Wie Native Americans und die Linke den Erfolg von Standing Rock weiterführen können

Wenn sich indianische Demonstranten mit dem christlichen weissen Amerika anlegen, sollte eigentlich von vornherein klar sein, wer verliert. Auf John Gasts Gemälde “American Progress” (1872) führt eine junge blonde Frau (in der rechten Hand ein Schulbuch, mit der linken verlegt sie Telegraphenleitungen) Goldsucher, Farmer und Siedler nach Westen, während Ureinwohner und Wildtiere vor ihr fliehen.In der uns vertrauteren Spaghettiwesternversion der selben Geschichte erheben sich die Indianer aus der Wildnis, liefern einen zähen, aber aussichtslosen Kampf, und müssen am Ende dem unvermeidlichen Vordringen der Cowboys weichen.

Im vergangenen Jahr hatte eine Koalition, angeführt von Native Americans, nördlich des Standing Rock Reservats das Kriegsbeil wieder ausgegraben. Diesmal hielt der Gegner in der rechten Hand die Unabhängigkeitserklärung vom ausländischen Öl und verlegte mit der linken die Dakota Acess Pipeline (DAPL). Anstelle von Siedlern und Farmern kamen Kelcy Warren, Milliardär, Raubkapitalist und Vorstandsvorsitzender von Energy Transfer Partners, und der Gouverneur von North Dakota Jack Dalrymple – ein moderner General Custer, der mit militarisierter Polizeigewalt gegen unbewaffnete Demonstranten vorging. Der kalte Winter der Great Plains stand kurz bevor, und Amerika erwartete die unvermeidliche Eskalation. „Wie kann das gut ausgehen?“ titelte die New York Times im November.

Doch dann geschah das scheinbar Unmögliche. Im letzten Moment stimmte das Ingenieurkorps der Armee gegen das Vorhaben, die Pipeline unter dem Missouri River zu verlegen, und verlangte aus Umweltschutzgründen eine alternative Route für das Bauprojekt.

Die Indianer hatten gewonnen

Die andere Seite hatte eine militarisierte Polizei, mit Wasserwerfern, Schockgranaten, Gummigeschossen, Pfefferspray, bewaffneten Geländewagen („Humvees“) und einem mächtigen und undurchsichtigen staatlichen Überwachungsapparat, und doch besiegten sie mit Klugheit und Taktik die Politiker und Ölbarone, die mit grober Hand eine Ölpipeline durch die heiligen Gräber ihrer Vorfahren, durch ihre autonome Kommune und durch ihr Trinkwasser legen wollten.

Tausende unterstützten die Zeltlager und Protestaktionen. Zahllose Andere schickten Spenden und Vorräte, und organisierten die Solidarität mit der Bewegung. 1,4 Millionen gaben Standing Rock als Facebook Standort an. Kriegsveteranen kamen aus dem ganzen Land um die Demonstranten vor der Regierung zu schützen, der sie einst gedient hatten.

Diese spannende und ausserordentlich populäre Protestbewegung gegen den Bau der DAPL und für den Schutz des lebenserhaltenden Wassers erweckte in Amerika und dem Rest der Welt mehr als jemals zuvor ein Interesse für die Rechte der Native Americans.

Doch wäre es ein grosser Fehler, den Erfolg von Standing Rock als nur vorrübergehend anzusehen, oder als einen zufälligen Ausbruch. Schon lange zuvor haben Indianer und ihre indigenen Cousins weltweit für solche Erfolge prozessiert, organisiert und gekämpft.

In dieser Zeit, in der unkontrollierter Klimawandel droht, die Erde zu verbrennen, haben sie gezeigt, dass indigene Rechte und Unabhängigkeit – lange verweigert und ignoriert – eine grundlegende Rolle spielen im Schutz von Wasser und Land: wo das Kapital nur flüchtiges und gewinnorientiertes Interesse zeigen kann, sehen die indigenen Völker die Ruhestätte ihrer Vorfahren, und den Ort, an dem ihre Kinder heranwachsen, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

In Standing Rock haben die ersten Bewohner dieses Landes – die ärmsten, die am stärksten von tödlicher Polizeigewalt bedrohten, die am leichtesten zu übersehenden – einen monumentalen Sieg erkämpft für die Rechte von Ureinwohnern, für den Planeten, und für den Kampf des Gewissens gegen das Kapital. Durch ihre Taten haben sie nicht nur den Mythos von einer überholten Lebensweise widerlegt. Sie haben auch die Zügel des technischen Fortschritts ergriffen, und neue Kampfgebiete eröffnet für die vielen Standing Rocks, die noch vor uns liegen.

Federgeschmückte Verlierer – Ein Trugschluss

Die amerikanische Folklore und die Logik sagen: Indianer können nicht gewinnen. Es überrascht mithin nicht, dass das übliche Kommentariat zu Standing Rock nichts sinnvolles zu schwafeln hatte. Viel beunruhigender wird es, wenn auch Historiker, Sozialwissenschaftler und Politische Theoretiker das Narrativ vom federgeschmückten Verlierer miterzählen. Ein Beispiel: der meistzitierte Text im Bereich Siedlerkolonialismus und indigene Studien, “Settler Colonialism and the Elimination of the Native/Siedlerkolonialismus und die Auslöschung des Indigenen”, ein Essay des radikalen australischen Anthropologen und Genozidforschers Patrick Wolfe von 2006.

In Wolfes geschickter Formulierung, einer Feuerbachthese für indigene Denker und Radikale, ist die Invasion des indigenen Lebensraums eine Struktur, kein Ereignis (a structure not an event). Der Siedlerkolonialismus – wie er in den USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika, Palästina und einigen Inseln im Pazifik praktiziert wurde – setzt Wolfe zufolge die Vernichtung der indigenen Völker und Gesellschaftsstrukturen voraus. In seinen Worten: „Siedlerkolonialismus zerstört und ersetzt“.

Wolfes Theorie des Siedlerkolonialismus steht im Kontext der australischen „History Wars“, einer verbissenen, öffentlichen, karriereentscheidenden Debatte darüber, ob Australiens Umgang mit den Aborigines als Genozid zu bezeichnen ist. Jahrzehntelang haben sich Experten darüber gestritten, wieviele Menschen genau in den Massakern an Orten wie Tasman oder Slaughterhouse Creek getötet wurden. Darüber wird bis heute sehr emotional und kontrovers diskutiert, im Zusammenhang mit Landbesitz, Reparationen, Anerkennung, Masseninhaftierungen, Rassismus und Verträgen.

Wo seine Zeitgenossen diese History Wars/Geschichtskriege mit Dokumenten, Zahlen und Definitionen gewinnen wollten, gab Wolfe der Debatte einen neuen Rahmen: anstelle der Frage, an wechem Punkt Massaker zum Genozid wird, konzentrierte er sich auf die „Logik“ der Vernichtung indigener Völker durch die Jahrhunderte und weltweit. Siedlerkolonialismus ist für ihn ein strukturelles Phänomen, das eine anhaltende und zentrale Rolle spielt in der Entstehung der modernen Welt.

Wolfes Eingriff in die Debatte war brillant. In der Fachwortüberladenen Welt der Postkolonialismusstudien benannte er die Imperien, Staaten und Territorien, in denen indigene Völker bis heute durch Siedlungsprozesse enteignet werden. Seine Theorien fanden weltweit Zustimmung: für viele indigene Aktivisten und Theoretiker – von den USA bis Palästina, von Kanada bis Neuseeland – wurde „Siedlerkolonialismus“ der Hauptzusammenhang, in dem die gegenwärtigen Probleme der „vierten Welt“ zu verstehen waren. Wolfes Theorie hatte jedoch ein grundlegendes Problem: die Realität.

Wenn Siedlergesellschaften wie Australien, Kanada, Neuseeland, und die USA strukturell auf die Beseitigung des Indigenen angewiesen sind, wie erklären sich dann das Fortbestehen, der Widerstand, das Wiederaufleben eben dieses indigenen Elements? Was ist mit dem weltweit geführten Kampf um Selbstbestimmung, Anerkennung und Landrechte? Ist all dies nur Lippenstift auf dem Schwein des Kolonialismus? Gibt es für die indigenen Völker nur die ewige Nebenrolle, in der jeder erkämpfte Erfog nur eine kleine Ausnahme ist, um die Regel zu bestätigen?

 

Wie erklärt man sich dann Standing Rock?

Wolfes Theorie, so beliebt und erhellend sie auch sein mag, ist auf ihre Weise eine ausgeschmückte Version des unvermeidlichen Sieges der Cowboys über die Indianer – eine Wiederaufnahme viktorianischer Ideologien als kritische Theorie. Die Geschichte des indigenen Widerstands ist vielschichtiger. Der Cowboy ist all das, was der Indianer nicht ist, so heisst es.

Während das stereotype Indianerbild ein tragisches, besiegtes ist, wird der Cowboy als gutaussehend, selbstbewusst und listig dargestellt. Der Indianer zieht sich in die Wildnis zurück, der Cowboy verfogt seine Feinde, um alte Rechnungen zu begleichen. Der Indianer ist bestenfalls ein edler Wilder, schlimmstenfalls ein Schurke; Der Cowboy ist Ikone und Held. Der Indianer ist ein Verlierer, der Cowboy ein Gewinner. Jetzt wurden in Standing Rock generationenalte Mythen und Volksweisheiten widerlegt. Im Guardian bezeichnete Bill McKibben die Standing Rock Bewegung als „Eine Unterbrechung in dieser langen Erzählung, ein neues Kapitel.“

Zu einer Zeit, in der die Linke mit einem globalisierten freien Markt und einer erstarkenden Rechten zu kämpfen hat, ist ein Sieg der indigenen Bewegung ein überraschendes Phänomen, aber auch eine vielversprechende Hoffnung. Es stellt sich die Frage: Wie konnte eine indigene Protestbewegung einen überragenden Erfolg erzielen, während selbst die erfolgreichsten linken Modelle neuerdings vor immer grösseren Problemen stehen? Und was können andere Bewegungen von den Indianern lernen?

Es gab verschiedene Versuche, dies zu beantworten. In The Nation schreibt Audrea Lim, Standing Rock sei der Beweis, das ein Zusammenschluss der Minderheiten gegen Neoliberalismus und weisse Vorherrschaft selbst im Mittleren Westen siegreich sein kann. McKibben and Naomi Klein betonen die Macht der direkten Aktion und loben die Gewaltlosigkeit dieser Massenproteste.

Im New Yorker erklärte die Schriftstellerin Louise Erdrich den Erfolg von Standing Rock damit, dass dort eine Geschichte über Glauben erzählt wurde, spannend auf emotionaler, historischer und ökologischer Ebene. „Jedesmal, wenn die Water Protectors (Wasserschützer) zeigten, wie sie Kraft und Ausdauer aus Gebeten und Zeremonien schöpften, gaben sie dem Rest der Welt eine Anleitung, wie Widerstand aussehen kann,“ so Erdrich.

All diese Analysen sind zutreffend, und doch sind ihre individuellen und kollektiven Erklärungsansätze für das Phänomen Standing Rock nicht genug. Sie übergehen die Journalistenfragen nach dem Wann, Wo, Wie und Wer. Sie erklären nicht, was an dieser Bewegung, an diesem Moment, so besonders war. Vor allem übersehen diese Autoren in ihrem Eifer, diesen unerklärlichen Sieg, diesen scheinbaren Einzelfall zu erklären, den grösseren Zusammenhang.

Die Gobalisation der Konzerne ausmanövern

Seit den 1970er Jahren wurden Gewerkschaften, öffentlicher Besitz, Sozialhilfe und andere grundlegende Elemente sozialer Demokratie vom Konsens des freien Marktes zurückgedrängt. Im selben Zeitraum haben dagegen die Forderungen indigener Völker nach Land, Gerechtigkeit und Unabhängigkeit an Boden gewonnen. Während die Arbeiter die Unterstützung durch die Gewerkschaften immer mehr verloren, gewann die Umweltbewegung ihre eigene „Gewerkschaft“: die Indianerrechtsbewegung. Diese oft übersehenen Errungenschaften sind den indigenen Bewegungen zu verdanken, die Jahrzehnte, vielleicht Jahrhundetelang für die selben Ziele eingetreten sind: Rückgabe von Indianerland, Unabhängigkeit und Menschenrechte.

Als man ihnen im 19. Jahrhundert und davor ihr Land wegnahm, vereinten sich die Ureinwohner und bildeten in Stämmen, zwischen Stämmen, regional und national, Koalitionen und Organisationen. Sie übten Druck auf Staaten und Imperien aus, die auf von ihrem geraubten Land entstanden waren, um ihre Forderungen durchzusetzen. Sie stellten sich gegen feindselige und repressive Regierungen, die ihnen auch noch das verbliebene Land abnehmen und sie in ihre Arbeiterklasse assimilieren wollten. Sie blieben standhaft. Die Häuptlinge der Syilx, Nlaka’pamux, und Secwepemc Nationen schrieben 1910 in einer Petition an den damaligen kanadischen Premierminister:

Solange das, was wir für Gerechtigkeit halten, uns vorenthalten wird, so lange wird Unzufriedenheit und Unruhe unter uns bestehen, und wir werden weiter kämpfen, um unsere Lage zu verbessern. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir und andere indianische Stämme dieses Landes sich vereinigen, und wir bitten um Hilfe von ihnen und ihrer Regierung in diesem Kampf für unsere Rechte.

In Momenten globaler politischer und wirtschaftliche Krisen wie den 1880er, 1930er, 1940er, 1970er Jahren und heute, hat sich staatliche Politik gegenüber indigenen Völkern weltweit oft verändert. Während der 1880er und 1940er Jahre versuchtten die Vereinigten Staaten indigene Gemeinschaften zu assimilieren, mit katastrophalen Folgen.
In den 1880er Jahren hatten Zuteilungs- und Privatisierungspolitik nach dem Dawes-Gesetz von 1887 indigene Gemeinschaften zersplittert und Armut und politische, soziale und kulturelle Erosion gebracht.

In den 1940er Jahren wurde erneut versucht, die Stämme zu beseitigen und zu assimilieren. Kinder wurden aus ihren Familien genommen und in Internaten misshandelt. Arbeiter wurden aus ihrer Heimat in die Armut und Obdachlosigkeit urbaner Ghettos deportiert. Indigene Völker, besonders Frauen, waren Opfer von sexueller Gewalt, Sterilisation und medizinischen Experimenten.

Doch der hartnäckige Traum des indigenen Wiederaufbaus blieb bestehen. Und manchmal brachten selbst Krisen eine marginale Verbesserung: In den 1930er Jahren gewährte Franklin Delano Roosevelts so genannter „Indian New Deal“ den Stämmen größere Kontrolle über ihre Länder und Ressourcen und gab ihnen so ein wenig Souveränität und Selbstbestimmung zurück. In den 1960er und 70er Jahren kam der Aufstieg der Red Power-Bewegung, die es erreichte, dass die US-und kanadischen Staaten ihren Ureinwohnern auf der Basis von Anerkennung – statt Assimilierung – begegneten. Zeitgleich konnten die Maori Aotearoa in Neuseeland und die Aboriginal land rights Bewegung in Australien ähnliches erreichen.  Diese Bewegungen fanden manchmal unerwartete Verbündete in Neokonservativen, Neoliberalen und ihren Vorgängern, welche ab den 70er/80er Jahren die indigene Selbstbestimmung und Autonomie als Chance zur Verringerung der Sozialausgaben und der indigenen Abhängigkeit von der Regierung sahen. Es war Richard Nixon, der die aktuelle Ära der indigenen Selbstbestimmung einweihte. Er skizzierte sein Engagement für diese Politik in einer besonderen Ansprache an den Kongress am 8. Juli 1970:

Dies muss also das Ziel jeder neuen nationalen Politik gegenüber dem indischen Volk sein: die Stärkung des Individualismus des Indianers, ohne sein Gemeinschaftsgefühl zu bedrohen. Wir müssen ihm versichern, dass er die Kontrolle über sein eigenes Leben übernehmen kann, ohne gegen seinen Willen von der Stammesgemeinschaft entfremdet zu werden. Und wir müssen ihm klarmachen, dass er unabhängig von staatlicher Kontrolle sein kann, ohne von staatlicher Fürsorge und Unterstützung abgeschnitten zu sein.

Zuweilen wurde  das revolutionäre Potenzial, das in dem Kampf um Reparationen und Unabhängigkeit inhärent enthalten war, durch die Unterstützung kapitalfreundlicher Politiker gehemmt und entschärft. In einigen Fällen benutzten Kapitalinteressen die Selbstbestimmung als Fassade, um Stämme als Junior Unternehmenspartner in der globalen Wirtschaft neu zu strukturieren, zB beim Bau von Casinos in Reservaten.

Öfter jedoch haben die Indianer konservative Kräfte zur Durchführung der eigenen Agenda eingespannt.  Während weltweit linke und progressive Gruppen stagnieren oder an Boden verlieren, haben die indigenen Völker öffentliche Diskurse und Politik in ihrem Interesse beeinflusst. Selbstbestimmung ist heute der etablierte Rahmen für die indigene Politik in den USA, Kanada, Australien und Aotearoa / Neuseeland. Dies wurde durch die Deklaration der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker unterstützt und gefördert. In Staaten, die auf der Enteignung, Marginalisierung, und versuchten Vernichtung ihrer indigenen Völker errichtet wurden, sind dies bemerkenswerte Errungenschaften.

In Standing Rock und an geplanten Pipeline-Standorten in den Vereinigten Staaten und Kanada, sehen sich die Neoliberalen jetzt mit der Indianerrechtsbewegung konfrontiert, die sie früher in Teilen mitgetragen haben, in frühereh Jahrzehnten hätten sie versucht, diese Gemeinschaften hinwegzupflügen, ohne einen Augenblick zu zögern. Politiker wie Nixon konnten nicht ahnen, dass die Ureinwohner zum Beispiel in der Lage wären, ein kleines Zugeständnis zu mehr Unabhängigkeit im bedeutungslosen Hinterland zu einer umfassenden politischen, ökonomischen und kulturellen Bewegung auszubauen. Indianer, so dachte man, könnten nie gewinnen.

Die Zukunft, die wir jetzt erleben, würde nie stattfinden

Diese herablassenden Annahmen stellten sich als falsch heraus. So wurden die Weichen für einen Sieg der Indianerbewegung gestellt, gerade weil man sie unterschätzt hatte.

Aus der globalen Perspektive, über Jahrzehnte hinweg betrachtet, erscheinen die indigenen Völker as listige, mutige, sogar heroische politische Trickster. Sie haben den Kampf von ihren Ländern und Gewässern in die Gerichtshäuser getragen. Sie haben die Politik durch gleichzeitigen Druck und Verhandlung überlistet: So gewannen sie nach und nach wichtige und dauerhafte Zugeständnisse.

Auf lange Sicht haben diese Zugeständnisse und Beziehungen den indigenen Völkern den Zugang zur Macht ermöglicht und ihnen die politischen, ökonomischen und legalen Mittel gegeben, um vernichtende Schläge auszuführen: gegen die Netzwerke und Infrastrukturen des fossilen Kapitalismus, der die Zukunft der indigenen Kommunen bedroht, ihrer Länder, Gewässer, und auch die Zukunft all derer, die diese mit ihnen teilen. Diese Dynamik offenbarte sich am lebhaftesten während der Amtszeit von Barack Obama, der von vielen Indianern akzeptiert und geschätzt wurde. Obama ist einer der wenigen amtierenden Präsidenten, der ein Reservat besucht hat: Standing Rock, 2014. Im September 2016, während einer Konferenz der Stammesnationen, wurde Obama von Brian Cladoosby, Präsident des National Congress of American Indians, mit einem Lied, einer Decke und einem traditionellen Zedernhut geehrt.

Zur gleichen Zeit formierte sich in Standing Rock bereits eine globale indigen-geführte Koalition, die Obama aufforderte, den Bau der DAPL zu stoppen. Im November sandte Kendrick Eagle, ein junger Bewohner von Standing Rock, einen bewegenden Hilferuf an den Präsidenten. „Helfen sie uns, diese Pipeline zu stoppen. Stehen sie zu ihrem Wort, sie haben gesagt, sie wären auf unserer Seite. Ich habe ihnen geglaubt, und ich glaube immer noch an sie, jetzt, wo sie all dies beenden können. “

Ähnlich verhält es sich in Kanada, wo der Liberale Premier Justin Trudeau den First Nations eine neue Beziehung „von Nation zu Nation“ versprochen hatte, eine Position, die im Widerspruch zu seiner ökonomischen Agenda steht, so dass er angesichts einer geplanten Kinder-Morgan-Pipeline zu seinem Wort stehen muss, wenn er nicht ein Standing Rock des Nordens erleben will.

Doch die indigene Bewegung hat mehr zu bieten als List und moralische Apelle. Sie haben auch Schwachstellen erkannt und ausgenutzt.

Die Dakota Access Pipeline war von Natur aus ein anfälliges Ziel. Gräben können nicht gegraben werden, wo Menschen stehen. Eine Pipeline kann nicht neu verlegt werden ohne enorme Kosten. Durch Fracking gewonnenes Öl aus der Bakken-Region kostet in Raffinerie und Transport mehr als andere Formen von Rohöl. Investoren, Banker und Geschäftspartner fürchten das Risiko. Sie mögen keine Verzögerungen, und auch keine schlechte Presse. OPEC, und nicht amerikanische oder kanadische Öl-Barone und Politiker, kontrolliert den größten Teil des globalen Ölmarktes.

Kurz, wenn es darum geht, das Bakken-Öl als nationale Alternative zu OPEC zu etablieren, ist die DAPL inzwischen viel zu riskant geworden. Indigene Aktivisten und ihre Unterstützer setzen Investoren unter Druck. In den letzten Wochen haben sie eine auffällige Plakatwand am Times Square aufgestellt und bei einem Footballspiel der NFL ein riesiges Banner entrollt, während sie weiter auf massive Präsenz in Dakota setzen. Bald-Präsident Trump hat schon angedroht, die DAPL zu genehmigen. Blockaden, Druck von Investoren, Umweltfragen und die Vorgeschlagene Umleitung könnten in den kommenden Monaten für weitere Etappensiege sorgen.

Ein Wahlsieg der Demokraten im November hätte das Aus für Dakota Access bedeutet, wie zuvor bei Keystone XL, einem Ähnlichen Projekt, und so den Ölbaronen von Bakken einen schweren Schlag versetzt. Doch wer annimmt, Trumps Wahlsieg sei bereits die Garantie für den Bau von DAPL, unterschätzt die Indianerbewegung ein weiteres mal.

Am Standing Rock konten die Indianer alte Rechnungen begleichen. Sie tanzten innerhalb und ausserhalb der Grenzen, als Anwälte und Outlaws. Sie ritten gegen Pipelines und Bulldozer, wo immer die Werkzeuge und Verstrickungen der Ölindustrie am verwundbarsten waren. Als Kapital und Konzernglobalismus Fortschritt und Gewissen zu ersticken drohten, ritten die Indianer zum Sieg. Die Wächter des Wassers tauchten als Helden wieder auf. Ihre Gegner wurden zu Schurken.

Für heute ist es ein Sieg. Spätere Generationen werden sich erinnern und uns ehren. Für die Bewegungen der Linken ist es eine Lektion.

Jenseits der üblichen Erkentnisse über den Wert von Aktion, Solidarität und Narrativ lehrt uns Standing Rock, zu handeln, wenn und wo die Netzwerke und Infrastrukturen des Kapitals am verwundbarsten sind, sowohl auf der Ebene individueller Projekte als auch im Kontext ganzer Industriezweige und globaler Systeme. Es lehrt uns, dass eine Bewegung entschlossen auf ihre Ziele hinarbeiten muss – auch wenn es Jahrzehnte dauern sollte. Politik ist ein langes Spiel.

Indianer sind die besseren Cowboys

Standing Rock erinnert uns auch, das Widerstand der Schlüssel zu allem ist, effektiver Widerstand aber eine Strategie benötigt. Und strategischer Widerstand noch wirksamer wird, wenn ihm subtile und listige Formen der Überredung zur Seite stehen. Dies ist im Fall der Indianer besonders von Bedeutung, da diese weniger als 2 Prozent der Bevölkerung ausmachen und somit auf Strategie und List angewiesen sind, um die Mächte, die sich gegen sie verbündet haben, zu besiegen.

Zuletzt lehrt Standing Rock, dass die Rechte indigener Völker revolutionäres Potential in sich tragen, und dass indigene Autonomie ein immer wirksameres Instrument gegen die Mächte des Kapitals darstellt. Als das Department Of Justice im Oktober den Bau der DAPL anhielt, wurde versprochen, dass man sich mit FPIC auseinandersetzen würde. (FPIC- Free Prior Informed Consent ist ein Modell, das indigenen Völkern mehr Mitspracherecht im Fall wirtschaftlicher Nutzung ihres Lebensraums ermöglichen soll) Dies würde für die Rechte und den politischen Einfluss der indigenen Völker viel bedeuten.

Die Linke sollte diesen und andere indigene Kämpfe als ihre eigenen ansehen, eine indigene Platform in die nächste Generation radikaler Koalitionen miteinbeziehen, und neben anderen Formen der Unterdrückung auch über indigene Angelegenheiten schreiben und nachdenken.

Dunkle Zeiten brechen an für die ersten Bewohner dieses Landes und alle, die es mit uns teilen. Präsident Trump, ein ehemaliger Investor bei Dakota Access, hat angekündigt, diese und andere Pipelines zu genehmigen. Er bereitet jetzt schon eine verstärkte Ausbeutung von Energiereserven vor, dies wird die Natur weiter zerstören und das globale Thermometer höher und höher treiben. Seine Berater fordern die Privatisierung von Indianerreservaten mit Öl, Gas und Kohlevorkommen, was an den Dawes Act von 1887 und die “Termination” Gesetze der 1940er and 50er erinnert, die die Zerstörung der Stammesgemeinschaften zum Ziel hatten.

Doch das Blatt hat sich gewendet. In einer überraschenden und bislang undenkbaren Wendung sind es nun die Indianer, die den Fortschritt anführen. In der rechten Hand halten sie die lange Erzählung ihres einsamen Kampfes: unter den zahllosen Kapiteln ist auch die Geschichte von Standing Rock und dem Kriegsruf, der in der ganzen Welt gehört wurde: „Wasser ist Leben!“ Mit der linken Hand sähen sie die Saat und weisen den Weg für alle, die das Gewissen über das Kapital stellen.

In der Politik, so scheint es, sind Indianer die besseren Cowboys..

Der Artikel von Julian Brave NoiseCat erschien zunächst in englisch auf Jacobinmag.com. Autoreninfo: Julian Brave NoiseCat ist Stammesmitglied der Canim Lake Band Tsq’escen in British Columbia und Absolvent der  Columbia University und der Oxford University. Übersetzt von Hannes Busch.

Photo by unitedchurchofchrist

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