Keine Diktatur in Westeuropa überdauerte länger als die des portugiesischen Diktators Antonio de Oliveira Salazar. 1974, vier Jahre nach dem Tod Salazars, brach das 40 Jahre währende System des Novo Estadozusammen. Erst ein Putsch regierungskritischer Militärs beendete die Diktatur. 40 Jahre lang schienen die Uhren im Land stillzustehen: Kaum Bildung, kaum Fortschritt, kaum Freiheitsrechte. Mithilfe brutaler Repression und der Unterstützung verschiedener Eliten hielt sich der Salazarismus – bis in den Kolonialgebieten verhängnisvolle Konflikte aufflammten.
Die Historie hat gelehrt, dass Putsche und Revolutionen äußerst blutig daher kommen, vor allem wenn diese vom Militär ausgehen und zivile Regierungen beseitigt werden. In Portugal lief die Revolution anders ab. Als 1974 Teile des portugiesischen Militärs dem Estado Novo ein Ende setzten, blieb das große Blutvergießen aus. Bis auf fünf von der berüchtigten PIDE (Policia Internacional e Defesa do Estado) getöteten Menschen schwiegen die Waffen auf Portugals Straßen. Langzeitdiktator Antonio de Oliveira Salazar war bereits vier Jahre tot und sein Nachfolger Marcelo Caetano vermochte es in den 1970ern nicht mehr, das autoritäre Vermächtnis seines Vorgängers weiterzuführen.
Berühmt wurde die portugiesische Revolution auch dadurch, dass die Soldaten statt scharfer Munition Nelken in ihre Gewehrläufe steckten und damit signalisierten, dass keine Gewalt von ihnen ausgehen soll. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung, Folter und Verfolgung schien für die Portugiesinnen und Portugiesen eine neue Ära zu beginnen. Bis zum 25. April 1974, dem Tag der Nelkenrevolution, sollten sie allerdings einen immens hohen Preis bezahlen müssen. Ähnlich wie andere faschistische Staaten in Europa erfuhren die Menschen in Portugal und den Kolonialgebieten in Afrika großes Leid. Dass der Salazarismus so lange hielt, hatte verschiedene Ursachen. Neben seinem politischen Talent konnte Salazar auch auf Kräfte aus dem In- und Ausland zählen, um seine Art des Faschismus zu implementieren.
Salazar – der Hoffnungsträger der Kirche
Das Ende des portugiesischen Langzeitdiktators Antonio de Oliveira Salazar im Jahre 1970 war unrühmlich für jemanden, der 40 Jahre lang eisern regierte. Salazar stürzte im August 1968 in seinem Ferienhaus von einem in sich zusammenbrechenden Stuhl auf den Steinboden und zog sich eine Schädelverletzung zu. Erst einige Wochen später diagnostizierte man ein Blutgerinnsel. Keine zwei Jahre später war der Übervater der portugiesischen Nation tot – mit ihm der Estado Novo und der portugiesische Kolonialismus in Afrika und Asien. Die Ära des global players Portugals war Geschichte, für die neun Millionen weißen und dreizehn Millionen farbigen Portugies*Innen war es eine Befreiung.
1928 begann die politische Karriere des Ökonomen Salazars. Dank großzügiger Hilfe der Katholischen Kirche war es dem aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Salazars möglich, an einer der renommiertesten Universitäten des Landes zu studieren. Über den Posten des Finanzministers gelangte der als bescheiden und menschenscheu geltende Salazar an die Spitze der Regierung. Der erzfromme und politisch talentierte Salazar baute den Staat Portugal um, das System sollte 40 Jahre halten. Auch wenn der Diktator eine große Machtfülle genoss, er selbst sah sich mehr als „Gefangener“, der „lieber zwischen Weinbergen leben und ein ruhiges Dasein fristen möchte“.
Der Estado Novo
Ein ruhiges Dasein war im faschistischen Portugal über Jahrzehnte nur der Machtelite des Estado Novos vorbehalten. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung litt unter der portugiesische Form des Faschismus. Der Estado Novo war ein balanciertes Zusammenspiel aus autoritärer Staatsführung, Bündnissen mit Kirche und Militär und der repressiven, geheim agierenden PIDE aus. Auf die reaktionären, monarchischen, nationalistischen, militaristischen, erzkatholischen und modernisierungsfeindlichen Kräfte im Inland konnte Salazar jahrzehntelang vertrauen. Im Ausland fand der Diktator Unterstützung von den USA oder dem franquistischen Spanien. Wie in Spanien nahm die Kirche durch ihr statisches Weltbild eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung faschistoider Strukturen ein. Dennoch, der Katholizismus war nie Staatsreligion, er durfte keinen Besitz haben und in der Bildung war der Einfluss kleiner als im Nachbarland.
Der Estado Novo sah ein Ein-Parteien-System vor (Salazars Uniao Nacional), keine Gewaltenteilung, keine freie Presse, keine zivilgesellschaftlichen Verbünde, keinen Zugang zu Bildung und Zwangsrekrutierung für den Militärdienst in Portugal und den Übersee-Kolonialgebieten. Insbesondere in der Bildungsfrage zeigte sich der Estado Novo bemerkenswert rückständig. Noch bis in die 1960er Jahre besuchte ein Großteil der Portugies*Innen höchstens die Grundschule. Auf dem Land betrug die Analphabetisierungsquote teils 80%. Die Wirtschaftskraft gründete sich vor allem auf die Ausbeutung der Ressourcen und Rohstoffe aus den Kolonialgebieten, auch hier agierte der Staat mit brutaler Gewalt. Kaum jemand konnte sich einen funktionierenden portugiesischen Staat ohne die Ausplünderung und Finanzierung durch den Kolonialismus vorstellen.
Reaktionär und repressiv
Durch sein bescheidenen Lebensstil und die Herkunft von der verarmten Provinz war Salazar bei der Bevölkerung nicht unbeliebt. Dies lag gewiss auch daran, dass der Würgegriff über fehlende Bildung, eine nationalkatholische und gesellschaftlich rückwärtsgewandte Erziehung funktionierte und so nicht nur bei den privilegierten Schichten auf Gegenliebe stieß. Trotzdem brauchte es ein menschenverachtendes Netz aus Polizei und Paramilitär, das den Menschen das Fürchten lehrte. Unzählige Bürger*Innen verschwanden, wurden gefoltert, ins Gefängnis geworfen und gleich ermordet. Die Angst vor dem repressiven Arm des Staates, hauptsächlich in Form der PIDE, führte dazu, dass Freunde und Familie zu Denunzianten wurden, wenn der Verdacht aufkam, jemand könnte sich der vorherrschenden Meinung Salazars widersetzen.
Widerstandsgruppen gab es dennoch in allen Bereichen der Gesellschaft, oppositionelle Kräfte aus der politischen Linken versuchten, jeden Spielraum gegen den Autokraten zu nutzen. Viele von ihnen bezahlten dies mit ihrem Leben. Auch in der Katholischen Kirche stachen widerspenstige Vertreter hervor. Die Reibungspunkte mit der Kirche nahmen mit zunehmender Dauer der Herrschaft zu. Geistliche wie António Ferreira Gomes, Bischoff von Porto, widersprachen Salazars destruktiven Politik im Kernland und in den Kolonien. Die soziale Frage wie auch die vorherrschende Gewalt gegen Menschen waren Gomes Hauptkritikpunkte. Salazar antwortete mit Verbannung.
Entscheidend für den Sturz des Salazarismus war der Aufstand des Militärs. Die Hälfte des Staatshaushalt verwendete die Salazar-Regierung für den Kampf gegen Widerständler in den Kolonialgebieten. Die Revolten wuchsen zu regelrechten Unabhängigskeitskriegen heran. Umgerechnet auf heute kostete die Kriege den portugiesischen Steuerzahler täglich eine Million Euro. Regierungskritische Militärs sahen nach vier Jahren Caetano das Ende des Estado Novo gekommen und putschten in der Hauptstadt Lissabon. Ein blutiges System, das die Uhren des Fortschritts und der Menschlichkeit hat stillstehen lassen, war besiegt. 1974 begann Portugal mit Nelken eine neue, demokratische Epoche. Die Unabhängigkeitskämpfer in Angola, Mosambik oder Guinea-Bissau sorgten so nicht nur für ihre Freiheit von der Kolonialmacht, sie befreiten praktisch ihre Landsleute auf der iberischen Halbinsel mit.