Zahlreiche Akademikerinnen und Akademiker haben sich zusammengetan, einen Appell für den Frieden zu unterstützen und ihre Solidarität mit den Opfern von Erdogans Angriffen auf Freiheit und Grundrechte zu bekunden. Noam Chomsky erklärt, warum er die Erklärung unterzeichnet hat.
Zur Unterstützung von Academics for Peace haben sich mehr als einhundert Akademikerinnen und Akademiker bei der Staatsanwaltschaft in Ankara selbst angezeigt. Unter ihnen sind etwa Seyla Benhabib, Noam Chomsky, Nancy Fraser, Fredric Jameson, Steven Pinker, Michael Löwy, Wendy Brown, Bertell Ollmann, Warren Montag und Saskia Sassen.
Die Aktion begann mit der Entscheidung des Gerichts, Noemi-Levy Aksu zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten zu verurteilen, sowie mit dem Beginn des Prozesses gegen mehrere namhafte Künstlerinnen, Künstler, Journalisten und Journalistinnen, darunter Hrant Dink’s Sohn Arat Dink. Sie erfahren aufgrund des gleichen „Vergehens“, ihre Unterstützung für Academics for Peace ausgesprochen zu haben, Repression. Darüber hinaus wurden zwei weitere Professorinnen für ihre Unterstützung verurteilt: Füsun Üstel, zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, und Tuna Altınel, der wegen seiner Teilnahme an einer im Ausland stattfindenden Konferenz zur Zielscheibe wurde. Viele Akademikerinnen und Akademiker aus der ganzen Welt haben sich aus diesem Grund dazu entschieden, sich selbst bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen, um ihre Unterstützung für alle verurteilten Akademikerinnen und Akademiker zu zeigen, die sich derzeit bereits im Gefängnis befinden oder demnächst eine Gefängnisstrafe antreten müssen.
In ihrer Stellungnahme heißt es: „In Solidarität mit den mehr als tausend türkischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, die die „Academics for Peace“-Erklärung unterstützt haben, haben wir beschlossen, sie ebenfalls zu unterzeichnen. In Solidarität mit Noemi Levy-Aksu bitten wir darum, als Mitunterzeichnenden dieses Dokuments betrachtet zu werden.“
Noam Chomsky, der von Beginn an Unterstützer der Akademiker*innen für den Frieden war, erklärt seine Beweggründe:
Halis Yildirim: Noam Chomsky, warum haben Sie Erdogans Einladung abgelehnt, im Jahr 2016 die Türkei zu besuchen und warum haben Sie sich bei der türkischen Staatsanwaltschaft selbst angezeigt, um diese Akademikerinnen und Akademiker zu unterstützen?
Noam Chomsky: Ich lehnte seine Einladung ab, da ich keinen Grund sah seiner Anfrage nachzukommen. Es hatte nichts mit der Selbstanzeige bei der Staatsanwaltschaft zu tun. Ich habe gerne viele andere Einladungen in die Türkei angenommen, darunter eine zur Teilnahme am Prozess gegen Fatih Tas, den Übersetzer eines meiner Bücher, das Material über die schrecklichen Verbrechen gegen Kurdinnen und Kurden in den 1990er Jahren enthielt. Auf Anraten seines Anwalts, Osman Baydemir, bestand ich darauf, Mitangeklagter zu sein.
Halis Yildirim: Fatih Tas, der wegen der Übersetzung Ihres Buches in der Türkei des Separatismus beschuldigt worden war, wurde von der Anklage freigesprochen. Dann haben Sie sich selbst bei den türkischen Gerichten angezeigt und wurden „schuldig“, in Solidarität mit den Akademikerinnen und Akademikern. Wie kamen Sie zu der Entscheidung, mit ihnen solidarisch zu sein?
Noam Chomsky: Es ist eine Geste, die Solidarität mit den Opfern von Erdogans Angriffen auf Freiheit und Grundrechte ausdrückt; die die völlige Absurdität verurteilt, aufgrund eines Appell für den Frieden dafür beschuldigt zu werden „den Terrorismus zu unterstützen“; und die ganz allgemein die rigorose und repressive Politik des Erdogan-Regimes ablehnt.
Halis Yildirim: Gleichzeitig ist die Türkei an verschiedenen Provokationen im und um das Land beteiligt. Die Türkei unterstützt beispielsweise weiterhin reaktionäre Kräfte in Syrien, um ihre Besatzung von Afrin aufrechtzuerhalten, und Nordzypern steht noch immer unter türkischer Kontrolle. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dieser „aggressiven Außenpolitik“ und den Beschränkungen der akademischen Freiheit sowie der Meinungsfreiheit innerhalb der Türkei?
Noam Chomsky: Logischerweise unterscheiden sich die nationale und internationale Politik, jedoch ergeben sich beide aus den autoritären und reaktionären Prinzipien, die sich im Erdogan-Regime offenbaren, welches die sehr realen und bewundernswerten Fortschritte, die in der Türkei in den ersten Jahren dieses Jahrtausends erzielt wurden, umkehrt.
Halis Yildirim: Danke für das Gespräch.
Ein Artikel von Halis Yildirim.