Es klingt wahnsinnig, in Ungarn ist es aber Realität. Mitten in Europa ist es strafbar, obdachlos und mittellos zu sein. Ein Staat bestraft Menschen, die ihren Job verloren haben, ihre Wohnung nicht mehr bezahlen und ihre Familien nicht mehr unterstützen können, die auf der Straße landen, krank und verarmt sind, und nicht selten dort sterben. Die rechte Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán hat 2014 beschlossen, Obdachlosigkeit als Straftat zu kennzeichnen und so die Schwächsten der ungarischen Bevölkerung zu kriminalisieren. Nicht die EU, kleine Menschenrechtsorganisationen kämpfen gegen die menschenverachtende Politik. Arte begleitete diese Menschen und macht das Schicksal dieser Verfolgten öffentlich.
Jutka Lakatosné ist selbst seit 25 Jahren obdachlos und Mitglied der Bürgerbewegung „Die Stadt gehört uns“, die sich gegen die Ausgrenzung mittelloser Menschen in Ungarn engagiert. „Hätte mir früher jemand gesagt, Flaschensammeln wird später mein Lebensunterhalt sein, ich hätte diesen jemand ausgelacht“, sagt sie. Auch wenn weite Teile bereits in der Zeit des Kommunismus unter wirtschaftlicher Armut litten, ein solches Ausmaß an Armut, das zudem noch Hass und Ausgrenzung mit sich bringt, wäre im damaligen Ungarn nicht möglich gewesen, führt Jutka weiter aus. Zusammen mit anderen Aktivist*Innen der Organisation steht sie (erneut) vor Gericht, weil sie obdachlos ist. Bei diesem Verfahren kommt Jutka mit einer symbolischen Verwarnung davon, Schutz und Solidarität von Ungarn Rechtsstaat und seiner Gesellschaft kann sie kaum noch erwarten. Aufgrund der verschärften sozioökonomischen Lage im Reiche Orbáns hat sich die Zahl obdachloser Menschen in Ungarn vervielfacht. Die Vereinten Nationen und andere Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl auf über 35.000, alleine 10.000 werden in der Hauptstadt Budapest leben, die meisten von ihnen müssen aus der Stadt in Waldgebiete, verlassene Häuser, Behelfshütten oder Keller fliehen, um den repressiven Polizeieinheiten zu entkommen. Wer aufgegriffen wird, riskiert nicht nur Polizeigewalt, das Gesetz sieht vor, Verstöße mit Arbeitslager, Geld- und Haftstrafen zu sanktionieren. Das ist die ungarische Demokratie, die Orbáns Regierungspartei „Fidesz“ – Mitglied der Fraktion der Europäischen Volksparteien (EVP), also unter anderem der deutschen CDU/CSU – seit einigen Jahren prägt.
Die Regierung Orbán hat die Sozialhilfen drastisch gekürzt, immer mehr Menschen sind von Grundbedürfnissen wie Bildung und Gesundheit, die Staat und Gesellschaft bereitzustellen haben, ausgeschlossen. Die Politik der Diskriminierung und Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen hat System im Ungarn Orbáns, wo der Großteil unter prekären Bedingungen leben muss und eine kleine Elite rund um den Regierungschef zu beträchtlichem Reichtum gebracht hat. Besonders heftig sind die politischen Debatten gegen Geflüchtete und ethnische Minderheiten, wie Sinti und Roma oder Juden, die einer regelrechten Hetzjagd terroristischen Ausmaßes ausgesetzt sind. Da die Friedensnobelpreisträgerin EU Orbáns faschistoider Politik nichts entgegensetzen will, bedarf es einer zivilgesellschaftlichen Aktion, die Interessen derer zu schützen, die im heutigen Ungarn zum Abschuss freigegeben sind. Sie fordern soziale und wirtschaftliche Teilhabe, die Einhaltung grundlegender Menschenrechte, zu denen sich Ungarn als Mitglied der EU verpflichtet hat. Der Kampf gegen die Stigmatisierung und Kriminalisierung führt gelegentlich zum Erfolg, in vielen Fällen verpufft der mutige zivilgesellschaftliche Widerstand allerdings. Tod durch Krankheit oder Suizid sind Alltag, in einem System, das die Ärmsten der Armen tötet. Die Arte-Dokumentation „Demokratie auf Ungarisch“ macht auf die innenpolitische Situation in Ungarn aufmerksam, einem Land mitten im „zivilisierten“ und wohlhabenden Europa.
Die Dokumentation ist noch bis zum 25. Dezember 2017 über den folgenden Link zu erreichen: https://www.arte.tv/de/videos/069036-000-A/demokratie-auf-ungarisch/