In den vergangenen Monaten gab es in der Schweiz große Proteste gegen die Zerstörung des Klimas und einen Frauen*streik an dem Hundertausende teilnahmen. Wir haben mit Marco vom Parteisekretariat der Alternativen Liste Zürich über die Frage gesprochen, wie sich diese Proteste auf die politische Landschaft der Schweiz auswirken könnten.
Die Freiheitsliebe: Vor wenigen Monaten nahmen fast 500.000 Menschen in der Schweiz am Frauenstreik teil, vor wenigen Wochen zehntausende am Klimastreik. Wie konnten soviele Menschen mobilisiert werden?
Marco: Die Gleichstellung von Mann und Frau ist nach wie vor nicht gegeben. Dennoch sind in allen gesellschaftlichen Bereichen Frauen und Männer präsent, welche sich in den Fragen von beruflicher Gleichstellung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und gegen sexuelle Ausbeutung und Gewalt engagieren.
Die Klimabewegung ist ja keine rein schweizerische Angelegenheit.
Die Freiheitsliebe: Die Schweiz gilt nicht unbedingt als Hort radikaler und linker Bewegungen ändert sich dies mit dem Protesten oder waren diese Ausnahmeerscheinungen?
Marco: Die Frauenbewegung ist in der Schweiz nicht neu. Der Frauen*streik vom Juni dieses Jahres war beispielsweise eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Frauenstreik vom 14. Juni 1991. Dass die feministische Bewegung in der Schweiz einen stärkeren, jüngeren und bewegteren Eindruck macht, ist wohl sowohl der internen Aufbau- und Mobilisierungsarbeit in der Linken und der Frauen*bewegung zu verdanken wie auch Tendenzen im europäischen und globalen Massstab. Frauen*demos und -mobilisierungen gehören zum Beispiel in Zürich genauso zum politischen Alltag wie etwa der 1. Mai.
Die Klimabewegung ist demgegenüber wie gesagt eher Ausdruck einer globalen medialen Tendenz und Mobilisierung.
Die Freiheitsliebe: Infolge der Bewegungen scheinen sich auch die Koordinaten in der Schweizer Politik ein wenig zu verschieben, davon profitieren vor allem die Grünen, woran liegt das?
Marco: Grün ist die Farbe der Zeit, das ist auch richtig so. Die AL setzt in diesem Zusammenhang das Augenmerk auf gesellschaftliche und soziale Fragen.
Die Freiheitsliebe: Zu den kommenden Wahlen tritt die Alternative Liste in nur zwei Kantonen an, warum konzentiert ihr euch auf wenige Gebiete?
Marco: Die AL Zürich ist keine nationale Partei, sondern eine kantonale. Wir haben Schwesternorganisationen in anderen Kantonen wie die AL Schaffhausen, die AL Bern, die Solidarités in den französischsprachigen Schweiz oder das Forum Alternativo im Tessin. Da die Wahlen für den Schweizerischen Nationalrat kantonal organisiert sind, konzentriert sich auch jede Organisation auf den Kanton, in dem sie politisieren.
Es besteht aber zum ersten Mal eine reale Chance auf Fraktionsstärke (5 Sitze) im Nationalen Parlament, weil in den Kantonen Zürich, Tessin, Waadt, Genf und Neuenburg je ein Sitz gewonnen werden könnte. In diesem Rahmen gibt es auch wahl- und medientechnische Kooperation und Unterstützung zwischen den einzelnen kantonalen Parteien, die sich links von Rot-Grün positionieren.
Die Freiheitsliebe: Können die Proteste zu einem Aufschwung der Linken auch bei den kommenden Wahlen beitragen?
Marco: Seit den Kantonsratswahlen in Zürich von diesem Jahr spricht man in den Medien von der grünen Welle. Von ihr profitieren linke Kräfte wie die Grünen ungefähr gleichteilig wie die bürgerliche die Grünliberale Partei. Auf Grund der klaren rechts-bürgerlichen Vorherrschaft auf kantonaler und nationaler Ebene gilt diese Entwicklung dennoch als Bewegung nach links. Es wird davon ausgegangen, dass die Präsenz der Klimabewegung auch für die eidgenössischen Wahlen im Oktober in diese Richtung zeigt.
Von der eindrücklichen Arbeit und Präsenz der Frauen*bewegung in diesem und im letzten Jahr versprechen wir uns zumindest eine Stärkung der feministischen Kräfte in der parlamentarischen Politik.
Die Freiheitsliebe: Welche Perspektive gibt es für die Schweizer Linke über die Wahlen hinaus?
Marco: Die erwähnte Fraktionsstärke der alternativlinken Kräfte auf nationaler Ebene ist sicher eine Perspektive. Auf Ebene der Bewegung stellt die Mobilisierung für und durch den Frauen*streik eine klare Tendenz dar, die so nicht einfach zum Verschwinden zu bringen sein wird. Wir bleiben jedenfalls dran und bewahren Unruhe gemäss unserem Motto.
Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.