In den letzten Monaten haben die Kanäle die Ausgrabung von Amphipolis serienmäßig übertragen. Samaras verwendet, wo er auch gerade ist, das Grab von Amphipolis als antike Version der modernen griechischen Erfolgsgeschichte, und Panagiotarea entdeckt, dass die Zehen der Karyatiden die Kontinuität des Hellenismus bewiesen. Die Bewunderung der Samaras-Familie für das Altertum ist so heuchlerisch, dass sie die Archäologen wütend macht, die unter elenden Bedingungen arbeiten. In den letzten zwanzig Jahren gab es nur einen Einstellungswettbewerb für Archäologen; Die Mängel sind so groß, dass die Archäologen in den Finanzämtern dazu gezwungen werden, ihre Zeit damit zu verbringen, Dokumente auszufüllen und abzustempeln, während die große Mehrheit der Archäologen ohne Dauerbeschäftigung lebt und auf der Basis von Verträgen mit einer Laufzeit von im Schnitt wenigen Monaten arbeitet. Die Museen und die archäologischen Stätten sind durch die Kürzungen zugrunde gegangen, während der Finanzierungsmangel bedeutet, dass die Finanzämter seit Jahrzehnten nur noch Rettungsausgrabungen ermöglichen, und nicht gewöhnliche, wie die von Amphipolis. Aber wenn die Samaras-Familie bemerkt, dass sie das Altertum für nationalistische Demagogie und zur Ablenkung von der Krise verwenden kann, dann wird die Archäologie plötzlich wichtig und das Geld ist da. Kostas Vlassopoulos gibt einen Abriss über die Mythen des Ahnenkultes.
Gleichermaßen heuchlerisch ist auch der Eifer für die Bewohner des Grabs, die griechische Prägung Mazedoniens und den „unsterblichen antiken Geist“. Die Mutmaßung, dass das Grab das Alexanders des Großen gewesen sein könnte, ist einfach lächerlich: Die alten Quellen lassen keinen Zweifel daran, dass Alexander der Große in Alexandria begraben wurde. Bei der Idee, dass das Grab die Knochen Rhoxanes und Alexanders, des Sohnes Alexanders des Großen, beinhaltet haben könnte, packte die Kommentatoren in den Kanälen die heilige Ehrfurcht. Rhoxane war natürlich eine Prinzessin aus Baktrien, aus dem heutigen Afghanistan; für die heutigen Flüchtlinge aus derselben Region haben dieselben Kommentatoren nur Gift zu vergießen.
Alexander war nicht das erste Kind Alexanders des Großen; Sein erstes Kind, Herakles, hatte er von Barsine, der Tochter des persischen Satrapen Artabazos, bekommen. Artabazos hatte sich in dem Jahr, in dem Alexander der Große geboren wurde, gegen den persischen König erhoben und flüchtete zum Hof Philipps, wo er ein Jahrzehnt lang lebte; Mit sich hatte er die rhodischen Anführer der griechischen Söldner, Mentor und Memnon, die nachfolgend Barsine heirateten. Alle drei kehrten schließlich wenige Jahre später in den Dienst des persischen Königs zurück; Wenige Jahre später war es der Grieche Memnon, der den Persischen Widerstand gegen den Feldzug Alexanders des Großen organisierte. Nach dem Sieg Alexanders des Großen wurde Barsine seine Geliebte und Artabazos sein Satrape. Geschichten wie diese, von Griechen im Dienst der Perser, von Persern am makedonischen Hof und Kindern aus gemischten Ehen passen nicht sehr gut zu der nationalistischen Erzählung, die die Samaras-Familie einzuführen versucht. Natürlich wird auch nicht erwähnt, dass das Gebiet von um Amphipoli bis zum Bosporus in den Jahren Alexanders des Großen und Jahrhunderte zuvor und danach von dem nichtgriechischen Volk der Thraker bewohnt wurde, das der Region ihren Namen gab. (1)
Die Erzählung, die man uns in den Schulen lehrt und uns in den Kanälen auftischt, spricht von der unerschütterlichen Kontinuität einer uralten Nation, die im antiken Griechenland beginnt, sich mit dem Byzantinischen Kaiserreicht fortsetzt und bis in die Gegenwart mit dem heutigen griechischen Staat reicht. Gegenstand dieser Erzählung sind die Heldentaten der ruhmreichen Ahnen: der Politiker, wie Perikles und Venizelos, und der Könige, wie Alexander der Große und Palaiologos. Dieses Narrativ hat überhaupt keinen Bezug zur Wirklichkeit; Es handelt sich nicht einmal um eine uralte Erzählung, die die Bewohner dieser Gegend ihren Nachkommen von Generation zu Generation vermittelten. Im Gegenteil, es ist eine Erzählung, die in den letzten 150 Jahren konstruiert wurde und sehr konkreten Zielen dienen sollte. In der langen Periode von der Antike bis in das 19. Jahrhundert gab es weder Nationalstaaten noch nationale Identitäten und Erzählungen: Die Menschen identifizierten sich entweder mit der Weltreligionsgruppe, zu der sie gehörten, oder mit dem umfassenden multinationalen Kaiserreich, dessen Staatsangehörige sie meist waren.
Die Geschichte vor dem Nationalismus
Statt der nationalen Reinheit in der nationalistischen Mythologie wanderten die Menschen von der Antike bis heute umher und migrierten auf der Suche nach Ackerland, Arbeit, Wissen und Freiheit, aber auch auf der Suche nach Macht und Reichtum. Die alten Griechen hatten sich über das gesamte Mittelmeer und das Schwarze Meer verbreitet; Andere lebten in autonomen Gemeinden, und andere zusammen mit Nichtgriechen, wie beispielsweise im Bosporanischen Reich auf der Krim. Dementsprechend wurden große Gebiete des heutigen Griechenlands wie Thrakien von Nichtgriechen bewohnt, während es hunderttausende ausländische Immigranten und Sklaven in den griechischen Städten gab. Im Mittelalter eroberten slawischsprachige Völker den größten Teil des hellenischen Gebiets (die mittelalterliche Peloponnes war als terra slavonica, „slawische Erde“, bekannt), während ab dem 13. Jahrhundert die Wanderungen der Albanischsprachigen in Gebiete wie die südliche Epirus, Korinthia und Attika (deshalb auch die heutigen Regionen Spata und Liosia) begannen. (2) Dementsprechend wanderten die Griechischsprachigen in die Kolonien Zentraleuropas, des Schwarzen Meeres oder Kleinasiens; Die große Mehrheit der Griechen von Smyrna im Jahre 1922 waren nicht uralte Nachkommen der alten Griechen, sondern von Menschen, die im 19. Jahrhundert massenhaft aus dem griechischen Staat in die Türkei eingewandert waren. (3) In manchen Gegenden wurden die Nachfahren dieser Migranten stufenweise von der Mehrheit assimiliert (Die Nachfahren der Griechischsprachigen Anatoliens wurden Muslime und türkischsprachig, während die Nachfahren der Slawischsprachigen von Peloponnes Christen und griechischsprachig wurden); In den meisten Gegenden des Balkans aber gab es ein multiethnisches Mosaik der Völker mit verschiedenen Religionen und Sprachen, die in den Städten und Dörfern zusammenlebten. (4)
Wenn die Migration und die Vermischung der Bevölkerungen zeitlos waren, war die Abwesenheit von Nationalstaaten vor dem 19. Jahrhundert ebenso zeitlos. Das antike Griechenland war natürlich in hunderte Stadtstaaten aufgeteilt, die unaufhörlich untereinander Krieg führten. Die alten Griechen hatten überhaupt kein Problem damit, andere Griechen zu unterwerfen, wie die Spartaner die Heloten oder die Thessalier die Penesten. Wenn die Griechen eine andere griechische Stadt eroberten, war das massenhafte Abschlachten der Bewohner und die Versklavung der Überlebenden schlicht gängige Praxis, wie es die Athener in Skioni und Milos taten. Wenn sich dreißig der hundert griechischen Städte vorübergehend verbündeten, um gegen die Perser zu kämpfen, blieb die Mehrheit neutral, oder kämpfte aktiv auf der Seite der Perser. Es waren die regionalen Feinde, die bestimmten, welcher Seite sich die griechischen Gemeinden anschlossen: Hätten sich die Phoker den Persern angeschlossen, wären die gegnerischen Thessalier der griechischen Allianz beigetreten und umgekehrt, wie Herodot bemerkte.
Die gemeinsame griechische Identität hatte vor allem kulturelle und religiöse Bedeutung; Politisch wurde die Idee von der Einheit der Griechen gegenüber dem gemeinsamen Feind von den mächtigen Staaten wie Athen, Sparta und Makedonien verwendet, um die übrigen griechischen Staaten unter ihr Joch zu bringen, und deshalb war sie immer kurzlebig. Der angeblich panhellenische Feldzug Alexanders des Großen gegen die Perser machte so wenig Eindruck auf die Griechen, dass das Erste, das sie taten, war, sich gegen das makedonische Joch zu erheben, als sie von seinem Tod erfuhren. Demosthenes rief die Athener dazu auf, sich mit Persien gegen die Bedrohung durch Makedonien zu verbünden, „eines Landes“, wie er sagte, „so barbarisch, dass man nicht einmal vernünftige Sklaven von dort zum Kauf findet“. (5)
Mit dem Aufkommen des makedonischen Königreiches und des römischen Kaiserreiches wurden die regionalen Gemeinschaften in umfassende multiethnische Kaiserreiche eingegliedert, ein Phänomen, das für Jahrhunderte in anderen Kaiserreichen wie dem Byzantinischen Reich oder dem Osmanischen Reich fortdauerte. Das, was wir heute byzantinisches Kaiserreich nennen, war ein multiethnischer Staat, der den Bewohnern als Kaiserreich der Römer bekannt war. Griechisch wurde als Sprache des Staates und der Kirche beibehalten; aber in einem Kaiserreich, das sich von Mesopotamien bis zum Balkan und bis nach Italien erstreckte, sprach nur eine Minderheit griechisch. In dem Punkt, in dem die Bewohner des Kaiserreiches eine gemeinsame Verbindung hatten, hatten sie sie als Römer, als christliche Untertanen des Kaisers. Das Wort „Grieche“ bedeutete schließlich Heide, und der byzantinische Schriftsteller Michael Psellos nannte die Chinesen Griechen, weil sie Nichtchristen waren. Als der germanische Botschafter Liutprand 968 Nikeforos II. Fokas „Kaiser der Griechen“ nannte statt richtig „Kaiser der Römer“, warf ihn der wutentbrannte Nikeforos in den Kerker. (6)
Das osmanische Kaiserreich, das Byzanz nachfolgte, war auch ein multiethnischer Staat, in dem die wesentliche Trennlinie die Religion war: Römer waren alle, die orthodox waren und unter das Patriarchat fielen, unabhängig davon, wo sie lebten oder welche Sprache sie sprachen. Die Osmanen regierten die Christen durch die Zusammenarbeit mit den christlichen Eliten wie dem Patriarchat, den Phanarioten und den regionalen Kocabaşı, die für die Eintreibung der Steuern und die Rechtsprechung verantwortlich waren. Diese bewundernswerte Zusammenarbeit erlaubte es der Kirche, ihr enormes Vermögen zu nutzen, und den Phanarioten, von den Osmanen zu Regierenden halbunabhängiger Provinzen wie der Donaufürstentümer (das heutige Rumänien) ernannt zu werden.
Das Aufkommen der Nationalismen auf dem Balkan
Die modernen Nationalstaaten sind Ergebnisse der Französischen Revolution von 1789, die das Ausmaß der Krise der Reiche bekannt machte, die bis dahin in Europa dominierten. Der Sturz der Monarchie und der Konflikt der Revolution mit dem europäischen Absolutismus machte eine neue politische Sprache bekannt. Der Staat waren nicht mehr der König und der Thron, sondern die Institutionen der souveränen Nation: Statt Unterwerfung gegenüber den Königen schuldeten die Bürger Treue der Nation, wie sie von ihren gewählten Vertretern ausgedrückt wurde. Wenn der Staat nicht mehr mit den Königen, sondern mit der Nation identifiziert wurde, dann hatte jede Nation das Recht, ihren eigenen Staat zu schaffen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts versuchten eine Reihe von Revolutionen, die absolutistischen Monarchen zu stürzen und unabhängige Nationalstaaten anstelle der dominanten multiethnischen Kaiserreiche der Russen, der Österreicher und der Osmanen zu schaffen. (7)
Aber was waren die Nationalstaaten, die die Kaiserreiche abgelöst hätten? In manchen Fällen gaukelten sich die Nationalisten die Wiederherstellung eines Staates vor, den es im Mittelalter gab, der aber durch die Kaiserreiche zerteilt worden war (wie z.B. Polen). Aber in den meisten Fällen gab es keinen vorher bestandenen Staat, und sie mussten sich ihn aus dem Nichts ausdenken. Beispielsweise hatte es nie einen einheitlichen italienischen Staat vor der Entstehung Italiens 1861 gegeben. Im Falle des Griechenlands von 1821 war das Problem das gleiche: Was war das moderne Griechenland und wer hätte sich am griechischen Staat beteiligt, angesichts der Tatsache, dass es nie einen griechischen Staat gegeben hatte?
Für die Revolutionäre von 1821 war die Revolution der Versuch der Wiederbelebung der antiken griechischen Nation: Deshalb auch das Wiederaufleben und die Annahme des Begriffes „Griechen“ statt dem der Römer oder der Graikoi, der sich bis dahin behauptete. Sie glaubten, dass diese Nation seit der Zeit, in der Philipp und Alexander die alten Griechen unterworfen hatten, versklavt gewesen sei. Die Makedonier, die Römer, die Byzantiner und die Osmanen waren eine Reihe absolutistischer Regime, die die Griechen tausende Jahre im Joch gehalten hatten: Folglich war die Geschichte der makedonischen Könige, die Roms und die von Byzanz nicht Teil der Geschichte der Griechen, sondern die Geschichte ihrer Eroberer. Wie Korais 1824 bezeichnend kommentierte: „Die Makedonier machten jeden Tag Fortschritte bei der Aufhebung der Freiheit [Griechenlands]… Nach der makedonischen Despotie fielen [die Griechen] unter die Herrschaft der Römer, und schließlich…der Türken“. Die gleiche Auffassung drückte 1841 der Präsident der archäologischen Gesellschaft, Iakovos Rizos Neroulos, aus, als er die Schlacht von Chaironeia, die zu der makedonischen Eroberung Griechenlands führte, kommentierte: „Philipp tat etwas verheerenderes als jenen Sieg, er zeugte Alexander“. (8) Für die Menschen, die von der Aufklärung und der Französischen Revolution beeinflusst worden waren, hatten die absolutistischen Regime der Makedonier und der Byzantiner keinen Bezug zu den demokratischen Idealen der alten Griechen und ihrer modernen Möchtegern-Nachkommen.
Wer aber waren die modernen Griechen? Die alten Griechen waren über das ganze Mittelmeer verteilt; griechischsprachige Bevölkerungen gab es in vielen Gegenden des modernen Balkans, weit entfernt vom heutigen Griechenland, während in Regionen wie Makedonien und Thrakien nicht-griechischsprachige Bevölkerungen dominierten; schließlich teilten die orthodoxen Bevölkerungen des Balkans über Jahrhunderte eine gemeinsame Identität als Römer und fielen alle unter das Patriarchat. Für die Revolutionäre von 1821 waren moderne Griechen nicht nur die Griechischsprachigen im heutigen Griechenland, sondern alle christlichen Balkanvölker unabhängig von ihrer Sprache (Albaner, Slawen, Walachen). Ihr Ziel war ein Staat, der alle Christen des Balkans mit einbezogen hätte, natürlich unter der Führung einer griechischprachigen Elite. Das ist außerdem auch einer der Gründe dafür, dass die Revolution 1821 in den Donaufürstentümern begann, hunderte Kilometer von Griechenland entfernt, wo phanariotische Herrscher für Jahrhunderte christliche Staatsangehörige regierten.
Die Entwicklung der Revolution führte zu ihrer Beschränkung auf den südlichen Rand des Balkans, wo die große Mehrheit der Bevölkerung griechischsprachig war. Aber auch nach der Entstehung des griechischen Staates 1830 versuchten die griechischen Nationalisten mehrere Jahrzehnte lang, die bulgarischsprachigen, albanischsprachigen und walachischsprachigen Bevölkerungen des Balkans davon zu überzeugen, dass sie keine gesonderten Nationen darstellten, sondern einen Teil der umfassenden christlichen, griechischen Nation. (9) Bezeichnend ist der Titel des Buches von T. Pashidis von 1879: Die Albaner und deren Zukunft im Griechentum. Wie ein Aufruf von 1854 erklärte: „Die Einheit der Nation sei unser Leitspruch. Griechisches Kaiserreich oder Tod sei der Ausruf der zehn Millionen Griechen, Serben und Bulgaren gegen Europa, und der der vier Millionen Griechen gegen Asien“. (10)
Die Konstruktion der „nationalen Kontinuität“
Das allmähliche Aufkommen entsprechender nationalistischer Bewegungen unter anderen Bevölkerungen des Balkans ab 1850 und danach (bei den Bulgaren, Albanern und Rumänen) zeigte, dass die Strategie ihrer Integration in den griechischen Nationalismus zum Scheitern verurteilt war. Konfrontiert mit den anderen Nationalismen des Balkans in den multiethnischen Mosaiken von Epirus, Makedonien und Thrakien war die Angelegenheit nunmehr, dass der unerschütterliche griechische Charakter der beanspruchten Gebiete bewiesen wird. Die Folge war eine grundlegende Veränderung bei der nationalistischen Wahrnehmung der griechischen Geschichte: Von der Vorstellung der Wiedergeburt des antiken Griechentums im neueren Griechenland kommen wir zu der Konstruktion der Idee der Kontinuität der griechischen Nation von der Antike bis heute. Das bedeutete, dass die makedonischen Reiche und das byzantinische nicht mehr als Eroberer der Griechen betrachtet wurden, sondern als untrennbare Teile der Kontinuität der griechischen Nation.
Diese Konstruktion kristallisierte sich zwischen 1860 und 1874 mit der Veröffentlichung von Konstantinos Paparrigopoulos‘ Geschichte der griechischen Nation heraus. 1849 beschrieb derselbe Paparrigopoulos die Makedonier als „Amalgam aus Illyrern und Griechen“, und unterschied zwischen Makedoniern und Griechen, als er erklärte, dass „die makedonische Nation in der allgemeinen Geschichte einen anderen Auftrag erfüllte als die griechische“. (11) Zehn Jahre später prägten die Erfordernisse des griechischen Nationalismus eine vollkommen andere nationalistische Erzählung, die man uns bis heute in den Schulen lehrt. Ergebnis dieser nationalistischen Erzählung war die systematische Beseitigung jedes Denkmals oder Zeugnisses, das sich nicht in die unerschütterliche Kontinuität der Nation integrieren konnte. Teil dieser Kampagne war der Abriss des beeindruckenden fränkischen Turms der Akropolis 1874, wobei es darum ging, dass sie von jeder „fremden“ Erscheinung gereinigt werden sollte. Nach der Annexion Makedoniens und Thrakiens 1913 schaffte die Archäologische Gesellschaft einen Ausschuss, „damit er das Land von den barbarischen Ortsnamen befreit“, um sie durch altgriechische zu ersetzen, oder um die türkischen, slawischen oder arvanitischen Ortsnamen zu hellenisieren, wo keine altgriechischen gefunden werden konnten. (12)
Der Nationalismus führt zu einer dauerhaften Verdrehung der Geschichte. Die „antiken Vorfahren“ wurden von jeder Diktatur und von jeder faschistischen Bande für ihre Propaganda verwendet: Von der Verwendung des antiken Sparta als Vorbild durch Metaxas und den lächerlichen Nachstellungen antiker Schlachten durch die Junta bis zu dem Geschrei der Morgenrötler, dass das Hakenkreuz der altgriechische Mäander sei, und dass der Hitlergruß dorisch sei. Aber die Angelegenheit hört hier nicht auf, und der Fall des Grabs von Vergina ist charakteristisch. Die nationalistische Propaganda erhebt den Anspruch, dass das Grab das Philipps sei, damit „der griechische Charakter Makedoniens“ bewiesen wird. Wie viele, außer von ein paar Experten, wissen, dass es zu dem angeblichen Grab Philipps eine wissenschaftliche Debatte gibt, die seit Jahrzehnten anhält? Viele Archäologen vermuten, dass, sofern die Keramikkunst des Grabs um einige Jahrzehnte jünger ist als der Tod Philipps, das Grab nicht ihm gehören kann, sondern eher seinem Sohn und Bruder Alexanders des Großen, Philipp III. Arrhidaios. Andere wiederum bezweifeln die Identifizierung des modernen Vergina mit der antiken Siedlung Aigeira, auf der die Zuschreibung des Grabes an Philipp basiert, und folglich argumentieren sie, dass die Gräber von Vergina einfach reiche Gräber sind, und nicht die Gräber der makedonischen Königsfamilie. Aber natürlich hat die nationalistische Rhetorik so sehr auf das Grab Philipps gesetzt, dass sie die Existenz einer wissenschaftlichen Debatte zu dem Thema nicht tolerieren kann: Wenn die Archäologin Olga Palangia, die behauptete, dass das Grab römischer Zeit sei, in den Kanälen als skopjefreundlich bezeichnet wird, weiß niemand, womit ein Archäologe konfrontiert gewesen wäre, der öffentlich das Grab Philipps angezweifelt hätte. (13)
Die Linke und Geschichte von unten
Es ist eine Ehre für die Linke, dass sie von ihren ersten Schritten zu Beginn des 20. Jahrhunderts an versuchte, eine andere Art von Geschichtsschreibung der nationalistischen Mythologie gegenüberzustellen. Diese Geschichtsschreibung entlarvte nicht nur die Mythen und die Verfälschungen des Nationalismus, sondern machte auch die Klassenkonflikte und die Rolle der einfachen Menschen im Ablauf der Geschichte bekannt. Zentral war unbestritten die Veröffentlichung des Werks Die gesellschaftliche Bedeutung der Revolution von 1821 von Giannis Kordatos, dem zweiten Sekretär der Sozialistischen Arbeiterpartei Griechenlands. (14) Kordatos verlachte die Position, dass die Revolution ein Aufstand aller Griechen gewesen sei, darauf verweisend, dass die Kirche offen mit den Osmanen zusammenarbeitete, und stürzte die Mythen um, die nachträglich konstruiert wurden, damit sie ihre Position rechtfertigten. (15) Im Gegensatz dazu zeigte Kordatos, dass die Revolution ein komplexer gesellschaftlicher Konflikt war, in dem die Interessen der Kocabaşi und der Phanarioten verschieden von denen der armen Bauern und Matrosen waren. In seinen späteren Werken dehnte Kordatos diese historische Annäherung auf andere Perioden aus, mit Werken über das alte Griechenland und Byzanz, in denen er z.B. hervorhob, wie oft die byzantinischen Kaiser skandinavische und türkische Soldaten einsetzten, um ihre armen griechischsprachigen Staatsbürger abzuschlachten. (16) Andere frühe marxistische Historiker wie Panagis Lekatsas forschten über die Sklaven und ihre Aufstände in der Antike. (17)
Die nationalistische Erzählung hat nur Platz für große Männer und ruhmreiche Ahnen; die Armen, die Sklaven und die Fremden sind einfach nicht sichtbar. Derlei Erzählung spricht nur von den Gräbern der Könige, natürlich nicht von der Gruppe athenischer, zypriotischer und anatolischer Arbeiter und Arbeiterinnen, die ihr Brot herstellten, während sie Kleider wuschen, und die zusammen den Nymphen beim Ilisos das beeindruckende Relief widmeten, das auf dem Foto abgebildet ist. Die berühmten schwarzen athenischen Vasen machen Eindruck bei jeder Hommage: Aber man wird nicht erfahren, dass die Handwerker, die sie anfertigten, typische Namen fremder Sklaven trugen, wie Lydos, Syriskos, Vrygos oder Amasis. Man wird nichts von Irini aus Byzanz hören, die nach Athen migrierte, wo sie ihren phönizischen Mann kennenlernte und wo dieser zu ihrem Andenken eine zweisprachige, griechisch-phönizische Inschrift aufstellte.
Wer kennt die Geschichte von Manis, dem Holzfäller aus Phrygien im tiefsten Kleinasien, der sich als Migrant in Athen fand und im Peloponnesischen Krieg im Kampf gegen die Spartaner getötet wurde? Dass es so viele wie Manis im alten Athen gab, dass ein ganzer Bereich in Marousi als Phrygien bekannt war? Dass im Athen von Demosthenes die dritte größere öffentliche Opferung eine für die thrakische Göttin Bendis war, deren Verehrung ein Ensemble Athener und einer von thrakischen Migranten übernommen hatten? Dass die Athener außer dem Orakel von Delphi auch das libysche Orakel des Amun aufsuchten? Die Kontinuität der Nation passt nicht zu den 6000 ausländischen Sklaven, die athenische Bürger wurden, weil sie in der Seeschlacht bei den Arginusen gegen die Spartaner kämpften. Sie erwähnt auch nicht, dass die aufständische Armee, die die Herrschaft der Dreißig 403 v. Chr. stürzte und die Demokratie in Athen wiederherstellte, hunderte Immigranten und tagelöhnerische Knechte mit einschloss, wie den Gemüsehändler Gerys, den Arbeiter Astyages und den Landarbeiter Psammis. (18)
Die tatsächliche Geschichte stellt in ihren Mittelpunkt, wie Zivilisationen durch Migration, Vermischung und Austausch geschaffen werden. Sie verbirgt nicht, dass die Staaten, die die nationalistische Erzählung verherrlicht, ihre Hände voller Blut hatten, oft mit dem ihrer Staatsangehörigen. Statt dem Mythos der nationalen Einheit zeigt sie, dass sich jede Klassengesellschaft durch soziale Unterschiede und Konflikte auszeichnete. Und schließlich zeigt sie, dass die Geschichte nicht nur von den großen Männern gemacht wird, sondern auch von den Kämpfen der Armen und Unterdrückten bestimmt wird. Gegenüber den nationalistischen Märchen jener wie Samaras ist es Pflicht der linken Geschichtsschreibung, die in die Fußstapfen von Kordatos und Lekatsas tritt, der Bewegung eine Darstellung zu geben, die das Leben und die Kämpfe der einfachen Leute in ihren Mittelpunkt stellt, von der Antike bis in die heutigen Tage.
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe vom November/Dezember 2014 der griechischen Zeitschrift „Sozialismus von unten„.