Unter dem Vorwand, in Venezuela „die Demokratie wiederherzustellen“, orchestriert Washington in Caracas einen Regime Change. Über Partei- und Ideologiegrenzen hinweg will die US-Kleptokratie die Ölvorkommen des Landes stehlen – die größten Vorkommen der Welt. Eine militärische Intervention wird offen diskutiert.
Die USA blicken auf eine lange Geschichte von Regime Changes in Lateinamerika zurück. Der nächste findet gerade vor unseren Augen statt und kann in der New York Times, auf CNN und FOX News in Echtzeit verfolgt werden.
Der Putschist Juan Guaidó – der Präsident der venezolanischen Nationalversammlung, der sich zum Interimspräsident des Landes ernannt hat – wird neben autoritären Führern wie Israels Benjamin Netanjahu, Brasiliens Jair Bolsonaro und allen voran Donald Trump zunehmend auch von als liberal wahrgenommenen Demokratien als rechtmäßiger Präsident anerkannt. Kanadas Justin Trudeau war einer der ersten, am Donnerstag folgte schließlich die EU. Der deutsche Außenminister Heiko Maas ließ auf seinem Twitter-Feed in den letzten Tagen nicht weniger als zehn Tweets zum Thema ab und zelebrierte die mit Guaidó verbundene „Hoffnung auf einen demokratischen Neuanfang“.
Davon abgesehen, dass Juan Guaidó ein Feind der Demokratie ist, der in gewalttätigen rechtsextremen Zirkeln politisiert und seit mehr als einem Jahrzehnt zusammen mit weiteren venezolanischen Rechtsaußen-Kadern der Aristokratie des Landes von verschiedensten Entitäten im US-Establishment als idealer Regime-Change-Kandidat kultiviert wurde (wie Max Blumenthal in einer ausgezeichneten Abhandlung darlegt), stellt sich die Frage der historischen Vogelperspektive: Wann hat ein von außen erzwungener Putsch das Leben der Menschen vor Ort verbessert?
Entgegen blumiger Rhetorik geht es nie um Menschen – es geht um Gier.
Nachdem die CIA 1973 den Sozialisten Salvador Allende durch den Faschisten Augusto Pinochet ersetzte, wurde Chile zur offiziellen Spielwiese des Neoliberalismus – zur Tabula Rasa des Menschenfeinds und Begründers dieser kannibalistischen Ideologie: Milton Friedman. Ähnlich misanthropische und demokratiefeindliche Intentionen sind gegenwärtig im Gange, wenn das US-Imperium erneut auf die Trommeln des Regime Changes einschlägt.
„Herstellung der Demokratie“, oder: Hunger als Kriegswaffe
Als äußerst mächtige Waffe im Regime-Change-Arsenal verhängte die Trump-Administration am Montag schließlich Sanktionen gegen den staatlichen Ölproduzenten Venezuelas, PDVSA, um so den Druck auf Präsident Nicolás Maduro zu eskalieren. Die Zwangsmaßnahmen werden aufgehoben, sobald Guaidó die Macht übernommen hat, heißt es aus der US-Regierung. Die Sanktionen verbieten es US-amerikanischen Firmen – zumindest den meisten, siehe unten – Geschäfte im venezolanischen Ölsektor zu tätigen. Auch läuft es anscheinend darauf hinaus, dass mit Hilfe der Sanktionen über einen zwielichtigen Kuhhandel mit dem kanadischen Goldkonzern Crystallex die 100-prozentige PDVSA-Tochter Citgo, die in den USA die Geschäfte des Mutterkonzerns abwickelt, in einer feindlichen Übernahme aus der Kontrolle der venezolanischen Regierung herausgebrochen werden soll – „von allen Venezolanern gestohlen“ werden soll, in Maduros Worten.
Als Ausgleich versprach Trump ein Hilfspaket für Venezuela in Höhe von 20 Millionen US-Dollar für Nahrung und Medizin – bei einer Bevölkerung von 31 Millionen im Schnitt also ganze 65 Cent pro Person. Außerdem werden 7 Milliarden US-Dollar an PDVSA-Vermögen eingefroren und als Folge der Sanktionen im nächsten Jahr dramatische Exportverluste in Höhe von 11 Milliarden US-Dollar erwartet.
Venezuelas Staatshaushalt – und damit auch die sozialen Sicherungsprogramme der Regierung – hängen jedoch massiv von Ölexporten ab. In einem Land, aus dem – zum signifikanten Teil als Folge der bereits bestehenden US-Sanktionen – drei Millionen Menschen vor der humanitären Katastrophe flohen, sich in drei Jahren die Sterblichkeitsrate von Kleinkindern verhundertfacht hat und in dem Kinder „in alarmierendem Ausmaß“ am Hunger sterben, sind Trumps Sanktionen damit ein direkter Angriff – ein Mordanschlag – auf die Schwächsten der Schwachen. Auf gänzlich anderem Wege, doch in erschreckender Ähnlichkeit zur verächtlichen Kriegstaktik Saudi-Arabiens im Jemen, setzt das Weiße Haus Hunger als militärische Waffe ein.
US-Finanzminister Steven Mnuchin begründete die vernichtenden Sanktionen mit der Unterstützung der US-Regierung für „die Bemühungen des venezolanischen Volkes, seine Demokratie wiederherzustellen.“ Präsident Maduro verurteilt die US-Sanktionen hingegen als „unilateral, illegal, unmoralisch und kriminell“ und erkennt die potentiell fatalen Auswirkungen, wenn er zutreffend in Richtung Washington poltert:
„Du wirst Blut an deinen Händen haben, Präsident Trump.“
Mit ihren Sanktionen hält die US-Regierung Millionen von Menschen in Geiselhaft und wird den Hungertod von vielen von ihnen zu verantworten haben, einzig und allein, um ihre imperialistische Gier zu stillen – nur die Naivsten unter den Naiven können der mit faschistischen Elementen durchsetzten Trump-Regierung ihren Altruismus von der „Herstellung der Demokratie“ noch ernsthaft abkaufen.
Ölraub – die US-Oligarchie auf Beutezug
Trumps höchster Berater und Einflüsterer, John Bolton, gab in einem Interview am Dienstag offen zu, dass es beim Putsch in Venezuela einzig um Erdöl geht; genauer: um den Profit US-amerikanischer Ölkonzerne im Land mit den größten Ölvorkommen der Welt. „Wir führen jetzt Gespräche mit großen amerikanischen Unternehmen“, so Bolton auf dem rechtsaußen Sender FOX News. „Es würde für die Vereinigten Staaten einen großen wirtschaftlichen Unterschied bedeuten, wenn amerikanische Ölfirmen jetzt investieren und die Ölvorkommen in Venezuela ausbeuten könnten.“ [Hervorh. J.R.]
Das müssen wir Trumps White House lassen: Unter dem Reality-TV-Star als Okkupant des Oval Office macht sich das US Empire dann und wann nicht einmal mehr die Mühe, seinen kannibalistischen Imperialismus hinter blumigen Worten zu verschleiern.
In dem vielzitierten Artikel in der New York Times, in dem die neuen Sanktionen gegen PDVSA der Welt erklärt wurden, fand sich versteckt in einem unwichtig scheinenden Nebensatz jene Info, die uns zum Kern der ganzen Venezuela-Krise vorstoßen lässt (und die, liebe Leserin, maßgeblichen Einfluss auf die Wortwahl der Überschrift dieses Artikels hatte):
„Die Sanktionen beinhalten auch Ausnahmen, die es dem amerikanischen Erdölkonzern Chevron sowie den beiden großen Öldienstleistern Halliburton und Schlumberger ermöglichen, weiter in Venezuela tätig zu sein.“
Dies sind offensichtlich die „großen amerikanischen Unternehmen“, von denen Bolton auf FOX News sprach. Ihnen wird es gestattet, die Sanktionen zu umgehen und am Staatsstreich zu verdienen. Vielmehr sollen Mechanismen eingeführt werden, die es diesen Firmen ermöglichen, an der Maduro-Regierung vorbei die Ölvorkommen des Landes auszubeuten – und damit auch vorbei an den zwar nicht gerade üppigen, doch wenigstens vorhandenen Pfründen, die die Ölexporte für die venezolanische Bevölkerung abwirft. All die Floskeln der Trump-Regierung um die Sorgen der „unschuldigen Menschen in Venezuela“ sind blanke Heuchelei und ein Tritt ins Gesicht ebendieser unschuldigen Menschen.
Ein genauerer Blick auf die drei genannten Firmen liefert wertvolle Erkenntnisse über die Arbeitsweise der US-Kleptokratie. In allen drei Firmen hält Donald Trump Aktienanteile: Chevron, Halliburton und Schlumberger (lest diesen Satz bitte noch einmal). Die drei Hauptprofiteure der Trumpschen Sanktionspolitik werden künftig enorme Gewinne einstreichen – und damit auch die Privatschatulle des US-Präsidenten füllen. Bereits im Präsidentschaftswahlkampf kündigte Trump an, er wolle die USA wie einen Konzern führen – das war damit gemeint.
Doch war im Wahlkampf 2016 noch Hillary Clinton die Kandidatin, die die mit Abstand üppigsten Spenden von Chevron erhielt, überreichte der Öl-Multi Donald Trump zu seiner Amtseinführung 2017 einen Scheck in Höhe von 525.000 US-Dollar und fährt dafür nun die Rendite ein (auch die sich durch Trumps Sanktionen einer feindlichen Übernahme ausgesetzten PDVSA-Tochter Citgo schenkte Trump eine halbe Million Dollar).
Neben dem größten Öldienstleister der Welt, Schlumberger – der ebenso wie Chevron Connections zu Demokraten und Republikanern pflegt – offenbart insbesondere die Aufnahme von Halliburton in die illustre Liste der drei Profiteure den Fakt, dass sich die US-amerikanische Kleptokratie (die „Herrschaft der Diebe“ also) über Ideologie- und Parteigrenzen hinweg organisiert. Der Öldienstleister war einer der Hauptprofiteure der illegalen Irak-Invasion 2003 und erhielt in diesem Zuge ohne Ausschreibungen öffentliche Milliarden-Aufträge im vernichteten Irak. Der damalige US-Vizepräsident Dick Cheney war lange CEO des Konzerns, auch ist die Bush-Dynastie selbst eng mit ihm verwoben – jene Bushs, Mitglieder des „Never Trump“-Camps, die sich aktuell als größte Kritiker des Despoten Trump in Szene setzen und so, äußerst erfolgreich, ihr Image als Kriegsverbrecher und Massenmörder loszuwerden versuchen.
Wenn es darum geht, Bodenschätze fremder Länder zu stehlen, lässt das US-Establishment das Geplänkel vermeintlicher Grabenkämpfe, das Kleinklein des Politalltags, hinter sich und steht dank ihrer unstillbaren Gier als einendes Moment in treuer Komplizenschaft beim großen Raubzug eng beieinander.
Unzählige Male verteidigte Donald Trump vor Medienvertretern, Militärs und auf Wahlkampfveranstaltungen sein militärisches Dogma des „Dem Sieger die Beute“. Gegenüber ABC News’ George Stephanopoulos erklärte er etwa, „In den alten Zeiten, weißt Du, wenn es einen Krieg gab, gehörte dem Sieger die Beute“, und meinte damit im Kontext der illegalen Irak-Invasion 2003 hinsichtlich des irakischen Öls: „Du gehst rein. Du gewinnst den Krieg, und du nimmst es dir.“
Dieses Dogma – welches die Lehrbuchdefinition imperialistischer Philosophie darstellt – erleben wir aktuell in Venezuela. Und auch wenn nach bald zwei Dekaden des schändlichen „War on Terror“ eine Invasion des US-Militärs in einem Land außerhalb der arabisch-islamischen Welt irgendwie sonderbar anmuten mag, ist sie dieser Tage alles andere als „vom Tisch“.
Kriegsspiele
Auf die Frage eines Reporters, ob in Venezuela möglicherweise „US-Streitkräfte involviert“ würden, antwortete Trumps Sicherheitsberater Bolton: „Der Präsident hat diesbezüglich äußerst deutlich gemacht, dass weiterhin alle Optionen auf dem Tisch liegen.“ Kein Jahr im Amt drohte Trump bereits im August 2017 mit einer „militärischen Operation“ gegen Venezuela und suchte sich unverhohlen Verbündete in Lateinamerika für eine Invasion des Landes. Vor wenigen Tagen erneuerte Trump die Drohung einer militärischen Operation.
Zwei im US-Exil befindliche Überläufer des venezolanischen Militärs, die behaupten, Hunderte bis Tausende potentielle Deserteure zu repräsentieren, forderten bereits Waffenlieferungen von der Trump-Regierung, um so – die „Syrien-Option“ – einen Bürgerkrieg rivalisierender bewaffneter Gruppen herbeizuführen; oder mit den Worten der Soldaten: „in Venezuela die Freiheit zu realisieren“.
Als Bolton – der Präsident Maduro unverhohlen drohte, ihn ins Konzentrationslager Guantánamo zu stecken – der Weltpresse am Montag die neuen Sanktionen verkündete, hielt er einen Notizblock in der Hand, auf dem zu lesen war „5.000 Soldaten nach Kolumbien“ – eine offene Drohung, das Weiße Haus spiele mit dem Gedanken, weitere Truppen an Venezuelas Grenze im Nordwesten zu verlegen.
In Kolumbien ist das US-Militär seit Langem zutiefst involviert und begeht zusammen mit seinen kolumbianischen Kollegen Kriegsverbrechen gegen die FARC-Rebellen. Auch unmittelbar vor der venezolanischen Küste, in Trinidad und Tobago, sowie beim östlichen Nachbarn in Guyana, sind US-Truppen und Special Forces stationiert. Und in einem historisch katastrophalen Schritt erwägt Brasiliens neugewählter Präsident Jair Bolsonaro – Nazi, Faschist und engster Verbündeter der USA und Israels – gar eine US-Militärbasis in Brasilien zu errichten. Wohl mit Iran als Vorbild zieht sich die Schlinge des US-Militärs rund um Venezuela enger und enger zu.
Neben diesen (militär-)strategischen Entwicklungen der letzten Jahre und Monate machen die Äußerungen der Trump-Administration der letzten Tage unmissverständlich klar: Sollten Wirtschaftskrieg und Unterstützung – möglicherweise Bewaffnung – radikaler Elemente der venezolanischen Opposition als Mittel zum Regime Change scheitern, wird parallel Plan B vorbereitet: die militärische Invasion Venezuelas.
Auch der selbsternannte, von Washington instrumentalisierte Interimspräsident Juan Guaidó schloss eine militärische Invasion seines eigenen Landes nicht aus. Im Exklusiv-Interview mit Al Jazeera erklärte Guaidó auf mehrfache Nachfrage, ob er „eine Intervention des US-Militärs unterstützen“ würde: „Wir werden tun, was wir tun müssen.“
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