Nun kommt es doch zur Premiere: Nach der kürzesten Legislaturperiode in der Geschichte von nur 120 Tagen sind die Spanier*Innen am 26. Juni erneut zum Urnengang aufgerufen. Aus den Parlamentswahlen vom Dezember 2015 konnten die Parteien kein Regierungsbündnis schmieden, weder PP, noch PSOE, noch die beiden neuen Parteien Podemos und Ciudadanos (C’s) waren im Stande die jeweils anderen von einer Koalition zu überzeugen. Spaniens Parteiensystem scheint zerworfen, die Situation wird vermutlich auch nach „26-J“ kaum Klarheit bringen. Zum Zünglein an der Waage könnte ein neues Linksbündnis aus Podemos und Vereinter Linke werden.
Wenn König Felipe VI. einen Terminkalender besitzt, wird er den 2. Mai rot markiert haben, denn an diesem Tag war die Frist abgelaufen, die den Parteien zu einer Regierungsbildung gegeben wird. Bekanntlich wurde das nicht erreicht, trotz des Zutuns vieler verschiedener Kräfte innerhalb des ganzen politischen Spektrums. Da blieb dem Monarch nichts anderes übrig als das Parlament aufzulösen und Neuwahlen einzuberufen.
Angesichts der fast hoffnungslos verfahrenen Situation im neuen spanischen Pluralismus und der wenig optimistischen Umfragen im Vorfeld lösen die anstehenden Neuwahlen bei den Bürger*Innen keine Begeisterungsstürme aus. Interessant wird der Wahlkampf und die Wahl an sich dennoch, denn im Augenblick scheint sich etwas zu formieren, das sich in den letzten Monaten dezent angekündigt hat. Podemos mit seinem populären Vorsitzenden Pablo Iglesias ist zu seinem Bedauern wohl nicht entgangen, dass viele Menschen gerade seiner Partei eine Mitschuld am Scheitern für ein Bündnis zwischen PSOE, C’s und seiner eigenen Partei geben.
„cambio“ und sonst nichts
Zu stur, zu selbstbewusst seien Iglesias und Co in den Sondierungsgesprächen vorgegangen. Vor allem Pedro Sánchez, Parteichef und Verhandlungsführer der PSOE, hat die Hartnäckigkeit und Konsequenz, mit denen Podemos seine Mitstreiter konfrontiert hat, verärgert. Richtig ist, dass Iglesias deutlich machte, dass seine Partei einen vollständigen Wandel herbeiführen möchte, also eine Abkehr vom Spardiktat, die Wiederherstellung von diversen Bürgerrechten, das konsequente Verfolgen von Korruption in Politikerkreisen, und ein Referendum zur katalanischen Frage durchzusetzen versuchen. In einigen Kernpunkten hatte sich Podemos kaum bewegt, das wurde ihnen von politischen Gegnern, auch aus den Medien, vorgeworfen. Für viele andere zeugte es von Gradlinigkeit, Steigbügelhalter einer rot-orangenen Koalition aus PSOE und C’s wäre für die institutionalisierte Nachfolgeorganisation der Straßenbewegung „Indignados“ und der „15M“ politischem Selbstmord gleichgekommen.
Da die politische Stimmung der im Dezember sehr ähnlich ist, und dies auch für die Linke in Spanien nicht viele Möglichkeiten eröffnet, sind Ideen gefordert. Laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage erhielten die „Establishment-Parteien“ aus PP und PSOE 29%, bzw. 21% der Wählerstimmen, C’s (ca.17%) und Podemos (ca. 18%) würden leichte Einbußen zu verzeichnen haben. Und genau hier steckt man im Dilemma: PP und C’s könnten inhaltlich miteinander, kommen aber aufgrund der Person Mariano Rajoy (derzeitiger Ministerpräsident) nicht zusammen. PSOE, C’s und Podemos konnten sich ebenso wenig einigen, zu unterschiedlich die Positionen zwischen den dreien bezüglich der Zukunft Spaniens. Besonders bemerkenswert ist, was auf der linken Achse des politischen Spaniens gerade passiert, denn hier konkurrieren zwei fast gleichstarke Parteien um die linke Wählergunst.
Podemos strebt nichts geringeres als die Führungsposition im linken Spektrum an, dem muss sich der alte PSOE entgegenstellen, auch wenn er kaum glaubhaft für linke Politik einstehen kann, zu neoliberal, zu mittig, zu willfährig sind Spaniens Sozialisten den Weg der anderen in Europa (Labour, SPD, PS, oder PASOK) gefolgt, und wurden vor allem deshalb wiederholt bestraft. Nicht nur altgediente Ikonen des PSOE wie Ex-Ministerpräsident Felipe González, sondern auch Finanz- und Wirtschaftskreise drängen Sánchez‘ Partei in die elektorale Mitte, und der scheint damit in der nächsten existenziellen Krise der Partei zu stecken. Für Sánchez wird der 26-J zum Schicksalstag und seine Partei wird sich alsbald entscheiden müssen, ob sie sich in eine Große Koalition begibt, oder doch ein fragmentiertes Linksbündnis annimmt, und dabei den Mut aufbringt, den die portugiesischen Sozialisten in einer Staatskrise gezeigt haben.
Wo liegt die Chance der Linken?
Auch dank des ungerechten Wahlsystems in Spanien, das kleinere Parteien in der Endumrechnung von Stimmen in Sitze klar benachteiligt, ist die Linke gefordert und dort bahnt sich ein Wahlbündnis an, das zumindest für den PSOE zur echten Gefahr werden konnte. Derzeit wird in den spanischen Medien viel von „sorpasso“ gesprochen, dem italienischen Wort für „Überholen“, und das ist das Ziel von Podemos-Chef Iglesias und seinem möglichen Partner aus der Vereinten Linken (Izquierda Únida, IU), Alberto Garzón. Wäre jetzt Wahltag, hätten Podemos und IU mehr als 22% Unterstützung, etwa zwei Prozent mehr als die Sozialisten.
Viele Beobachter gehen nicht davon aus, dass das linke Zweckbündnis in einer Regierung münden wird, trotzdem kann es entscheidenden Einfluss nehmen. Es macht rein rechnerisch eine Koalition aus PP und C’s nur schwer möglich, also bliebe nichts anderes übrig, als eine Große Koalition einzugehen. Davor fürchtet sich der PSOE, das könnte enttäuschte Linkswähler weiterhin in Richtung Podemos (oder IU) führen. Der Zusammenschluss zwischen Podemos und IU wäre also in erster Linie strategisch, um Sánchez erneut unter Druck zu setzen. Trotz dieses Kampfes um die Wählerschaft links der Mitte betonte Iglesias auch zuletzt, in Sánchez keinen Gegner, sondern einen „Verbündeten“ zu haben, da der Rivale Mariano Rajoy heißt. Das wird Pedro Sánchez kaum schmeicheln, weiß er doch, dass ein Bündnis aus Podemos und IU seinen PSOE (erstmalig) zu einem Juniorpartner anderer linker Kräfte machen könnte.
Einige Achtungserfolge hatte Podemos bereits erreicht, so stammen die Bürgermeisterinnen unter anderem aus Madrid und Barcelona aus der Partei. In vielen Kommunen und Regionen stellen linke Kandidat*Innen echte Machtoptionen dar, sie sind also aus dem normativen, ideellen Schatten der Linken getreten und in der Realpolitik mit Verantwortung angekommen. Und gebraucht werden sie im Spanien des Jahres 2016 allemal. Noch immer beträgt die Arbeitslosenquote 21%, bei Jugendlichen verheerende 50% minimum. Durch die Austeritätspolitik der Regierung Rajoy wurden staatliche Verantwortlichkeiten wie Sozial-, Gesundheits-, und Bildungspolitik schlichtweg ausgesetzt, alles um den schwerst angeschlagenen nationalen Banken wie der „Bankia“, oder auch großen französischen und deutschen Bankhäusern ihre Kapitalverluste zu ersetzen.
Junge, gut ausgebildete Spanier*Innen müssen sich mit unbezahlten Praktika über Wasser halten, Neuanstellungen – mit gelockerten Kündigungsschutz und weiteren Einbußen bei Arbeitsrechten wie es deutsche Arbeitnehmer auch kennen seit der Agenda 2010 – versprechen oft nur Bruttogehälter von unter 1000€. Genau hier sind Spaniens Linksparteien gefordert, die nationalen wie die regionalen, um den Kampf gegen Sparpolitik anzugehen, den Staatsabbau zu stoppen, einen Kompromiss zwischen staatlichen territorialen Integrität und katalanischem Recht auf Selbstbestimmtheit zu finden, die Bürgerrechte wieder herstellen, illegale Parteienfinanzierung, Korruption, und undurchsichtige Finanzverflechtungen bis nach Panama zu bekämpfen.
Was Podemos unterscheidet
Wie jede Partei stand auch Podemos vor der Frage: Behalten wir ur-linke Ideale, sehen uns also als ein normatives Korrektiv, das nur begrenzt in Regierungsverantwortung kommen kann, oder wird ein Perspektivenwechsel vorgenommen, der das alte Paradigma aufzulösen versucht? Eine Figur mit größerer nationaler Ausstrahlkraft hat die Partei mit dem Politikprofessor Pablo Iglesias, aber auch der enge Zirkel um Iglesias versteht es bestens in der analogen wie digitalen Welt aufzutreten. Das Programm Podemos unterscheidet sich gerade aufgrund seiner Wurzeln von dem anderer Linksparteien in Europa. Da Podemos tatsächlich aus der Bewegung der „Empörten“ von 2011 hervorging, war sein erster Unterstützerkern nicht ausschließlich aus der linken Wählerspektrum.
Die Forderungen nach Wandel in einem System, das von zwei fest verankerten Altparteien im Wechsel regiert werden, das ein in einer tiefen Krise befindliches Königshaus finanziert, stärker werdende Fliehkräfte vor allem aus Katalonien spürt, und weiter in die absolute Armut rutscht, brachte Menschen verschiedener sozio-ökonomischer Herkunft zusammen. Es handelt sich also um eine Bewegung äußerst heterogener Natur, was Podemos in den Anfängen zur „catch-all-Partei“ machte. So wurde die Konfliktachse eher auf „oben gegen unten“ festgelegt, statt dem eigentlichen „rechts gegen links“.
Auch in den Regionen, die im spanischen Zentralstaat noch immer von großer identitätsstiftenden Bedeutung ist – siehe Katalonien und das Baskenland – fand Podemos durch seine durchaus weitsichtige Haltung der spanischen Plurinationalität viele Verbündete, die sie zu Wahlerfolgen führte. Im Gegensatz zu anderen Parteien versteht sich Podemos zwar als nationale spanische Partei, aber betont auch die nationale Vielfalt des Königreiches, der durch eine reformierte Verfassung Rechnung getragen werden müsse. Im Falle Kataloniens hieße das Volksbefragung der Katal*Innen über eine Verbleib in Spanien. Selbst die Regionalregierung in Barcelona hat jüngst deutlich konzilianter zu verstehen gegeben, dass dieses Thema nicht heute und nicht einseitig zu lösen ist.
Die Liste der Aufgaben, die die spanische Linke abzuarbeiten hätte, ist gewiss lang und wird auch nach dem 26-J nicht wohl nicht einfach abzuarbeiten sein, da die Aussichten auf ein Wahlsieg selbstverständlich gering sind. Doch ein Zusammenschluss der Linken könnte den Druck von links spürbar erhöhen, um den Diskurs aufrechtzuerhalten und im Machtpoker zumindest ein bisschen mitzumischen, da allein das auf die enormen sozialen Umwälzungen aufmerksam macht, und so manche*n Politiker*In in Madrid, Brüssel, und Berlin beunruhigen könnte.
4 Antworten
Danke für den objektiven und nicht ideologisch beeinflussten Artikel
Absolut differenzierter, informierender Artikel auf hohem journalistischem Niveau!
Man kann nur hoffen, dass die spanischen Bürger erkennen, wer das Land in diese Situation gebracht hat und wer als einzige Partei/Bewegung nach einer anderen, vor allem sozialen und nicht dem Kapital dienenden Politik strebt!
Mit Abstand der beste deutschsprachige Bericht, und auch einer der besten Artikel, im Vergleich zu den spanischen Berichten zur Situation in Spanien! Danke!
ABER: Leider fehlt auch hier, der klare Hinweis, dass die PSOE („span.-sozialistische-ARBEITER-Partei“) lieber ein (mathematisch chancenloses! nur 130 Sitze) Bündnis mit den rechts(!)-liberalen Ciudadanos gesucht und eingegangen ist, als eine inhaltlich und mathematisch naheliegende Koalition der linken Parteien (PSOE, Podemos, Compromis, IU und PNV = 167!!! Sitze gegen die 163 von PP und Ciudadanos, mit der wahrscheinlichen Enthaltung von ERC und DiL) zu prüfen, geschweige den anzustreben!!!
Stattdessen liegt der Fokus der „Berichterstattung“ auf der (berechtigten!) „Sturheit“ von Podemos.
Auch im Spanischen konnte ich nur einen Bericht finden (http://blogs.publico.es/eltableroglobal/por-que-el-verdadero-poder-tiene-panico-a-que-podemos-entre-en-el-gobierno/1408) der diese fragwürdige Strategie von PSOE deutlich darstellt, obwohl sie, nicht nur inhaltlich, sondern selbst mathematisch, offensichtlich ist!
Diesen Fokus, der das Offensichtliche ausblendet um eine junge Partei als unreif und stur darzustellen, um sie auf ihren Protest-Charakter zu reduzieren, finde ich skandalös!
…gerade wenn man in den zahlreichen Debatten beobachten kann, dass gerade sie es sind, die weitestgehend um eine sachlich-inhaltliche Diskussion bemüht sind und damit aus den üblichen polemischen Umgangsformen in der spanischen Politik- und Medienlandschaft herausragen! Das gerade ihnen diese unseriöse Rolle so unverschämt zugeschrieben wird, ist, wie gesagt, skandalös…!
Dazu wird das Bündnis von PSOE mit den rechts-liberalen Ciudadanos (deren neo-liberale Wirtschaftspolitik das Gegenteil sozialistischer Ansätze darstellt!!!) ohne jeden Hinweis auf die entgegensetzten Wahlprogramme, als das selbstverständlichste der Welt dargestellt und fälschlicherweise oft als „mitte-links“-Bündnis betitelt. Skandalös verzerrte Darstellung der Sitution!!!
MfG
GG
…was würden Sie davon halten, wenn in Deutschland die SPD lieber ein Bündnis mit der AfD, statt mit den Linken eingehen würde (, obwohl dieses mathematisch auch noch schlechter dastehen würde!)?
Lächerlich, oder!?