Höcke im Selbstgespräch

Warum liest man so ein Buch? Aus Neugier? Aus Freude am Ekel? Wohl am wenigsten noch, um sich überzeugen zu lassen, denn das ist nicht mal das Ziel dieses Buches. „Nie zweimal in denselben Fluss“ ist eine obskure Verbrämung von rechtsextremem Manifest und durch die Hintertür eingebrachter Autobiografie. Im Format des Interviews daherkommend nimmt Björn Höcke sich selbst an die Hand und den Leser mit auf eine Reise durch das, was er für seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hält. Damit das fein säuberlich gesponnene Selbstbild keine Schrammen bekommt, hat sich der „Flügel“-Gründer mit Sebastian Hennig in der Rolle des Glaukon einen willigen Komparsen gesucht, dessen Fragen eher Vorlagen für Höckes Monologe gleichen.

Sollte man trotzdem mit dem Gedanken spielen, sich dieses Buch anzutun, so sei folgendes zum Einstieg gesagt: Das Vorwort von Frank Böckelmann kann getrost übersprungen werden. In unsäglicher Tradition „des vom rechten Pfade“ auf den rechten Pfade abgekommenen Alt-Linken, verteidigt Böckelmann Höckes Thesen und skizziert von eben diesem das Bild eines „Sündenbockes“. Der Rest des Vorwortes besteht aus Zusammenfassungen und Zitationen des Hauptteils, die den Anschein machen, er wolle beweisen, dass zumindest einer das Buch komplett gelesen habe.

Springt man also zu Hennigs Einstiegsfrage, so wirft es einen in das Lünen an der Lippe von Höckes Kindheit. Vetriebenenfamilie – Check. Heimat, Harz und Kyffhäuser – Check. Zwischendurch wird noch nach dem Sinn der Menschheitsgeschichte gefragt (Höcke: „Das ist eine schwierige Frage.“). Es folgen weitere Ausführungen zu seiner Jugend, seinem Herz für die Epoche der Romantik und Momenten im Heimatsidyll, welche, eines anderen Eindrucks kann sich der Leser bereits an dieser Stelle nicht erwehren, nur der „Mensch-Machung“ des B. Höckes dienen sollen. Einzig seine Bewertung des eigenen Wehrdienstes ist aufschlussreich. Während der dort verbrachten Zeit quälte ihn zwar die „unbeantwortete Frage nach dem eigentlichen Auftrag der Bundeswehr“, doch lässt sich erahnen, welche Art des Auftrags ihm vorschwebt. So wirft er der Bundeswehr vor, dass sie nicht „an die großen nationalen Militärtraditionen anknüpfen [wolle]“ (Gauland lässt grüßen) und spricht von einem stattfindenden „Bildersturm gegen Wehrmachtsüberbleibsel in den Kasernen“, der sogar vor „anerkannten NS-Widerständlern“ keinen Halt mache. Vielleicht meint er damit die republikanisch-demokratischen Pläne eines von Stauffenbergs oder Rommels für das Nachkriegsdeutschland. Den Einwand Hennigs, dass ein Oberstleutnant der Bundeswehr „halb scherzend, halb ernst“ die Option eines Putsches zur Sprache brachte, kann Höcke nur mit der Hoffnung verbinden, dass solch „kritische […] Stimmen“ (!) zu „positiven Folgen“ führen mögen. Das erste Kapitel des Buches ist noch nicht durch und man wundert sich, was Höcke gerade alles für sagbar hält, solange die Auflage des Buches klein genug und der Leser wahrscheinlich ein Kamerad ist.

Die folgenden Kapitel „Im Schuldienst“, „Der Weg in die Politik“, „Partei und Fraktion in Thüringen“, „Volksopposition gegen das Establishment“ und „Krise und Renovation“ sollen an dieser Stelle nicht näher besprochen werden. Es sei lediglich angemerkt, dass „in den Frauen ohnehin eine Erwartungshaltung an die Männer [stecke], […] das Ruder in die Hand [zu] nehmen“ und vom Antifaschismus „der ursprüngliche anti-totalitäre Konsens der Bundesrepublik aufgehoben [wurde]“. Wem das noch nicht reicht, für den hat Höcke auch ein paar Beurteilungen Afrikas parat: „Möglicherweise besteht die größte Schuld der Kolonisten in ihrem oft kampflosen Rückzug aus der Verantwortung für Landschaften, die sie kultiviert haben.“ Kultiviert. Dass man laut ihm „Kolonisation auch nicht ausschließlich negativ betrachten“ dürfe, wirkt im Angesicht der Abermillionen Toten allein in Afrika wie Hohn und Spott.

Warum liest man also so ein Buch? Um den Vorhang zu lüften, der Menschen wie Höcke die Stirn verdeckt. Um in Erfahrung zu bringen, was Leute seines Schlags wieder für sagbar und vor allem öffentlich publizierbar halten. Die gesammelten Zitate können nicht das ganze Buch oder gar Höckes Ideologie abdecken, doch das müssen sie auch gar nicht. Allein der Umstand, dass sie einem normal erwerbbaren Buch und nicht irgendeiner WhatsApp-Gruppe entstammen, sollte uns allen zu denken geben. Denn wenn er von einer Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“ spricht und damit Waffengewalt und Deportation meint, so ist dies längst kein theoretisches Gedankenkonstrukt mehr, sondern mit Blick auf das Mittelmeer bittere Realität.

Es ist (k)ein Wunder, dass der ehemalige Gymnasiallehrer sein rechtsradikales Gedankengut nicht länger unter Pseudonym veröffentlicht…


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