Alle Muslime werden unter Generalverdacht gestellt - Quelle: Karsten

Christchurch: Antimuslimischer Rassismus – Aus Worten werden Taten

Vor fast zwei Wochen wurde in Neuseeland ein schrecklicher Terroranschlag in einer Moschee verübt, der 50 Menschen das Leben kostete. Wir haben mit Prof. Sabine Schiffer über die mediale Betrachtung des Anschlags und Islambilder in den Medien gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Am vergangenen Freitag fand in Neuseeland ein Terroranschlag statt, wie haben Sie die Berichterstattung über diesen Anschlag wahrgenommen?

Sabine Schiffer: Darf ich vorschlagen „Terroranschlag wurde verübt“ zu formulieren? Das ist weniger passiv als „fand statt“, aber immer noch im Sinne der „agent deletion“ formuliert, um dem Täter nicht den Wunsch zu erfüllen ihn bekannt und berühmt zu machen.

Nun zu den Medien. Ich habe sehr unterschiedliche Reaktionen wahrgenommen, ohne eine groß angelegte Auswertung vorzunehmen. Ich fand die beeindruckend, die sich wirklich den Motiven des Terroristen verweigert haben. Ich war schockiert, aber auch nicht verwundert, dass andere die Veröffentlichung von Foto, Name oder gar vom Mitschnitt-Video des Moschee-Massakers noch verteidigt haben. Inzwischen sind auch sehr nachdenkliche Kommentare erschienen. Ich halte das für eine gute Debatte, die ein paar Unbelehrbare auf der Strecke lassen und vermutlich noch aggressiver machen wird, aber insgesamt für mehr Bewusstsein sorgen kann.

Die Freiheitsliebe: Wie kommt es, dass zwar die neuseeländische Premierministerin von Terroranschlag sprach, die deutschen Medien zu Beginn allerdings nicht?

Sabine Schiffer: Doch, das gab es auch. Wissen Sie, es gibt noch keine empirische Untersuchung dazu und man sollte sich hier wie immer vor Verallgemeinerungen hüten und primär oder letztendlich nur das wahrnehmen, worauf man fixiert ist. Aber tatsächlich ist die Klarheit dieser Premierministerin bewundernswert und man kann nur hoffen, dass viele Politikverantwortliche und Medienmachende ihren Aussagen folgen. Es gab nicht einen Funken Relativierung in ihrer Trauerrede, hingegen durchaus in einigen Medien, wo sofort eine Verbindung zwischen muslimischen Mordopfern, IS-Terrorismus und Rachegefahr hergestellt wurde – ganz im Sinne des Terroristen und rechtslastiger Parteien.

Die Freiheitsliebe: Ist Terror in den deutschen Medien mit dem Islam verbunden oder hängt dies von der Ausrichtung der Medien ab?

Sabine Schiffer: Das ist kein Medienphänomen, den Bug haben auch viele andere Menschen, die keine Medien gestalten, und es gibt ihn auch in der Politik. Gerade zeigen das die Fragen zum Anschlag in Utrecht. Ist ein Mörder Muslim, gehen Strafverfolger und viele Journalisten der Frage nach einem terroristischen Hintergrund nach. Sonst nicht, wie man an der langjährigen Verleugnung eines sogenannten NSU unter anderem sehen kann.
Das liegt aber auch mit daran, dass wir alle Vergehen aus der „eigenen“ Gruppe als Ausnahmen und Abweichung vom Normalen betrachten, während wir das gleiche Vergehen von jemandem aus der „fremden“ Gruppe eher als typisch und Bestätigung für diese empfinden. Es geht also um uns und unsere jeweils eigenen Vorurteile.

Die Freiheitsliebe: Der Terror in Neuseeland wird als Einzelfall gesehen, doch auch in Deutschland nimmt der antimuslimische Rassismus seit Jahren zu. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Sabine Schiffer: Es ist das, wovor wir schon lange warnen. Aus verbaler Entmenschlichung wird Hass und Bereitschaft zu phyisscher Gewalt. Zu den alten Verteidigungsmythen gegen islamische Unzustände sind noch Verschwörungstheorien gekommen, die von Übernahme und Unterwerfung schwadronieren. Klar gibt es angstmachende Ereignisse, aber die überproportionale mediale Vergrößerung oder Verkleinerung – hier möchte ich an Marwa El-Sherbiny und das sogenannte Chapel-Hill-Shooting erinnern – oder auch Ablenkung von ganz anderem bedrohlich Relevantem trägt natürlich ihren Teil dazu bei. Der Verantwortung scheint man sich nicht immer bewusst zu sein. Aber natürlich ist auch der Journalismus nicht frei von Vorurteilen – wir alle sind es ja nicht und sollten uns immer mal wieder ertappen.

Die Freiheitsliebe: Welche Rolle spielt dabei die Gleichsetzung auf vielen Titelbildern von Islam und Muslimen mit Terror, Gewalt und Frauenunterdrückung?
Sabine Schiffer: Das sind Ikonografien, die sich in unser Kollektivgedächtnis eingebrannt haben. Das ist in der Tat ein großes Problem und hat schon Tradition und darum besonders starke Wirkpotentiale. Kürzlich hat das ZDF Berichterstattung über kriminelle Clans mit Moscheebildern illustriert – das ist fatal und darauf weise ich seit Jahr und Tag in diversen Publikationen hin. Leider nimmt man Sprache, Semiotik und Framingprozesse anscheinend nach wie vor nicht wirklich enrst in manchen Redaktionen. Hier herrscht einiger Fortbildungsbedarf, denn genauso wenig wie man nicht nicht kommunizieren kann, kann man auch nicht nicht framen. Medien als einer Vierten Gewalt stünde hier, wie bei anderen Themen auch, mehr kritische Selbstreflexion gut zu Gesicht.

Die Freiheitsliebe: Inwieweit berichten Medien ausgeglichen über den Islam und Muslime?
Sabine Schiffer: Wieso sollten sie das tun? Berichterstattung konzentriert sich nun mal auf die Abweichung von der Norm. Und dann greift das, was ich weiter oben schon beschrieben habe: Innensicht gleich Differenzierung, Außensicht gleich Verallgemeinerung. Klar, da könnte man einiges besser machen und eben nicht den Terroranschlag mit einem Kopftuchbild oder betenden Muslimen „schmücken“, aber so ganz alleine können Medienmachende das nicht lösen. Die Verknüpfung von – ich nenne es jetzt mal täterperspektivisch – Widerstand mit islamischer Symbolik wird ja systematisch von islamistischer PR forciert. Und die hiesigen politischen Vorgaben sind oft desaströs, wie es Prof. Wolfgang Frindte beschrieben hat.

Der Islam kommt als Medienthema ja seltenst vor und ich hab auch Zweifel, dass das anders sein sollte. Eher bräuchten wir eine Debatte, ob wir wirklich ein säkularer Staat sind oder nicht schon längst laizistisch – sprich, wie wir es wirklich mit dem Thema Religion halten wollen, wofür sich ja keine Mehrheit mehr interessiert. Vielleicht entgingen wir ja dann der Religionisierung von Debatten, die eigentlich anderer Art sind. Auf jeden Fall entgingen wir dann aber der selbstentlarvenden Debatte um Säkularismus, die nur in Bezug auf Islam und Muslime laizistisch argumentiert, während die etablierten Religionen geschützt und mit verwaltet werden. Ich könnte mir vorstellen, dass es an der Zeit ist für eine wirkliche Trennung von Staat und Religion und damit für ein laizistisches Modell.

Sabine Schiffer

Ja, und in Bezug auf Muslime wäre es an der Zeit, ihre Vielfalt auch in vielfältigen medialen Rollen abzubilden – da hätten wir auch noch Nachholbedarf bei Frauen, Alten, Schwarzen, Rollstuhlfahrern, Aspergern, LGTB u.v.m. Ich sehe da das größte Potential in den Unterhaltungsformaten und hoffe somit auf die nächste Generation von Drehbuchschreibenden. Da werden bisher die Potentiale diverser Rollen nicht ausreichend genutzt

Die Freiheitsliebe: Welche Ursachen hat diese negative Berichterstattung?


Sabine Schiffer: Wie gesagt, Berichterstattung ist per se negativ! Allein durch das Klischee der Nachrichtenwerte – also, Hypothesen was interessieren würde bzw. die eigenen Erwartungen – das ist alles grundsätzlich am Negativismus orientiert. Man siehe den dämlichen Streit um Constructive News! Als wären Destructive News naturgegeben und nicht ebenso konstruierend. In der sogenannten islamischen Welt gibt es genug Auswahl an Fakten und Themen, da kann man immer wieder dieselben herauspicken und meinen, man verkünde nur das Wichtigste.

Inzwischen sind aber auch viele Nachrichtenmacher rechtspopulistischen Spins aufgesessen, die behaupten, dass man viel Negatives über Muslime verschweigen und den Islam beschönigen würde. Unser Archiv verrät das Gegenteil und nicht nur dieses und zeigt, dass es tatsächlich die großen Medien waren, die die islamophoben Blogs und Facebookgruppen befeuerten – aber der Verschweigemythos hält sich hartnäckig und dringt sogar bis zu jüngeren Medienwissenschaftlern vor, die die medialen Endlosdebatten, die wir seit Jahrzehnten führen, natürlich nicht kennen.

Die Freiheitsliebe: Gibt es Hoffnungen, dass sich die Medien stärker ihrer Verantwortung gewahr werden und ausgewogener berichten?

Sabine Schiffer: Wie gesagt, „die Medien“ gibt es nicht, genausowenig wie „den Islam“. Ich beobachte spätestens seit der Sarrazin-Debatte auch kritische Betrachtungen von Medienseite. Es gibt sehr unterschiedliche Stimmen auch innerhalb eines Mediums. Die Gefahr besteht, dass man sich immer nur die herauspickt, die man hören will. Es lohnt sich, die anderen zu suchen und sie bekannter zu machen! Und keine TalkShows mehr zu gucken! Das lohnt sich definitiv nicht.

Übrigens, wenn Politik immer so verantwortlich handeln würde, wie Jacinda Ardern, wären unsere Mediendiskurse auch besser. Nicht zuletzt der Journalist David Goeßmann stellt in seinem neuesten Buch fest, dass der Journalismus seine Rolle als Vierte Gewalt weitestgehend aufgegeben hat und heutzutage eher regierungskonform ist. Das sollte uns zu denken geben!

Die Freiheitsliebe: Danke für das Gespräch.


Profil: Sabine Schiffer ist Professorin für Journalismus und Kommunikation an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Frankfurt am Main. 2005 gründete sie das Institut für Medienverantwortung, das seit 2017 in Berlin ansässig ist.



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