Title image by U.S. Air Force, published under public domain.

Syrien und der verzweifelte Versuch des Westens, den Aufstieg Chinas aufzuhalten

Der Westen hat sein beispielloses Waffenarsenal nur aus einem einzigen Grund aufgebaut – zur Sicherung seiner Vorherrschaft in der Welt. In Syrien wird es wahrscheinlich zum Einsatz kommen. Doch dieses Mal wird es gegen einen Gegner sein, der sich tatsächlich zu wehren weiß.

Der koloniale, imperialistische Geist des Nachkriegskapitalismus wurde zum Teil verschleiert durch die formale politische Unabhängigkeit der fast gesamten ehemals kolonisierten Welt. Mit ihrem eindeutigen Vorsprung in technologischen Fähigkeiten benötigten die Nationen des kapitalistischen Westens keine direkte Beherrschung mehr, um von ihnen dominierte Märkte für ihre Waren und ihr Kapital zu garantieren.

Ohne die Notwendigkeit direkter politischer Kontrolle waren die ehemaligen Kolonien im höchsten Maße abhängig von den Produkten, Finanzen und Technologien der imperialistischen Welt – diese Abhängigkeit wurde gestärkt durch ökonomische Erpressung vermittels internationaler Finanzinstitutionen wie dem IWF und der Weltbank, wo möglich, und durch militärische Gewalt gegen widerständige Nationen, wo nötig.

By The U.S. Army, Flickr, licensed under CC BY 2.0.

Mehr militärische Gewalt

Mit Beginn des neuen Jahrtausends ist dieses Abhängigkeitverhältnis jedoch entscheidend erodiert. Insbesondere hat der Aufstieg Chinas das westliche Monopol auf Finanzierung und Marktzugang für den globalen Süden vollständig zerstört: Die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sind nicht länger angewiesen auf den US-Markt für ihre Güter und auf die Weltbank für Kredite zur Entwicklung ihrer Infrastruktur.

China ist jetzt ein alternativer Anbieter für all diese Dinge – und das mit deutlich besseren Konditionen, als sie vom Westen angeboten werden. In Zeiten der andauernden wirtschaftlichen Stagnation ist dieser Verlust ihrer (Neo-)Kolonien für die kapitalistischen Nationen im Westen jedoch vollkommen inakzeptabel und bedroht das gesamte mit Bedacht geschaffene System globaler Erpressung, auf welches sich ihr eigener Wohlstand gründet.

Da der Westen zunehmend nicht mehr in der Lage ist, sich alleine auf ökonomischen Zwang zu verlassen, um die Länder in seinem Einflussbereich zu halten, setzt er daher mehr und mehr auf militärische Gewalt.

Die USA, Großbritannien und Frankreich waren tatsächlich seit dem Vorabend des neuen Jahrtausends permanent im Krieg: Es begann mit Jugoslawien, und ging weiter nach Afghanistan, Irak, Libyen, Mali, Syrien und Jemen (ganz zu schweigen von Stellvertreterkriegen wie im Kongo oder dem Drohnenkrieg, der in Pakistan, Somalia und anderswo wütet).

In jedem dieser Fälle war das Ziel dasselbe: die Möglichkeit eigenständiger Entwicklung zu vereiteln. Es ist bezeichnend für diese neue Epoche schwindender ökonomischer Macht, dass einige der Kriege gegen Staaten geführt wurden, deren Anführer die USA einst in der Tasche hatten (Irak und Afghanistan) oder von denen sie hofften, sie kaufen zu können (Syrien und Libyen).

War die weltweite Vorherrschaft des Westens einmal – zumindest in Teilen – Ergebnis der ökonomischen Überlegenheit, so verlässt sich der Westen heute zunehmend vor allem auf seine militärische Macht. Und selbst diese militärische Überlegenheit schwindet jeden Tag.

Die bröckelnde Macht des US Empire

Die Vorhersagen über die Zeitspanne, bis die chinesische Wirtschaft die der USA überholt, verkürzen sich immer weiter. Im Jahr 2016 wuchs der Anteil Chinas an der Weltwirtschaft auf 15 Prozent, während der Anteil der USA 25 Prozent betrug. Mit einer mehr als dreimal so großen Wachstumsrate wie die der USA wird dieser Abstand jedoch schnell schwinden. Mit der jetzigen Wachstumsrate wird China die USA 2026 überholen.

Einige Gelehrte argumentieren sogar, dass die chinesische Wirtschaft nach Anpassungen bezüglich Kaufkraftparität und Preisunterschieden bereits heute größer ist als die der USA. Des Weiteren ist das Produktionsvolumen Chinas bereits seit einer Dekade größer als das der USA, die Exporte sind um ein Drittel größer und die Zahl der jährlichen Hochschulabsolventen ist doppelt so groß wie die der USA.

Solche Entwicklungen sind jedoch nicht nur ökonomisch bedeutsam: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die ökonomische Überlegenheit auch in militärische Überlegenheit übersetzt. Dies gibt den USA und ihren Mitläufern ein ständig schrumpfendes Zeitfenster, in dem sie ihre militärische Überlegenheit tatsächlich nutzen können, um ihre bröckelnde globale Macht zu bewahren.

Regime-Change-Spielverderber

Die USA sind mit 2.000-3.000 Special Forces bereits in Syrien vor Ort. By The U.S. Army, Flickr, licensed under CC BY 2.0.

Verständlicherweise besteht die Strategie darin, einen direkten Krieg mit China und seinem wichtigsten Verbündeten, Russland, zu vermeiden und stattdessen deren tatsächliche oder vermeintliche Verbündete unter jenen Staaten auszuschalten, die sich selbst kaum verteidigen können. Doch Russlands Rolle als Spielverderber in der Regime-Change-Operation in Syrien hat den USA gezeigt, dass dies möglicherweise nicht länger möglich ist.

Die Frage, wie mit Russland umzugehen sei, führte zu einem Riss in der herrschenden Klasse der USA: Während die eine Fraktion – die Trump-Fraktion – Russlands Zustimmung zu Kriegen gegen Iran und China erkaufen möchte, möchte die andere Fraktion – die Clinton-Fraktion – einfach in Russland selbst einen Regime Change durchsetzen.

Im Mittelpunkt beider Strategien steht der Versuch, die Allianz zwischen Russland und China zu brechen. Im Falle von Clinton, indem China von Russland weggezogen wird, und im Falle von Trump, indem Russland von China weggezogen wird.

Der Punkt an der Sache ist jedoch, dass keine der beiden Strategien funktionieren wird – aus dem einfachen Grund, dass ein Brechen der China-Russland-Achse darauf abzielt, beide Länder zu schwächen. Selbst wenn Putin für den richtigen Preis – etwa die Aufhebung der Sanktionen oder die Anerkennung der russischen Souveränität über die Krim – bereit wäre, den Iran oder China zu opfern, ist es ausgeschlossen, dass der US-Kongress es Trump erlaubt, diesen Preis zu zahlen.

Trump würde liebend gerne anbieten, die Sanktionen aufzuheben – doch dies liegt nun einmal nicht in seiner Macht. Er kann maximal Beschwichtigungspillen anbieten, wie den Abzug aus Syrien, oder Vorwarnungen bei Luftangriffen auf Verbündete Russlands – also kaum genug, um Russland hin zum selbstmörderischen Bruch seiner Allianzen mit seinen wichtigsten Verbündeten zu locken.

Der undenkbare Krieg

Dieses Rätsel setzt das Undenkbare offen auf die Agenda: ein direkter Krieg mit Russland. Der letzte Monat hat eindeutig gezeigt, wie schnell sich die Lage dorthin entwickeln kann. Der von den Briten sorgsam dosierte Versuch, einen weltweiten diplomatischen Bruch mit Russland herbeizuführen, kann jetzt klar als Vorspiel des geplanten – und möglicherweise noch kommenden – Krieges mit Russland auf den Schlachtfeldern Syriens verstanden werden.

Dieses Szenario scheint vorerst abgewendet – durch Russlands Weigerung, sich darauf einzulassen, sowie der Angst des Westens, eine solche Operation angesichts der direkten Drohungen Russlands durchzuführen. Doch solche Zwischenfälle werden wahrscheinlich zunehmen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Russland auf die Probe gestellt wird.

Es braucht keine große Fantasie, um zu erkennen, wie der Syrienkrieg zur großen Eskalation führen könnte: Eigentlich ist es sogar schwerer sich vorzustellen, wie es nicht dazu kommen sollte.

In Washington wird viel darüber geredet, den Iran in Syrien „zu konfrontieren“ – und die jüngsten Angriffe Israels auf iranische Stellungen in Syrien zeigen, dass die israelische Regierung alles daransetzt, diese Konfrontation in Gang zu bringen, mit oder ohne amerikanische Zustimmung.

Einmal ins Rollen gebracht, kann ein iranisch-israelischer Konflikt sehr schnell auch Russland und die USA mit hineinziehen. Es kann wohl kaum erwartet werden, dass Russland mit ansieht, wie Israel die russischen Erfolge der letzten zweieinhalb Jahre zerstört und gleichzeitig die Schwäche des russischen Schutzes vorführt. Russland würde vermutlich Gegenschläge gegen Israel durchführen oder zumindest – was wahrscheinlicher ist – die russischen Verbündeten mit den Mitteln ausstatten, dies zu tun.

Putin hat Netanjahu letzte Woche gewarnt, er könne nicht länger erwarten, ungestraft Syrien anzugreifen. Und wenn dann erst einmal israelische Soldaten durch russische Waffen sterben, ist es nur schwer vorstellbar, dass sich die USA nicht einmischen würden.

Dies ist nur eines der möglichen Szenarien für eine Eskalation, die zu einem Krieg mit Russland führen. Der Wirtschaftskrieg gegen China läuft bereits und amerikanische Kriegsschiffe bereiten sich darauf vor, Chinas Nachschublinien im Südchinesischen Meer zu durchbrechen.

Jede einzelne Provokation könnte – oder könnte nicht – zu einem direkten Showdown mit einer oder beiden Großmächten führen. Es ist hingegen völlig klar, dass dies die Richtung ist, in die sich der westliche Imperialismus bewegt.

Der Westen hat sein beispielloses Waffenarsenal nur aus einem einzigen Grund aufgebaut – zur Sicherung seiner Vorherrschaft in der Welt.  Und die Zeit, in der er es einsetzen muss, wenn er denn noch die Chance auf einen Sieg haben will, ist bald gekommen – doch dieses Mal wird es gegen einen Gegner sein, der sich tatsächlich zu wehren weiß.


Dieser Artikel von Dan Glazebrook erschien zuerst auf Middle East Eye und wurde von Teja Türmer übersetzt und von Jakob Reimann für Die Freiheitsliebe editiert.

Dan Glazebrook ist ein politischer Autor und Editor der Website stopstarvingyemen.org. Dan ist Autor des Buches Divide and Ruin: The West’s Imperial Strategy in an Age of Crisis, er bloggt auf danglazebrook.com.

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