woche schossen diese steil in die Höhe: der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall legte im Achttageszeitraum 21.2.–1.3. um +67 Prozent zu, Hensoldt gar um +114 Prozent, die US-amerikanischen Lockheed Martin um +19 Prozent, Raytheon um +13 Prozent und Northrop Grumman um +16 Prozent und die britische BAE Systems um +27 Prozent. Die Ankündigung der Bundesregierung, noch einmal 100.000.000.000 EUR in die Bundeswehr und deren Ausrüstung zu investieren, hat in diesen Kurssprüngen gewiss eine gewaltige „Aktie“. Zum Vergleich: der bisherige Haushalt der Bundeswehr liegt bei 50 Milliarden Euro. Für den Gesundheitshaushalt gibt es 26,2 Milliarden, Bildung und Forschung 20,2 Milliarden.
Perspektiven zwischen Arm und Reich bleiben aus in diesem Krieg. Die Einsicht, dass die Grenzen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen „oben“ und „unten“ verlaufen, verliert sich momentan in den Solidaritätsbekundungen. Mehr als 100.000 Menschen protestieren in Berlin am Sonntag für Frieden. Von vielen werden die dort waren, werden Waffenlieferungen und Aufrüstung nicht gewollt. Es scheint aber, dass die Kundgebungen die derzeitigen Beschlüsse eher befördern.
Dementsprechend wundert es nicht, dass deutsche Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet von breiten Teilen der Gesellschaft getragen werden. Die Geschwindigkeit in der das 2 % Ziel für Verteidigungsausgaben nun übererfüllt werden sind erschreckend. Es scheint, dass da sogar mehr geht. Waffenfähige Drohnen? Die Beschaffung davon wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit.
Mit den Waffenlieferungen und der Aufrüstung handelt die Bundesregierung nicht selbstlos, sie ist opportun. Die NATO – in der die BRD Mitglied ist – sieht Russland als Feind. Als Kriegsbündnis hat sie in den letzten Jahren einige Krisen durchlebt. Vor nicht einmal zwei Jahren bezeichnete der französische Präsident sie als „hirntot“. Im Gegensatz dazu scheint die NATO nun lebendig und aktiv. Auch gab es einen so großen politischen Rückhalt für das Kriegsbündnis lange nicht mehr. Keine Manöver oder Investitionen, die jetzt noch großartig gerechtfertigt werden müssen. Selbst wenn die Ukraine in den nächsten Tagen den militärischen Konflikt verlieren würde, die NATO ist durch eine neue Blockbildung revitalisiert.
Die NATO lässt jetzt ukrainische Menschen für sich kämpfen. Denn was, wenn die Ukraine noch länger aushalten sollte? Russland würde weiter ausbluten. Jeder weitere Kriegstag schwächt den „Feind“, der durch momentane Kriegspropaganda in der Berichterstattung und in den Sozialen Medien nur noch Ungeheuer ist. Dieses Szenario scheint momentan realistisch und damit es Tatsache wird, werden Waffen geliefert. Die geopolitischen Karten werden neu gemischt. Es liegt den NATO-Staaten nun daran, Russland möglichst großen Schaden zuzufügen. Den Abzug betätigen ukrainische Soldaten. Oder Zivilisten, die dafür gefeiert werden, dass sie Molotov-Cocktails bauen. Die ukrainischen Menschen werden Stellvertreter:innen in einem Krieg, den auch die NATO provozierte. Und was, wenn die Ukraine gewinnen sollte? NATO-Mitgliedschaft, EU-Mitgliedschaft und weitere Isolierung Russlands. Aber diesen Ausgang schließen sicherlich alle Seiten aus.
In Anbetracht dessen macht es stutzig, wenn z.B. das Katapult Magazin auf Twitter Links sammelt, wie man als Zivilist Panzer lahmlegt. Es löst tiefe Unruhe aus, dass ein gewaltsamer Kampf gegen russische Soldaten derart geschichtsvergessen propagiert wird. In dem Ausmaß wahrscheinlich das letzte Mal im sogenannten Dritten Reich.
Die normalen Menschen werden in der Ukraine zwischen zwei imperialen Blöcken zerrieben. Was bleibt ist ein noch stärkerer Nationalismus. Ein Antreiber des Konflikts auf beiden Seiten. Symbolisch dafür ist ein Bild von zwei Kindern, die einem Panzerwagen zuwinken. Eins trägt ein Spielzeuggewehr auf dem Rücken und salotiert. Es ist keine Situation, die 99 % der Bevölkerung hilft.
Was mit den beiden gefangenen 19-Jährigen passierte, ist ungewiss. Ob jenes Bild überhaupt aus den derzeitgen Konflikt kommt auch. Was aber feststeht: Tausende junge Menschen sterben auf beiden Seiten für Interessen, die nicht ihre sind.
Von Martin Wähler.
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